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Feilkode 418

Cloud Painter

Cloud Painter · Romane

Ein Mädchen voller geheimer Träume. Ein junger Mann, so frei, wie sie es nie sein könnte. Eine Reise ans Meer - und zu sich selbst.

Hva vil du med boka?

Die Frage, was einen guten Roman auszeichnet, lässt sich auf verschiedene Art beantworten. Persönliche Vorlieben spielen hier eine große Rolle: Die einen lieben Science Fiction, die anderen fiebern bei Kriminalfällen mit. Für mich hat sich ein großer, ein mitreißender Roman immer durch eines ausgezeichnet: Die Fähigkeit, mich an einem Punkt zu berühren, der mich im Inneren auszeichnet. Er baut eine Verbindung auf zu meinen Träumen, meinem Sein, vielleicht auch zu Fragen, die ich mir selber lange nicht mehr gestellt habe. Am Ende schlage ich das Buch zu und bin „fertig“, aber das Gelesene hallt in mir nach, und hat meine Perspektive ein Stück weit verändert. Die Geschichte von Caro und Carl hat das Ziel, uns ein bisschen aufzuwecken, uns neugierig bleiben zu lassen. Wie viele Möglichkeiten haben wir, Tag für Tag, unser Leben aktiv in die Hand zu nehmen und zu gestalten? Wer hindert uns daran, barfuß durch ein Einkaufszentrum zu tanzen, uns auf neue Situationen einzulassen, unsere Wünsche zu Taten werden zu lassen? Unsere schnelllebige Welt scheint voller Möglichkeiten, und gerade das stellt uns vor die Frage, welche davon wirklich zu uns passen. Die Pandemie der letzten Jahre hat unseren Erfahrungsspielraum eingeschränkt, uns vorsichtig und zurückhaltend werden lassen. Dabei ist jeder Moment dieses Lebens voller Zauber, voller Schöpfungskraft – es braucht nur mutige Pionier:innen, die sich trauen, sich trauen, unsere Gewohnheiten einmal ein bisschen auf den Kopf zu stellen!

Om forfatteren

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27 Jahre alt, aus dem schönen, bunten Ruhrgebiet kommend, hat es mich schon von klein auf fasziniert, mir eigene Geschichten auszudenken. Wo mir ganz zu Beginn noch Papa helfen musste, meine Ideen und...

                       -EPILOG-

 

Vielleicht schlagt ihr dieses Buch auf und erwartet ein perfektes Mädchen. Ich tue das manchmal. Ich setze dann voraus, dass die Protagonistin sich automatisch aller möglichen bekannten Vorurteile bedient. Zum Beispiel fahren junge Frauen in Romanen immer einen Kleinwagen und haben eine allerbeste Freundin. Sie haben kleine freche Hunde und arbeiten wahlweise in irgendeiner Praxis oder in einem Büro. Ihre ganze Existenz dreht sich dann darum, sich mit kleinen, systematisch in den Weg gestellten Problemen herumzuschlagen, die sich dann pünktlich zum Ende des Romans in Luft auflösen.

 

Manchmal weist einem das Leben aber eine andere Rolle zu.

 

Und ich kann euch gleich sagen: Ich bin überhaupt nicht perfekt. Ich bin weder unglaublich witzig noch glamourös, ich habe keinen reichen Vater und keine Nagellacksammlung auf meinem Nachtschränkchen. Ich bin einfach nur ich, und ich hoffe, euch reicht das. Mehr kann ich euch nicht bieten. Dazu muss ich sagen, dass es in diesem Buch bei weitem nicht nur um mich geht. Vielmehr möchte ich euch von einem guten Freund erzählen; von einem Freund, der mich im Leben sehr weit gebracht hat und dessen Worte vielleicht auch bei euch etwas bewirken. Auch er ist nicht perfekt. Aber er hat mich doch viel gelehrt: Dass man, wenn man den Kopf dreht, ein anderes Bild von der Welt bekommt. Dass wir unsere wahren Grenzen eigentlich gar nicht kennen, sondern sie uns selber aufstellen. Und dass man noch lange kein Mensch, kein wahrer Mensch ist, nur weil man auf der Erde herumspaziert.

Dazu gehört bei weitem mehr.

 

 

 1. Kapitel 

 

Der Tag, der mich so grundlegend verändern sollte, fing eigentlich ganz normal an.

 

Das ist schon wieder so ein völlig selbstverständliches Vorurteil. Wenn sich ein Tag tatsächlich als so besonders entpuppt, muss man das schon vorher irgendwie bemerkt haben. Alles ist dann ein bisschen schöner, ein bisschen neuer. Als wenn man sich verliebt hätte. Verliebt in den Tag. Der Kaffee schmeckt besser, der Toast ist perfekt und das Klopapier ist auch nicht leer. Es gibt Menschen, die völlig ungläubig den Kopf schütteln, wenn ihnen jemand erzählt, ihr Tag wäre überraschenderweise einfach perfekt gewesen, obwohl er doch am Morgen so schlecht angefangen hätte. Die Leute können sich das nicht vorstellen. Ein Tag ist entweder gut oder schlecht, oder so lala. Dann aber bitte von Anfang an, bis zum Ende durch.

 

Ich wünschte, ich könnte behaupten, ich hätte bereits am Morgen etwas gespürt. Manchmal hätte ich es mir fast eingebildet, einfach weil es eine so schöne Vorstellung ist. Aber so war es eben nicht. Wenn ich den Beginn des Tages unter dem Kriterium gut-schlecht bewerten müsste, würde ich mich sogar eher für zweites entscheiden. Der Morgen, oder kleine Etappen von ihm, war stückweise sogar richtig scheiße.

Das ist noch etwas, woran ihr euch gewöhnen müsst: Ich umschreibe nichts. Oder jedenfalls fast nichts. Wenn etwas scheiße ist, dann bezeichne ich das auch als scheiße, und wenn im Park zwei Leute gevögelt haben, dann haben die eben gevögelt. Was nützen mir all die Euphemismen, die doch im Endeffekt sowieso das Gleiche ausdrücken. Ich bin kein Arzt, und ich bin kein Theoretiker, sondern einfach nur ein junger Mensch, der irgendwo zwischen Jugend und Erwachsensein umhertaumelt. Das sollte mir das Recht geben, meine Meinung klar und deutlich äußern zu dürfen.

Wenn nicht mal mehr die Jugend frei sprechen darf, dann weiß ich auch nicht mehr.

 

Jedenfalls war dieser Tag ein Tag wie jeder andere. Aufstehen, anziehen, Frühstückstisch, wo meine Eltern schon auf mich warten.

Meine Eltern - vielleicht sollte ich die mal kurz vorstellen. Kann ich ja nicht erwarten, dass jeder die kennt. Ich jedenfalls bin der festen Überzeugung, dass Kinder immer ein Ebenbild ihrer Eltern sind. Oder immerhin ein halbes Ebenbild, weil sie ja zwei Elternteile haben. Und damit meine ich nicht das Äußere- ich denke da an den Charakter. Es ist erstaunlich, wie viel man über einen Menschen lernt, wenn man sich nur zehn Minuten lang mit seinen Eltern unterhält. Bei mir ist das genauso, glaube ich; aber ob ich darüber froh sein sollte? Versteht mich nicht falsch: Meine Mutter und mein Vater sind keine schlechten Menschen. Sie sind freundlich und haben in ihrem Leben viel geschuftet, um sich 'hochzuarbeiten', wie sie sagen. Mein Vater ist auf einem Bauernhof aufgewachsen, und nun leiten er und Mama ein Geschäft für Büroartikel. Beide sind sehr stolz, ich hingegen bin mir nicht ganz sicher, ob sich ihr Leben wirklich so verbessert hat. Einmal habe ich  meine Großeltern auf dem Land besucht, und es war wunderbar. Die Luft, der Ausblick über die freien Felder - so lebendig fühle ich mich daheim in der Stadt nie. Klar haben wir nun mehr Geld, aber meine Eltern finden ja kaum noch Zeit, es auszugeben, also haben sie nicht einmal davon etwas.

 

„Guten Morgen, Carolin!“, begrüßte mich mein Vater und nickte mir über die Zeitung hinweg zu. Carolin. Drei Silben, und vielleicht eine zu viel, als dass es persönlich klingen könnte. Doch es passte dazu, dass ich auch meine Eltern schon lange nicht mehr Mama und Papa nannte. Meine Freundinnen fanden das komisch, und ich kann es verstehen - aus ihrer Perspektive. Sie hatten richtige Mamas, die Kuchen und kleine Muffins mit Erdbeeren und Sahnehäubchen und bunten Streuseln darauf buken, und Papas, die sie stundenlang im Vokabeltest abfragten und am Ende dennoch mit einem Augenzwinkern die Vier minus unterschrieben und sagen, der nächste Test wird sicher besser. Bei mir zuhause war das nicht so, und darum waren die beiden, die mir gerade gegenübersitzen, auch nicht Mama und Papa, sondern Anke und Johannes. Anke wüsste vermutlich nicht einmal, was ein Muffin so genau ist, und wenn man Johannes einmal zwinkern sehen würde, würde man ihm vermutlich einen guten Augenarzt empfehlen. Mal abgesehen davon, dass schlechte Noten wohl das letzte wären, was ihn zu einem freundlichen Zwinkern bewegen könnte.

 

„Guten Morgen, Johannes!“ Ich ließ mich auf den Stuhl plumpsen und griff unmotiviert nach dem Brotkorb. Bei uns gab es fast immer das, was Anke ‚vernüftiges Brot‘ nannte, etwas trocken schmeckte und insgesamt eher satt als glücklich machte. Ich lugte zu Johannes hinüber, der stirnrunzelnd in seine Zeitung vertieft war.

„Johannes -“, ich zögerte. Atmete einmal durch. „Johannes - noch mal wegen der Reise“. Verdammt, wieso klang alles so viel wackeliger, unsicherer, wenn es meinen Kopf verließ und ausgesprochen wurde? Ich blickte in Johannes‘ Gesicht und obwohl ich glaubte, dass er mich gehört haben müsste, erkannte ich keine Reaktion. Ich setzte erneut an.

„Die Fahrt nach England - meine Lehrerin meinte, das wäre wirklich sinnvoll. Also, dass man da auch viel lernt. Und weißt du noch, Mila, die Schwester von Nina? Die hatte doch immer echt Probleme mit der Schule, und gerade mit Sprachen. Die hatte nun eine Zwei auf dem Zeugnis.“ Gespannt hielt ich erneut nach Johannes‘ Reaktion Ausschau. Gute Noten, das zog eigentlich immer. Und immerhin hatte meine Stimme sich nun etwas gefangen. Nicht, dass ich Angst vor meinen Eltern gehabt hätte. Vielleicht war es eher die Angst vor der drohenden Enttäuschung, die mir manchmal das Reden, und insbesondere das Bitten um etwas, schwer fallen ließ.

 

Johannes seufzte, und sein Gesicht nahm einen etwas gequälten Ausdruck an, allerdings ohne dass er den Blick von der Zeitung abwandte.

„Carolin, das hatten wir doch schon. Wir würden dir das gerne finanzieren. Aber momentan ist das wirklich einfach nicht drin.“

Das wusste ich, und darauf war ich vorbereitet. „Ich weiß. Das Auto. Die Küche. Aber sagt ihr nicht immer, dass ich es mal besser haben soll? Dass Lernen dafür wichtig ist?“

Das zweite Seufzen klang schon genervter. „Carolin, es geht dir doch gar nicht ums Lernen. Du willst mit deinen Freundinnen dorthin. Was ich auch verstehe. Aber wie gesagt, das ist momentan nicht drin. Und lernen konnte ich zu meiner Zeit auch mit meinen Büchern zuhause ganz hervorragend.“

 

Wenn das stimmte, hätten wir jetzt keine Geldprobleme, dachte ich mürrisch und merkte zu spät, dass ich wohl laut gedacht hatte, denn nun zuckte Johannes zusammen und sein Blick sprang auf. Er war ruhig wie immer, doch in seinen Augen bewegte sich etwas.

„Carolin, ich weiß nicht, was du dazu noch hören möchtest. Was nicht geht, das geht eben nicht. Träumen ist kostenlos, aber alles andere muss man sich leisten können. Und damit endet hier nun diese Diskussion.“ Nach diesen Worten fiel die leichte Anspannung, welche sich in seinem Gesicht abzeichnete, wieder ab, und der Blick wieder zurück auf die Buchstaben vor ihm. Und ich? Ich war enttäuscht. Wie auch nicht? Mal wieder die Einzige zu sein, die nicht dabei sein konnte, mal wieder nur aus den Erzählungen anderer zu hören, wie toll doch dieses und Jenes gewesen sei. Aber da war auch ein anderes Gefühl in mir, das sanft, aber bestimmt meinen Ärger zu bändigen schien und mich daran hinderte, mich aufzuregen oder zu beschweren. Meine Freundinnen hätten sicher getobt. Aber ich selber saß bewegungslos auf meinem Stuhl und beobachtete, wie sie sich in mir breit machte - die Resignation. Was nicht geht, das geht eben nicht. Hatte Johannes damit nicht recht? Was nützte es, sich gegen die Realität aufzulehnen?

 

***

 

Normalerweise war’s das in solchen Situationen dann, ich finde mich damit ab und gut. So war ich halt, so hatte ich es zuhause gelernt. Aber dieser Tag - da war etwas anders. Ich habe nichts mehr zu dem Thema gesagt, sondern bin aufgestanden und los zur Schule, aber dieses Gefühl der Unzufriedenheit hallte in mir nach. Ich hatte echt Bock auf diesen Trip, auch wenn es bloß eine blöde Schulreise war. Endlich mal raus hier aus dem Ort - Urlaub machen wir ja schon seit Langem nicht mehr. Und ich würde London sehen! Dafür hätte ich sogar fünf Tage Lehreraufsicht mit Kusshand in Kauf genommen. In meiner Fantasie sah ich mich am Piccadilly Circus mit den Mädels, cool und weltmännisch, fast zu verwechseln mit all jenen Glücklichen, die dort tatsächlich lebten und sich jeden Tag treiben lassen durften von all den Chancen und Möglichkeiten, die sich vor ihnen auftun, sobald sie morgens ihr Apartment verlassen und auf die überfüllten Londoner Straßen treten. Die frei waren.

 

„Boa kein Plan, was mit Caro heute los ist. Hey hallo, jemand zu Hause?“ Kira wedelte mit ihren manikürten Fingernägeln viel zu nah vor meinem Gesicht herum und riss mich aus meinen Tagträumen. Ich zuckte zusammen. Mit einem Ruck war ich zurück aus London, zurück von meiner kleinen Fantasiereise in ein anderes Leben, ein anderes Ich, und stand wieder an der Straßenkreuzung vor unserer Schule.

„Es ist grün, Süße! Weiß ja nicht, was deine Pläne für heute so sind, aber ich habe viel vor.“ Kira schwang ihr langes blondes Haar aus dem Gesicht und setzte ihr selbstzufriedenstes Lächeln auf. Sie setzte es auf, bewusst, weil sie wusste, wie gut es ihr stand.

 

„Papa fährt jetzt endlich mit mir Möbel shoppen. Ist echt so nötig. Ich werd noch verrückt mit jedem Tag, den ich in dieser Kindergarten-Umgebung verbringe. Dass Eltern auch immer so spät erst checken, dass man älter wird“. Sie verdrehte betont genervt die Augen, sah aber immer noch zu triumphierend aus, als dass man ihr so etwas wie Ärger abgekauft hätte. Den hätte sie aber auch ohnehin nicht nötig. Kira war Einzelkind, wie ich, aber so sehr, wie dieser Umstand für mich mit besonders hohen Erwartungen einherging, bedeutete er für sie einen Haufen Privilegien. Kira war die Einzige und damit die Beste, die Tollste, und es schien ihren Eltern Freude zu bereiten, ihr das mit dem Kauf aller materiell möglichen Liebesbeweise zu zeigen. Vielleicht auch, weil dafür Zeit bei ihnen umso knapper war. Ihr Vater war ständig auf Reisen, und ihre Mutter so ein hohes Tier im Vorstand irgendeiner Kosmetikfirma. Ich habe Kira nie gefragt, was ihr lieber gewesen wäre, die schönen Dinge oder vielleicht doch, mal einfach gemütlich mit ihren Eltern abends vor dem Fernseher zu sitzen. Ohne auf die Uhr zu schauen, ohne durch ein plötzliches Meeting oder irgendwelche wichtigen Mails aus der Stimmung gerissen zu werden. Ich fragte sie nie, und ich glaube auch nicht, dass sie das gefragt werden wollte.

 

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Nina, die ebenfalls mit uns die Straße überquerte, mir ein ironisches Lächeln zuwarf. „Man Kira, wie du immer übertreibst. Kindergarten. Ich glaub‘, in deinem Kopf ist noch Kindergarten“. Sie zog den schlichten dunklen Schal zurecht, den sie um den Hals gewickelt trug. „Gibt doch Wichtigeres als diesen Designerkram“. Nina erinnerte mich immer ein wenig an diese eine ältere Frau, die schräg gegenüber von uns wohnte, als ich noch klein war, und der ich öfters aus meinem Kinderzimmerfenster heraus zugeschaut habe. Jeden Morgen um Punkt neun erschien sie vor ihrer Haustür, immer tadellos zurechtgemacht, leerte ihren Briefkasten und fegte Blätter und was sich sonst so über Nacht ansammelte von ihrer Veranda. Der Mittagsspaziergang kam immer um zwölf, und selbst abends schien sie ihre perfekte Routine beizubehalten, denn die bunten Zeiger meines Weckers standen stets auf zehn, wenn sie ihr Licht löschte. Ein ewiger Rhythmus ohne Raum für Spontanität, und dennoch wirkte sie mit dem leichten Lächeln, das sie stets auf den Lippen trug, so zufrieden und ausgeglichen, dass ich sie später fast darum beneidete. Sie fühlte sich wohl in ihren selbst geschaffenen Strukturen, und so war auch Nina.

 

„Zum Beispiel? Deine blöden Bücher?“, schnaubte Kira. Sie provozierte gern, doch Nina ließ sich nicht darauf ein.

„Zum Beispiel. Oder die Frage, was nun mit London ist. Caro, konntest du deine Eltern jetzt mal überzeugen?“ Das interessierte tatsächlich auch Kira, und die beiden drehten sich im Gehen zu mir um und blickten mich erwartungsvoll an. Ich seufzte.

„Was denkt ihr denn. Keine Chance. Zu teuer, zu unnötig, zu viel Spaß. Irgendwelche Gründe gibt es ja für mich scheinbar immer, Dinge nicht tun zu dürfen“.

Ich versuchte, es cool klingen zu lassen, so ein bisschen rotzig und rebellischer, als ich mich tatsächlich fühlte. Die beiden wirkten immer so selbstbestimmt, jeweils auf ihre Weise, und ich wollte zumindest den Anschein erwecken, als wäre ich ebenso wie sie. Bereit, mich aufzulehnen, egal wie gering die Chancen auf Erfolg ausfielen. Kira schaute entsetzt drein.

„Was? Was ist denn los mit den beiden? Caro, das wird echt die Fahrt. Hast du ihnen gesagt, dass es die Fahrt wird? Die waren doch auch mal jung“.

Kira kannte meine Eltern, und trotzdem schien sie nicht zu verstehen, wie die beiden tickten, und dass solche Argumente für sie gar nicht erst Argumente darstellten. Oder vielleicht würden sie das sogar, wenn Kira sie vorbringen würde, mit dieser ganz unhinterfragten Selbstverständlichkeit, mit der sie stets ihre eigenen Ansichten vertrat. Aber in meinem Fall - no chance.

„Ich glaube, dass es die Fahrt wird, spielt nicht so ganz eine Rolle, wenn man aufs Geld achten muss“, mischte sich Nina, die Vernünftige, ein. „Trotzdem schade. Das wird echt super. Du wirst was verpassen“.

Ja, danke, dachte ich. Ich wendete mich von den beiden ab, um weitere Diskussionen insbesondere über meine Durchsetzungsfähigkeit zu vermeiden. Mein Blick wanderte über das Grau des Asphalts, das sich vor uns ausbreitete, und über die Häuserfronten der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, die ich so gut kannte. Vertrautheit. Eintönigkeit. Wie sonderbar, dass oft so verschiedene Gefühle Hand in Hand miteinander gingen. Ob das Zufall war, oder die Natur der Dinge? Musste man schlechte Gefühle vielleicht manchmal einfach in Kauf nehmen, um das Gute, das Ganze nicht zu verlieren? Nachdenklich ließ ich meinen Blick weiter schweifen, über die Dächer und die langsam wieder etwas grüner werdenden Baumkronen hinweg. Der Frühling kündete sich an, auch wenn es noch etwas zu windig und kühl war, als dass man es tatsächlich schon hätte spüren können. Der Himmel über uns war klar und frei wie an einem Wintermorgen, und seltsam schön mit den Silhouetten einiger etwas verloren wirkender Vögel, die ihn vereinzelt kreuzten. Einsam. Frei. Ein lautes Hupen riss mich aus meinen Gedanken und ich schaute zurück auf die Straße und eine dieser Verkehrsinseln, die direkt dazwischen liegen und einen daran erinnern, wie nett der eigene Stadtteil mal aussah, oder ohne all die Autos aussehen könnte. Ich blickte direkt auf die Verkehrsinsel, und da sah ich ihn.

 

Einen Mann, etwas älter als wir, vielleicht Anfang zwanzig. Er lag da, auf dem kleinen Stück Grün zwischen all dem Grau, inmitten dem tosenden Lärm des Verkehrs, der ihn aber nicht weiter zu stören schien. Er lag dort ganz bewegungslos, und rückblickend kann ich nicht sagen, ob es Sorge oder Neugierde war, die mich dazu trieben, etwas näher in seine Richtung zu gehen. Ich merkte nicht einmal, wie Kira und Nina mir folgten oder ob sie etwas zueinander sagten, so eingenommen war ich plötzlich von dieser Person, die so eindrücklich aus dieser sonst so alltäglichen Szene herausstach. Obwohl noch einiges an Abstand zwischen uns und dem Mann lag, konnte ich durch mein schrittweises Näherkommen einen Blick auf sein Gesicht werfen. Seiner war fest auf den Himmel gerichtet, wie eine Blume, die es bis ganz nach oben schaffen will. Er sah völlig entspannt aus, wie er da lag, mit vom Wind zerzaustem Haar und einem Lächeln auf den Lippen.

 

Plötzlich nahm ich wieder die Mädels wahr. Hinter mir schienen sie sich anzustoßen. „Was für ein Psycho“, hörte ich Kira mit verächtlicher Stimme sagen.

„Bei den ganzen Abgasen um ihn rum wird er da nicht mehr lang liegen“, kommentierte Nina trocken, was wiederum Kira ein Kichern entlockte. Aus dem Augenwinkel heraus konnte ich sehen, wie die beiden mich anblickten. Ich hätte mitkichern müssen, doch ich wusste nicht recht, worüber. So furchtbar lächerlich fand ich es gar nicht, was der Mann da tat. Dieses Stück Wiese gab es hier schon seit Ewigkeiten, aber nie kam jemand auf die Idee, es zu betreten - das Pflaster erschien den Leuten wohl sicherer.

„Lass mal weitergehen, ich muss noch zur Nachhilfe“, hörte ich Nina sagen, als ich nicht reagierte. Ich merkte, wie ich nickte und mich in Bewegung setzte, den anderen hinterher, und dennoch den Blick kaum von dem Fremden abwenden konnte. Nichts an seiner äußeren Erscheinung schien besonders auffällig, ein ganz normaler 08/15-Typ in Kapuzenpulli und Jeans, und dennoch übte er diese merkwürdige Faszination auf mich aus. Er wirkte so - unbeschwert. Als könnte nichts, egal ob von außen oder aus seinen eigenen Gedanken heraus, ihn aus der Fassung und dieser so fast schon demonstrativ zur Schau gestellten Ruhe bringen. Als wäre er mit etwas Tieferem verbunden. Mit sich selbst? Mit der Welt? Auf jeden Fall schien es ihn in Einklang mit beidem zu bringen, und damit zu etwas, wovon ich selber nur träumen könnte. Natürlich wusste ich, dass es verrückt war, das alles so aus der Ferne heraus in ihn hineinzulesen. Ich wusste es vom Kopf her, aber mein Gefühl sagte mir, dass ich richtig lag, und dass er anders war. Anders als die Leute, die ich sonst kannte, die grübelten und sich Sorgen machten und dir einen Vogel zeigen würden, wenn du ihnen vorschlagen würdest, sich doch einmal ganz entspannt in die Mitte einer Straßenkreuzung zu legen und in diesen kalten, klaren Frühlingshimmel hinaufzublicken.

 

All das ging mir durch den Kopf, aber ich wagte nicht, es den Mädels gegenüber anzusprechen - sie hatten ihre Meinung ja bereits offen verkündet, und ich hätte mich nur lächerlich gemacht. In unserer Gruppe war normalerweise nicht ich diejenige, die entschied, was cool und ein Gespräch wert war. Meistens war das Kira, und die war mit ihren Erzählungen längst woanders. Ich versuchte, mich darauf zu konzentrieren und meine Gedanken an diesen Fremden aus dem Kopf zu bekommen, und irgendwann gelang es mir wohl, denn nach einiger Zeit war ich wieder zurück. Zurück bei dem Gespräch, zurück bei der alltäglichen Routine und allem, was ich zu der Zeit so völlig selbstverständlich als mein Leben bezeichnete. Fantasie war gut und schön, aber sie hieß nicht umsonst so, oder? Was mochte sie schon in der Realität verändern?

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