West-Berlin, Ende der 80er
Sengend. Die Hitze: Sengend. Sengende Hitze. Drückend schwer und eben: Sengend. Die Hitze sengt und erdrückt darum fast: Das Haus und zwar jenes Haus, das Haus, das da steht: Still und brodelnd stumm (mit seinen drei Stockwerken). Einst wurde das Haus: Errichtet. Errichtet vielleicht gegen Ende des 19. Jahrhunderts (oder so ähnlich)? Heute jedenfalls: Verfallen, verlassen, von allen guten Geistern und von Menschen: Völlig leer gelassen. Völlig sich selbst und heute außerdem: Der sengenden Hitze: Überlassen. So steht es da! Das Haus. Fassade: Verschmutzt und abbröckelnd. Fensterscheiben: Zerbrochen, oder zumindest mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Drumherum (also um das Haus herum): Rasen. Vergilbter, verdorrter und stellenweise gelblich-brauner Rasen (oft schon meterhoch). Diesen Rasen durchzieht (vom großen und abgenutzten) Eingangsportal weg: Ein sandig-trockenes Wegstück. Und an dessen Ende befindet sich wiederum: Ein rostiger Zaun mit riesigem, metallenem Eingangstor (inklusive Torbogen). Und dort wiederum…
Mit verschränkten Armen stand Anne da und blinzelte ab und zu zur brennende Vormittagssonne. Ob die Zeitungen auch dieses Jahr wieder von Rekordtemperaturen berichten würden? Anne ärgerte sich über ihre Kleidungswahl. Der viel zu dicke Wollpullover kratze unheimlich und ihre eigentlich so schicken Leggings waren mittlerweile zwischen den Beinen an einigen Stellen so unangenehm verrutscht, dass sie dort nun für spürbare Reibungen sorgten. Auch ihre aufgetürmte, blonde Lockenpracht vermutete Anne mittlerweile zermatscht und außerdem wusste sie, dass ein einziger Blick in ihren Taschenspiegel ihr wohl vorführen würde, wie unnötig die mühsame Schminkarbeit daheim vorm Spiegel wohl wieder einmal gewesen war.
Anne krümmte sich nach vorne. Ihre Blase war bis zum Bersten angefüllt und soeben hatte sie wieder einmal das Gefühl übermannt, dass der drückende Urinstau sogleich nach draußen platzen würde. Weiterhin nach vorne gebeugt fasste sich Anne darum kräftig zwischen die Beine. Ohne es zu merken hielt sie zugleich die Luft an und kniff für einen Moment lang die Augen zusammen.
Lider: Verschlossen. Verschlossen und fest: Zu. Die Lieder: Verschlossen. Der Oberkörper: Gekrümmt. Die Aufmerksamkeit: Voll und ganz auf die (volle) Blase gerichtet, Konzentration und… PLÖTZLICH: Finger Finger Finger Finger Finger. Fünf davon, also: Eine Hand. Eine Hand und diese Hand: Greift und packt, greift und packt, packt: Zu. Greift und packt plötzlich zu. Ein Griff: PLÖTZLICH, unerwartet und von hinten an der Hüfte (von Anne). Eine fremde Hand an Annes Hüfte. Der Handbesitzer vorerst: UNBEKANNT. Erste Reaktion (von Anne): Eisiges Erstarren (KLIRR). Gefrierendes Blut (KLIRR KLIRR), Stocken des Atems (…), Schweiß (tropf tropf) und zugleich, ebenfalls tropf tropf: Einige Tropfen Pisse in den blütenweißen Schlüpfer (hihi). Kurzes, aber lautes Aufschreien (von Anne). Schließlich: Fassen der Sinne. Vorbereitung aufs Übelste. Zu Abwehr bereit, umdrehen und…
Natürlich war es bloß Benno, der da hinter Anne stand. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht brachte jener seine Freude über den gelungenen Schreck-Streich zum Ausdruck.
„Krasser Schuppen, wa?“, kommentierte er nun, während er sich neben Anne stellte und dabei an der verfallenen Häuserfront nach oben blickte. „Komm“, sagte er dann. „Lass ma rin jehn.“ Und mit diesen Worten hatte Benno bereits einen ersten Schritt nach vorne gemacht.
„Benno!“, rief Anne und hielt Benno dabei am Ärmel zurück. „Benno, warte mal!“
Der Angesprochene wandte sich um und blickte Anne an. „Allet jut?“, fragte er.
Anne zögerte und biss an ihrer Unterlippe. „Ick geh auf keen’ Fall da rin.“, stammelte sie.
„Na denn jeh ick eben alleene!“, erwiderte Benno heiter. „Für dich is ja immer allet doof, wat ick so vorschlage.“ Mit diesen Worten lief Benno auch schon auf das Haus zu. Anne blickte ihm stumm nach. Die Sonne heizte weiterhin erbarmungslos auf deren Kopf hinab. In dem Haus drinnen wäre es zumindest kühler, überlegte Anne. Sie holte tief Luft und atmete laut aus. Schließlich beutelte sie sich und rief: „Benno!“. Anne begann zu laufen. „Benno, warte! Ick komme!“
Berlin, irgendwann in den 2010er Jahren
Menschen. Menschen. Menschenskind! Überall so viele Menschen. Samstag Abends: Nachtleben-Erwachen. Die Leute in der U-Bahn-Linie Eins: Wie Sardinen in einer Blechdose. In einigen Händen: Sternburg-Bier (Sterni) oder Döner-Mahlzeiten (Saufunterlage). Einerseits: Grell geschminkte Gesichter und abenteuerliche Outfits. Andererseits: Ältere Herrschaften und Familien mit Kindern. Kontraste die alle zusammen: Die Einheit bilden! Kontrast plus Kontrast plus Kontrast plus… Viele Steinchen machen das Mosaik (und viele Töne die Musik) und der Name des Kunstwerks: Kreuzberg-Friedrichshain! Am Ausgang der U-Bahn-Station Warschauer-Straße: Zwei bärtige Jungs mit Ghettoblaster. Hiphop-Beats. Am Gehweg unheimliches Gedränge. In der Ferne: Bars, Clubs und so Zeugs. Ebenfalls in der Ferne, sowie auch überall sonst: Kippen, Hochprozentiges, Gras and baby there’s a bad boy with some retro sneakers. Party Party! HURRA!!!!
Das ganze Gedränge schob sich lärmend dahin. Doch Emre stand ganz ruhig da und blickte auf die Skyline des Berliner Stadtzentrums. Jene war in ein sanftes Abendrot getaucht und die Fenster des alles überragenden Fernsehturms warfen stellenweise letzte Sonnenstrahlen in den fast vollkommen klaren Abendhimmel zurück. Musti hatte Emre versprochen, dass man von hier, von der Warschauer Brücke, den besten Blick auf diese eigenartige Berliner Mitte hätte und natürlich hatte sich das auch bestätigt.
„Von hier sieht die Stadt fast lebendig aus, wa?“, kommentierte Musti nun zu diesem beinahe kitschigen Schauspiel. Emre antwortete bloß mit einem verträumten Lächeln und schloss dann die Augen, wie als wolle er dadurch diesen schönen Anblick in seinem Inneren für die Ewigkeit abspeichern.
Emres Augen: Zu. Augen zu und müde bin ich geh zur Ruh und: Traumwelt. Perfektion. Glück - das hier? Das hier das Glück? Ja, endlich glücklich! Glücklich, endlich hier zu sein. Hier! Berlin. Ach wie schön! So schön: Hier zu sein! Das Glück gefunden und … Voller Vorfreude macht Emre die Äuglein wieder auf und… HUCH!! Siehe da! Oh Schreck oh Graus! Was? Musti ganz nah. Atem: Spürbar. Ganz dicht. Super close. Come on closer I wanna show ya! Verlegenheit. Was tun? Wie reagieren? Etwas sagen? Ja! Sprechen! Immer eine gute Idee! Suche nach einer belanglosen Äußerung: Erfolglos. Er? Musti? Was macht er? HUCH!! Mustis Hand… Ja was macht die? Greift plötzlich nach: Emres Pimmel, na sowas! Greift da hin und lässt den Pimmel: Größer werden. Jeansstoff: Spannt sich. Beule. HUCH! Da fährt er (der Musti)… Na sowas… Da fährt die Kreuzberger Hand doch tatsächlich einfach so: In den unschuldigen Unterwäschenstoff und greift dann dort: Betulich zu, greift zu und dann gleich: Nochmal, aber diesmal: Etwas zu fest und Emre … HUCH … Japst nach Lust. Autsch!! Tut weh! Schmerzt! Ach komm schon Emre, gib`s doch zu! Du…//
„Zu heftig?“, flüsterte Musti und zog dabei seine Hand wieder aus Emres Hose zurück. Emre blickte in Mustis Augen. Jener begann zu lachen. „Du magst das, wa?“, sagte Musti. Beschämt wandte Emre seinen Blick von ihm ab. „Ach komm“, fuhr jener fort. „Schäm dich nicht… Is Berlin hier!! Hier is alles erlaubt! Wallah!“
West-Berlin
Dunkel Dunkel Dunkelheit! Weit und breit: Dunkelheit! Weit und breit hat sich: Die Dunkelheit ausgebreitet, überall: Nichts als: Undurchdringliche Dunkelheit. Im Dunkel ist’s gut munkeln, aber man munkelt auch, ja, angeblich und… Was sich oftmals in der Dunkelheit verbirgt, ach herrje… Sei vorsichtig! Vorsicht, seh dich lieber mal vor, mein Kind! Anne, hörst du mich (wer auch immer ich eigentlich bin)? Hörst du mich?? Sei vorsichtig… Du kannst nie wissen… du kannst nie wissen, was sich da alles irgendwo in der Dunkelheit befindet, ja, was da: In den Ecken lauert und nur darauf wartet… ACHTUNG!! Anne, pass doch auf! Da hat soeben was geknallt, also irgendwas… Anne ist da gegen irgendetwas… Mit dem Fuß gegen irgendetwas und jetzt… Ein Echo im Raum und…
„Benno!“, rief Anne. Nichts als Schweigen kam zurück. Anne wusste, dass Benno bloß darauf wartete, dass sie sich tief genug innerhalb dieser undurchdringlichen Dunkelheit befand und er dann wieder irgendeinen seiner Späße machen könnte. Anne würde sich erschrecken und sich zugleich ärgern und dann…
Anne zuckte nach links. Irgendein Lüftchen hatte soeben ihre rechte Backe gestreift.
„Benno!“, rief sie erneut. „Benno bitte! Ick…“ …und wieder strich irgendetwas an ihr vorüber. Das Herz der jungen Frau begann schneller zu schlagen. Sie holte tief Luft und rief erneut in die Dunkelheit vor sich hinein.
BENNO!! Wut lag nun: In Annes Stimme! Nicht nur verängstigt, sondern auch: Wütend! BENNO, rief sie. BENNO, wo bist du!? BENNO! … BENNO! Anne rief vor sich hin: BENNO BENNO! Annes Worte hallten nach vorne! BENNO BENNO… Und hinter ihr… BENNO rief Anne wieder, doch nichts kam als Antwort zurück! BENNO! Die Dunkelheit schwieg, alles schwieg und hinter Anne… Alles war leise! Dumpf und leise! Dumpf und leise lag die Dunkelheit da, nichts rührte sich, ja, VOR Anne, VOR Anne rührte sich nichts, doch hinter ihr…
„Benno!“, rief Anne abermals. „Benno, komm jetzt!“ Ihren linken Arm hielt die junge Frau in die Dunkelheit vor sich hinein gestreckt. Ihre Füße stießen beim Nach-Vorne-Tapsen immer wieder gegen irgendwelches Zeug, das am Boden lag. Anne wollte soeben abermals nach Benno brüllen, doch schon wieder…
LUFT! Ein Lüftchen, ein Lufthauch von vorne in Annes Gesicht… Ein Hauch von nichts, von VORNE kam ein Hauch von Nichts bzw. ein Hauch von Luft… Von vorne (und von hinten?) Ein Lufthauch von vorne schon wieder… Schon wieder hauchte Luft: Über Annes Gesicht… Von vorne in Annes Gesicht: HAUCH! Es war nur: Ein Hauch, doch dieser HAUCH… Und von hinten… Krass spürbar… Spürbar, der Hauch von vorne! Und von hinten… Von vorne: … MENSCH!!! DORT HINTER ANNE JA DORT HINTER IHR HINTER ANNE HINTER IHR DA HAT SICH ETWAS AUFGESTELLT DA STEHT ETWAS JA HINTER ANNE STEHT ETWAS STEHT JEMAND STEHT IRGENDETWAS ODER IRGENDJEMAND UND DIESER JEMAND DIESES ETWAS DAS RÜHRT SICH NICHT ES STEHT NUR DA ETWAS STEHT DA HINTER ANNE UND RÜHRT SICH NICHT UND ANNE JA ANNE KONZENTRIERT SICH NUR AUF ALLES ANDERE UND SIE MERKT NICHT JA SIE BEMERKT NICHT SIE BEMERKT NICHT DASS DA JEMAND HINTER IHR STEHT UND DA LAUERT ETWAS ETWAS ODER JEMAND LAUERT HINTER ANNE UND TATSÄCHLICH WARTET DIESES ETWAS DIESER JEMAND WAS AUCH IMMER DA STEHT DIESES ETWAS DIESER JEMAND WARTET NUN DRAUF JA WARTET NUR DRAUF DASS… Scheiße, worauf wartet dieser Schatten eigentlich??
BLN, sometime in the 2010s
Um kurz nach halb zehn hatte sich Isabel dann doch noch aufgerafft und war mit einem Uber zur Kammerzofe gefahren. Mit nichts als einem 10€-Schein und einem Säckchen Koks in der Tasche stand sie nun in der Schlange und hoffte, alsbald nach vorne kommen zu können. Am Clubeingang wies der Türsteher reihenweise feierfreudige Leute ab und auch Isabel fürchtete bereits, dass ihrem Vorhaben schon bald ein Riegel vorgeschoben werden würde.
Knall dich raus, YEAH… Die ganze Woche: Vollgeknallt mit Arbeit, aber jetzt: Knall dich raus! Knall dich raus aus deinem Leben. KNALL KNALL. Viele Knalleffekte, es knallt von drinnen an die Fenster der Kammerzofe, KNALL KNALL, da drinnen knallt’s richtig schön, alle sind vollgeknallt und am Wochenende, da muss es halt: Richtig schön knallen… Die Dialektik der heutigen Zeit: Vom Arbeitsknallen ins Feierknallen und das alles möglichst: ZACK ZACK… Alles muss passieren, wenn es eben: Zu passieren hat! HOPP HOPP!! Alles ist getimt und in Reih und Glied wird jetzt gewartet, ja, in Reih und Glied wartet man darauf, das man dann: So richtig explodieren kann… Unordnung in Ordnung, Unordnung geht in Ordnung solange Unordnung in Ordnung bleibt! In Reih und Glied der Unordnung entgegen und ebenso mit dabei: Die Mittelchen dafür, wenn die Unordnung halt nicht so richtig vom Boden weg will… Alles muss geschehen, wann es zu geschehen hat… Arbeit steht am Plan und dann wird auch: Gearbeitet (was sonst?)! Feiern steht am Plan: Dann will auch gefeiert werden! Und Isabel will auch feiern, Isabel hat so hart gearbeitet und jetzt: Will sie hart feiern! Alles passiert mit Härte, die Arbeit und das Vergnügung! Alles hart, doch bevor’s losgeht, vorm ultimativen Start muss in Reih und Glied: Gewartet werden (bitteschön) und… Näher, näher, immer näher, Hashtag: Waiting in line to freak out… Kammerzofe… Neben Berghain: Mega angesagt und cool und hip und alles drum und dran! Einfach geil dieser Clubmoloch… Unfassbar geil! Kammerzofe! Reg dich ab, reg dich auf, reagier dich ab und reagier auf nichts mehr. Drogentod und alles drum und dran… In der Zofe geht’s ab und auf geht’s, ab geht’s, bald ist Isabel wieder: Drei Tage wach! SNIFF… Puderzucker on top, der Puderzucker macht alles perfekt. Hashtag: Drogentod und bald… Richtig billig in den scheinbaren Drogentod! HASHTAG: Kammerzofe!
Isabel befand sich nun direkt vor dem Türsteher. Mit seinen dunklen Augen blickte jener Isabel an. Von hinter ihm strömte ein schrilles Gemisch aus Farben und Geräuschen aus der Kammerzofe nach draußen. In der Miene des Türstehers rührte sich nichts. Isabel sah ihrem Feierunterfangen bereits einen Riegel vorgeschoben. Der Arbeitsfluss hätte nahtlos in einen Feierfluss übergehen sollen, doch nun…
Er nickte. Kaum merklich, aber der Türsteher nickte. Der Türsteher hatte genickt und Isabel trat auch sogleich an ihm vorbei und in die Kammerzofe hinein. Mit aller Kraft schlug ihr das Beben des Clubs ins Gesicht. Alsbald würde sie darin verschwinden, doch zuvor…
CHECK CHECK… Isabel steht jetzt noch ein CHECK bevor… Nach dem Clubeinlass: Abtasten und: BLICK in die Handtasche (die Isabel aber sowieso nicht dabei hat)… CHECK CHECK… Alles gecheckt, alles erledigt, alle Eintrittsregeln präzise beachtet!? Hashtag: Ganz lieb und brav wurde gewartet, in der Schlange gewartet! So läuft Rebellion im 21. Jahrhundert: Man wartet in Reih und Glied, man unterwirft sich einem Türsteher, man unterwirft sich einem Dresscode, von dem man gar nicht so wirklich weiß, wie genau er aussieht… „So kommst du nicht rein!“ „Ja, wie dann?“ „Weiß ich doch nicht, aber so… NEVER!“ Also: Outfit: CHECK, Look: CHECK, Coolness: CHECK, Warten: CHECK, Türsteher: CHECK… CHECK, CHECK, CHECK… Das ist das 21, Jahrhundert Alter!!! Wenn du im 21. Jahrhundert so richtig ausrasten möchtest, dann musst du wirklich alle Boxen checken! Nur wenn du alles beachtet hast, dann bitteschön: Tritt ein und… FLUTSCH!! Da war die Isabel auch schon: WEG! Have fun!!
West-Berlin
Plötzlich war es zu hören gewesen! Anne hatte gerade wieder nach Benno rufen wollen, doch da hatte sie dann irgendwann innegehalten und mit steif nach oben gerecktem Oberkörper in die Dunkelheit um sich herum hinein gelauscht. Plötzlich war da diese Melodie gewesen, eine altmodische Musik, die von einem ständigen Knacksen und Knarzen zerpflückt war. Es war Musik wie aus einem uralten Radio. Ganz leise klang jene aus der undurchdringlichen Dunkelheit an Annes Ohren heran und Anne stand mit angespannten Sinnen und Gliedmaßen da und lauschte dieser Melodie entgegen. Benno hatte wohl irgendwo irgendetwas gefunden, irgendein Radiogerät, ein uraltes Teil, das scheinbar noch funktionierte. Wie ein Kind würde er nun wohl wahrscheinlich gerade an diesem Teil herumfuchteln, was Anne selbst nun zumindest insoweit beruhigte, dass sie sich sicher sein konnte, dass ihr in diesem Moment nicht irgendein unangenehmer Schreckstreich bevorstehen würde. Die Anspannung aus ihrem Körper begann nachzulassen und irgendwann…
PLÖTZLICH! … … … EIN KNALL!! PLÖTZLICH: EIN KNALL! Es knallte! Plötzlich: Ein Knall und… Es war wie am Theater, ja, so ein Theater! Wie am Theater, ein Ruck, ein Knall und das gesamte Bühnenbild: Kracht zusammen. Ja, was sich soeben noch: Als Bühnenbild, was soeben noch als Bühnenbild dagestanden hatte… Nichts als Dunkelheit, das Bühnenbild bisher: Nichts als Dunkelheit. Dunkel Dunkel Dunkelheit! Plötzlich war alles: Zusammengekracht. Das gesamte Bühnenbild: Kracht zusammen und… Wie Vorhänge fiel die Dunkelheit an allen Seiten hinab, dunkle Vorhänge, der Vorhang der Dunkelheit, die Dunkelheit als Vorhang, plötzlich fallen um Anne herum, um Anne herum fällt alles zu Boden, wie als wäre die Dunkelheit nur ein Vorhang, eine Verkleidung gewesen, plötzlich fällt: Die Dunkelheit um Anne, plötzlich fällt sie wie ein Vorhang zu Boden und dahinter, plötzlich, die Dunkelheit verschwindet wie ein Vorhang, der plötzlich zu Boden gerissen wird und dahinter, hinter diesem Vorhang…
Anne fand sich in einer vollkommen anderen Welt wieder. Zitternd blickte sie um sich. Als es soeben geknallt hatte, war Anne natürlich vor Schreck zusammen gezuckt und in einer reflexaritgen Reaktion war sie zugleich zu Boden gefahren. Nun erhob sie sich wieder und ließ ungläubig ihren Blick über das wandern, was sich nun vor ihren Augen aufgetan hatte.
Es war: Ein Tempel, nein, kein Gotteshaus… Ein Lusttempel, ein Tempel der Lust! Der Geruch von Sex lag in der Luft! Alles war warm und hell und angenehm und: ALT!! Alles war alt! Alt, ehrwürdig, schnörkelig, purpurn und warm… Ja, ein angenehmer, warmer Raum mit altmodischen Möbeln… Ein Tisch, ein Sofa (mit Purpurüberzug und schnörkeligem Gestell), Stühle (ebenso: Purpurn und ebenso: Schnörkerlig), Teppiche, Vorhänge und ein Luster, eine spanische Umkleidewand und… Kleidung lag auch im Raum und… Es war eine Garderobe und… Und Anne… Anne… Anne stand einfach da und sie blickte um sich und sie bemerkte, ja, Anne bemerkte, dass sie in diesem Raum stand, in dieser Garderobe und sie blickte um sich, doch am meisten, ja, am meisten wurde ihr Blick von der Mitte des Raumes angezogen, ja, da in der Mitte, in der Mitte drin… In der Mitte des Raumes war ein riesiger Spiegel, ein Spiegeltisch, ein Schminktisch mit Spiegel und an diesem Tisch, ja, sich schminkend, sich schminkend saß da eine Frau, am Schminktisch saß eine nackte Frau, die nackten Pobacken am purpurnen Polsterbezug, Pobacken schmiegten sich ins Purpur des Bezugs und die Frau, diese Frau… Diese Frau saß da und schminkte sich und sie summte etwas, sie war wunderschön und sie summte ein Lied, sie summte etwas, sie summte zur Musik, zu jener Musik, die von irgendwo anders herkam, die Frau schminkte sich und sie summte, summte und summte und dann… Verstummte sie, die Frau verstummte, sie verstummte und plötzlich…
Plötzlich drehte sich diese nackte Frau zu Anne um. Sie hatte große dunkle Augen und dunkles Haar und an ihren Backen schimmerte es herrlich rot. Sie lächelte. Anne rührte sich keinen Zentimeter. Die Frau nahm einen Zug von ihrer Zigarette und nachdem sie den Rauch nach draußen geblasen hatte, sagte sie mit sanfter Stimme: „Wir haben dich erwartet!“
RUMS!! RUMS und: PUMPS!! RUMPS PUMPS und: Weg war alles. Alles. Alles. Alles war weg und: RUMS! RUMS PUMPS, alles wieder: Dunkel! Diese undurchdringliche Dunkelheit und überall: Nichts als Dunkelheit! All die Erotik: WEG! Futsch und: WEG!! Es stank wieder: Modrig und es roch nicht mehr: Nach Sex. Alles weg und auch in Annes Gemüt: Alles WEG! WEG und: Futsch!! Futsch und: WEG!! Wie möglich? Wie war das möglich?? Mit einem Mal! Anne hatte diese Musik vernommen und dann… Anne wandte sich um und: RUMS!!! RUMS! Mit voller Wucht: RUMS! Schon wieder! Mit voller Wucht! Pisse tröpfelt in Annes Schlüpfer. Die ganze Zeit: RUMS, denn diesmal: Anne war mit voller Wucht RUMS gegen irgendetwas, gegen irgendwen… DIESER SCHATTEN! Früher bereits da und nun: Auch noch da, immer da, immer da gewesen, das Immer-Da-Gewesene… Anne stößt sich: Am Immer-Da-Gewesenen… Mit voller Wucht stieß Anne (mit dem Rücken): Gegen irgendetwas, gegen irgendwen… Dieses etwas, dieser jemand… Bereits zuvor: Dagewesen und nun… Anne war mit voller Wucht (mit dem Rücken): Dagegen gedonnert (RUMS) und die Pisse war: Getröpfelt und Anne wandte sich nun um und mit zitternden Händen fuhr sie nach vorne. Sie fasste nach etwas, nach diesem etwas, nach diesem jemand, Anne fasste danach und Anne hob ihren Blick und Anne erkannte…
BLN
Nachdem Sie sich durch das Beben der Kammerzofe hindurch geschoben hatte, befand sich Isabel nun in jenem Kloraum, der sich unweit der anderen Toiletten direkt an der metallenen Wendeltreppe nach oben befand. Nur sehr selten benutzte jemand diese eigentlich völlig intakten Sanitäranlagen der Kammerzofe. Vor wenigen Jahren war dort nämlich mitten im bunten Treiben einer wilden Partynacht irgendjemand ums Leben gekommen, was jedoch tatsächlich nur kurz für Schlagzeilen gesorgt hatte. Isabels Skrupel bezüglich solcher Geschichten hielt sich grundsätzlich in Grenzen und so saß sie nun auf dem zugeklappten Klositz einer der Toiletten. Sie hatte die Augen geschlossen und lauschte in ihre Umgebung hinein.
Beben Beben Beben, es bebte in Isabels Brust und: Erdbeben auch im Kopf und: Spieß mal nicht so rum ey, wir wollen nur was erleben! Ständig: Erleben Erleben Erleben, das nackte: Erleben! Ständig was Erleben, ständig ein: Erdbeben. Beben Beben Beben! Es bebt ständig im eigenen Inneren, ein ständiges Beben, denn man will ständig was: Erleben. Dauernd nur Beben und auch von draußen dann, von draußen auch ständig: Erdbeben! Auch von draußen nur: Beben, zum eigenen Beben, das Beben von Drinnen und das Beben von Draußen und somit…
Um Isabel herum tobte und bebte es. Die harten Beats der Kammerzofe donnerten gegen die Wände, Lichter zuckten und Menschen brüllten. Ausgelassenheit und Irrsinn bestimmten hier das Dasein. Alles tanzte und tobte, Gelächter, Geschrei und Geschwindigkeit in allen Ecken.
Doch Isabel fühlte sich in diesem Moment tatsächlich so, wie als befände sie sich in der Mitte eines tatsächlichen Wirbelsturms. Wie ins Auge eines Wirbelsturms platziert, nahm sie zwar alles um sich herum wahr, doch tatsächlich kam nichts mehr an sie heran. Nichts erreichte Isabel mehr und irgendwann…
Wie Franz Biberkopf: Herankommen lassen! Herankommen lassen, herankommen lassen, herankommen lassen… Man darf Dinge nicht einfach: Abblocken. Man muss sie: Herankommen lassen! An sich herankommen lassen! Kommt heran, liebe Dinge, es ist schön euch zu sehen, euch, diese Dinge, diese Dinge, die da sind: Stress Stress Stress, Arbeit Arbeit Arbeit, noch ein Auftrag, noch ein Krisenherd, noch ein Ding und noch eins und wenn man schon richtig voll ist, mit vollem Bauch, ganz aufgedunsen steht man da und man wiegt schon zig Tonnen und dann… Dann bricht auch noch die Brücke, auf der man steht und… So ist das manchmal im Leben und was macht man dann, was macht man dagegen? ??? HERANKOMMEN LASSEN!! Lass alles geschehen! Der Stress, die Probleme und der Stress und die Probleme, begrüß alles, aber lass sie dann auch wieder gehen. Sei nett und sag einfach: Hey, schön euch zu sehen… Aber dann wende dich ab und mach einfach weiter und…//
Isabel spürte, wie sich ihr Herzschlag langsam beruhigte. Endlich begann alles ein wenig ruhiger zu werden. Isabel wurde ruhig und ganz gelassen. Endlich fühlte sie sich angekommen und so fand sie es auch an der Zeit, dieser Nacht einen Startschuss zu geben. Isabel griff in ihre Hosentasche nach dem mitgebrachte Säckchen Koks. Sie verstreute eine gute Linie daraus auf ihrem Finger und dann…
PLÖTZLICH!! Wie vom Blitz getroffen! Isabel sackt in sich zusammen wie ein ausgeleerter Kartoffelsack… Sack Sack, Zack Zack und… Leise rieselt das Koks vom Finger zu Boden und auch das Tütchen: Flattert schwebend nach unten… Ja… Jaja… Alles schwebt nun, alles in der Schwebe, Isabel befand sich in der Schwebe und allmählich, ja ganz langsam: Hinweg. Hin und: Weg. Hinweg und: Weg weg weg. Die dumpfen Töne - Boom Boom Boom - von oben immer weiter weg, weiter weg, weiter weg, weiter weg, weiter weg und: Weg waren sie. Stille. Alles verstummt und: Shhh Shhh. Oh. Oh. It's, oh, so quiet - Shhhh Shhhh - It’s, oh, so still - Shhhh Shhhh - You’re all alone - Shhh Shhh - And so peaceful until:…
Berlin
Lektüre für heute… Willkommen zu einer audiovisuellen Lektüre, einer Lektüre die hier in transkribierter Form… Emre: Nimmt es über seine audiovisuellen Kanäle auf und all diese Aufzeichnungen, diese: Aufzeichnungen einer Kammerzofe, diese Aufzeichnungen einer Kammerzofe werden hier: In Form von Buchstaben und anderen Zeichen wiedergegeben. Es folgen also: Die Aufzeichnungen einer Kammerzofe! Sind Sie bereit? Na dann: Hit those lights (Top5s), sit back and: Enjoy… (Camera Rolling and: ACTION): Darkrooms voller notgeiler, einander penetrierender Männer. Lack, Leder and red cunts and sweaty bodies everywhere. Oh ja! Nicht nur: Die Gays und ihre Fetische, sondern auch: Frauen ohne Unterwäsche und mit weit geöffneten Körpereingängen, sowie Männer: Die da rein fahren, in diese Körperöffnungen. Oh ja! Natürlich auch mit dabei: Frauen die an den Körperöffnungen anderer Frauen rumlecken und dann mit den Fingern… Alle Fetische hier aufzulisten, würde wohl länger dauern als jede Partynacht in der Kammerzofe (und die dauert schon lang)… Also zurück und: Des Weiteren ist zur Kammerzofe noch zu sagen: Flacker Flacker Flacker. Unaufhörlich: Flackern, wie als würde jemand einen Regenbogen-Sirup bluten. Das Flackern durchzog die riesige Kammerzofe. Dazu, für die Ohren (Beilage, Draufgabe, Saufgelage): Boom Boom Boom. Frisch aufgetischt: Fette Beats kommen in dein Ohr wie Q-Tips! Lecker, dankeschön, wohl bekomm’s! Und die menschliche Innenausstattung: Frauen mit ihren Nippeln an der Frischluft, Vaginas und stramme Männerfelsen mit nackten Oberkörpern und durchschwitzen Hosen. Hie und da: Leder überm ganzen Kopf und in Ledermontur und mit Kette um den Hals, auf allen Vieren am Boden: Ein Fettsack mit üppiger Körperbehaarung und riesigen Hoden. Die Hoden: Willig preisgegeben und abgeschnürt mit einem schwarzen Lederband. Dieser Lederknäuel: Kroch vorbei und kroch dahin (einfach so). Das Motto der Kammerzofe: Fort und weg. Fort und weg vom: Da Draußen, vom Alltag, vom Normalen, von dem, was man immer hat, ein Ausbruch, eine Pause, das Leben mal kurz auf Pause und rein in die Sause, raus aus der Realität und rein in die Sause, mit Saus und Braus RAUS: Aus dem Leben und REIN: Ins psychisch-physische Erbeben. Raus und rein. Hin und weg. Weg von allem. Das Motto der Kammerzofe: Fort und weg. Fort und weg und das obwohl: Ein Hinweg, ein Zurück, ein Fort und Hinfort, ein auf Wiedersehen und Auf Bald, ein Rückweg, eine Rückkehr, also eine Rückkehr der Königin, ein Zurück, ein Rückruf, ein … Ein Zurück gab es an diesem Punkt nicht mehr…
Seitdem Musti und Emre an der Warschauer Brücke aus der U-Bahn gestiegen waren, hatten sich die beiden auf dem Weg von einer Bar zur nächsten die unterschiedlichsten Pillen mit wilden Alkohol-Shots in ihre Körper geschwemmt. Beider Geist war dadurch so sehr auf Hochtouren gebracht worden, dass Musti irgendwann plötzlich auf die Idee aufgekommen war, dass sie doch ihr Glück in der Kammerzofe versuchen könnten. Viel Überzeugungsarbeit hatte er bei Emre daraufhin nicht leisten müssen und schon bald hatten sich die beiden inmitten des Getümmel von besagtem Place-To-Be wiedergefunden.
Nachdem sie dann im wilden Treiben dieses Clubungeheuers ihre Körper in voller Ausgelassenheit zum Rotieren gebracht hatten, waren Emre und Musti irgendwann wie von einer Schneelawine mit körpereigener Lust überrannt worden. Wie zwei aufgescheuchte Hühner hatten sie dann nach einem halbwegs stillen Örtchen gesucht, um ihrer Lust freien Lauf lassen zu können. Dabei waren sie in jenem Kloraum gelandet, den bloß ganz selten jemand benutzte. Musti war willkürlich in eine der Toiletten gegangen, hatte dort den Deckel nach unten geklappt und saß nun da, während Emre ihm etwas zögerlich entgegen trat. Dieses Zögern seines Freundes völlig ignorierend fasste Musti kräftig nach Emres Hüfte und zog dessen verschwitzen Körper an sich heran. Musti blickte dann an Emre nach oben und sagte schließlich mit fast atemloser Stimme: „Ich will, dass du mir jetzt in den Mund spritzt, Wallah!“
So! Jetzt aber Schluss! Schluss mit lustig! Schluss mit all dem Zögern! Schluss mit dem sanft und sachte und zaghaft und einfühlsam. Christian Grey, Christian Gay, Fifty Shades of Gay… Jetzt gehts ans Eingemachte! Jawoll! Let’s Marvin GAY and get it on MOTHAFUCKA! Incoming: Genitaldüfte! Runter die Hose! Runter damit! Runter und raus. Runter die Hose und: Raus! Raus der steife Schwanz! Geil! Umfasst mit einer Hand. Die Eichel kurz geleckt. Leck leck lecker. Und dann rein das Teil. Rein damit. Rein bis tief in den Kreuzberger Rachen. Rein damit! Die Nase am Schamhaar und Schamhaar an der Nase! Herrlich! Beine weit auseinander, Feuersalamander! Kopf umfasst und immer tiefer rein. Der Schwanz in der fremden Kehle. Geil! Stöhn! Bang! Boom boom boom boom I want you in my room, let’s spend the night together, from now until forever. Fuck me, yeah! Oral-Fick! Geil! Big Spender, big Ständer. Bang bang into the room! Hodensack am Kreuzberger Kinn. Mega Hardcore Geil! Lutsch dran! Ja! Lutsch dran! Lutsch! Lutsch Baby! Hey! Yeah! Küsschen! Wallah!
BLN
ZOOM! KABOOM! Wo. Bin: Ich? ZOOM ZOOM! Shit! Where…? ZOOM! … ZOOM KABOOM! … ZOOM KABOOM und: KABOOM BOOM! KABOOM und: ZOOM KABOOM. ZOOM. Isabel. Where am I? Isabel. Isabel: Sie ZOOMT zurück. Welcome back bitch. The bitch is back, stone cold sober as a matter of fact. Also sober ist vielleicht übertrieben, aber auch das beste Rauschmittel verliert ja irgendwann: Seine Wirkung. Hat ja gewirkt und Isabel träumen lassen und… SHIT! Wo war sie? FUCK! Vollkommen hinweg gedröhnt hatte sie sich. Hinweg gedröhnt und jetzt sitzt sie da: In this fuking toilet stall, dieser verdreckten Kackbalkenkabine. Sitzt da und denkt sich: Ich muss hier raus. RAUS hier! Viel zu lange, ja, viel zu lange, länger als draußen in der Schlange, viel zu lange saß sie nun wohl schon da und jetzt will sie bloß noch: Raus! Raus und heim und raus aus diesem Haus, diesem Zofen-Haus, weg von all dem Drogenschmaus und heim, heim ins traute Heim und dort hinein ins Bettilein, fein! Fine. Everything will be fine. I’m fine. I’ll be fine, don’t worry! I’ll be fine! Isabel will bloß: Raus hier. Raus. Fine, aber raus! Bitte! Bitte raus! Lass mich raus! Raus Raus Raus!
Isabel griff sich in die Hosentasche. Vergebens! Das Handy lag zu Hause am Sofa. Sie hatte es dort liegen lassen, um sich vollends in die Arme der Kammerzofe fallen lassen können. Sie kniff die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen und fasste sich an den Kopf. Eigentlich schmerzte jener gar nicht, doch nichtsdestotrotz meinte Isabel in diesem Moment, diese Geste könnte irgendwie irgendetwas zurechtrücken. Was war geschehen? Eine Frage, eine recht einfache Frage, doch kam es Isabel so vor, wie als würde eine gesamte Universal-Enzyklopädie keine Antwort darauf zu finden vermögen. Wie spät war es? Da sie kein Handy dabei hatte, vermochte Isabel auch darauf keine Antwort zu finden.
Irgendwann stand Isabel auf und schüttelte sich. Es hilft nun nichts, dachte sie sich, es hilft nichts, sich zu fragen, was passiert war. Isabels Blick wanderte zu Boden und fiel dort auf das kleine Plastiktütchen und das verstreut auf den verdreckten Fließen klebende Koks. Warum…? Hatte sie vielleicht…? Anne empfand nicht das übliche Gefühl, das sie immer dann verspürte, wenn sie Koks genommen hatte. Wenn es nicht das Koks war, was… Alle Spekulationen von Neuem einfach von sich schiebend fasste Isabel nach der Tür und schob jene nach außen hin auf. Etwas zögerlich trat sie dann nach draußen. Nichts rührte sich. Niemand war zu sehen.
Isabel wollte bloß noch nach Hause und so peilte sie auch sogleich den Weg nach draußen hin an. Fast beiläufig huschte ihr Blick dabei über die übrigen Toiletten und irgendwann…
Shit! What the fuck? WTF! Where they from, Missy? No but seriously, FUCK! Fuck. Wo kam der denn her? Auf einmal: Da! Alles da da da. Also nicht gerade: Alle, sondern bloß: Einer, aber… FUCK. What are you waiting for, Isabel? Tick-tock on the clock but the party don't stop… OH YES, the party DID most certainly stop! It did most certainly stop! Aus und vorbei und jetzt: Verzieh dich endlich Isabel! Hau ab! Raus hier, hast du vergessen!? Raus raus und… Aber was machst du denn? Was machst du? Jetzt springt sie zurück ins Scheißhaus, die dumme bitch. WTF. Was willst du denn da drin? Fragen: Wohl umsonst, oder? Wohl: Kurzschlussreaktion, oder? Isabel hat: Den blanken Männerarsch… Oh ja, da links hinten in einer der Toiletten: Da steht einer und dieser eine: Hat die Hosen unten und zeigt allen: Seinen süßen Männerarsch! Egal jetzt: Ob süß oder salzig… Isabel sah das Hinterteil und: ZACK. Vor Schreck back to where she came from. This is what she came for. NO, most certainly not! Da kann Riri noch so sehr in ihrer Box herumträllern, aber dafür war Isabel sicherlich nicht hierher gekommen! Sicher nicht, um: In einer der Toiletten einzupennen! Nein, dafür war sie sicher nicht in die Kammerzofe gekommen!
Nachdem sie wieder zurück in irgendeine der Toiletten gesprungen war, stand Isabel nun da und lauschte angespannt nach draußen. Nichts war zu hören. Isabel rührte sich dennoch keinen Zentimeter weit. Erst nachdem sich auch nach ein paar weiteren Momenten nichts getan hatte, löste sie sich irgendwann aus ihrer angespannten Haltung und griff nach der Türschnalle. Zögerlich stieß sie die Türe dann einen kleinen spaltbreit auf und lugte vorsichtig nach draußen.
Blow-Job. Blow. Job. Job: Blasen. Der eine - oh ja, zwei sind’s. Zwei Kerle, doch der eine… Also einer steht aufrecht da und ist daher auch: Gut zu sehen. Doch der andere: Kaum zu sehen, weil: Auf den Knien. On his knees. Now he is down on his knees, alone in the dark. Also jetzt sieht ihn Isabel natürlich auch und sie erkennt ihn auch sogleich, erkennt ihn als Mann, denn: Er hat nicht nur ein steil aufgerichtetes Glied im Mund (Stoß stoß, rein da), nein, sondern: Er hat auch seinen eigenen Steil-Aufgerichteten in der Hand und: Massiert dran rum rum rum. Rum rum rum. Brumm brumm brumm. Was für ein versautes sausage-Kaboom… Und die Britin? Na wie soll die da jetzt je lebend raus kommen? Ach herrje, das hat jetzt gerade noch gefehlt, dieses Schwanzfest, oh dear! Es ist schließlich nicht die feine englische Art, zwei Jungs beim Blow-Job zu stören, oder?
West-Berlin
„Wie’ste jerade da jestanden hast!“, brüllte Benno und lachte dabei. „Wat hast denn jemacht, da jerade eben?“ Benno hielt seine Verlobte an den Armen umfasst. „Da haste jestanden, janz alleene und keen bisschen haste dich jerührt! Wat haste denn da jemacht?“
Es war natürlich wieder bloß Benno, der scheinbar die ganze Zeit hinter Anne gestanden hatte und gegen den sie soeben mit voller Wucht gedonnert war.
„Ick hab ja da hinten jewartet…“, sprach jener weiter. „Ick hab jewartet… Ick wollt ja, dass de dir wieder ’n bisschen ins Höschen machst… Aber dann…“ Benno lachte wieder. „Dann biste hierhin, mitten in dit Dunkel hier, da biste rin und dann hast da jestandn und…“
KNALL! Ein lauter: KNALL!! Bennos Lachen: Abgewürgt! Abgeschnürt und: Abgewürgt und… Ein paar Momente… Ein Moment, zwei Momente, drei, vier, fünf und… … … … Da war alles wieder! Wieder da, hurra! Der Tempel, der Lusttempel, die Garderobe, der Geruch, der Sex und: Nackt, nackt wie vorhin, die Frau, die Pobacken der Frau, die Pobacken der Frau am purpurnen Polsterbezug, Arm über der Lehne und den Blick nach hinten gewandt, wie als wäre es nie anders gewesen… Die Frau blickte zu Anne und Benno und… Nein… Nein… Nicht zu Anne und Benno, nix da, die Frau blickte, aber sie blickte nicht: Zu Anne und Benno… Die Frau blickte und sie blickte: Nicht zu Anne und Benno, sondern sie blickte: An Anne und Benno vorbei… Die nackte Frau blickte, sie blickte zu jemandem, ja, eine andere Person… Da trat jemand an diese Frau heran… Ein junges Mädchen… Langes, rotes Haar, gelockt, lange rote Locken und am Körper, schmaler Körper und an diesem Körper… Am schmalen Körper dieses jungen Mädchens: Ein weißes Leinenkleid… Ein hauchdünnes Kleid hing am schmalen Körper dieses jungen Mädchens und das Mädchen, ja, es begab sich neben die nackte Frau und die beiden fassten einander an den Händen und… Blickten sie zu Anne und Benno? Anne? Benno? Anne? Benno? Anne? Benno? Anne? Benno? Anne? Benno? Anne? BENNO?!?
Anne blickte an ihrer Seite nach unten. Benno kauerte da und zitterte am gesamten Leib. Anne wandte ihren Blick wieder zu den beiden Frauen. Nach wie vor hielten sich jene an den Händen gefasst und irgendwie sahen die beiden dabei so aus, wie als seien sie eine Mutter und ihr Kind. Die Gesichtszüge, das Lächeln, alles ähnelte einander, einzig die Hautfarbe war nicht gleich. Das Mädchen war blass, fast durchsichtig, während die Frau wunderschöne dunkle Haut hatte.
Letztere erhob sich. Sie ließ die Hand des Mädchens neben sich los und begann auf Anne und Benno zuzugehen. Anne blickte wieder zu Benno, denn jener hatte plötzlich wie ein furchterfüllter Hund zu winseln begonnen. Fast panisch krallte er sich nun nach Annes Hand und zugleich…
Winsel winsel winsel… Benno winselt, er winselt, wie als würde er gleich: Zur Schlachtbank und tschüss und weg und: Auf Wiedersehen! Benno tut so, als ob er: Kurz vorm Schlachter/vor der Schlachterin stünde und… Da kommt sie auch schon! Die Schlachterin! Was? Die Nackte! Die nackte Frau! Was will sie bloß, was…? Anne hält Bennos Hand fest umschlungen doch dann…
Ganz sanft legte die nackte Frau ihre Hand auf die von Anne und löste dann sachte Bennos zitternden Griff aus Annes kräftiger Hand. Benno winselte. Anne ließ dennoch geschehen, was soeben geschah. Zwar wusste sie nicht, was genau soeben vor sich ging, doch sie sah bloß dabei zu, wie die nackte Frau langsam wieder zu ihrem Stuhl ging und Benno dabei wie einen Hund mit sich führte.
Benno: Zitterte. Zitternd: Saß er bald da. Die nackte Frau hatte ihn auf ihren Stuhl platziert und… Wie als würde sie sich vorbereiten, wie zur Vorbereitung zog sich die Nackte einen bunten Morgenmantel über die nackten Schultern, sie bedeckte sich und dann wandte sie sich wieder zu Benno und dann… Sie legte ihre Hand auf Bennos Schulter und das Mädchen… Das Mädchen hatte unterdessen nach etwas gefasst, nach etwas, ja, das Mädchen hatte hinter Benno… Auf der Anrichte mit dem Spiegel hinter Benno, da hinten hatte irgendetwas gelegen und das Mädchen, das Mädchen hatte danach gefasst und nun stand es da, das Mädchen stand da und… Und… Und Benno saß da und winselte, er winselte, wie ein Hund und: Winsel winsel und die beiden Frauen, Mutter und Tochter? Die beiden standen da und dann… Die Mutter nickte der Tochter ganz sanft zu und dabei lächelte sie, ja, die Mutter lächelte und dann… … … … ES WAR EIN MESSER!!! Das, was das Mädchen da in der Hand hielt, wonach es gefasst hatte, was es hinter Benno hervorgeholt hatte… ES WAR EIN MESSER!!! Die Mutter fasste nach Bennos Haar und… Die Finger der Frau vergruben sich in Bennos Haar und dann… Die Frau RISS BENNOS KOPF NACH HINTEN UND… WUSCH!!! ZACK! Bennos Kopf wurde: In den Nacken gerissen und ZACK… Freigelegte, gespannte Kehle… Bennos Kehle: Freigelegt, wie auf einem Präsentierteller, die Haut: Gespannt und… Noch ein Blick, noch ein Blick vonseiten der Mutter zur Tochter, ein Blick, noch ein Nicken, die Mutter nickte der Tochter zu und die Tochter…//
Mit einer schnellen Bewegung hatte das rotgelockte Mädchen Benno die Kehle aufgeschlitzt. Keinen Ton hatte jener dabei von sich gegeben. Blut war in alle Richtungen gespritzt und in dicken Strömen rann es nun blubbernd aus der riesigen Wunde an Bennos Kehle. Im Sterben hatte Benno die Augen weit aufgerissen. Nun hing sein gesamter Kopf wie das verdrehte Köpfchen eines toten Vögelchens nach hinten.
Anne blinzelte. Wärme begann sich von ihrem Bauch aus durch ihren gesamten Körper zu erstrecken und in ihren Hände begann es zu kribbeln. Sie senkte ihren Blick. Die ganze Zeit hatte sie wie gebannt nach vorne gesehen, dabei jedoch ihren Blick wie in eine endlose Leere verschwinden und vergehen lassen. Nun fühlte es sich so an, wie als würden sich ihre Augen wieder ihrer eigentlichen Funktion bewusst werden und im Zuge dessen wanderten sie an ihrem eigenem Leib nach unten und endeten dabei am heute Morgen so überlegt angelegten Outfit. Ein breiter Blutspritzer erstreckte sich über Annes bunten Pullover und reichte bis hinunter zu ihren Leggins.
Anne verschloss die Augen. Ein paar Momente lang stand sie dann einfach nur so da und rührte sich nicht. Eine gefühlte Ewigkeit verging. Erst irgendwann ließ Anne ihren Kopf wieder nach oben wandern und gleich darauf, ohne davor bewusst eine dahingehende Entscheidung getroffen zu haben, irgendwann schlug Anne die Augen wieder auf und sogleich…
Anne blickte in nichts anderes als in undurchdringliche Dunkelheit. Sie ließ ihren Blick in alle Richtungen wandern und während sie dabei nichts anderes erkennen konnte als diese alles verschlingende Dunkelheit, irgendwann wurde Anne bewusst, wie dringend sie eigentlich zur Toilette musste.
Berlin
Mehrmals hatte Emre geglaubt, irgendwelche Geräusche hinter sich gehört zu haben und deswegen war er auch mehrmals verschreckt zusammengezuckt und forschend nach hinten gefahren. Dabei war jedoch stets bloß sein Penis aus Mustis Mund gerutscht und so hatte Emre nun den Kopf weit nach hinten in den Nacken gelegt und genoss ruhig und still und unter immer inbrünstigerem Stöhnen die Penetration an seinem Gemächt. Musti lockerte gerade seinen Griff an Emres Penis und ließ seine Hand an der Innenseite von dessen Oberschenkel nach unten sinken. Als Emre infolgedessen das Gefühl in sich aufkommen verspürte, wie die Lust aus seinem Inneren immer mehr nach draußen drängte, schloss er die Augen und zog mehrmals tief Luft in seine Lungen, die er dann geräuschvoll wieder nach draußen blies. Als er daraufhin nach Mustis Haar griff und dessen Kopf fest in seinen Schritt presste, bemerkte Emre, dass seine Lust nun keine Grenzen mehr akzeptieren würde. Er stöhnte noch einmal laut auf, ließ dann Mustis Kopf wieder los und spritzte schließlich eine geballte Ladung Sperma in dessen arbeitsame Mundhöhle.
Laut und klar hörte Emre das Echo seines eigenes Stöhnens durch den gesamten leeren Raum hallen. Sein Herz raste und an seinen Schläfen pulsierte es. Von draußen donnerten die Beats der Kammerzofe in die Stille dieses Raumes. Menschen und deren Ausgelassenheit waren zu hören und irgendwie wunderte sich Emre darüber, wie er all diese Geräusche nun für eine ganze Weile lang einfach abzublocken vermocht hatte. Er holte tief Luft. Seine Augen behielt er dabei noch geschlossen und seinen Kopf nach hinten in seinen Nacken gelegt. Musti schien unterdessen offenbar nicht bemerkt zu haben, dass Emre seinen Höhepunkt bereits erreicht hatte, denn nach wie vor spürte jener dessen Lippen an seinem eigenen Penis. Emre schmunzelte. Er fasste wieder nach Mustis wuscheligem Haar und holte zugleich seinen Kopf aus dem Nacken wieder nach vorne und an seine vom eigenen Herzschlag dröhnende Brust. Die Augen weiterhin geschlossen spürte Emre, wie sich sein Atem allmählich wieder verlangsamte und sein Penis zu erschlaffen begann. Doch Musti schien weiterhin gar nicht daran zu denken, mit seiner Arbeit aufzuhören. Emre musste abermals lächeln.
„Musti!“, brachte er irgendwann hervor. „Musti, du kannst Schluss machen!“ Er schluckte. „Du kannst Schluss machen, Musti, du hast…!“ In diesem Moment schlug Emre die Augen auf und blickte an sich nach unten.
… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …BLUT SCHEISSE WAS ÜBERALL SCHEISSE WAS BLUT FUCK WAS ÜBERALL BLUT BLUT BLUT FUCK … Da rinnt’s dahin. Wie in Strömen. Der ganze Boden: VOLL! Riesen Lache! BLUT BLUT BLUT … WAS? Der Ursprung (des Bluts): Mustis Mund. Da drin, in der Mundhöhle… Da steckt ja noch immer der Penis drin. Hast du ja selbst da rein gemacht, Emre, also: Reg dich nicht auf! Calm down! Aw man, slow down. Ima give u somethin' dat you could hold down. NEIN NIX DOWN JETZT … FUCK RAUS DAMIT. RAUS den Pimmel! Musti hat: Die Augen nach oben gedreht. Augenfarbe: Nicht sichtbar, weil nach hinten gedreht und: Wie der Kreuzberger Körper da: ZUCKT. ZUCK ZUCK ZUCK. Mit überdrehten, unnatürlich überdrehten, bis ins Unnatürliche überdrehten Äuglein… So ZUCKT der gesamte MUSTI, noch immer mit Emres Pimmel im Mund. SCHEISSE WEG! WEG! WEG damit. Den schönen Charakterkopf Berlins: WEG! Entreiß ihm den Penis! Da fliegt er auch schon nach hinten: DER KOPF. Beide fliegen sie. Der Kreuzberger Kopf: Zur Kloschüssel und das unschuldige Furchtbündel: Stolpert rückwärts und PENG: VOLL auf den Fliesenboden. AUTSCH FUCK: Das tut weh. Aber: Der Kopf aus Berlin der macht noch viel mehr: AUTSCH bzw.: PENG! Der nämlich: PENG, nach unten auf die Fliesen und Schädelknochen: PENG, gesplittert! Dann: PENG nach oben… Hui da gehts rauf. Kurz schwebt der Musti in der Luft und dann das ganze Ding, der gesamte Kreuzberger, der ganze Körper mit vollem Tempo: PENG, gegen den Kackbalken - das freut die Wirbelsäule, die jetzt: PENG, in dem Wirbel durcheinander gewirbelt wird. Jetzt kann sie sich biegen: Diese starre Salzsäule aus Wirbeln. Sie biegt sich und biegt sich und biegt sich und biegt sich, biegt sich und: ZACK! Da PLATZT der Bauch auf und schon zappeln sie hervor: All die lieben Eingeweide. Unverdautes aus dem Darm: Ist auch dabei. Muss ja. Ich muss mal. Hände hoch! Komm schon. HOCH! HOCH die Arme - Mustilein streck dich, Mustilein reck dich, Mustilein leck mich - NEIN, jetzt: Musti REISST die Ärmchen hoch! REISST sie hoch und dann… Eins muss noch PENGEN: Ja, eins noch und zwar: Der Unterkiefer. Der muss noch PENG und: RAUS. PENG und RAUS aus der Halterung, das unnütze Ding! RAUS aus dem Schädel den ollen Unterkiefer. Und wie das schöne Blut da durch die Gegend spritzt. Der Musti: So schön, da ist sogar das Blut schön. Und das ergießt sich überall hin. BLUT SCHEISSE WAS ÜBERALL SCHEISSE WAS BLUT FUCK WAS ÜBERALL BLUT BLUT BLUT… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … WAS!?
Emre war nach hinten gesprungen. Auf dem vom Blut klitschnassen Fliesen war er ausgerutscht und ziemlich unsanft auf sein Steißbein gestürzt. Nun zappelte er in der riesigen Blutlache umher, versuchte aufzustehen, rutschte dabei jedoch abermals und schaffte es erst nach zwei weiteren Versuchen auf die Beine. Wie versteinert starrte Emre dann auf den bebenden Körper vor seinen Augen. Fleischfetzen flogen von Mustis Körper weg und mit scheußlichen Klatschgeräuschen an die Wand und rutschten dort eklige Blutspuren nach sich ziehend nach unten. Erst als Musti bzw. das was von dessen Körper noch übrig war, erst als plötzlich ein Arm von Musti weg und in Emres Richtung ausschlug, erst dann durchfuhr es Emre, wie als würde er in diesem Moment aus einem schaurigen Alptraum erwachen. Emre machte einen Satz nach hinten, zögerte dann noch eine Sekunde lang, schrie dann laut auf, machte erneut einen Satz und rannte los.
LOS! Emre. Will. Raus … LOS! Will raus, will raus, will raus raus raus. Raus, weg von hier! Weg! Bitte weg! Bitte bitte, aber: PENG! Aus dem Kloraum RAUS und PENG voll in etwas, gegen etwas, gegen etwas, nein, nicht gegen etwas, nein, nicht etwas, sondern: Jemand, gegen jemanden. Emre: RAUS und PENG: Voll gegen jemanden, gegen eine junge Frau, voll dagegen, voll gegen eine Frau, denn jene: Stand da, in rosa Plüsch gehüllt und mit blonder Perücke stand sie da, weiße Strümpfe und genauso weiße Platform-Schuhe, so stand sie da, mit buntem Zeug im Gesicht und Billig-Gold-Schmuck. So stand sie da und sah Emre mit ihren Augen an, sah ihn an, sah Emre in die weit aufgerissenen Augen, Emres Augen schrieen vor: ANGST, doch die junge Frau, die Frau lächelte bloß liebevoll, die Frau lächelte, sie lächelte und dann führte sie, sie führte die eigene Hand: An ihren Mund, dann küsste sie: Die eigene Hand und dann: Drückte sie diese Hand (mitsamt dem Kuss): An Emres Backe (etwas Blut klebte daraufhin an ihren Fingern) und dann…
Emre stieß diese Rosa-Plüsch-Frau von sich und begann zu rennen. Er rannte die metallene Wendeltreppe nach oben. Er rannte und rannte, durch unzählige Gänge und Türen, vorbei an Bars und Tanzflächen, auf denen sich Menschen wie in Ekstase drehten und wendeten. Emre rannte und rannte und achtete dabei auf niemanden, der ihm vielleicht im Weg stehen konnte. Emre rannte und rannte und um in herum tobte die Kammerzofe wie als würde morgen schlagartig das Ende aller spaßigen Dinge bevorstehen.
BLN
Mit voller Wucht prallte Isabel in eine junge Frau, die in seinem eigenartigen rosa Plüsch-Outfit aussah, wie ein Knallbonbon im Drogenrausch. Trotz des unangenehmen Aufpralls lächelte die Frau freundlich. Wie ferngesteuert hob sie in aller Ruhe ihren Arm und zeigte zur metallenen Wendeltreppe, die nach oben zum Ausgang führte. Augenblicklich rannte Isabel in diese angezeigte Richtung los.
Der Klorraum, den sie soeben zurückgelassen hatte, hatte wahrlich einem Schlachthof geglichen als Isabel aus jenem nach draußen zu entkommen versucht hatte. Mit zittrigen Beinen war sie durch das Meer aus Blut und Körperresten am Boden nach draußen getapst. Keinen einzigen Blick hatte sie in jene Toilettenzelle zu werfen gewagt, in der ein harmloser Blow-Job plötzlich mit einem schauerlichen Blutbad geendet hatte. Viel hätte dort ohnehin nicht mehr übrig sein können von jenem jungen Mann, der vor Isabels beobachtenden Augen wie ein Vöglein beim Taubenschießen in der Luft zerfetzt worden war.
Rutsch rutsch: Futsch, der eine: Futsch und hinfort, futsch und hinfort war der eine, nachdem der andere: Zerfetzt, in der Luft zerfetzt worden war. Isabel hat alles: Mitangesehen. Das Blutbad, sie hat’s gesehen, jawohl, sie hat’s gesehen und sie hat auch gesehen, wie dann der eine - also der, der ganz geblieben war (Warum eigentlich?) - dieser eine ist ganz geblieben und ist dann: Futsch und weg, hinfort und Isabel: Ihm sofort an die Fersen. Isabel: Hastete umher, sie hastete: Durch die Zofe, hastete: Wie panisch durch das Labyrinth der Zofe, hastete kreuz und quer, hastete, denn sie will, sie will: Den einen, den Ganz-Gebliebenen, ja, den: Will sie finden, den sucht sie, sie sucht ihn… Wo ist er!? So viele Menschen, Isabel sieht: In so viele Gesichter… Eingedröhnter Alptraum: Das eine Gesicht und das nächste: Verschwitzt und grinst, als Isabel ihm: In die riesengroßen Pupillen glotzt… So viele Gesichter, Gesichter und die dazugehörigen Körper, Körper, die noch immer: Rotieren, rotieren, sich wenden und drehen. Sich zu den Beats und dem Dröhnen, das Dröhnen der Beats in der Zofe, der Herzschlag der Zofe - All die Körper: Die großen und kleinen, die nackten und geschminkten, die glitzernden und zum Teil auch: Zerstörten Körper… All diese Körper, sie drehen und rotieren noch immer im Takt des Pulsschlags der Zofe… Alles dröhnt und vibriert, dröhnt und pulsiert, doch Isabel… Für Isabel ist alles stumm, verstummt und wie: Lautlos, auf lautlos gestellt ist für Isabel alles, denn sie will nur eins… Sie blickt in Gesichter, in so viele Gesichter: In gepiercte und junge, in alte und neue, in schöne und hübsche, dicke und dünne. Isabel sieht alles, sie hört nichts mehr, doch sehen: Kann sie alles. Alles sieht sie, nur den einen, DEN EINEN, sie findet IHN nicht! Blutverschmiert, sein Gesicht… FÄLLT EUCH DAS DENN NICHT AUF… Ein blutverschmiertes Gesicht gleich nebenan, doch in der Zofe: Juckt’s keinen! Hauptsache: Party! Alle rotieren, nur eine, die EINE: Isabel, sie gibt auf, findet IHN nicht und gibt auf, auf und raus, up and out, out an about, about: Blank, nein, about: Zofe, out of: The Zofe, raus will Isabel, out of here, get me out of here, put me out of my misery, Kathy Bates, please, let me out, let me out, let me out of here, please, let me out, let me out, let me out, let me out out OUT! GET OUT (Jordan Peele)!!
Kühle Luft schlug Isabel ins Gesicht, als sie ins Freie stürzte. Ihr Kopf rotierte. Für einen Moment dachte sie, dass sie erbrechen müsste. Doch in Isabels Magen befand sich nichts, was sie nach draußen brechen könnte. So würgte Isabel bloß und keuchte, während sie mit den Händen auf die Knien gestützt dastand. Ihr Herz bebte und ihr Atem pfiff und sogleich…
Wie als ob sie bemerkt hätte, dass fremde Blicke auf ihr lasteten, sah Isabel auf. Am Eingang vor dem Türsteher standen noch immer unzählige Feierlustige und einige von jenen hatten bereits ihre Augen auf Isabel gerichtet. Auch der Türsteher selbst schien auf Isabel aufmerksam geworden zu sein, denn er erhob sich von seinem Hocker und sah Isabel mit weit aufgerissenen Augen an. Jener gelang es nicht, sich diesem Blick sofort zu entziehen. Erst als der Türsteher plötzlich einen Schritt auf sie zumachte, wandte sich Isabel blitzschnell um und begann wieder zu laufen.
Fort! Hinfort! Einfach nur: Hinfort. Hin und fort! Hinweg! Weg! Weg: Von da! Weg! All die Menschen da am Eingang und überall sonst (auch drinnen): Alle glotzen sie. Perverse Schweine in dem Saustall da. Ein Junge: Von unten bis oben, überall voller Blut. Voll mit: Dem Blut, vollgespritzt mit dem Blut, dem Blut seines Liebhabers! Das Blut, das Blut aus dem Mund in den gerade noch: Sein Pimmel hinein gespritzt hatte. The boy covered in his lover’s blood: Allen egal! Who cares!? No one! No one, no one, no one tries to get in the way of what he’s feeling! Zugedröhnt und weggesprengt allesamt. So zugeknallt, dass sie gar nichts mehr bemerken - nicht einmal: Die arme, blutüberströmte Sau und das abgestochene Schwein am Klo. Na warte: Gleich werden sie zumindest das bemerken!
Isabel hastete weiter. Vom Eingang der Kammerzofe her erreichte sie das Geheul herannahender Sirenen. Isabel hastete jedoch weiter, weiter und immer weiter und irgendwann… Weiter! Hopp hopp! Stell dich nicht so an: Bitch. Unapologetic bitch, I am… No you’re not… Träum weiter. Ja, genau! Weiter! Weiter und: Immer weiter: Weg und immer weiter! Weg von: All dem fremdverschuldeten Scheiß. All dem Unsinn, der ihr ja eigentlich völlig wurst und zwar so richtig: Conchita sein konnte! Weg von da. Beweg dich, bitch! Move! Move bitch get out da way! Get out da way bitch! Get out da way! Move! Move! Change and move! Move in the right direction! One Direction. Boys! Nix da jetzt! Erection! Nein! Nicht: Jetzt! Hau lieber ab! Weg da! Komm schon! Endlich weg! Weg! Weg! Weg! Weg da! Auf Wiedersehen, mein Herr, Auf Wiedersehen sagt: Sally Bowles! Auf Wiedersehen! Auf Wiedersehen. Good bye. Tschüss und: Bye bye Berlin! Tschüss
West-Berlin
Mit einem Satz hatte Anne zum Sprint nach draußen angesetzt und nun rannte sie. Sie rannte und rannte. Bei jedem Schritt drang immer mehr Urin aus ihrem aufgebrachtem Körper nach draußen. Irgendwo würde sie wohl auf den Ausgang stoßen, dachte sich Anne und tatsächlich…
HA!! NEIN… Falsch gedacht! Hier: Kein Ausgang, bitte versuchen Sie es woanders… ANNE!! Hopp hopp! Hoppladihop! Na mach schon, hopp hopp, kehrt machen und… DUNKEL DUNKEL DUNKEL… Überall diese: SCHEISS DUNKELHEIT! MENSCH… Wo? Ach du scheiße! Wo gehts hier lang, wo geht’s hier: RAUS!! Aber das geht doch nicht, nein, nein, das ist nicht möglich, MENSCH!! Wie kann das sein und… SCHEISSE, wo geht’s hier: RAUS!?! Raus hier, nichts wie: RAUS hier! Wie komm ich: RAUS hier! Nur: RAUS hier! Ich will: RAUS! RAUS RAUS, denkt sich: Anne! Anne! Anne, ganz panisch in der Dunkelheit und… Anne will raus hier und… Wie war es möglich? Wie? Wie konnte das sein? Wie? Wie? Wie verdammt nochmal!? Benno und… Benno und diese zwei Frauen… Frau eins und Frau zwei… Wie konnte es sein… Sie sahen so gleich aus, doch waren sie ganz anders, wie war es möglich, zwei Frauen, so verschieden, aber dennoch: So ähnlich, fast gleich, fast wie: Mutter und Tochter, doch zugleich… Wie war es möglich? Die beiden und… Und… Und… BENNO!! BENNO!! Der arme Benno! Ganz arm! So arm und… BENNO!! Benno, wo bist du? Benno! BENNO! Was war: MIT BENNO PASSIERT!! BENNO!? BENNO!? Benno, was…
Beinahe über die eigenen Beine stolpernd stürzte Anne endlich ins Freie. Die nach wie vor glühend heiße Sonne brannte ihr augenblicklich ins Gesicht und wie messerscharfe Pfeilspitzen stach ihr die Helligkeit dieses grellen Lichtes schmerzhaft in die Augen. Anne hob ihren Arm vors Gesicht. In ihrer Brust bebte es, Schweiß rann ihr weiterhin über das Gesicht und zwischen ihren Beinen spürte Anne, dass ihre Leggins pitschnass waren. Mit ihrer Handfläche wischte sich Anne nun über ihre verschwitzte Stirne. Verschmiertes Make-Up klebte daraufhin am Ärmel ihres Pullovers. Mit einem tiefen Luftholen wanderte Annes Blick folglich über den Rest ihres Outfits. Ganz deutlich war an ihrem Pullover sowie an den Leggins nach wie vor ein tiefrote Blutspritzer zu sehen. Anne wollte schreien, doch fehlte ihr die Kraft dazu. Die Sonne heizte weiter auf die Erde hinab. Alles glühte, nichts rührte sich und nichts als dieses sengende Glühen des Hochsommers gab Anne eine Antwort auf ihr eigenes Dasein zurück.