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Feilkode 418

Eine Handtasche packt aus

Eine Handtasche packt aus · Romane

Nur Willy weiß, wie es sich anfühlt, als Edeltasche anzufangen und am Abgrund zu enden, um als Trendsetter wiedergeboren zu werden.

Hva vil du med boka?

»Haben Sie schon einmal versucht, sich in einer Damenhandtasche ohne Navigationsgerät zurechtzufinden? Eine Handtasche ist wie eine beste Freundin, der man als Mann nie zu nahekommen darf. Sie birgt Geheimnisse, von denen wir nichts ahnen, von Schminkutensilien über die halbe Familienerbschaft bis hin zur Notfallration für einen drohenden Dritten Weltkrieg oder eine Hungerkatastrophe. Sie ist Erste-Hilfe-Koffer und Tagebuch, Seelentröster und Tresor. Und sie ist unergründlich, denn was immer eine Frau braucht, es wird irgendwo in ihrer Handtasche zu finden sein.« Ich möchte mit Hilfe eines Alltagsgegenstandes wie der Handtasche Willy einen sozialen Abstieg schildern, der zugleich ein persönlicher Aufstieg ist. Damit möchte ich in erster Linie unterhalten, zugleich aber auch Mut machen und aufzeigen, dass die scheinbar erstrebenswerten Ziele Reichtum und soziales Ansehen unbedeutend sind gegenüber Freundschaft und innerer Stärke.

Om forfatteren

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Hanna Mohr wurde 1968 geboren und lebt nach Stationen in Solingen und Köln mit ihrem Mann in Trier. Sie hat einen Bachelor in Psychologie und ist vielseitig interessiert, vor allem an Theater, Tanz un...

Eine Handtasche packt aus

Ein humoristischer Roman nicht nur für Frauen

 1 High Society

 

Dass es so etwas überhaupt noch gibt. Schwarzes Etuikleid am Nachmittag. Alle Achtung, die Frau hat Stil. Die Haare sind gefärbt, das sieht mein Kennerblick sofort, aber ansatzlos. Die sitzt vermutlich jede Woche beim Friseur. Das sieht man der Frisur an, très chic. Die Frau achtet auf sich, das ist mir sehr sympathisch. Mit diesen Schuhen über Kopfsteinpflaster zu laufen, erfordert jahrelange Übung, aber die dürfte sie haben. Fünfzig? Nein, noch nicht. Obwohl, dieses makellose Gesicht hat sie nicht von Natur aus, da wurde ein wenig nachgeholfen. Jedenfalls keine dieser neureichen Tussis, die hier immer wieder hereinschneien und mit Markennamen um sich werfen, als seien es Wochenend-Bekanntschaften aus einem Szene-Club.

Die Tochter dagegen muss noch einiges lernen. Die blonden Haare lässig zum Pferdeschwanz gebunden, dabei könnte sie aus der Haarlänge wahrhaftig mehr machen. Immerhin trägt sie kein Billig-T-Shirt aus dem Discounter, aber der Preis alleine reicht noch nicht, um gehoben auszusehen. Das möchte sie aber vielleicht auch gar nicht, das mag in ihren Kreisen nicht so gut ankommen. Der Push-up-BH lässt ihre Brüste sehr schön zur Geltung kommen, da steht sie der Frau Mama in nichts nach. Aber dieser Gang … Selbst in Ballerinas kann man eleganter aussehen, es müssen ja nicht gleich High Heels sein. Das sollten die Damen einmal zusammen üben. Wobei sie beide nicht so vertraut wirken, als würden sie viel Zeit miteinander verbringen. Die Jüngere dürfte siebzehn oder achtzehn sein, da verbringt man nicht viel Zeit mit der Familie. Umso schöner, dass die beiden wenigstens zusammen shoppen gehen. Das Mädchen könnte dringend eine neue Hose brauchen, die Jeans hat ja ein Loch und der Reißverschluss hält nur mit einem Schlüsselring am Knopf.

 

Nett, wie das Mädchen sich mit der grünen Tasche im Spiegel betrachtet. Louis Vuitton. Nicht schlecht, aber ich bitte Sie!

»Na, Mutti, was meinst du, die sieht doch cool aus, oder?«

Die Mutter rümpft bloß die Nase, und da kann ich ihr nur beipflichten. Sie bittet die Verkäuferin, ihr eine schwarze Tasche aus dem Fenster zu geben. Das ist doch keine Tasche für eine solche Dame. Viel zu billig. Die Verkäuferin lobt die Qualität der Tasche in den höchsten Tönen, während sie in die Auslage klettert. Sie hat ja nicht gänzlich Unrecht, aber ich kann es langsam nicht mehr hören. Yves Saint Laurent, ausgerechnet, für eine solche ...

»Mensch, Mutti, was willst du denn mit der Alte-Leute-Tasche? Du bist nicht mal fünfzig, wie willst du denn ab nächstem Jahr herumlaufen? Kommt gar nicht infrage, du brauchst eine coole Tasche. Sowas wie die grüne«, erklärt das Mädchen ihrer Mutter.

Da muss ich ihr im Stillen Recht geben. Und mir selbst auch, noch keine Fünfzig, wie ich vermutet hatte. Stilvoll wäre die Tasche aus dem Fenster schon, aber in der Tat langweilig, wenngleich Alte-Leute-Tasche eine ziemliche Beleidigung ist. Das kratzt am Ego.

»Ich möchte aber nicht auf eine coole Party, wie du das nennst, Constanze, sondern ich verleihe den Innovationspreis für Technologie-Design bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Ich kann nichts dafür, dass diese Trophäe so groß ist, dass ich sie in eine Tasche packen muss. Noch dazu eine Tasche, die so voluminös ist, dass ich sie danach womöglich nie wieder benutzen werde«, erläutert die Mutter ihrer Tochter, und es klingt so, als würden sie dieses Thema schon zum wiederholten Male erörtern.

»Und wie wäre es für den Zweck mit einer Plastiktüte von Aldi? Oder einer netten Stofftasche vom Drogeriemarkt? Warum muss es eine überteuerte Designerhandtasche sein?«, mault die Jugendliche weiter. Das geht aber wirklich zu weit! Sie hat noch keine Ahnung von den Qualitäten einer Markenhandtasche.

Die Verkäuferin taucht gerade aus dem Schaufenster wieder auf und hat die letzten Worte gehört. Sie lacht irritiert. »Was für eine neckische Idee.« Sie hält ihr die schmucklose Tasche entgegen. »Diese Tasche ist wirklich wie für Sie gemacht, Frau von Steffeln.«

Dachte ich mir doch, alter Adel. Nichts Neureiches, sondern einen gewissen Standard gewöhnt. Und Stammkundin hier, was mich nicht wundert, wo soll sie bei ihrem Sinn für Stil auch sonst kaufen.

Die Kundin betrachtet die Tasche kritisch. »Für mich vielleicht, aber nicht für diesen Preis, den ich überreichen muss.« Na, das besänftigt ein wenig. Ich wollte schon an meiner Menschenkenntnis zweifeln.

»Tja, Mutti, Adel verpflichtet wohl. Hast du dir schon mal diese rote Tasche da oben angesehen?« Constanze zeigt in das oberste Regalfach. »Sieh mal, die ist groß und trotzdem schlicht.«

Na endlich. Sie hat also doch einen Blick für das Wesentliche. Mehr Geschmack, als ich ihr zugetraut hätte.

Auch die Verkäuferin ist entzückt, wie schon bei den vorherigen acht Taschen, die sie inzwischen aus dem Fenster oder vom Lager holen durfte. Aber jetzt muss ich ihr völlig zustimmen, das wäre eine wundervolle Wahl.

»Constanze, die ist rot!«, sagt ihre Mutter in einem Ton, als sei das etwas Anstößiges. Also ich muss doch sehr bitten. »So kann man mit deinen fünfzehn Jahren vielleicht herumlaufen, aber ich doch nicht.«

Sie sieht doch tatsächlich entrüstet aus. Dabei bin ich fast sicher, dass ich ein kurzes Flackern in ihren Augen gesehen habe. Ich glaube, insgeheim gefällt ihr der Vorschlag ihrer Tochter, sie kann das nur nicht zugeben. Und dass die Kleine wirklich erst fünfzehn sein soll … Alle Achtung, die Mädchen heutzutage sehen deutlich reifer aus als früher. Die muss man wirklich zu Hause anbinden, wenn sie nicht unter die Räder kommen sollen.

»Ich bin sicher, du gehst wieder ganz in Schwarz, da wäre eine rote Tasche echt ein cooler Akzent. Vielleicht würdest du sogar mal wieder lächeln bei einer so freundlichen Farbe.«

Die Verkäuferin könnte mich wirklich etwas zarter anfassen, statt mir ihre lackierten Fingernägel in die Seite zu rammen.

Nur widerwillig streckt Frau von Steffeln die Hand aus und hängt sich das schmale Lederband über die Schulter. Sie betrachtet sich von allen Seiten im Spiegel. Sie sieht tatsächlich gut aus. Und sie riecht so himmlisch. Frau von Steffeln, meine ich.

»Jetzt sei mal nicht so spießig, nimm die einfach«, drängt Constanze.

»Das ist wirklich eine hervorragende Wahl, Bogner haben wir im Moment im Sale, da bekommen Sie noch zehn Prozent drauf. Dann kostet die Tasche nur noch gut sechshundert Euro. So ein schönes Stück, daran werden Sie lange Ihre Freude haben«, flötet die Verkäuferin.

Na, wo sie Recht hat, hat sie Recht, aber sie muss mich doch nicht gleich anbieten wie Sauerbier. Ein bisschen mehr Stil könnte man auch von so einer Verkäuferin erwarten, oder? Auch wenn sie sich eine wie mich von ihrem Gehalt nie leisten könnte. Bin ich froh, wenn ich hier rauskomme, es ist wirklich unter meinem Niveau, den ganzen Tag nutzlos im Regal zu stehen und mir dieses dumme Geschwätz anzuhören, wo ich doch für Höheres gemacht bin. Außerdem fürchte ich, dass mir zu viel Sonne auf Dauer schadet, wenn ich nicht eingecremt werde. Ich habe zwar den besten Platz, nicht plakativ im Schaufenster, wo man ständig gestresste Taschen vorbeieilen sieht, aber tags von der Sonne und nachts von einem Spot beschienen.

>Ach, Willy, wenn du uns jetzt verlässt, dann bist du bald genauso gestresst wie die anderen Taschen, die immer an uns vorbeihetzen<, sagt Coco traurig.

Ich blicke ebenfalls auf die Straße. >Ich verstehe es gar nicht, die hängen doch eigentlich nur rum, werden von den Damen überall hingetragen. Ich verspreche dir, ich werde nicht so die Klappe hängen lassen.<

>Neulich habe ich eine wiedergesehen, die war noch gar nicht so lange von uns fort und schon hat ihr Reißverschluss geklemmt<, erzählt Gianni.

>Wenn sie mich nicht gut behandelt, werde ich mich mit ihren anderen Taschen zusammenschließen und mich gegen die Dame auflehnen. Wenn ich erst einmal hier raus bin, werde ich das alles selbst in die Hand nehmen. Ein Willy kennt keine Furcht<, sage ich selbstsicher.

Frau von Steffeln betrachtet uns von allen Seiten, also mich und sich, und Constanze nimmt jetzt wohl auch wahr, wie dieses ganz kurze Lächeln über das Gesicht ihrer Mutter huscht. Auch sie hat also Gefallen gefunden, wenngleich sie es nie zugeben würde.

»Manchmal habe ich den Verdacht, dass du dich auch nicht freiwillig an alle Konventionen hältst, sondern ganz gerne einmal aus all diesen blöden Erwartungen ausbrechen und etwas Verrücktes tun würdest«, raunt Constanze ihrer Mutter so leise zu, dass die Verkäuferin sie nicht hören kann. Ich schon, denn ich bin den beiden sehr nah. Genau genommen bin ich im Moment der einzige, der die beiden voneinander trennt, quasi Haut auf Haut mit der attraktiven Frau von Steffeln, und ganz nah an den schmalgliedrigen Fingern ihrer Tochter, die sich ihrer Attraktivität leider so gar nicht bewusst zu sein scheint. Mädchen, mit jemandem wie mir an deiner Seite würdest du alle Blicke auf dich ziehen. Schmal, elegant, ein Teil der feinen Gesellschaft …

Die Verkäuferin plappert weiter auf Frau von Steffeln ein. Sie ist sich jetzt wohl sicher, dieses eine Geschäft am Tag abgeschlossen zu haben, das ausreicht, um die sündig teure Miete für diesen Laden bezahlen zu können. Wenn sie sich mehr auf solche Formate wie mich konzentrieren würde, statt sich diesen ganzen ausländischen Tand ins Haus zu holen, könnte sie solche Erfolgserlebnisse jeden Tag haben. Aber die Leute setzen ja viel zu wenig auf Qualität und viel zu sehr auf Äußerlichkeiten.

>Ach, manchmal bin ich ja froh, dass wir so teuer sind, dass nicht täglich welche von uns verkauft werden<, seufzt Yves. >Ich trenne mich so ungern von jedem einzelnen von euch.<

Eine gute Einstellung, wenn man so hässlich ist wie er und niemand einen haben möchte, sodass man immer mehr zum Ladenhüter wird.

Constanze hört der Verkäuferin eindeutig nicht mehr zu, sie schießt ein Foto von ihrer Mutter mit - tja, mit mir an ihrer Seite, und verschickt es per Handy.

Ich sehe aus dem Reißverschlusswinkel, wie Louis noch grüner vor Neid wird.

>Nimm es nicht persönlich, Louis, es kommt auch jemand für dich<, sage ich und unterdrücke meine Schadenfreude. >Man muss eben zu einer Frau von solcher Klasse passen.< Das kann nicht jeder dahergelaufene Michael Kors oder Calvin Klein, denke ich, aber das sage ich besser nicht laut. Die kauft ja auch keiner mehr, seit man ihresgleichen in der Türkei für ein paar Euro nachgeschmissen bekommt. Und die meisten können den Unterschied nicht einmal sehen, die sehen nur das groß aufgedruckte Logo oder den goldglitzernden Schriftzug und wissen nicht, von welch minderer Qualität ihr ständiger Begleiter ist. Manche Frauen kommen mit Handtaschen hier herein, die uns nicht einmal erzählen können, wer sie gefertigt hat. Was für eine Identitätskrise, die wissen ja kaum, ob sie Männchen oder Weibchen sind. Sogar mein Freund Gianni mit seinem italienischen Chic kann bei einer solchen Frau nicht landen, manchmal muss es eben etwas ganz Klassisches sein. Dieser ganze ausländische Schnickschnack mag ja gut und schön sein, aber ich bin schließlich ein echter Willy Bogner. So eine gute deutsche Traditionsfigur, die passt eben zu gutem deutschem Adel immer noch am besten. Auch wenn Yves ein wenig eingeschnappt zu sein scheint. Ach, manchmal ist er wirklich zu tuntig, aber der kriegt sich schon wieder ein.

>Ich finde es ja nicht fair, dass du schon hier raus darfst, du warst noch gar nicht so lange hier<, klagt Yves. >Ich stehe mir hier die goldenen Nieten in den Bauch und du wackelst nur mit dem Henkel und wirst schon mitgenommen.<

>Es tut mir leid, mein Lieber, die Frauen stehen eben auf echte Männer. Aber für dich wird auch noch die Richtige kommen. Du bist hier doch in so netter Gesellschaft.<

Louis und Michael stimmen mir zu, aber auch sie wären gerne an meiner Stelle.

»Sieht cool aus«, kann ich auf Constanzes Handy lesen. »Meine Mutter trägt immer nur Rucksäcke, weil sie praktisch und erschwinglich sind. Sehen uns später, freu mich.«

>Es war nett mit euch. Haltet die Henkel steif<, rufe ich gerade noch, bevor ich in einer stabilen Papiertasche mit einer goldfarbenen Kordel lande. >Lebt wohl, all ihr Handtaschen, Geldbörsen, Rucksäcke und Schminktäschchen. Wo auch immer es euch hin verschlägt, vielleicht werden wir uns ja wiedersehen. Die Klasse, die sich uns leisten kann, scheint nicht so groß zu sein, ich bin sicher, ich werde den einen oder anderen von euch wiedersehen.<

Ich rieche zum ersten Mal die Luft außerhalb des Ladens. Mir fällt jetzt erst auf, dass ich die Geldbörse, die neulich wegen Nichtgefallens von dem Beschenkten zurückgebracht und umgetauscht worden war, gar nicht gefragt hatte, wie die Welt da draußen denn so ist. Ich bin neugierig und freue mich darauf, endlich die Aufgabe zu übernehmen, für die ich wie geschaffen bin: Ich möchte Frau von Steffeln nicht mehr von der Seite weichen und immer für sie da sein, wenn sie mich braucht.

 

Der Hausherr rümpft nur die Nase, als er seine Frau mit mir sieht. Na, das kann ich ja verstehen, so ein stattlicher deutscher Willy an der Schulter seiner Frau … Und sie sieht dabei so aus, als habe sie das vorhergesehen. Na, was will man auch erwarten, wenn man seinen Alltag mit einem August teilt, der gut zehn Jahre älter ist als man selbst, wenn man stattdessen jeden Willy dieser Welt haben könnte. Aber jetzt teilt sie ihr Leben ja mit mir. Sie wird sehen, dass sie sich ein Leben ohne mich bald gar nicht mehr vorstellen kann. Solche Annehmlichkeiten bietet ihr sonst keiner. Sie stellt mich auf ein Sideboard, von wo ich einen guten Blick habe, auch auf die Handtasche, deren Stelle ich bald einnehmen werde.

>Ich freue mich schon darauf, wenn Marliese mir all ihre hübschen Dinge anvertraut, vielleicht ein Tagebuch, ihren Jahresplaner, ein seidenes Taschentuch, einen goldenen Füllfederhalter, eine Ersatzstrumpfhose.<

Marlieses derzeitige Begleitung lacht nur spöttisch. >Sei mal nicht so optimistisch. Du brauchst dich gar nicht für etwas Besseres zu halten. Du wirst ganz schnell sehen, wie schmerzhaft ein schwerer Schlüsselbund sein kann. Und die Spitze ihres Kugelschreibers hat mich schon oft gepiekst, sie vergisst nämlich gerne, die Spitze einschnappen zu lassen.<

>Aber wir wissen uns doch zu wehren<, wiegele ich ab. >Wenn sie mir etwas gedankenlos in den Rachen wirft, habe ich Mittel und Wege, es erst nach langem, vergeblichem Suchen wieder ans Licht zu befördern. Oder ich behalte es einfach ein. Soll sie doch sehen, was geschieht, wenn sie so unachtsam mit mir umgeht! Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass sie mich schnell zu schätzen weiß und achtsam und liebevoll mit mir umgehen wird.<

»Na, wie war euer Tag?«, erklingt die sonore Stimme des Hausherrn und ich wende meine Aufmerksamkeit von dieser uninteressanten Tasche lieber ihm zu. In meinem Laden habe ich ja nicht so viele Männer gesehen, aber ab und zu habe ich einen neugierigen Blick auf die Straße geworfen. Die meisten Männer waren wesentlich gewöhnlicher als August. Er trägt zu Hause Hemd mit Weste und eine feine Hose, maßgeschneidert, würde ich mal sagen. Immerhin ist der oberste Hemdknopf offen, das ist ja fast schon leger. Ich sehe im Westentäschchen doch tatsächlich eine Geldklammer. So etwas hat es bei uns im Taschenladen nicht gegeben, die muss er extra vom Juwelier haben. Ich finde das ja ein wenig dekadent. Außerdem fehlt mir ein Portemonnaie für ein nettes Gespräch.

»Wir waren shoppen«, gibt Constanze kurz angebunden zurück. Das Verhältnis scheint ebenfalls angespannt zu sein. »Das heißt, Mutti war shoppen, ich habe nichts bekommen, aber Mutti geht ja sowieso nur in diese Schickimicki-Shops.«

»Boutiquen«, weist die Mutter sie zurecht.

»Halte dich an das Vorbild des Papstes, Entsagungen sind kein Makel«, rügt ihr Vater sie und geht gar nicht auf ihren unterschwelligen Vorwurf ein, nichts bekommen zu haben.

»Dann halte du dich an die Eitelkeit seines Vorgängers, der immer rote Schuhe trug. Der hätte Muttis rote Tasche sicher cool gefunden«, kontert seine Tochter geschickt.

August von Steffelns Blick ruht einen Moment auf mir, bevor er die Mundwinkel so verzieht, wie man es sonst nur als Bundeskanzlerin vermag. Aber ein Kommentar über mich in Anwesenheit seiner Tochter scheint nicht infrage zu kommen, das klärt er vermutlich unter vier Augen mit seiner Gattin. Das will ich auch meinen, Differenzen muss man ja nicht in aller Öffentlichkeit austragen, zumal dann nicht, wenn man von vorneherein im Unrecht ist. Die Blöße muss er sich ja nicht geben.

»Constanze, wie oft soll ich dir noch sagen, du sollst deine Musik nicht so laut machen. Und was war das heute Morgen, als ich mit Herrn von Stein im Garten stand, und du hast dich ungeniert am offenen Fenster umgezogen?«, maßregelt der Hausherr seine Tochter streng. Apropos Blöße, da hat sie ihre wohl zum Besten gegeben. Schade, dass ich noch nicht da war, aber vielleicht ergibt sich die Gelegenheit ja noch einmal.

Constanze hat das gleiche kurze Aufflackern eines Lächelns, das mir vorhin schon bei der Mutter aufgefallen ist. Sie lehnen sich beide unbemerkt gegen das Establishment auf. Das finde ich zwar sehr mutig und grundsätzlich löblich, nicht nur an Traditionen festzuhalten, denn wo bliebe unsereins, wenn man immer nur an Althergebrachtem klebt? Andererseits, wo landet unsereins, wenn man jeder neuen Mode hinterherläuft? Die Gesellschaft ist im Wandel; und ich bin froh, dass es noch solche standesgemäßen Einstellungen gibt wie im Hause von Steffeln.

Statt einer Antwort fragt Constanze beharrlich: »Papilein, wie gefällt dir denn Muttis neue Tasche?«

Der Papilein-Trick. Dieser Mann ist so alt und erfahren, der kann unmöglich darauf hereinfallen.

»Na ja, mein Geschmack ist sie nicht, aber Mutti hat mir versichert, dass sie die Tasche nur dieses eine Mal tragen wird«, erklärt der Vater völlig handzahm. Ist das denn wahr? Eben noch macht er einen auf strenges Regiment, und was er sagt ist Gott und Gebot - und dann lässt er sich von diesen beiden Weibsbildern um den kleinen Finger wickeln? Das kann ja wohl nicht sein. Ich würde mich, also ich meine, meinen Riemen, also meinen Schulterriemen niemals so um den kleinen Finger wickeln lassen. So viel Stil muss sein, bitteschön. So wahr ich aus dem Hause Willy Bogner bin! Aber was soll das heißen, ich werde nach einmaligem Gebrauch ausgemustert? Da habe ich aber schon ganz andere Taschen gesehen.

»Muss ich zu dieser Verleihung eigentlich mit?«

Der Vater mustert sie schweigend. Constanze hält diese Stille eindeutig kaum aus, als er endlich sagt: »Es wird Zeit, dich in die Gesellschaft einzuführen. Bald ist dein Tanzkurs abgeschlossen, dann kannst du uns zu Empfängen begleiten. Ja, du wirst selbstverständlich mitkommen. Deine Mutter wird diesen Preis verleihen, und du wirst danebenstehen und lächeln. Dein Gesicht ist so hübsch, da kommt das Foto auf jeden Fall am nächsten Tag in die Zeitung.«

»Das kann doch nicht euer Ernst sein«, begehrt Constanze auf. »Ich soll nur für die Optik mitkommen?«

»Du sollst mitkommen, damit die Leute sich nicht dein alterndes Papilein ansehen, sondern sehen, dass wir etwas wirklich Innovatives zu bieten haben.«

»Ihr benutzt mich doch nur!«

»Wir machen dich mit interessanten Menschen bekannt, die dir Türen für deine Zukunftspläne öffnen können«, erklärt August geduldig. Dann öffnet er den obersten Brief von einem ganzen Stapel und liest seiner Frau vor, wer gerade seine Anwesenheit bestätigt hat.

Constanze läuft die Treppe hoch und schnappt im Vorbeilaufen gerade noch nach mir. Ich warte geradezu darauf, dass sie die Zimmertür knallt, aber sie kann sich mit Mühe beherrschen. Ich kann sie gut verstehen, sie soll nicht um ihrer selbst willen mitkommen, sondern weil sie gut für die Öffentlichkeitswirkung ist. Kein Wunder, wenn ihr zum Heulen zumute ist. Mir geht es ja genauso, niemand möchte mich als Willy an seiner Seite, genau genommen an ihrer Seite haben, Marliese will mich nur benutzen. Ich habe etwas Besseres verdient!

 

Wider Erwarten hat Constanze mich mit in ihr Zimmer genommen und mich nicht nur vor der Zimmertür ihrer Mutter abgestellt. Sie hat mich auf ihr Bett gelegt und starrt mich die ganze Zeit an.

>Sieh mich nicht nur an, nimm mich einfach. Fass mich an, fühl, wie fest mein Leder ist. Du willst es doch auch.<

Aber sie versteht mich einfach nicht. Tja, so einen wie mich hätte sie sicher auch gerne an ihrer Seite. Es war für mich nicht immer einfach in dieser Boutique mit Handtaschen, Bordcases und Schuhen. Frauen machen sich ja gar keine Vorstellungen von unserem Dasein. Die meisten Frauen tun so, als sei ihre Handtasche ihre beste Freundin, der sie alles anvertrauen können. Dabei trifft das nur für Coco zu. Na gut, für Yves irgendwie auch. Aber für Typen wie Gianni, Calvin, Louis, Michael und mich ist es gar nicht wirklich schön, als stille Begleiter überall hin mitgenommen zu werden. Niemand fragt uns, ob wir mit auf die Damentoilette möchten, nur weil gerade alle gehen. Und dann sehen Sie sich einmal diese Hungerhaken an! Natürlich tragen die keine echten Kerle wie mich über ihren zarten Schultern, das würde ganz schnell zu einer Schiefhaltung führen. Nein, sie tragen Handtäschchen, in die gerade einmal ihr Handy, ihr Lippenstift und ein Taschentuch passen. Dabei halten sie das Handy sowieso den ganzen Abend in der Hand. Autoschlüssel brauchen sie nicht, ihre Männer lassen sie bei ihren Luxusschlitten sowieso nicht ans Steuer. Das sind doch keine Handtaschen. Die meisten Herrengeldbörsen sind größer.

Oh, da bin ich in Gedanken wohl abgeschweift, aber Constanze hat mich gerade aus meinen Träumen geweckt.

»Mensch, Nele, du kannst froh sein, dass du im Vergleich zu mir ein so unkompliziertes Leben führen darfst.«

Ich glaube, Nele protestiert gerade am anderen Ende der Leitung. Das ist ganz schön charmant, wie sich Constanze auf ihrem Bett räkelt und mich dabei anstarrt.

»Du musst wenigstens nicht ständig darüber nachdenken, was wohl die Leute sagen würden, wenn sie sehen könnten, dass du ein ganz normales Leben führst.« Wieder muss sie zuhören, aber das scheint ihr gar nicht so leicht zu fallen. Die Kleine hat ein ganz schön aufbrausendes Temperament, ob sie das vom Vater hat?

»Ich hoffe nur, dass mein Vater bald wieder zu einer Jagd eingeladen wird oder an einem Golfturnier irgendwo teilnehmen möchte, damit meine Mutter mir endlich erlaubt, am Wochenende einmal mit dir in die Disko zu gehen.« Das Lächeln wird breiter. Ganz schön verführerisch, wie sie ihr Haargummi löst und ihre Mähne ausschüttelt. Was in diesem hübschen Köpfchen wohl gerade vorgeht? Komm, sag’s mir, ich bin doch dein Freund.

»Du weißt doch, diese beiden süßen Jungs aus der Oberstufe, die gehen jeden Samstag in diesen neuen Club. Meine Mutter scheint im Moment auch ein bisschen genervt zu sein von meinem Vater, vielleicht kann ich die Situation ja für mich nutzen, und sie erlaubt es mir, nur weil mein Vater es verbietet.« Wieder redet Nele auf sie ein, aber ich stehe zu weit weg, um es verstehen zu können.

»Ja, wir waren heute shoppen«, sagt Constanze genervt, »aber ich habe nichts bekommen. Nicht einmal diese schicke Hose, die ich mir ausgesucht hatte. Meine Mutter fand sie gewöhnlich. Ich will diesen ganzen Markenscheiß gar nicht, aber mein Vater verbietet mir geradezu, länger in meiner Lieblingsjeans herumzulaufen. Stattdessen soll ich an dieser blöden Preisverleihung am Samstag teilnehmen, weil ich so hübsch auf dem Foto aussehe. Und meine Mutter hat sich eine sündhaft teure Handtasche nur für diesen einen Tag gekauft, kannst du dir das vorstellen?«

Anscheinend kann Nele es sich nicht vorstellen, denn Constanze streicht mir tatsächlich ganz zärtlich über den Griff und meint: »Vielleicht kann ich sie ja anschließend für mich abstauben. Sie ist rot. Rot wie die Sünde.« Es klingt verlockend, wie sie mich dabei berührt. Ich dachte, ich sei für solche Abenteuer viel zu gediegen, aber es scheint sehr vielversprechend, was mir mit diesem jungen Ding bevorstehen könnte. Nicht umsonst nehmen sich ältere Männer ganz gerne junge Geliebte, nicht wahr?

»Wann bist du denn zu Hause?«, will Constanze wissen.

»Ich finde es so spießig von deinen Eltern, dass sie dir den Urlaub nicht bezahlen, aber ich komme einfach mit Zeitungen austragen, dann geht es schneller«, bietet sie an und lässt mich doch tatsächlich alleine. So wankelmütig können Teenager sein, eben noch dachte ich, sie hätte nur Augen für mich, da ist sie in Gedanken schon bei diesen Jungs aus ihrer Schule und lässt mich einfach zurück. Wenn sie mich demnächst öffnen möchte, klemme ich erst einmal. Das hat sie dann davon.

 

»Okay, okay, ich habe ja verstanden, dass deine Eltern dir kein Geld geben können. Ich dachte, sie möchten dich nicht unterstützen.« Constanze stürmt zuerst in ihr Zimmer und lässt die Türe offen für eine junge Dame im gleichen Alter. Na, ich möchte ja nicht lästern, aber der tut es auch ganz gut, Zeitungen auszutragen. Ein bisschen zu viel Speck auf den Hüften, stummelige Beine in billigen Stoffturnschuhen, aber wunderschöne lange Haare. Mondieu, was würde Constanzes Mutter aus der machen können. Mit ein paar hundert Euro würde aus dem hässlichen jungen Entlein ein Schwan. Aber genau an diesen paar Scheinen scheint ihre Erscheinung ja zu scheitern. Zu schade, dass niemand meine grandiosen Wortspiele hört!

»Wie viel soll dieser Urlaub kosten, Nele? Soll ich dir das Geld geben?«, bietet Constanze spontan an.

Nele blickt sie entrüstet an. »Ich nehme keine Almosen! Es ist gar nicht so schlecht, sich das Geld, das man ausgibt, selbst erarbeitet zu haben.«

Constanze nimmt Nele besänftigend in den Arm. »Sorry, ich wollte dir nur etwas Gutes tun.«

»Das ist ganz schön großkotzig. Meine zwei Wochen Segelurlaub mit der Pfarrgemeinde kosten weniger als diese blöde Tasche deiner Mutter.« Dabei blickt sie mich so sehnsüchtig an, dass ihr Blick ihre Worte Lügen straft.

»Ich kann den Preis für eine solche Tasche auch nicht fassen, aber Mutti sagt, das ist eben Qualität.«

Na, wo sie Recht hat, da hat sie Recht.

»Meine Mutter sagt, Dinge sind entweder schön oder praktisch. So eine Tasche könnte sie sich in ihrem ganzen Leben nicht leisten, egal, wie viel meine Eltern mit der Schreinerei verdienen. Überleg mal, so viel Geld nimmt mein Vater für einen Couchtisch, der ein Leben lang hält.«

Was für ein Vergleich! Wobei ich schon ein bisschen neidisch werde bei der Vorstellung, ein Leben lang zu halten. In der Taschenboutique hatte ich immer wieder den Eindruck, dass unsereins schnell ausgetauscht wird. Wie oft habe ich Sätze gehört wie: ›Ich habe mir letztes Jahr eine auberginefarbene Tasche gekauft, aber die Farbe ist in diesem Jahr ja sowas von out.‹ Und dabei greift die Frau zu einer aquamarinfarbenen Tasche, bei der ich jetzt schon weiß, dass niemand im kommenden Jahr mehr solche Blautöne tragen wird. Ich bin da ja eher ein Klassiker. Die Langweiler schwarz, weiß, braun und marineblau gehen natürlich immer, werden aber an niemandem wahrgenommen und bleiben nicht in Erinnerung. Mich sieht man einmal und weiß sofort: ›Die Frau an meiner Seite hat Stil, die hat Klasse, die hat Feuer, die …‹

Oh, ich vergaß, ich bin nicht alleine.

»Ich finde es so schade, dass du nicht mit segeln kommst«, lenkt Nele ein.

»Ich ja einerseits auch. Aber du weißt doch, dass ich Bootfahren gar nicht vertrage. Ich werde dich auch schrecklich vermissen.«

Jetzt kommen bestimmt lauter so Mädchensprüche. Kein Wunder, dass so viele meiner Taschenkollegen so schwul daherkommen, als echter Kerl kann man das nur schwer ertragen. Ich höre lieber gepflegt weg. Ups, was ist das denn? Da streichelt doch tatsächlich jemand meinen Bändel. Uiuiui, ich hätte nie gedacht, dass so stummelige Finger so zärtlich sein können. Hallo, mehr davon, bitte!

»Genug von diesem leidigen Thema, erzähl mir lieber von dieser Preisverleihung.«

Aber ehe Constanze etwas sagen kann, klopft es an der Tür. Ich finde, die Zeitspanne, bis die Tür ohne das Abwarten einer Antwort geöffnet wird, ist unhöflich kurz. Es mag spannend sein, ungebeten in die Privatsphäre pubertierender Damen einzudringen, aber ich finde es übergriffig.

»Constanze, Liebes, hast du vielleicht meine neue Tasche mitgenommen? Ah, ich sehe sie schon. Hallo, äh, ich dachte, du bist schon in Urlaub? Constanze, vergiss nicht, für morgen noch einen Termin beim Friseur zu machen, so kannst du unmöglich mit zur Preisverleihung kommen.«

Schade, die Dame des Hauses hat noch nicht einmal Luft geholt oder auf eine Reaktion von Constanze oder Nele gewartet. Ob sie wenigstens dieses trotzige Aufflackern in Constanzes Augen gesehen hat? Ich wette, Constanze ›vergisst‹ den Friseurtermin.

Die Mutter tritt viel zu nah an ihre Tochter heran und befühlt ihr Kinn. »Ich hoffe, meine Visagistin hat noch einen Termin für Samstagmorgen für dich. Hoffentlich ist deine Akne bald ausgestanden.«

So, wie Constanze die Augen rollt, scheint das ein immer wiederkehrendes Thema zu sein.

»Ich tue mein möglichstes, älter und hübscher zu werden.«

Marliese von Steffeln nimmt Nele endlich wirklich wahr. »Ich verstehe gar nicht, wieso deine Freundin eine so glatte Haut hat.«

»Das ist Nele, Mutti, du kennst sie seit sechs Jahren, du könntest dir endlich ihren Namen merken.«

Ist das zu glauben? Die Kleine fährt sich jetzt tatsächlich nervös über die Stirn und als sie Constanzes Mutter mit »Guten Tag Frau von Steffeln« begrüßt und nicht einfach nur mit ›Hallo‹ deutet sie fast einen Knicks an. Das kann doch wohl nicht sein, dass die Mittelschicht Angst vor der Oberschicht hat. Respekt, ja, aber es gibt wirklich keinen Grund zum Hochmut. Und Nele hat wirklich eine wunderschöne Haut, ich würde mir so wünschen, dass sie ihre fleischige Wange an meine Außentasche schmiegt.

»Dein Vater möchte dich sprechen«, formuliert die Hausherrin Neles Rauswurf einigermaßen höflich und lässt im Hinausgehen Constanzes Tür unmissverständlich offen.

Hatte sie nicht eigentlich mich …?

Da kommt sie auch schon zurück, während die Mädchen ihr mit offenen Mündern entgegenstarren.

»Habt ihr eigentlich nichts zu tun?«

Nele reißt erschrocken ihre zärtliche Hand zurück, als hätte sie etwas Unrechtes getan, während diese fein manikürte, aber lieblose Hand mich einfach nur schnappt und aus dem emotionsgeladenen Zimmer der Mädchen mitnimmt in ein großes Büro im Erdgeschoss, in dem der Hausherr hinter einem überdimensionierten Schreibtisch in einem imposanten Ledersessel sitzt.

»Ist dieses Schreinermädchen wieder bei Constanze?«, fragt er scharf und würdigt mich dabei keines Blickes.

Hallo, geht man so mit anderen Adeligen um? Ich bin immerhin eine ›Tasche von Bogner‹.

»Vielleicht besser diese Nele als wenn sie mit den Jungs herumhängt, von denen sie neuerdings so schwärmt. Neles Eltern sind ja wenigstens selbstständig.«

Ich dachte schon, Herr von Steffeln würde gar keine Mimik haben vor lauter selbstgefälliger Gleichgültigkeit, aber immerhin angewidert kann er blicken.

»Dieses Mädchen ist kein Umgang für Constanze, sie ist einfach nur gewöhnlich. Ich fürchte, sie ist es, die Constanze immer wieder gegen uns aufstachelt.«

Das glaube ich ja nicht. Die kennen Nele seit sechs Jahren, ich seit vielleicht einer Stunde. Sie müssten sich nur einmal die Zeit nehmen, dieses Entlein zu beobachten. Die ist völlig gehemmt vor lauter Minderwertigkeitskomplexen, dabei hat sie einen guten Charakter, ein liebevolles Wesen und Anstand, wo andere nur Hochmut haben. Ich bin sicher, die stachelt niemanden auf, aber für Constanze ist Nele wie Ying und Yang. Sie ist in vielem das Gegenstück und öffnet ihr damit besser die Augen, als wenn sie immer nur in einen Spiegel mit ihresgleichen sehen würde.

»Es wird Zeit, dass Constanze einen begehbaren Kleiderschrank bekommt, sollen wir den nicht bei Neles Vater in Auftrag geben? Vielleicht können sie sich dann ein wenig mehr leisten«, schlägt Constanzes Mutter gönnerhaft vor. Aha, daher hat die Tochter das also.

»Apropos Kleiderschrank, hat Constanze etwas Geeignetes anzuziehen für die Preisverleihung?«

Ich glaube nicht, dass Väter sich normalerweise um so etwas Gedanken machen, aber hier geht es um Reputation. Mich haben sie wohl ganz vergessen. Aber ganz egal, was Marliese von Steffeln tragen wird, ich werde der Star des Abends sein.

»Für die Verleihung eines Innovationspreises wollte ich ihr ein wenig freie Hand lassen. Wir können, was auch immer sie trägt, sagen, es sei trendy.«

Wieso klingt ›trendy‹ bei ihr wie ein Schimpfwort und nicht wie ›Vorreiter einer Moderichtung‹?

»August, wo hast du diese Trophäe? Ich möchte ausprobieren, ob dieses Monster von einer Handtasche, welches Constanze mir da aufgeschwatzt hat, wirklich groß genug ist.«

Habe ich richtig gehört: ›Monster von einer Handtasche‹? Ich glaube es ja nicht. Die kann doch unmöglich mich meinen. So wurde noch kein Willy Bogner beleidigt, da bin ich mir sicher. Na warte, du Marliese, du, dafür werde ich mich rächen. Wenn du mich so herausforderst, dann werde ich dir zeigen, was eine Monster-Handtasche ist. Du hast mich tief verletzt. Ich möchte jetzt sofort, dass diese Trophäe zu groß für mich ist und ich zurück zu meinen Freunden in die Boutique darf. So habe ich mir das Leben außerhalb des Ladens doch nicht vorgestellt. Lieber fühle ich mich zurückgewiesen, als beleidigt zu werden. Ich versuche jetzt einmal, meine Seitenwände ganz eng zusammenzukneifen. Vielleicht ist das Leder ja von irgendwelchen Pobacken, die sind das möglicherweise gewöhnt. Um Gottes Willen, diese hässliche Trophäe möchte sie aus mir hervorzaubern? Preis für innovatives Technologie-Design - und dann so etwas? Die Trophäe ist hoffnungslos überdimensioniert. Ich bin sicher, ein Start-up-Unternehmer würde sich eher über Geld freuen als über dieses hässliche Ding. Könnte bitte mal jemand eine innovative Skulptur entwerfen, über die sich die Preisträger möglicherweise wirklich freuen? Und dann diese segelartigen Ausläufer, an denen kann man sich doch verletzen.

Um Gottes Willen, Marliese, ich hab doch noch nie, also ich meine, ich bin sozusagen noch Jungfrau. Das erste Mal, wo jemand etwas in mich hineinsteckt, sollte eigentlich schön sein. Nicht einfach so gedankenlos nebenbei. Ich finde, wir sollten uns erst ein wenig kennenlernen. Ich habe so zauberhafte Innentaschen, willst du nicht erst einmal fühlen, wie groß die sind und was wohin passt? Ein wenig in mir tasten und ...

Aua, diese scharfen Kanten schneiden mir noch das empfindliche Futter kaputt. He, aufpassen. Marliese, hättest du nicht wenigstens ein Gummi oder Noppenfolie benutzen können, damit ich nicht verletzt werde? Ich hatte ja schon gehört, dass das erste Mal wehtun kann, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Aber mich fragt ja niemand, ich bin ja nur eine Handtasche.

»Passt, das erleichtert mich.«

Jetzt lässt sie diese kalte, metallene Trophäe auch noch in mir stecken wie ein Messer in einem Messerblock.

»Kommst du gleich mit in die Sauna?«

Na gut, Marliese, damit könntest du mich vielleicht mild stimmen, aber ich war noch nie …

»Zieh dich schon mal aus, ich komme gleich.«

Ach so, der dumme August war gemeint und nicht ich. Sehr enttäuschend. Aber ausziehen klingt doch schon gut, sie hat wirklich einen sehr attraktiven Körper für ihr Alter. So, so, hier schläft Marliese also. Alleine, wie mir scheint, nur ein Kopfkissen und eine Decke. Dieser begehbare Kleiderschrank ist allerdings ein Paradies. Alles fein sortiert nach Hosen, Röcken, Blusen … Sogar jedes einzelne Fach farbig sortiert, wobei in der Tat schwarz mindestens die Hälfte aller Kleidungsstücke ausmachen dürfte. Und dann … he, ich habe doch noch gar nicht alles gesehen.

›Hallo Kollegen, ich bin Willy. Louis, dich kenne ich doch, waren wir nicht in der gleichen Boutique? Coco, wie schön, dich wiederzusehen. Bist du noch immer mit Gianni zusammen? Sagt mal, wieso geht denn jetzt das Licht aus?‹

 

Ich will hier raus. Wie lange bin ich hier schon eingesperrt und vergessen? Gewiss schon vier Tage. So geht man mit Willy nicht um, das sage ich euch! Immer, wenn die Tür zu diesem begehbaren Kleiderschrank aufschwingt, denke ich, Marliese kommt mich holen, aber sie lässt mich immer wieder mit den anderen im Dunkeln zurück.

>Coco, wo kommst du denn her, du bist ja ganz aufgekratzt?<, frage ich die kleine Schwarze, als sie sich wohlig an mich schmiegt. Sie riecht nach teurem Parfum.

Coco summt vor sich hin. >Wir waren heute in der Oper. Es gab Carmen.< Ihre Knöpfe leuchten hell und ihr Stimmchen summt mich in einen tiefen, traumreichen Schlaf.

Louis erzählt gerne lustige Anekdoten, die er an Marlieses Seite erlebt hat.

>Heute habe ich mich mit einigen Handtaschen unter dem Tisch ausgetauscht. Ich glaube, wir haben es hier recht gut getroffen, da gibt es ganz andere Handtaschenbesitzerinnen. Marliese geht wenigstens pfleglich mit uns um und tauscht uns nicht ständig aus.<

Dennoch fühle ich mich ein wenig zurückgesetzt, mit mir hat sie sich noch nie in der Öffentlichkeit gezeigt.

Ein Aktenkoffer, dessen Namen ich gar nicht kenne, ist immer gestresst. Er fällt oft um, sobald er in den Schrank gestellt wurde, und schläft die ganze Nacht, man kann sich gar nicht mit ihm unterhalten. Die anderen Taschen, die schon länger bei Marliese sind, erzählen, dass sein Vorgänger ausgetauscht wurde, als seine Ecken abgestoßen waren und durch ihn ersetzt wurde. Sie rechnen damit, dass er auch nicht mehr lange durchhält, sein Griff sieht schon etwas speckig aus. Die anderen sagen, es lohne sich gar nicht, sich den Namen zu merken, er sei einfach nur ein Koffer.

Oh, die Damen vor der Schranktür klingen aber genauso unentspannt wie ich.

»Diese Rocklänge ist affig.«

Die Tür wird energisch aufgerissen, und ich muss Constanze recht geben. Sie hat so schöne Beine, da hätte sicher nicht nur ich gerne mehr gesehen. Ein anthrazitfarbener, leicht faltiger Rock bis zum Knie mit einer leuchtend gelben Bluse darauf, nur der oberste Knopf offen. Da geht doch noch mehr! Und Sandalen mit Absatz, viel besser als die Ballerinas neulich. Hoffentlich kann sie auf den Hacken überhaupt laufen. Und die Mama ganz in Schwarz, Chiffon, ebenfalls knielang und Absätze, für die man einen Waffenschein braucht. Sie stellt eine schwarze Handtasche mit Schwung auf einen Frisiertisch und weist Constanze an, mich zu holen, während sie hektisch in einer anderen Tasche kramt.

>Boah, bin ich froh, wenn ich zu euch in den Schrank darf, sie ist sowas von gereizt im Moment. Rutscht mal zur Seite, ich möchte mich ein wenig hinter euch verstecken, ihr Lieben.<

Ich werde nie verstehen, warum Frauen so viele Taschen brauchen, statt uns einfach immer treu bei sich zu haben. Aber wenn ich diesem Schätzchen zuhöre, ist es vielleicht gut, wenn sich die Launen der Damen auf mehrere Riemen verteilen. Außerdem müssen wir natürlich immer zum Gesamtbild passen, aber das tun wir doch auch meistens.

Oh là là, wie zärtlich Constanze mich aus dem Schrank nimmt. Ui, da wird mir ganz warm zwischen Leder und Futter.

»Such dir schnell eine Tasche aus und sieh zu, dass du fertig wirst, wir fahren in« - ein kurzer Blick auf die diamantbesetzte Golduhr - »vierzehn Minuten.«

Das klingt nach Ordnung und Pünktlichkeit, das gefällt mir. Aber hatte ich ihr nicht wegen des ›Monsters‹ grollen wollen?

Marliese reißt mich ihrer Tochter unsanft aus der Hand und wirft ein schwarzes Schminktäschchen, eine Geldbörse und noch etwas, was ich auf die Schnelle gar nicht erkennen kann, achtlos in mein Inneres. Eine solche Behandlung fordert einen Tribut, Frau von Steffeln!

Sie presst mich lieblos zwischen Oberarm und ihre wohlgeformte Brust und geht geübten Schrittes mit mir die Treppe hinunter in die - na, hier darf man ruhig Halle sagen. Ich fühle mich wie bei einem Menuett. August sitzt schon bei laufendem Motor hinterm Steuer, und ich höre nur noch, wie die hintere Wagentür aufgerissen wird und Constanze sich auf den Rücksitz fallen lässt.

»Zwei Minuten zu spät.«

Ah, der Herr Papa legt Wert auf deutsche Tugenden, das macht ihn mir wieder sympathisch.

»Aber Papilein, das holst du bei deinem Fahrstil doch locker wieder raus. Du hast uns sowieso eine Viertelstunde zu früh beordert.«

War ich froh, dass es in der Boutique keine Taschen für pubertierende Damen gab, die lassen wirklich keine Provokation aus.

So dachte ich mir das, eine Frau von Steffeln stellt eine Tasche nicht in den Fußraum, ich darf auf ihrem warmen Schoß bleiben. Und aufgrund meiner stattlichen Größe kann ich sogar über das Armaturenbrett sehen. Chic hier, wohlhabend.

Das Hotel, vor dem wir gerade halten, weiß noch, was sich gehört. Der Portier lässt sich von August von Steffeln die Schlüssel aushändigen und schon eilt jemand herbei, um das Auto zu parken.

Constanze muss irgendwo hinter uns sein. Wenn ich mal nach hinten schiele … Ist das in dem Alter überhaupt noch Pubertät? Sie kann es auf jeden Fall tragen. Ein schwarzes Spitzentop, das viel Raum für Phantasie lässt, die gelbe Bluse lässig nur mit den beiden mittleren Knöpfen zusammengehalten und den Rock unter dem Top so hoch gerafft oder gefaltet, dass der Saum mindestens eine Handbreit höher endet als vor der Schlussabnahme zu Hause. Raffiniert.

»Con…«, beginnt die gestrenge Frau Mama gerade, aber von rechts nähert sich ein honorig aussehender Herr, einen jungen Mann im Schlepptau, dem es sichtlich unangenehm ist, wie ein Ausstellungsstück herumgezeigt zu werden.

»Frau von Steffeln«, dröhnt der ältere, während der jüngere sich wegduckt, als habe er nichts mit ihm zu tun. Typisches Fremdschämen. »Ich bin ja sehr gespannt, wen Sie in diesem Jahr für den von-Steffeln-Preis für innovatives Technologie-Design auserkoren haben. Wenn ich einen solchen Preis zu vergeben hätte …«

Die Angesprochene entschuldigt sich, um einen weiteren Gast zu begrüßen, und Constanze bleibt bei dem jungen Mann zurück. Macht sie dem etwa schöne Augen? Ich kann Türken nur sehr schwer schätzen, aber der ist doch mindestens zehn Jahre älter als sie.

Ah, die Dame kenne ich, die war auch neulich in der Boutique und hat eine abfällige Bemerkung über rote Taschen gemacht. Ich hätte ihrem Leben aber deutlich mehr Pfiff gegeben als …

›Oh, hallo Michael, schön, dich zu sehen. Du warst aber doch gar nicht mit mir in einem Laden, wo kommst du denn her? Das Modell kenne ich auch gar nicht.‹

Ich sehe direkt, dass das kein echter Michael Kors ist, die Nähte sind viel zu schlecht gearbeitet, für meinen Kennerblick sieht er einfach nur billig aus.

Er mustert mich doch tatsächlich abschätzig und viel zu offensichtlich.

›Du musst Willy sein?‹

So eine Frage kann man nur stellen, wenn man nicht von hier kommt. Deutsche Wertarbeit nicht erkennen, aber …

›Im Gegensatz zu dir bin ich schon viel herumgekommen. China, Türkei, jetzt Deutschland …‹

Dachte ich es mir doch, wie kann man bloß Plagiate kaufen? Aber jetzt heißt das ja ›Tasche mit Migrationshintergrund‹. Ich glaube, wir haben uns nichts weiter zu sagen.

He, Frau von Steffeln, das ist ein bisschen fest. Aua, die könnte mich wirklich ein wenig sanfter anfassen. Aber sie scheint es eilig zu haben. Immerhin darf ich gleich die ganze Gesellschaft von der Bühne aus sehen. Hoffentlich stellt sie mich nicht hinter dem Rednerpult ab. Ah, nein, ich habe freie Sicht. Und sie stellt mich nicht auf den Boden, sie hat tatsächlich einen Metallhaken dabei, den sie seitlich am Pult befestigen kann, um mich nicht auf den Boden stellen zu müssen. Ich bin wirklich in einem Haus gelandet, das meiner würdig ist, das muss ich schon sagen. Ich blicke in zahlreiche Kameras, die Presse ist sehr wohlwollend vertreten, na klar, es gibt Sekt und edle Häppchen. Ich straffe meine Henkel, schließlich werde ich morgen in allen Zeitungen zu sehen sein. Und ich werde überall hervorstechen, nicht wie diese dezenten Schwarzen, die niemand wahrnimmt. Ich lasse den Blick schweifen und sehe direkt, wie neidisch mich die eine oder andere Tasche anblickt. Tja, jede von ihnen würde jetzt gerne hier vorne an diesem edlen Haken hängen und aus luftiger Höhe die Gesichter beobachten, wenn der freudige Gewinner gekürt wird. Die meisten Portemonnaies sind wohlgenährt, auch wenn manche stellvertretend nur Kreditkarten mit sich führen. Die Taschen mehrheitlich hochpreisig, wenn auch nicht alle hochwertig, aber das sehen die Damen leider nicht immer auf den ersten Blick.

»Liebe Gäste, ich freue mich, dass Sie der Einladung des Verbandes junger Unternehmer gefolgt sind …«

Das Geschwätz interessiert mich nicht. Ich sehe mich lieber um. Eine illustre Runde. Man kann auf den ersten Blick die Geber und Nehmer dieser Charity-Veranstaltung voneinander unterscheiden. Die einen kennen sich vom Golfplatz, die anderen von der Baustelle. Na ja, um ehrlich zu sein, da sind auch ein paar Betreiber von Szenecafés dabei, ein Galerist, eine Modedesignerin, das sieht man sofort, aber auch viele Nerds und Handwerker. Eine ganz andere Klasse als die, die diese Veranstaltung finanzieren und darum weiter vorne stehen, während sich die anderen eher verschüchtert im Hintergrund halten. Das große Parkett ist eben nichts für Jedermann. Ja, das sind zum Teil auch Handwerksbetriebe, aber nur die Marktführer, große Arbeitgeber in der Region. Die Jungunternehmer stehen ja alle erst am Anfang, aber was noch nicht ist, kann ja noch werden. Sie sind zwar nicht so stilvoll wie die Etablierten, aber ich muss schon sagen, sie sind netter anzuschauen. Viel junges Fleisch.

Diese Frau da direkt vor der Bühne inmitten der Altehrwürdigen, die versucht mit aller Gewalt die Aufmerksamkeit von Frau von Steffeln auf sich zu ziehen. Ich frage mich, ob die das wirklich nicht sieht oder ob sie die Dame übersehen möchte. Eigentlich ist das nur schwer möglich. Sie ist zwar nicht groß, aber diese Form erinnert mich an etwas, was ich kenne. Ja genau, Hutschachteln sehen so aus. Nicht sehr hoch, aber rund und breit.

Ich habe nur mit halbem Henkel zugehört, aber ich glaube, Frau von Steffeln hat sich erlaubt, bei der Aufzählung der wichtigsten Gäste ihren Namen nicht zu nennen. Der Mann, der hinter ihr steht, bekommt ständig ihre Hochsteckfrisur ins Gesicht, so sehr wippt sie auf und ab, um endlich gesehen zu werden. Immerhin hat sie eine anständige Tasche, eine von Format. So ein Täschchen am Goldkettchen könnte allerdings auch zwischen ihren Speckrollen stecken bleiben und nicht wiederauftauchen.

»Darum ist es mir eine große Freude, den diesjährigen Innovationspreis für Technologie-Design an Herrn Gürkan Oktay zu übergeben.«

Das ist doch der nette Türke, mit dem Constanze eben einen vertraulichen Blickwechsel hatte. Sieh einer an, sie hat jetzt schon einen Blick für die erfolgreichen Männer. Er sieht wirklich gut aus, wie er die Treppe hinaufeilt. Sein dunkles Gesicht strahlt, seine Hand streicht ein wenig verlegen über den Bart, aber der sitzt akkurat, keine Krümel, keine Essensreste, einfach alles perfekt.

Das kann doch wirklich nicht wahr sein. Ich habe genau gesehen, dass dieses Fass auf Füßen erst aufgeschrien und dann ihre Tasche zu Boden geworfen hat. Sehr effektvoll. Ich höre wiederum die Tasche aufschreien, die genauso erstaunt ist wie die Umstehenden. Sofort hat die Dame alle Aufmerksamkeit. Die Kameras schwenken von mir zu ihr. Kaum zu glauben, was alles in diese Vuitton-Tasche passt. Sind das Kondome? Wozu braucht sie die denn in ihrem Alter noch? Na gut, wegen Geschlechtskrankheiten vielleicht, schwanger werden kann die nicht mehr. Oh, die Slipeinlage bei Inkontinenz ist ihr sicher peinlich. Da sieht man, dass die Tasche nicht auf ihrer Seite ist, sonst hätte sie die eingeklemmt und nicht auf den glänzenden Boden rutschen lassen. Der Spiegel ist zerbrochen, war aber sowieso hässlich, den Verlust kann sie sicher verschmerzen. Der Spiegel wird möglicherweise auch erleichtert sein, seine Arbeit hätte ich nicht machen mögen. Ach sieh an, der Preisträger ist ein paar Schritte zu ihr geeilt, jetzt kniet er zu ihren Füßen und rafft alles zusammen. Und die Kameras klicken und freuen sich. Was für ein schönes Motiv. Morgen werden alle Zeitungen Fotos bringen, in denen dieser Oktay auf dem Boden hockt, Kondome und Taschentücher in den Händen, statt seine Trophäe vom Innovationswettbewerb aus den Händen von Frau von Steffeln entgegenzunehmen. Es ist schon würdelos. Die Skulptur steht jetzt unbeachtet auf dem Rednerpult. Die Hosenbeine von diesem türkischen Preisträger zeigen deutlich, dass der Boden nicht so gut geputzt war, wie es den Anschein hatte.

 

Na, wenn Frau von Steffeln wütend ist, ist aber auch sie wenig damenhaft. Jetzt wirft sie mich doch tatsächlich in den Fußraum hinter dem Fahrersitz. Hallo, ich habe noch lange nicht ausgedient, man muss mich auch jetzt noch pfleglich behandeln! Ist das denn wahr?

 

Marliese hat tatsächlich die Beine auf dem Sofa angezogen, ihre Pumps liegen achtlos hingeworfen auf dem Parkett. Sie streift ihre Seidenstrumpfhose vorsichtig ihre schlanken Beine hinab und greift nach dem bauchigen Glas, das vor ihrem Mann auf dem niedrigen Couchtisch steht. Sie verzieht angewidert ihr Gesicht, dabei hätte ich diesen torfigen Whisky gerne in meiner Nähe gehabt.

»Wie konntest du denn auch vergessen, Hiltrud Liederschmidt zu erwähnen?«, fragt August verständnislos.

Marliese steht abrupt auf und verfängt sich mit ihrem zierlichen Fuß in meinem Henkel. Aua, das tut doch weh! Aber wohl nicht nur mir, Marliese stöhnt auf und lässt sich zurück in die Kissen sinken.

»Oh, dieser blöde Bänderriss vom Golfplatz ...« Sie flucht, und tatsächlich bietet August ihr an, ihr eine Eismanschette zu bringen.

»Ein doppelter Rum wäre mir lieber«, sagt sie und greift nach mir, um mich zu trösten. Oh nein, um mich in hohem Bogen auf das zweite Sofa zu werfen. Na, was kann ich denn für ihre Unachtsamkeit?

August setzt sich neben Marliese, stopft ihr zwei Kissen in den Rücken und reicht ihr einen wohlriechenden Rum. Also, wenn der kein schlechtes Gewissen hat ...

»Hiltrud Liederschmidt war jahrelang eine beliebte Sopranistin am Theater, die kannst du nicht ungestraft ignorieren«, knüpft er an das Gespräch vor dem Missgeschick wieder an.

»Du meinst, du warst ihr Mäzen, während sie gerne behauptet, sie sei deine Muse. Da sieht man, wes Geistes Kind sie ist. Als habe sie dich bei irgendetwas Kreativem inspirieren können. Du, der du nur Kopf und Geldbeutel hast, aber kein Herz. Sie war eine bezahlte Mätresse – und da soll ich sie auch noch erwähnen?«

August hat sich in seinen Ohrensessel zurückgezogen und versucht mit aufgesetztem Unverständnis, Marlieses Worte Lügen zu strafen, aber sein zuckendes Augenlid verrät, dass er Marliese und ihre Loyalität zu ihm unterschätzt hatte. Hatte er wirklich nicht gewusst, dass sie gewusst hat ...?

»Es ist besser, wenn du jetzt schweigst und wir das Thema nie wieder erwähnen. Gute Nacht«, sagt die Hausherrin, schnappt mich im Vorbeigehen, was eher ein Humpeln ist, und presst mich fest an ihren flachen Bauch, als brauche sie dringend Nähe und Geborgenheit. Das kann sie gerne haben. An der Tür dreht sie sich noch einmal um. »Ich weiß, dass du Großwild hasst, wie kommst du auf die Idee, ich würde dir deine Jagdausflüge glauben?«, zischt sie, bevor sie die Tür unerwartet leise schließt, wahrscheinlich, um Constanze nicht auf sich aufmerksam zu machen, die noch immer an eine heile Familie glauben soll.

Wenn Marliese verstanden hätte, dass ich Zeuge ihres Ausbruches war, hätte sie sicher die Contenance gewahrt.

 

Seit Tagen liege ich verschmäht im dunklen Schrank und nicht einmal Coco kann mich aufmuntern.

>Soll ich dir etwas vorsingen? Ich war neulich in Wagner<, schlägt sie vor.

>Grässlich, ich hasse Wagner.<

>Etwas anderes vielleicht?<

Gianni wünscht sich natürlich La Traviata, aber die Oper kennt Coco nicht.

>Nie redet dieser blöde Aktenkoffer mit einem, niemals. Warum konnte er jetzt nicht den Mund halten?<, frage ich zum wiederholten Male.

>Der lebt alleine, ist nie mit anderen Taschen zusammen. Es ist eben ein Mann<, erklärt mir Coco, aber das ist keine schlüssige Begründung für mich.

>Ich denke, der hat sich keine Gedanken darum gemacht, ob er dich verletzt<, sagt Michael, aber Yves ist da ganz anderer Meinung.

>Ich glaube ja, der hat ganz genau gewusst, wie sehr du dich ärgern wirst, wenn er aus der Zeitung plaudert. Soll ich dich ein wenig trösten?<

Oh nein, auch wenn Yves es ja lieb meint.

>Seit dieser boshafte Koffer dir erzählt hat, dass du auf keinem einzigen Foto zu sehen warst, hast du zwei Falten, die ich vorher noch nicht an dir gesehen habe<, sagt Coco. >Nimm es dir doch nicht so zu Herzen, dass auf allen Bildern nur der kniende Preisträger mit der Vuitton-Tasche zu sehen war.<

Yves springt ihr zur Seite. >Jeder wird gedacht haben, wie dämlich dieser Louis ist, mal wieder abzustürzen, als hätte er zu viel geladen.<

>Genau, Louis war zwar auf allen Fotos, aber das war ja nicht gerade schmeichelhaft<, sagt auch Jette.

Langsam bin ich ein wenig besänftigt und versuche ein zaghaftes Lächeln. Plötzlich dringt grelles Licht durch meine Reißverschlusszähne. Ich blicke in Constanzes herausforderndes Antlitz, ihre warme Hand packt mich sanft an der Seite.

»Mutti, da gibt es keine Überlegungen, welche deiner zahllosen, schwarzen Handtaschen du zu diesem Kleid trägst. Du nimmst die rote, die du bisher wirklich nur zu der Preisverleihung genommen hast. Fertig!«

Marliese von Steffeln reckt ihren schlanken Arm und schiebt mich energisch in das Schrankfach zurück. Sie kann froh sein, dass wir Lederwaren keine blauen Flecken bekommen, wenn wir unsanft gegen die Schrankwand, auf Tischkanten oder Restaurantböden gestoßen werden. Das würde erklären, warum so resolute Frauen wie Marliese von Steffeln dunkle Taschen bevorzugen, die ihnen ihre Geringschätzung nicht so offensichtlich nachtragen können. Ich bin zu gut verarbeitet, als dass bei mir gleich Farbe abgeschabt würde, aber vielleicht wäre ihr das ja eine Lehre.

»Constanze, ich bitte dich, dieses Monstrum nehme ich ganz sicher nicht. Da brauche ich ja ein Navigationssystem, um meine Geldbörse oder meine Lesebrille wiederzufinden. Es ist unschick, solche Taschen ins Restaurant mitzunehmen.«

»Aber warum denn, die stört doch nicht?«, unterbricht ihre Tochter sie.

»Ich kann die Tasche doch nicht auf den schmutzigen Boden eines Restaurants stellen, wo andere mit ihren Schuhen entlanglaufen. Überleg einmal, wieviel Schmutz und Keime ich dann mit der Tasche herumschleppen würde.«

Das muss ich Marliese lassen, das ist wiederum rücksichtsvoll.

»Das macht der Tasche doch nichts aus, das ist ein Gebrauchsgegenstand«, insistiert Constanze, aber Marliese schiebt mich umso energischer zur Seite und zerrt Jette hervor, die sich an Michael geschmiegt hatte und versucht, sich unsichtbar zu machen. Das muss ich mir nicht bieten lassen, ich lasse mich im richtigen Moment zur Seite kippen.

»Das darf doch nicht wahr sein, jetzt ist mein Fingernagel abgebrochen«, schreit Marliese auf. Tja, vielleicht geht sie beim nächsten Mal ja etwas zarter mit mir um.

Marliese starrt fassungslos auf ihren Fingernagel, dann klopft sie mit Jette auf Constanzes Unterarm.

»So etwas ist das Maximum für ein Lunch, abends nimmt man stattdessen eine Clutch. Lernt ihr denn gar nichts mehr im Tanzkurs?«

So hübsch und elegant Marliese auch ist, die Benimmregeln haben sich seit ihrem eigenen Tanzkurs möglicherweise doch etwas geändert. Wenn ich alleine daran denke, wie viele elegante Rucksäcke mir gegenüber im Regal gestanden haben, als ich noch in der Boutique gewesen war. In Marlieses Vorstellung gibt es Rucksäcke sicher nur als Wanderaccessoires.

»Sei sicher, meine Klassenkameraden wissen nicht einmal, dass eine Clutch eine Unterarmtasche ist.«

Marliese hört ihrer Tochter kaum zu, sondern räumt mit ihren – ehemals – perfekt manikürten Fingern mit routinierten Handgriffen das Notwenigste in die von ihr bevorzugte Tasche. Da ich interessiert in Jettes mit dunkelgrünem Satin ausgeschlagenes Inneres starre und mir vorstelle, was Jette dabei wohl empfindet, wenn etwas zwischen ihre zarten Außenwände gesteckt wird, sehe ich Constanzes Hand gar nicht auf mich zukommen. Ihre Finger krallen sich entschieden in meine Seite und zerren mich aus dem Schrank. Da ich in den Zeiten der Missachtung etwas nach hinten gerutscht war und Michael und Yves es sich vor mir bequem gemacht haben, schubse ich sie vor mir her in den Abgrund, genau genommen auf den harten Eichenboden, während Constanze nur mich auffängt und an ihren noch sprießenden, jungen Busen presst.

>Entschuldigung, tut mir leid<, sage ich noch, aber Michael und Yves knurren nur missmutig.

»Constanze, was soll das denn wieder?« Marliese zuckt zusammen und lässt jetzt Jette fallen, die verärgert ihren Inhalt wieder ausspuckt.

Das Mädchen ist errötet und passt farblich ganz hervorragend zu mir. Sie stellt mich auf einem filigranen Biedermeier-Sesselchen ab, hebt rasch die zu Boden gestürzten Taschen auf und wirft sie neben mich. Sie krabbelt über den Boden und reicht ihrer Mutter das schwarze Täschchen und die herausgefallenen Utensilien. Ihre Haare sind ihr ins Gesicht gefallen und verdecken die Schamesröte. Unsanft stopft sie Michael und Yves in den Schrank, dann knallt sie die Türen zu und drückt mich wie einen Schutzschild an sich.

»Ich habe es so satt«, schreit sie und ihre Stimme überschlägt sich. »Da bekommt ihr mit der Firma Preise für Nachhaltigkeit, aber wenn es niemand sieht, werft ihr Lebensmittel weg, die immer viel zu üppig auf den Tisch kommen, fahrt ein fettes Auto mit einem zweistelligen Benzinverbrauch pro hundert Kilometer und benutzt Gegenstände nur einmal, für die andere Leute einen halben Monat arbeiten müssten.« Sie wischt sich verärgert eine Träne von der Wange. Was ich für Schamesröte gehalten hatte, ist Zornesröte.

Die Zimmertür wird aufgestoßen und August von Steffeln stapft in den Raum, sodass die Glasplatte auf dem Beistelltischchen erzittert, und sieht sich fragend um.

»Was ist denn hier los?«

Marliese funkelt ihre Tochter finster an, die mich noch fester umklammert.

»Dein Fräulein Tochter hat das pubertäre Bedürfnis, die Welt zu retten«, erklärt sie höhnisch lachend.

Aua, das ist kein Grund, ihre Fingernägel in mich zu krallen.

»Hat deine Freundin dir mal wieder vorgejammert, wie ungerecht es ist, dass wir uns etwas leisten können, was sie nicht haben? Liebes, Neid und Missgunst werden dir im Leben noch so oft entgegenschlagen, damit solltest du endlich umzugehen lernen.«

August möchte seine Tochter an sich ziehen, aber die streckt die Arme aus und hält ihn mit mir wie ein Stoppschild auf Abstand.

»Wegen dieses Ungetüms streitet ihr euch wie die Fabrikarbeiter?«

Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Ehe Constanze reagieren kann, ziehe ich mich zusammen, sodass ich ihren Händen entgleite, und falle krachend auf den Fuß des spöttisch lächelnden Vaters, dessen Fluch gar nicht so adelig klingt.

»Jetzt ist es aber genug, stell die Tasche zurück in den Schrank und geh Klavier üben«, ordnet er verärgert an und richtet seine Krawatte, obwohl sie tadellos sitzt. Die Mutter stellt sich vor den begehbaren Kleiderschrank und blitzt ihre Tochter an.

»Dieses Stück kommt mir nicht mehr in meinen Schrank. Es wird keinen Anlass mehr geben, sie jemals wieder hervorzuholen«, zischt sie triumphierend. »Wir können es uns leisten, eine Tasche nur einmal zu benutzen.«

Sie ahnt gar nicht, wie sehr sie mich damit verletzt. Sie hatte es schon das eine oder andere Mal erwähnt, aber ich dachte doch nicht, dass sie das so wörtlich meint. Mancher Stoffbeutel im täglichen Gebrauch mag sich benutzt fühlen. Aber wenn einem so etwas in den Henkel gesagt wird, dass man zu nichts zu gebrauchen sei, obwohl man noch nicht einmal in die Jahre gekommen ist, schmerzt das mindestens genauso. Ich kann doch noch nicht ausgedient haben. Ich bin zu jung fürs Altenteil! Da wurde mir ja in der Boutique, wo mich alle nur angestarrt haben, mehr Wertschätzung zuteil als hier.

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