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Feilkode 418

Das Kaisereichen Ding

Das Kaisereichen Ding · Romane

Ein Junge öffnet den Erwachsenen die Augen und erlöst einen schweigsamen "Punk" von dessen Schuldgefühlen.

Hva vil du med boka?

Der Schauplatz meines Romans ist der alte, seit vielen Jahren verwaiste Landgasthof „Kaisereiche“. Dieser soll zum Lebensprojekt seines Erben Oskar und dessen Partnerin werden und einer bunt zusammengewürfelten Wohngemeinschaft ein Zuhause und neue Perspektiven geben. Doch kann eine Gruppe von Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, sich trotz gegenseitiger Vorurteile miteinander arrangieren? Und wird der kleine Thorben mit seiner Mission, die Herzenswünsche der Bewohner zu erfüllen und den von ihm verehrten Sid aus dessen quälender Vergangenheit zu befreien, Erfolg haben? In meinem Roman möchte ich eine Geschichte erzählen, wie sie jederzeit passieren könnte. Tragen wir nicht alle unsere Ängste und Geister der Vergangenheit mit uns? Kennen wir nicht alle diese Vorurteile, die sich bei Begegnungen mit bestimmten Menschen in uns breitmachen und einen objektiven Blick erschweren? Haben wir nicht alle unsere Pläne und Ziele, für die wir gerne kämpfen möchten, auch wenn uns das nicht immer gelingt? Und wie reagieren wir, wenn ein kleiner, pfiffiger Junge uns nach unserem innigsten Wunsch fragt - und alles daransetzt, diesen zu erfüllen?

Om forfatteren

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Autorin für Geschichten, die das Leben erzählt, mit einer Vorliebe für liebenswert schräge Charaktere. In meinen Büchern gibt es, wie im echten Leben, Dramen, Romanzen, Liebe in all ihren Facetten, Pe...

Das Kaisereichen Ding

Von Sylvia Grees

  1. Prolog

Die Zeitmaschine funktionierte nicht.

Thorben war so dicht dran gewesen. Zumindest hatte er das geglaubt.

Aber nun hatte er schon dreißig Minuten lang das Zucken des Stroboskoplichtes ertragen, nur abgemildert durch die schäbige 3-D-Brille. Der Countdown, den er auf dem Küchentimer eingestellt hatte, war längst abgelaufen und der alte Wecker hatte gleichzeitig wie geplant gerasselt. Nichts davon hatte zum ersehnten Zeit Effekt geführt. Nicht einmal der Mantragesang der tibetanischen Mönche, der in Dauerschleife vom bunt beklebten CD-Spieler tönte, hatte für den nötigen Schub gesorgt.

Mitten im gefühlt einhundertundzwanzig eintönig gebrummten „Om mani padme hum“ haute der Junge mit der Handkante auf die Stopptaste. Vermutlich hätte dieser Gesang ihn sowieso nicht vor Bösem geschützt.

Er seufzte, wischte mit dem Ärmel eine Träne weg, die ihm die Wange hinunter rann und danach über seine tropfende Nase. Ihm war kalt.

Die schwächliche Wintermittagssonne drang durch die kleine Fensterscheibe und versuchte, den Dachboden zu erhellen.

„Gibs auf!“, sagte Thorben in den Raum hinein und wusste nicht, ob er damit den Stern oder sich selbst meinte. Denn wie er es auch drehte und wendete, dieser Versuch war definitiv gescheitert. Er war nicht wie Dr. Who, der Schallschraubenzieher aus Löffeln herstellen konnte.

Alle Wünsche würden unerfüllt bleiben, für Sid, Paula und die anderen, die hier wohnten. Auch für seinen Papa und Michelle. Und seine Mama würde keinem Engel begegnen. Sofern an der Sache mit den Engeln überhaupt was dran war.

Es gab nur eine Möglichkeit: Thorben musste wohl oder übel auf die konventionelle Art an die Sache rangehen. Eine Aufgabe für einen echten Helden. Er jedoch war nur ein Kind. Schlau, aber weder mutig noch stark. Doch da niemand außer ihm an den sagenumwobenen, wunscherfüllenden Schatz zu glauben schien, blieb diese Aufgabe an ihm hängen. Er hatte keinen Verbündeten.

Mist.

Thorben packte die Utensilien der nicht funktionierenden Zeitmaschine in seinen Rucksack. Er schulterte ihn, stieg so vorsichtig wie möglich die tückisch knarrende Holztreppe hinab, schlich in sein Zimmer und legte sich mit weitgeöffneten Augen ins Bett.

In etwa zehn Stunden würde es so weit sein.

Es war die einzige Nacht, die geeignet war, die des ersten Vollmonds nach dem Sternschnuppenschauer.

Heute Nacht würde er alles ändern.

Er allein.

  1. Kapitel 1

Sid saß im Schneidersitz auf dem Boden. Auf seinen Knien balancierte er die alte Olympia Schreibmaschine.

Kurt Cobain nuschelte seine Version von ‚The man who sold the world‘ aus dem Grab in den Äther. Zumindest empfand Sid es so. Die Typen, bei denen er in den letzten zwei Tagen untergekommen war, schliefen derweil ihren Rausch aus.

Sid ließ seine Finger sachte über die Tastatur der Schreibmaschine wandern, doch da waren keine Worte in ihm, die er hätte schreiben können. Er stellte sich vor, dieses Gerät sei ein Keyboard, versuchte, die Melodie des Songs auf den Tasten wiederzugeben. Eine idiotische Idee. Es kam nur Nonsens heraus.

Sid glaubte im Grunde genommen an gar nichts und an kaum einen Menschen. Dennoch hatte er es als eine Art Zeichen betrachtet, diese Schreibmaschine entdeckt zu haben. Jemand hatte das Teil samt Koffer an den Straßenrand gestellt, um es von der Sperrmüllabfuhr entsorgen zu lassen. Sid hatte sofort erkannt, um was es sich handelte.

Seine Tante Carola hatte eine solche Olympiamaschine besessen und dieses Erbstück wie ihren Augapfel gehütet.

Aus einer über ihn hereinbrechenden Woge von zielloser Aggressivität heraus hatte Sid das Teil eines Tages unvermittelt aus dem Fenster des vierten Stocks geworfen. Dies war das Ende der alten Olympia, sowie das seines Lebensabschnitts bei Tante Carola gewesen. Es hatte Sid eine Zeitlang leidgetan, aber was geschehen war, war geschehen.

Nichts im Leben ließ sich rückgängig machen, das hatte er schon lange zuvor gemerkt.

Die Tante blieb nur eine von den vielen Stationen in seinem Leben, die er schulterzuckend hinter sich ließ. Die Episode schien eine Ewigkeit her zu sein.


Während Sid an der Haltestelle auf einen Bus gewartet hatte, der ihn fortbringen sollte von einem weiteren, völlig misslungenen Lebensabschnitt, schien der Schreibmaschinenkoffer ihn zu sich zu rufen. Ein kurzer Check zeigte, dass die Maschine in einem guten Zustand war. Sogar Farbbänder lagen im Koffer. Das schien ihm etwas sagen zu wollen. Schreiben.

Warum nicht? Wäre mal ein neuer Ansatz. Vielleicht ließe sich damit sogar endlich eigenes Geld verdienen.

Eingepfercht in dieser stinkenden Bude und umgeben von schnarchenden Typen, deren Namen er kaum kannte, gab es jedoch nichts, was er hätte tippen können.

Schrott.

Gleich würde Michelle ihn hier aufsammeln und zu seiner neuen Unterkunft bei ihrer Mutter Paula begleiten. Er hatte absolut keinen Bock darauf. Am allerwenigsten legte er Wert auf irgendeine Art von Familienanschluss. Doch hier konnte und wollte er nicht bleiben.

Sid packte die Olympia in ihren Koffer zurück und drehte die Musik lauter. Der Typ auf dem Sofa wachte grunzend auf und warf mit einer leeren Flasche nach ihm, die knapp an seinem Kopf vorbeiflog.

Es war definitiv Zeit, abzuhauen.

Paula packte Besen und Rechen zusammen.

Sie hatte sämtliches Laub und Geäst, das durch den Sturm in der Nacht herabgefallen war, von der Auffahrt zum Straßenrand befördert. Heute würde ein Neuankömmling die Wohngemeinschaft vergrößern, ein Freund ihrer Tochter. Da sollte alles picobello sein.

Während sie auf das Gebäude zuging, stellte sie wieder einmal fest, dass es, von hier aus betrachtet, recht passabel aussah. Doch der Schein trog. Es gab nach wie vor etliche kleine und größere Baustellen im Haus. Und stets zu wenig Geld. Ob sie damals die richtige Entscheidung getroffen hatten? Sie seufzte.

Es war beinahe ein Jahr her, doch Paula sah die Szene so deutlich vor sich, als hätte sie sich erst kürzlich ereignet:

Oskar hatte einen Brief geöffnet. Seine Brauen hoben sich, während sein Blick über das Schreiben flog. Schließlich schaute er auf, mit dem liebenswerten Ausdruck eines glücklich erstaunten Kindes.

Paula hätte ihn für diesen Anblick küssen können.

„Ich habe geerbt“, sagte Oskar leise und sah wieder auf das Schreiben.

„Wie, geerbt? Was denn? Von wem?“

„Einen alten Landgasthof. Er steht an der Stadtgrenze. Die sogenannte Kaisereiche.“

„Nie gehört.“

„Hm, ich bisher auch nicht. Wenn ich das richtig verstehe, wird sie seit Jahrzehnten nicht mehr als Gaststätte genutzt. Zuletzt hat sie meinem Cousin Werner gehört, schreibt dieser Notar.“

„Werner? Von dem hast du nie erzählt.“ Paula spürte einen klitzekleinen Stich im Herzen.

Sekundenlang erhob sich eine unsichtbare Grenze zwischen ihnen. Ihr wurde wieder einmal bewusst, wie viel Zeit ihres Lebens sie ohne ihren geliebten Oskar verbracht hatte. Ihre gemeinsame Vergangenheit war, gemessen an ihrem Alter, kurz. Es gab so viele Ereignisse und Namen, die sie nicht teilten. Paula atmete tief durch und schickte die melancholische Anwandlung weit fort. War es nicht die Zukunft, die zählte?

„Werner. Ja, was soll ich über ihn sagen? Er war fünf Jahre älter. Als Kinder haben wir einige Zeit miteinander verbracht. Unser beider Eltern sind manchmal zusammen in Urlaub gefahren und wir waren dabei. Werner war immer so ein Draufgänger, weißt du, ein Abenteurer und seit jungen Jahren ein Frauenheld. Also ganz anders als ich.“ Oskar lächelte und zog seine Pfeife aus der Jackentasche. Während er sie sorgfältig zu stopfen begann, fuhr er fort:

„Werner entwickelte sich zum Enfant terrible der Familie. Er schmiss die Schule, lebte von Gelegenheitsjobs, war in jeder Spelunke der Stadt zuhause und verzockte dort Geld, das er seinem Vater aus dem Portemonnaie gestohlen hatte.“

„Klingt nach einem üblen Burschen“, warf Paula ein.

„Tja... Ich kann das vermutlich nicht beurteilen. Es kam zum Zerwürfnis mit seinen Eltern und er zog in die weite Welt hinaus. Nach etlichen Jahren meldete er sich mit einem kurzen Brief aus Australien. Wie es schien, hatte er es dort zu einigem Wohlstand gebracht. Und das ist alles, was ich über ihn weiß. Ich habe seit fast fünfundzwanzig Jahren nichts von ihm gehört. Es gab keinen Kontakt mehr. Seine Eltern sind gestorben, ohne ihn nochmal gesehen zu haben.“

„Das ist bitter“, murmelte Paula.

Sie dachte an ihre Mutter Lucy. Lange Jahre hatte sie mit ihr in Unfrieden gelebt, aus überflüssigem Stolz heraus. So viele Missverständnisse hatte sie zum Fundament ihrer Wahrheit erwählt und erst spät aus dem Weg geräumt. Nicht auszudenken, welchen Verlauf ihr Leben sonst genommen hätte.

Ohne die Hilfe ihrer Mutter wäre sie vermutlich Oskar niemals nähergekommen. Mit dieser Kuppelei hatte Lucy ihr ein letztes Geschenk, das Größte aller Zeiten, gemacht.

Während Oskar den Tabak in der Pfeife entzündete und sich ein angenehm vanilleartiges Aroma entfaltete, nuschelte er durch seine Zähne hindurch: „Was ich nicht verstehe ist, wie es dazu kam, dass er eine Immobilie hier erworben hat, obwohl er offenbar bis zu seinem Tod in Australien lebte. Zumindest geht das aus diesem Schreiben hervor.“

„Und? Wirst du das Erbe annehmen?“

Oskar nahm einen Zug aus der Pfeife und schaute Paula nachdenklich an. „Es gibt offenbar keine weiteren Verwandten mehr. Was wird mit dem Haus geschehen, wenn ich das Erbe ausschlage? Lass uns das alte Gemäuer mal zusammen anschauen. Wer weiß, wozu es gut ist? Wäre es nicht phantastisch, in unserem fortgeschrittenen Alter noch einmal etwas Neues zu beginnen?“ Er lächelte versonnen.

Wieder erinnerte sich Paula an ihre Mutter, die eine Meisterin der Spontanität und der Lebenslust gewesen war. Sie hätte sicher alles stehen und liegen lassen, um mit wehenden Fahnen diese Kaisereiche zu erobern.

Am Tag der Besichtigung hatte sich der ehemalige Landgasthof als Gebäude mit einem altmodischen, rustikalen Charme entpuppt. Er war durchaus imposant, jedoch zum Glück nicht so riesig, wie Paula befürchtet hatte.

„Na, da werden Sie noch Spaß kriegen“, hatte Herr Töpfer, ein Anwohner, geunkt. Er hatte sich sofort wie ein Schatten an die Fersen des Paares geheftet.

Paula grinste bei der Erinnerung an diese erste Begegnung mit dem Nachbarn. Töpfer war so neugierig, wie er redselig war, schien alles und jeden im Umkreis zu kennen.

„Wenn Sie mich fragen, da haben diese Hippies eine ganze Menge verbockt, als die hier ihre WG errichtet haben“, erzählte er. „Den gesamten Schank- und Speiseraum haben die umgebaut. Bei den Zimmern oben wurden teilweise Wände eingerissen, um kleine Wohnungen daraus zu gewinnen. Ohne Sinn und Verstand, soweit ich das beurteilen kann. Ein Wunder, dass das Haus nicht zusammengebrochen ist. Was wollen Sie denn aus der Kaisereiche machen? Ist die als Wohnhaus nicht ein bisschen groß für zwei Personen? Kommen sie aus der Gastronomiebranche?“

Oskar hatte diese Fragen ignoriert und stattdessen nachgehakt: „Hippies? Wann haben die denn hier gewohnt?“

„Irgendwann in den Siebzigern. Nachdem der Gasthof seinen Betrieb schon eine ganze Weile eingestellt hatte. Und nach den kiffenden Hippies kamen die körneressenden Ökos. Haben hinter dem Gebäude einen Gemüsegarten angelegt und sich ein Gartenhaus gezimmert. Es gingen eine Menge Leute ein und aus, zu deren sogenannten Workshops. Selbstversorgung, Politik, Feminismus und solche Sachen. Ich war damals ja noch ziemlich klein. Aber mein Vater, Gott habe ihn selig, sagte, die hätten so einiges im Freien getrieben. Eine Menge Nachbarn haben sich darüber beschwert. Schließlich zog die ganze Kommune aus. Und seitdem stand das Haus wieder leer oder wurde im Höchstfall zeitweise von verschiedenen Firmen als Lagerraum benutzt. Eigentlich eine Schande.

Na ja, wenigstens äußerlich ist der ursprüngliche Zustand erhalten geblieben. Denkmalschutz und so. Da wurde den Hippies von der Stadt Einhalt geboten. Man munkelt, ein verrückter Australier habe die Immobilie vor längerer Zeit gekauft. Der hat dann über die Jahre ein bisschen was zur Instandhaltung unternommen, das konnte man mitverfolgen. Aber was will ein Australier mit so etwas wie einem alten, deutschen Landgasthof bloß anfangen? Das ist doch keine Investition, die sich lohnt.“

Paula würde niemals vergessen, wie sie und Oskar Hand in Hand zum ersten Mal ihre neue Bleibe besichtigt hatten.

Das schmiedeeiserne Schild „Kaisereiche“ hing, unverändert seit vielen Jahrzehnten, über der schweren Holztür. Es wirkte fast trotzig, wie ein Schutzschild gegen die Welt draußen mit all ihrer oberflächlichen Schnelllebigkeit.

Gleich hinter dem Eingangsbereich erstreckte sich ein großer Raum mit Butzenglasfenstern und einer hölzernen Kassettendecke. Durch einen bogenförmigen Zugang gelangte man in die etwas kleinere Küche. Dies alles war in früheren Zeiten die Gaststätte gewesen.

Herr Töpfer, der ihnen auf Schritt und Tritt folgte, wusste von einer blutrünstigen Geschichte aus den 1920er Jahren zu berichten. Der Koch des Hauses hatte den jungen Oberkellner aus Eifersucht mit einem Küchenbeil getötet, vor den Augen der entsetzten Gäste im Speiseraum. Das Essen, so erzählte er weiter, ging an jenem Abend für alle auf Kosten des Hauses, als Entschuldigung für die unappetitlichen Unannehmlichkeiten, doch für eine ganze Weile blieb der Ruf ruiniert. Dessen ungeachtet bestand das Restaurant samt Gästezimmervermietung noch einige Jahrzehnte weiter. Auch, wenn seither seltsame Geschichten von spukenden Gestalten die Runde machten.

In der ersten Etage befanden sich drei unterschiedlich große Wohnungen und genausoviele Einzelzimmer. Die sanitären Einrichtungen in den Bädern waren erstaunlich gut in Schuss. Sie hatten eine veraltete moosgrüne Farbe. Immerhin, dachte Paula schaudernd, ist die Entscheidung damals nicht auf Bahamabeige gefallen.

Am Ende des Balustradenganges im ersten Stock befand sich ein kleiner Erker, zu dessen Tür es offenbar keinen Schlüssel gab. Gleich daneben führte eine knarrende Holztreppe, die so schmal war, dass man sie nur im Gänsemarsch nutzen konnte, zum düster wirkenden Dachboden.

Alles in allem hätte der Zustand des gesamten Hauses schlimmer sein können. Aber er war weit entfernt von „gut“.

Sie hatten während des Rundgangs kaum ein Wort gewechselt. Nur Herr Töpfer hatte sich bemüßigt gefühlt, weitere Anekdoten rund um das Gebäude zu erzählen, auf die schlechte Verkehrsanbindung und die praktisch nicht vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten in unmittelbarer Umgebung hinzuweisen.


Später, als sie zuhause bei einem Glas Wein saßen, war Oskar in Schweigen versunken.

In Paula zerrten widersprüchliche, heftige Gefühle. Vieles, was sie von der Geschichte des Hauses erfahren hatte, ließ sie an ihre Mutter denken. Das machte sie auf eine merkwürdige Art melancholisch und abenteuerlustig zugleich. Andererseits war sie Realistin. Sie sah die finanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten.

Als hätte er ihre Gedanken erraten, sagte Oskar, die Stille unterbrechend: „Wir werden das nicht alleine schaffen. Meine Pension und dein Gehalt werden nicht genügen, um das Haus vollständig in Ordnung zu bringen und dauerhaft zu halten. Das wird richtig teuer.

Die ganze Versorgungstechnik des Hauses müsste von Fachleuten gecheckt werden. Wasser, Elektrizität und so weiter. Der Keller braucht eine umfassende Sanierung. Du hast ihn ja selbst gesehen, mit seinen groben Steinwänden und dem muffigen Lehmboden. Die Zimmer sind ewig nicht tapeziert und gestrichen worden, wie es scheint. Wir werden Mieteinnahmen brauchen.“

„Das wäre dann ja eine Wohngemeinschaft“, stellte Paula erschrocken fest. „Das ist nicht mein Ding.“

„Ich weiß, Schatz. Meines ebenfalls nicht. Es ist nur so... Mir geht ein Gedanke nicht aus dem Kopf: Was, wenn Werner mir dieses Gebäude aus einem bestimmten Grund vermacht hat? Wenn wir durch eine Ablehnung die Chance zu irgendetwas verpassen würden? Versteh‘ mich nicht falsch: Ich liebe dich und unsere Zweisamkeit. Aber manchmal überlege ich, ob es mehr für uns zu erleben gibt. Vielleicht haben wir irgendeine Aufgabe da draußen. Jedenfalls fühlt es sich für mich so an. Und das Haus ist doch so groß, dass man sich nicht dauernd über den Weg laufen würde. Privatsphäre hat man dort sicher genug.“

Oskar hatte sich nach vorne geneigt und Paula eindringlich in die Augen geschaut, mit einem Ausdruck, in dem sie die Angst vor Ablehnung lesen konnte.

„Dir liegt eine Menge daran, hm?“

„Ja. Aber ich werde mich nach dir richten. Es soll unser gemeinsames Projekt werden.“

Paula hatte nicht lange gezögert. Wenn es Oskars Herzenswunsch war, wollte sie helfen, ihn zu erfüllen. Sie würde versuchen, sich auf das große gemeinsame Abenteuer einzulassen.


Zu Herrn Töpfers Erstaunen waren Oskar und Paula schon kurze Zeit nach der Besichtigung eingezogen. Sie hatten sich sofort mit all ihren zur Verfügung stehenden Mitteln daran begeben, die Kaisereiche wieder herzurichten.

Handwerker waren tagelang ein- und ausgegangen. Bald erstrahlten sämtliche Räume, Wände und Böden in neuem Glanz. Elektrizität und Heizungen waren durchgecheckt, einige Fenster erneuert.

Nachdem sie sich in ihrer neuen Wohnung eingerichtet hatten, suchten sie kostspielige Möbel für den riesigen Ess- und Küchenbereich aus. Schließlich sollte dieser Teil des Hauses irgendwann der gemeinsame Mittelpunkt für eine Wohngemeinschaft werden. Eine Tatsache, die Paula nach wie vor leichtes Unbehagen bereitete.

Das Ganze fraß eine Menge der Ersparnisse und Oskar brütete manchmal mit besorgtem Blick über Zahlenkolonnen.

Sie schalteten eine Kleinanzeige mit der Überschrift: ‚MitbewohnerInnen für Lebensprojekt gesucht‘, doch der große Interessentenansturm blieb aus.

Paula war sich nicht sicher, ob sie darüber erleichtert oder beunruhigt sein sollte.

Eine Großfamilie hatte den Besichtigungstermin schnell wieder abgesagt. Ein älteres Ehepaar war zu einem persönlichen Informationsgespräch erschienen und hatte hochnäsig verkündet, dass man andere Erwartungen habe.

Nur Dorothee Hölzer entschied sich für einen Einzug. Sie brachte ihren kleinen Sohn Thorben mit. Ihre erste Handlung bestand darin, ihre Wohnung mit Salbei auszuräuchern und Salz in die Ecken zu streuen. „Ein Schutz gegen negative Schwingungen“, erklärte sie ihren staunenden Vermietern.

Ihr Sohn hatte die Zeit genutzt, um Oskar und Paula Löcher in den Bauch zu fragen und sein umfangreiches Wissen über das alte Ägypten, Science-Fiction-Filme und Fantasy Autoren in einem einzigen Redeschwall zum Besten zu geben. Er testete das alte, leicht geschwungene Treppengeländer vorsichtig auf seine Nutzbarkeit zum Hinunterrutschen. Das brachte ihm einen scharfen Tadel seiner Mutter ein, den der Kleine schweigend hinnahm und befolgte. Den Rest des ersten Tages verbrachte der Junge damit, seine Bücher in Regale zu stapeln und einige Star Wars Figuren auf der Fensterbank zu drapieren. Seine Mutter rümpfte die Nase. Thorben verlagerte die kleine Sammlung hinter den Vorhang, wo sie auf den ersten Blick nicht zu erkennen war.

Die Wohngemeinschaft startete mit wackeligen Schritten ins Dasein.

Paula, zufrieden nach der gründlichen Reinigung der Auffahrt, betrat den von Kastanienbäumen gesäumten Innenhof.

Sie umrundete das Bruchsteinhaus und gelangte so in den Gemüsegarten. Es war Oskars Langzeitprojekt, diesen Garten aus dem Zustand der völligen Verwilderung zu erlösen, und er verfügte, im Gegensatz zu ihr selbst, über den grünen Daumen, der dazu erforderlich war. Der im Zentrum wachsende Apfelbaum schien der ganze Stolz von Generationen gewesen zu sein und hatte duftend der Unvollkommenheit getrotzt.

Das Gartenhaus hatte kaum Erneuerung gebraucht. Dort stellte Paula Rechen und Besen ab und zog die Gummihandschuhe aus. Auf einem Sonnenfleck in der Mitte das Raumes rekelte sich die Katze Applepie und blinzelte träge zu ihr herauf.

„Na, altes Mädchen“, sie bückte sich, um über das seidige Fell zu streicheln, „das hätten wir uns beide nicht träumen lassen, dass wir mal in so einem Haus landen, was?“

Einer alten Gewohnheit folgend, räumte Paula die wenigen Regale im Gartenhaus auf. Ordnung zu schaffen half ihr stets, ihre Gedanken zu sortieren.

Ihr fiel eine Strickmütze auf, die in einer Ecke des Raumes auf dem Boden lag. Sie hob das von Flusen übersäte Kleidungsstück auf, drehte und wendete es hin und her und konnte es beim besten Willen niemandem zuordnen.

Eigenartig.

Sie würde die anderen fragen, ob jemand es vermisst. Fürs Erste deponierte sie es neben den Gießkannen und fuhr mit ihrer Arbeit fort.

Bald stellte sie die letzten ordentlich sortierten Kisten in die Regale des Gartenhäuschens zurück und betrachtete zufrieden ihr Werk, die Arme in die Seiten gestemmt. Sie pustete eine Strähne ihrer braunen Haare aus der Stirn.

Würde sich doch alles so schnell und unproblematisch in Ordnung bringen lassen. Die Kaisereiche und die gesamte Welt wären ein besserer Ort, dachte sie.

„Komm, Süße. Es gibt Leckerchen für dich,“ sagte Paula, an die Katze gewandt und verließ das Gartenhäuschen mit einem beschwingten Gefühl.

Applepie folgte ihr auf samtenen Pfoten.

Kapitel 2

Sid hatte seinen Rucksack, eine Reisetasche, die schwarz lackierte Holzkiste und den Schreibmaschinenkoffer neben sich abgestellt. Seinen gesamten Besitz. Er ließ den Blick vom schmiedeeisernen Schild, das den Namen ‚Kaisereiche‘ verkündete, über die schwere, rustikale Eingangstür wandern. Er registrierte, dass die kurze Zufahrt säuberlich gefegt war.

Ihn beschlich ein Gefühl von allumfassendem Angewidertsein, für das er keine rationale Begründung fand. Vermutlich, dachte Sid, sind das nur die üblichen Spießer und Ignoranten hier. Nicht mehr und nicht weniger. Der größte Vorteil an dieser Bude ist auf jeden Fall, dass es nicht das Haus meines Vaters ist.

Er nahm eine Bewegung an einem der Fenster im ersten Stock wahr und sah, wie ein kleines, blasses Gesicht schnell wieder hinter dem Vorhang verschwand. Neugierige Mitbewohner. Auch das noch. Sid hasste es, angestarrt und beobachtet zu werden.

Michelle stieß ihm den Ellbogen in die Seite. „Hey, Buddy, mach nicht so ein Gesicht. Paula ist in Ordnung, wirklich. Und das Haus ist gar nicht so schlecht. Zumindest hast du hier Ruhe zum Arbeiten. Das willst du doch, oder? Wer weiß, vielleicht gelingt dir ja ein Bestseller.“

...

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