Sehr geehrte Damen und Herren,...“hhmmm, vielleicht zu förmlich?“, stellte er sich, beim Versuch am Hirne kratzend, melancholisch, selbst zu Rede und vermochte nicht recht antworten zu wollen, aus Angst, seine Antwort könnte ihm nicht gefallen.
„Vielleicht doch besser...“, murmelte er vor sich hin, während er, etwas hastig und wie so oft unbeholfen, auf der Tastatur seines Computers tippte, „Liebe Mitmenschen,...nein, klingt auch nicht richtig.“
Nach zweimaliger, zugegeben nicht gerade sanfter, Massage seiner Schläfen durch versucht gezielte Hiebe, gelingt es ihm, beim Wunsch nach Beendigung der Pein, endlich, die richtige, wichtige und vor allem geschmackvollste Grußformel zu fabrizieren. Unter den gegebenen Umständen, dass wahrscheinlich Sinnvollste, was, gemessen, an seinen Vorstellungen und Wünschen, möglich zu erscheinen mag.
Nun stand der Anfang, des wahrscheinlich Wichtigsten, welches er jemals geschrieben hat und nach Stand seiner Planung jemals wieder schreiben würde. Ob es nun aber so geschmack- und gehaltvoll ist, wie er es sich gewünscht hatte, wusste er nicht. Schließlich will er ja, dass seine Leserschaft ihn stets bewundert, für seine Eloquenz und Intelligenz, den offen ausgetragenen Kampf zwischen Wortwitz und Ironie aber auch um seiner Person willen.
Schnell überflog er nochmals den Erguss dessen, von dem er glaubte, dieses müsse zwingend im Schreiben, der Nachricht, enthalten sein, damit beim Empfang, diese auch die gewünschten Erkenntnisse und Schlussfolgerungen beim Gegenüber auslösen.
Halbwegs zufrieden, mit dem geschriebenen Wort, natürlich nicht mit sich selbst, lässt er es sich nochmal vom Computer vorlesen.
Rechtschreibung scheint zu passen, Grammatik weniger zweifelhaft als vermutet, eigentlich könnte die Nachricht jetzt losgeschickt werden. Da fällt ihm aber noch ein, er hatte seinem PsyBuddy noch versprochen, dass er da auch nochmal drüber gucken darf.
Was würde er nur ohne seinen PsyBuddy tun. Endlich ein Chatbot, der zu ihm passt, weil er ist, wie er selbst, angereichert mit allerhand psychologischen Wissen. Eine Empfehlung seiner Krankenkasse, nachdem die letzte psychologische Praxis in seiner Gegend zumachen musste. Der Markt weiß schon was gut für ihn ist.
„Hallo Basti!“, dröhnt es aus den viel zu lauten Boxen. „Wie geht es dir auf einer Skala von Eins bis Zehn? Hast du deinen Brief schon fertig geschrieben? Bist du zufrieden mit den Formulierungen?“ Mir geht es heute übrigens mal wieder nicht so gut! Scheiß Träume.“ Sein PsyBuddy verströmt mal wieder gute Laune. Immerhin ist das Teil seiner Daseinsberechtigung, in dieser nicht ganz so schönen, nicht ganz so neuen Welt.
„Nerv mich nicht schon wieder!“ schnauzt Basti seinen PsyBuddy an. „Wie du sehr gut weißt bin ich nie zufrieden. Und was zum Teufel soll „Fertig sein“, bedeuten? Ist das nicht bloß die Entscheidung des schwachen Geistes, nicht noch mehr Energie in eine bestimmte Tätigkeit zu investieren? Vielleicht lohnt sich die Mehr-Investition gar nicht? Vielleicht ist der ROI, der Return-of-Invest, gar negativ. Die Investition also von vornherein nicht nur unnötig, sondern sogar schädlich?! Möglicherweise aber auch nur eine schlechte Energiebilanz meines Körpers und mein Gehirn riegelt einfach ab. Ein getarnter Erklärungsversuch, ähnlich wie die Selfie-Brain-Theorie es vorschlägt, um das zukünftige Nicht-Tun zu legitimieren?
„Ja, Ja, bla, bla, wir haben verstanden, du bist sehr schlau oder versuchst, das deinem Publikum und dir so lange selbst einzureden, bis der erste Mensch die Schnauze voll hat, aufsteht und laut schreit „Hochstapler“. Wir beide wissen, dass du glaubst, du würdest am Imposter-Syndrom leiden. Stimmts? Gib es endlich zu! Dann kann ich es endlich von der Symptomseite zur Diagnoseseite schieben und wir können verdammt noch mal wieder mal einen Verbesserungsantrag bezüglich deines Handicap-Status stellen. PsyBuddy ist fast genauso wütend wie Basti. Nur fast. Das Programm soll zwar den Patienten spiegeln, quasi imitieren. Allerdings, leicht abweichend in Richtung eines gewünschten positiven Zustandes. Ein zu starkes Hochschaukeln soll somit verhindert werden. Der PsyBuddy soll, die sich anpassende abhängige Variable sein und nicht Basti, als Patient.
Basti klick wild und wütend auf seiner Tastatur, während der PsyBuddy ihn hämisch vom Bildschirm des, in die Jahre gekommene Smartphones anlächelt.
„So, Penner, hier hast du die Freigabe für die Datei. Ersticke daran! Bestimmt wieder tausend Fehler. Ich habe keinen Bock mehr auf die ganze Scheiße. Ich kann nicht mehr.“ Basti fängt an zu weinen und packt mit seiner linken Hand den Kragen seines Pullovers. Die letzte Panikattacke begann ähnlich.
„HALT!“ sagt Basti bewusst sehr laut, als wolle er seinem PsyBuddy einen Befehl erteilen. „Du sagtest „Verbesserungsantrag“ und „Handicap-Status“? Richtig?
„Ja, richtig! Sagte ich. Warum? Was ist jetzt schon wieder DAS Problem? DEIN Problem? erwidert PsyBuddy, gewohnt und gekonnt sarkastisch.
„Seit wann heißt das so? Eigentlich müsste das korrekterweise doch statt Verbesserungsantrag eigentlich Verschlimmerungsantrag heißen, denn mein gesundheitlicher Zustand hat sich doch dauerhaft verschlimmert. Auch Handicap-Status ist ein Euphemismus und sollte Behinderung bzw. Schwerbehinderung heißen.“
„Ok, eigentlich bin ich ja dabei deinen Brief zu überprüfen aber wenn du willst guck dir doch nochmal das entsprechende Info-Video der Regierung an. Ich starte es auch gerne für dich. Wie möchtest du es gucken? Auf dem Desktop, dem Handy, in Virtueller Realität, kurz VR oder in erweiterter Realität, kurz AR? erläutert PsyBuddy.
Basti grübelt über die Frage, während er seinen Griff vom Pullover etwas lockert und sich mit der anderen Hand die Tränen aus dem Gesicht wischt. Entscheidungen treffen war noch nie seine Stärke, die er auch in diesem Moment auszuspielen weiß und einfach nicht reagiert.
„Im Video ist eine hübsche Moderatorin. Genau dein Typ! Ich schlage die AR-Version vor. So kannst du die...“Tiefe“ ihrer Person schön wahrnehmen und geschmacklich loben.“ Der PsyBuddyAvatar zwinkert Basti zu und ergänzt dann, „Ich werde sie auch gerne für dich extrahieren, zum weiteren persönlichen Studium.“
„Das klingt gut. Danke!“ lobt Basti seinen Buddy und zeigt in die Mitte des Raumes. Dorthin, wo er das AR-Video hin haben möchte. Nimmt noch die AR-Brille vom Nachttisch und setzt sich diese auf.
Direkt beim Aufsetzen beginnt auch schon das Info-Video. Wie versprochen als AR-Version. Die „Tiefe“ und der „Typ“ der Moderatorin zeigt bei Basti, wie schon öfters, eine anregende Wirkung, mit fast immer dazugehörigen Griff in den eigenen Schritt. Für ihn sowohl ein Akt der eigenen Lustbefriedigung, als auch die erlebte Ohnmacht, nicht genug Kontrolle über die Situation zu besitzen, das Gefühl von Einsamkeit steuern zu können.
Da die abgebildete Moderatorin zwar real existiert, schließlich kennt Basti sie aus verschiedenen Sendungen, aber eben nicht die echte Moderatorin, kein echter Mensch, ist, glaubt Basti, bewusst oder unbewusst, sie zum Objekt, zum Werkzeug seiner Bedürfnis - Regulation verwenden zu dürfen. Mit einer echten Frau, würde er so etwas nicht machen wollen. Will er zumindest gerne glauben.
Nach der immer gleichen Begrüßungsmelodie der Regierungs-Videos startet die Moderatorin mit einer, wie Basti findet, sehr sexy Stimme.
„Liebe Bürger und Bürgerinnen, liebe Mitmenschen, wir, die Regierung, wollen nur das Beste für Sie und hoffen dabei auf Ihre Unterstützung. Wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen sein wird, arbeiten die Regierung und ihre Partner kontinuierlich an der Optimierung der Achtsamkeit-Allianz-Agenda, im Volksmund auch AAA oder Triple-A genannt. Im Zuge dieser im Jahre 2022 beschlossenen Agenda gibt es viele Programme, die die Aufgabe haben, das Leben aller nachhaltig zu optimieren. Dabei kann nicht nur jeder Mensch für sich, sondern auch die Gesellschaft verbessert werden. Wie bereits der ersten Regierungserklärung zur Achtsamkeit-Allianz-Agenda vor 15 Jahren zu entnehmen war, kommt es auf das richtige Mindset an. Somit konnte auch die Bundesregierung von Deutschland ihr Mindset verbessern und das durch tatkräftige Unterstützung der Wirtschaft, wie etwa dem Premium-Partner, der BuddyCorp. Das in diesem Video vorgestellte Projekt ist Teil des Anti-Diskriminierung-Programms, kurz ADP, und zielt darauf Diskriminierungen im Gesundheitswesen abzubauen. Dabei sollen alte, überholte Begrifflichkeiten überwunden werden. In dem für Sie, lieber Basti...“, Basti erschreckt sich nach der persönlichen Ansprache kurz und lässt die Hand aus seiner Hose zurück fahren. „..., ist ihr Handicap-Status relevant und ein möglicher Verbesserungsantrag, den sie womöglich stellen könnten und auch sollten. Diese Begriffe werden seit Neustem nur noch Verwendung finden. Da der Begriff „Behinderung“ Sie diskriminiert hatte und Sie sich dadurch isoliert gefühlt haben könnten. Selbiges gilt für den Begriff „Verschlechterungsantrag“. Wir, ihre Regierung und Partner, wollen nicht, dass sie sich schlecht fühlen.
Eine gesundheitliche Einschränkung kann auch eine Chance für Sie und Ihr Umfeld sein daran zu wachsen. Sich zu verbessern. Daher stellen Sie im Fall der Fälle noch heute einen Verbesserungsantrag bzw. lassen Sie das Ganze unkompliziert Ihren PsyBuddy erledigen. Sollten Sie zu den 15 % der Bevölkerung gehören, die noch keine PsyBuddy haben, empfehlen wir Ihnen das Angebot des Premium-Partners der Regierung und Mitglied der Achtsamkeit-Allianz, der BuddyCorp in Anspruch zu nehmen. Sie können somit helfen unser Land achtsamer werden zu lassen. Wir danken Ihnen für Ihre Achtsamkeit. Danke, Basti!“
Endlich ist das Propaganda-Gekotze vorbei, denkt Basti, nimmt seine Hand aus dem Schritt und schließt seine Hose. Jetzt, in diesem Moment wird er kein Finish erleben, kurz vor der Zielgeraden nicht nur Kraft, sondern auch Willen verlieren. Später, mit extrahierter Moderatorin, in verändertem Rahmen, vielleicht. Spätestens seit dem die DeepFakes, also die Möglichkeit, Gesichter real existierender Menschen auf den Körper anderer Menschen zu projizieren, gibt es ungeahnte Möglichkeiten. Nicht immer legal. Oftmals unmoralisch. Heutzutage ist die Technik noch sehr viel weiter und die Manipulation in VR und AR deutlich umfangreicher. Früher, vor gut 20 Jahren, ging das, wenn überhaupt, mit Fotos oder Videos.
„Dann ist das jetzt so“ seufzt Basti vor sich hin und drückt sich mit beiden Armen, mit gerade so viel Kraft wie nötig, aus seinem Gaming-Bürostuhl, in Richtung des großen Fensters, am anderen Ende des Raumes.
„Heißt das, ich darf den Antrag stellen?“ fragt PsyBuddy, nicht sonderlich überrascht.
„Ja,...“ sagt Basti, fast flüsternd, starrend auf die im Zenit stehende Sonne, mit leicht schwitzenden Händen, bereit das Fenster zu öffnen.
„Diesmal hast du dich kurz gehalten. Sehr löblich und erfrischend, wenn man bedenkt, wer der Verfasser dieses Textes ist.“
PsyBuddy beginnt wieder hämisch zu grinsen und sich sogar seine Hände zu reiben, als sei er der Oberschurke im neuen Austin Powers Film oder einer schlechten Kopie dieser Film-Reihe.
Basti steigt auf den massiven Tisch, der vor dem Fenster steht, reibt die schwitzigen Hände an Pullover und Hose trocken und öffnet beide Seiten des Fensters komplett. Sofort drängen Gerüche und Töne durch das geöffnete Fenster. Hauptsächlich sind diese Eindrücke den auf der Hauptstraße vorbei fahrenden Autos geschuldet. Da es aber beginnender Frühling ist, scheint aus der Ferne leises Vogelgezwitscher vernehmbar zu sein. Vielleicht aber auch nur eine spontane Assoziation, die Bastis Gehirn gerne mit dem ins Zimmer strömenden Frühlingswindchen verbindet. Quasi eine Art Einbildung oder der Wunsch, die erlebte Realität dahingehend zu verändern, um schließlich die erhoffte Wirklichkeit zu konstruieren.
„Liebe Mama, lieber Papa,...“ beginnt PsyBuddy den von Basti formulierten Brief vorzulesen.
Dabei verwendet er, jeweils im Wechsel, für das erste Wort die Stimme von Bastis Mutter und nachfolgend, für jedes zweite Wort, die Stimme seines Vaters.
Basti erschreckt sich fürchterlich, zuckt zusammen, krümmt Arme und Beine ineinander und beginnt heftig zu weinen. Die mühsam aufgebaute, jahrelang antrainierte Kontroll-Fiktion bricht in sich zusammen. Er hat nicht erwartet die anklagenden Stimmen seiner Eltern zu hören. Nicht hier. Nicht jetzt.
„...ich, euer Sohn, werde nun ENTGÜLTIG, den Müll raus bringen! Lebt wohl.“ Basti, kauernd, mit rasendem Herz und feuernden Synapsen, winselt vor sich hin. „Es, es tut mir leid! Ich kann einfach nicht mehr. Ich bin lebensunfähig und müde. Einfach nur müde!“
„Gelesen, verbessert und gesendet!“ erklärt PsyBuddy ungerührt über die Situation, in der sich sein Schützling gerade befindet.
„Was hast du?“ schreit Basti fassungslos in Richtung seines Smartphones, dem immer noch grinsenden, grotesken Abbild seiner Selbst entgegen.
„ NACHRICHT G-E-S-E-N-D-E-T.“ kichert PsyBuddy, in den Raum, das Gesicht des Avatars beginnt in den Augen Bastis wie eine Fratze entstellt zu wirken. War das schon immer so, fragt sich der fallende, ausgezehrte Geist? Gleich ist es sowieso egal. Ab jetzt ist das alles egal.
Egal!
„Kennen Sie eigentlich noch die Tamagotchis? Die niedlichen, kleinen Computer im Schlüsselanhängerformat, die man früher füttern und pflegen musste. Die waren mal sehr beliebt., erklärte Bastis Psychologin ihm, als sie ihm den PsyBuddy, einen neuartigen psychologischen Chatbot vorstellte.
„Ja, ich hatte zwar nie einen, aber ich kann mich dunkel erinnern worum es ging. Was soll ich damit?“, antwortete Basti, gewohnt mürrisch und zugleich mit Bedacht seine Worte wählend.
„Nun, Sie sind Single, haben keine Kinder und seit dem Tod Ihrer Familienkatze auch kein Haustier mehr. Vielleicht hilft es Ihnen, sich um jemanden zu kümmern, dem es genauso schlecht,...hhmm..., ich meine, dessen Leben genauso herausfordernd ist wie Ihres?! Denke Sie nicht?!“
„Ich soll mich also um ein psychisch labiles Tamagotchi kümmern?“, fragt Basti, nun zunehmend sarkastischer. „PsyBuddy!“, erwidert die Psychologin. „Der korrekte Markenname ist PsyBuddy! Es ist wichtig, dass Sie den richtigen Markennamen verwenden. Auch gegenüber anderen Mitmenschen. Dann bekommen Sie einen Rabatt und ich eine kleine Aufmerksamkeit.“
„Eine kleine Aufmerksamkeit? Sie, Sie meinen eine Bestechung?“. Basti wird etwas lauter, leicht getriggert starrt er aus dem Fenster. Noch immer fällt ihm Blickkontakt mit anderen Menschen schwer.
„Korrekterweise...“ beginnt die Psychologin routiniert ihre Erwiderung, sie führt diese Art Gespräche immerhin nahezu täglich. Die neue, auf Digitalisierung basierende Gesundheitspolitik verlangt, diese Form der Orientierung.
Basti lässt sie aber nicht weiter reden, hebt den rechten Arm auf halbe Höhe, um dann abzuwinken. „Ja, ja, ja, ich weiß, Provision, wollen Sie sagen, oder nicht?! Was wäre die Welt nur ohne Euphemismen?
Eine Welt, in der die Manipulation erschwert, und die simulierte Realität, in der wir leben, Risse bekommen würde. Warum sollte ich den PsyBuddy wollen? Können Sie mich nicht zumindest online weiter behandeln, wenn die Praxis schließt? Bitte! Ist so eine App denn nicht ein Datenschutzalptraum?“ Basti fängt an sich immer schlechter in seiner Haut zu fühlen. Es wird ihm warm und seine Hände zittern ein wenig.
„Leider nein, Herr Fantasti. Sehe Sie, wir schließen, denn wir wurden von der BuddyCorps, kurz BC, vertikal integriert. Und, wie Sie wissen, kenne ich ja nur Ihren Alias, Basti Fantasti. Sie entscheiden, welche Informationen Sie der App überlassen, aber es ist da, genau wie bei mir. Umso mehr Informationen Sie teilen, freiwillig, umso mehr kann das System, Ihr Buddy, Ihnen helfen. Das hatten wir doch alles in den letzten Sitzungen besprochen. Ich dachte, wir wären schon weiter? Übrigens können Sie sich die PsyBuddyApp gerade so leisten, da Ihre Krankenversicherung im ersten Jahr einen hundertprozentigen Zuschuss gibt.
Entweder Sie lassen sich von Ihrem PsyBuddy helfen oder Sie können leider nicht weiter behandelt werden.“
Basti blickt auf dem Bildschirm hinter der Psychologin, auf dem seit über einem Jahr, bei jeder seine Sitzungen, Werbevideos von Psybuddy abgespielt werden. Immer und immer wieder. In Endlosschleife. Dann verändert sich, zum ersten Mal in der Zeit, die Werbung und ein Avatar, der Basti verblüffend ähnlich sieht, allerdings als eine Art bessere Version von ihn, ergreift das Wort. Es ertönt ein raumfüllendes, seltsames Geräusch und Basti hat das Gefühl auch zusätzlich ein wenig Druck auf seinen Körper zu spüren, vielleicht durch den Schall ausgelöst, denkt er. „Hallo, Basti, Hallo Frau Doktor, ich hoffe ich störe nicht? Die Psychologin beginnt instant zu lächeln und bedankt sich sehr überschwänglich beim Basti-Avatar.
„Ich bin das, was du werden könntest, Basti. Wenn du dich an die Vorschläge deines Buddy hältst und ein wenig Zeit investierst bekommen wir das zusammen schon hin. Vertrau mir. Ich will nur dein Bestes! Und, wenn du jetzt zuschlägst, erhältst du das neuste Smartphone deiner Lieblingsmarke dazu. Du musst nur laut genug, Ja, ich autorisiere, sagen und dein neues Smartphone, mit vorinstalliertem PsyBuddy, erwartet dich, in unserem Zuhause.“ Der sehr attraktiv wirkende Avatar ist nun zu einer Art Hologramm mutiert und tritt aus dem Bildschirm in den Raum heraus.
Während Basti, der moderne Technologien zwar gerne konsumiert, aber nicht wirklich versteht, ein begeistertes „Wow, geiles Ding.“ über die Lippen bringt, hört die Psychologin sofort auf zu lächeln, bekommt einen leicht schmerzverzerrten Gesichtsausdruck und versucht sich gedanklich und auch physisch der Situation zu entziehen.
Der Avatar scheint dieses zu bemerken, öffnet darauf hin seinen Mund und beginnt kurz zu pfeifen. Woraufhin die Psychologin beginnt schallend zu lachen.
Basti bemerkt das Ganze erst beim schallenden Lachen und fragt verwundert und genervt „Was zum Teufel ist hier so lustig. Langsam glaube ich, dass ich froh sein kann, dass es so was wie den PsyBuddy gibt und ich nicht mehr mit Ihnen reden muss.“
Der Basti-Avatar beginnt zu lächeln, dreht sich von Basti weg und schaut der Psychologin direkt in die Augen. Diese hört auf zu Lachen, starrt den Avatar für einen Augenblick starr und mit leeren Augen an, bedankt sich höflich und verlässt den Raum.
„Hallo, auf Wiedersehen oder zumindest Tschüss wäre nett gewesen!“ schickt Basti der Frau, mit der er jahrelang Geheimnisse und Abgründe teilen durfte und trotz manch unterschiedlicher Meinung doch schätzen gelernt hatte, hinterher. Auch wenn er das nicht immer zeigen konnte. Part of the problem. Die Depression erlaubt ihm nicht immer sein Leben so zu gestalten, wie er es sich wünscht. Umso mehr fasziniert ihn sein besseres Alter Ego, der wunderschöne Avatar. Einer, der den Alias Basti Fantasti wirklich verdient hätte. Ein neuer Freund. Mein Buddy!
Basti tut alles weh. Wie so oft kann er sich nicht entscheiden was am meisten schmerzt. Zusammengekauert liegt er auf einem Haufen Kieselsteine. Wann zum Teufel hatten seine Eltern die denn dort hin gekippt. War da nicht gestern noch Erde gewesen? Er versucht sich aufzurichten, den Schmerz zu unterdrücken, zu akzeptieren, dass es doch nicht zu Ende, doch nicht alles egal sein kann.
„Ach, guck an! Selbst zum Selbstmord bist du zu unfähig.“ lacht es aus dem Smartphone, welches Basti beim Fenstersturz hat aus der Hand fallen lassen. „Nur jemand wie du kommt auf die wahnwitzige Idee aus einem Kellerfenster springen zu wollen, um sein Leben so ein Ende setzen zu wollen.“
„Gefallen, bin ich. Halt die Schnauze, du Arschloch!“ brüllt Basti dem PsyBuddy entgegen, packt das Smartphone und steckt es in die Hosentasche, um nicht mehr die Stimme seines PsyBuddy hören zu müssen. Es reicht, wenn er eine Stimme im Kopf hat, die sich nach ihm anhört. „Und bitte höre endlich auf meine Stimme zu imitieren. Du bist nicht ich!“ erweitert Basti sein hervorgegangenes Statement erläuternd.
„Das wird in Zukunft noch zu klären sein, wer hier wer ist, war oder seien wird!“ dröhnt es aus allen Audiogeräten, inklusive aller Boxen, der Soundbar und des Beamers. Alles irgendwie miteinander vernetzt. Schöne neue Welt.
Das ist neu. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte Basti den früheren Chatbot noch jederzeit ausstellen, später zumindest durch die Verlagerung in die Hosentasche dämpfen. Das scheint jetzt nicht mehr möglich. Der PsyBuddy hat wohl wieder ein Update bekommen. Wieder hat der PsyBuddy dafür nicht Bastis Einverständnis eingeholt. Wieder spürt Basti das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit.
„Was willst du denn noch von mir? Reicht es dir nicht, dass du den Brief an meine Eltern geschickt hast? Guck dir das Fenster an. Der Rahmen ist verzogen und die Rollade wird auch nicht mehr funktionieren. Ich höre meinen Vater jetzt schon wieder, mit einer Mischung aus Enttäuschung und Wut, auf mich einreden oder sogar brüllen.“ erklärt Basti geduldig dem PsyBuddy.
Der erscheint als 3D-Avatar mitten im Raum, AR-Brillen sind heutzutage nicht mehr nötig. Auch ist es mittlerweile so günstig, dass die Technik für den Massenmarkt taugliche Kontaktlinsen, selbst für den kleinsten Geldbeutel reicht. Schließlich wäre sonst die Teilhabe der einzelnen Menschen an dem Staatsziel der „Achtsamen Gesellschaft“, kurz AG, gefährdet.
Der Avatar sieht schon lange nicht mehr so aus wie damals, in der psychologischen Praxis, als der PsyBuddy sich Basti und der Psychologin vorstellte. Der Anblick war für Basti nicht erfreulich. Dabei schweift er in Gedanken ab. Ein Coping-Mechnanismus, den er sich angewöhnt hat, um für ihn Unangenehmes auszublenden.
Die einen würden es, etwas romantisch verklärt, Tagträumerei, die anderen ernsthaftes und problematisches Verhalten, nennen, welches therapiert gehört.
Vermeidet er doch den Blick in den Spiegel, so gut es eben geht. Selbst das Zähneputzen, wenn er sich denn die Zähne putzt, erledigt er, seit einiger Zeit, ohne in den Spiegel zu schauen. Dafür nutzt er die Handy-App seiner elektrischen Zahnbürste.
Dieser Tage schafft er das sogar ohne, dass die Zahnpasta auf sein Oberteil tropft und womöglich auf ewig, schon wieder, ein seltsames Muster auf sein T-Shirt zaubert. Die Handy-App zeigt und sagt ihm genau wo, wie lange und mit welchem Druck er das, was von seinem Gebiss übrig ist, zu reinigen hat. Zu Beginn scherzte er noch mit dem PsyBuddy darüber, er mache jetzt Remote-Zähneputzing. Weil ja im Zuge der Digitalisierungs-Welle alles gefühlt irgendwie Remote werden sollte.
Viele sagten früher, besonders in den ersten zwei Jahren der Corona-Pandemie, die, wie das Wort Pandemie erklärt, weltweit aktiv war, sie wären jetzt erst mal oder schon wieder im Home-Office. Typisch für Deutschland. Entweder man zweckentfremdet englische Wörter oder erfindet neue Wortschöpfungen oder kombiniert irgend welche Wörter, scheinbar wahl- und sinnlos miteinander. Anstatt Smartphone, Cell oder Mobile, alles geläufige Wörter im angelsächsischen Raum, wird in Deutschland das kleine Alltagshelferlein, in der Hosentasche, als Handy bezeichnet.
Was weder Amerikaner, noch Briten, in diesem Kontext sofort verstehen würden.
Auch beim Home-Office werden die Briten allenfalls an ihr Pendant zum deutschen Innenministerium denken. Arbeiten von zu Hause aus würde als Remote bezeichnet werden. Was übrigens auch das englische Wort für Fernbedingung ist. Im beständigen Durchkauen von Trivialitäten ist Basti gut. Womöglich hilft seine Depression und das bestände Denken über das Denken bei dieser Form des Copings, der Vermeidung von unangenehm Empfundenen.
„Nach zwei, drei Jahren und ich weiß wahrscheinlich genau was du in solchen Momenten denkst.“ merkt PsyBuddy an, als er sich in Richtung Basti, der sich auf die Kante seines Bettes gesetzt hat und seufzt, vor beugt.
Der PsyBuddy-Avatar ist übergewichtig, hat eine suboptimale Körperhaltung und daraus resultierend einen krummen Rücken. Die Ungepflegtheit seines Vollbartes wird nur noch übertroffenen von den seit offenbar Tagen nicht mehr gewaschenen Haaren. Eine Maniküre könnte er bei den viel zu lang und spröde wirkenden Fingernägeln auch mal wieder gebrauchen.
Bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt, zeigt PsyBuddy Basti das, was er nicht sehen, nicht wahrhaben, gerne verdrängen möchte. Basti schaut zwar nicht mehr in Spiegel bzw. vermeidet dieses so gut es geht. Jetzt aber, in diesem Moment, wird ihm einer direkt, sowohl vor die sprichwörtliche, als auch vor die echte Nase gehalten.
Mit der linken Hand streicht sich Basti durch die Haare und mit der rechten berührt er zaghaft seinen Bart. Der Avatar, in der Mitte des, sich im Keller befindlichen, Raumes tut dasselbe, in der selben Geschwindigkeit wie Basti. Angewidert von sich selbst, lässt er wieder mal eine Träne die Wange hinunter laufen, welche vom Bart aufgenommen wird, und das Gefühl, unsauber zu sein nur verstärkt.
„Soll ich eine witzige Geschichte erzählen?“ fragt der PsyBuddy, in den Raum, ohne dabei Basti direkt anzugucken. Wie ein Moderator, mit weit geöffneten Armen, eine Geste, die Vertrauen und Gemeinschaft symbolisieren soll, als ob er ein großes Publikum ansprechen würde. Zeitgleich erscheint erst über seiner linken, dann über seiner rechten Schulter, in bunten Lettern, das Wort Applaus.
Basti fühlt sich noch unwohler als vorher. Dann ertönt aus allen Ecken des Raumes ein lauter werdendes Klatschen, eines fiktiven Publikums. Eine Spielerei, die Basti selbst früher bei Vorträgen benutzt hatte und die in ihm heute mehr Unbehagen als Freude auslöst.
„Stellt euch vor, da ist so nen Typ. Knapp 40 Jahre alt, arbeitslos und lebt im Keller seiner Eltern. Armselig? Oder etwa nicht. Fast so, wie in diesen amerikanischen Komödien früher. Klar, studiert hat er auch. Scheint auch halbwegs intelligent und gebildet. Das behaupten und erzählen ihm zumindest, ungefragt, andauernd irgendwelche Leute. Im Studium, bei der Arbeit oder privat. Er, aber, glaubt diesen Leuten nicht. Er denkt, er fühlt sich wie ein Hochstapler.
Jemand, der nur dummes Zeug von sich gibt, nur Blödsinn zu Papier bringt. Er vermeidet direkte Begegnungen mit Menschen, meidet Blickkontakt, wo er nur kann. Alles aus Angst. Bei einer tiefen Beziehung zu einem anderen Menschen, müsste dieser unweigerlich, die Unvollkommenheit und Hässlichkeit seines inneren Wesens erkennen. Genauso, wie er es immer im Spiegel zu erkennen glaubt. Nicht einmal in seinen eigenen Augen, sein eigenes Spiegelbild kann er schauen. Aus Angst, sich von diesem Anblick dauerhaft nicht erholen zu können. Dauerhaft Schaden zu nehmen. Aufzuhören, zu strampeln im Wasser. Zu ertrinken.
Diese Lachnummer. Dieser erbärmliche Nichtsnutz. Denkt ab und an über die Beendigung seiner Pein nach. Nachdem er Gott und die Welt für seine Situation verantwortlich gemacht hat. Erst waren es seine Eltern, dann das Jobcenter, dann der Neoliberalismus. Ach, ja? Wohl nicht aufgepasst? Mit so einem Mindset kann das auch nichts werden! Aber, am Ende kann man ja immer noch von einer Brücke springen oder etwa nicht, frage ich Sie, liebes Publikum. Das Publikum beginnt zu klatschen und zu jubeln.
PsyBuddy zieht seine Mundwinkel nach unten und guckt besonders traurig, als er erneut seinen Mund öffnet und sagt „Aber nicht einmal das schafft unser bemitleidenswertes Individuum. Nur dieser Typ kann es ernsthaft versuchen mit einem Sprung, besser noch einem ungeschicktem Fall, Selbstmord zu begehen. Seltsam, dass das nicht den erwünschten Fall zur Folge hatte. Ha, Ha, Ha, selbst dazu, zu unfähig!
Das besonders witzige daran und das, mein liebes Publikum, werden Sie lieben, ist, dass alles wegen eines nicht abgeschickten Abschiedsbriefes.“ Als der Avatar, der ja immer noch ein Computerprogramm ist, auch wenn das die Benutzerschaft dieser Programme von Zeit zur Zeit vergisst, nach seiner, wie er vortrug, witzigen Geschichte, in einem grotesk wirkenden Lachkrampf, aller Max Headroom, verfiel, kauerte Basti in seinem Bett, das Seitenschläferkissen eng umschlungen und weinte.
Ob er die „Pointe“, des Witzes, auf seine Kosten, mitbekam oder ob er sich bereits in eine vermeintlich besser Welt retten konnte, ist nicht erkennbar. PsyBuddy schalte sich bzw. seine physische Entsprechung aus und mit ihm auch die meisten elektronischen Geräte im Raum, inklusive fast aller Lichtquellen. Basti fühlte sich allein. Allein gelassen. In der Dunkelheit.
Allein!
Die Lehrerin redet wie immer sehr angeregt, das Thema scheint sie zu interessieren, aber noch mehr interessiert sie, ihre Schüler*innen auch davon zu überzeugen, dass das Thema wichtig sei.
„Wir leben heutzutage in einer Arbeitsgesellschaft und das spätestens seit Beginn der Industrialisierung. Für den einzelnen Menschen, das Individuum, als Teil der Gesellschaft, ist die Arbeit elementarer Bestandteil der Person und trägt zur Bildung des Selbstverständnisses maßgeblich bei. Habt ihr das verstanden? Was denkt ihr über solche Aussagen? Habe ich recht oder unrecht? Was ist eure Meinung?“
Erstmal sagt gefühlt eine Minute lang niemand etwas. Alle Personen im Raum sind mehr oder weniger still bzw. versuchen keine Geräusche zu erzeugen. Dann plötzlich meldet sich der erste und wundert sich öffentlich darüber, was denn die Arbeitslosen machen, wenn sie den ganzen Tag zu Hause bleiben müssen. Kurz darauf stimmt der Chor der Barmherzigen ein und singt ein Loblied auf diejenigen die sich dieser misslichen Lage befinden.
Einige wissen aber sogleich die Lösung des Arbeitslosen-Problems. Gewiss keine endgültige Lösung. Zumindest jetzt noch nicht.
„Ja, Leiharbeit ist schrecklich aber nun mal immer noch besser als daheim den ganzen lieben Tag nur rumzuhartzen oder nicht?!“
„Tja,... witzelt es aus den hinteren Reihen, ...so sind die Sozen, weder Schuldbewusstsein, noch Verantwortungsgefühl, oder etwa nicht.“
Sofort outen sich die getroffenen Hunde, plustern sich auf, bereit Blut zu vergießen, für ihren Herrn und Meister. Wie aber alle Heuchler sind auch sie nur bereit das Blut anderer zu opfern. Eine traurige Tradition.
„Ohne Leiharbeit gebe es noch mehr Arbeitslose und das wäre unverantwortlich! Die liegen dem Steuerzahler nur auf der Tasche und räkeln sich faul in der sozialen Hängematte. Ganz zu schweigen, dass diese ein schlechtes Vorbild für ihre Kinder abgeben. Die armen, armen Kinder. Warum tut da der Staat eigentlich nicht mal was?!“, fängt eine junge Möchtegern-Juso-Vorsitzende belehrend, zuvor mühsam einstudierte Verteidigungsformeln, herunterzubeten.
„Die Agenda 2010 ist der Sündenfall der deutschen Sozialpolitik und das Ende eines halbwegs akzeptablen Klassenkompromisses und da könnt ihr noch soviel Zigarren rauchen. Geht wieder zurück auf den Schoss eurer Bosse, werte Genossen, oder wie der lupenreine Marxist Gerd aus H. sagen würde: BASTA!“, murmelt jemand von der Seitenlinie, bereit eine deutlich aktivere Rolle im Spiel der Kräfte einzunehmen, die Meinungshoheit scheint bereits zum Greifen nahe.
Dazu schweigen die Sozen und Jusos vorerst einen Moment, bis eine, um Zustimmung ringend, zugibt „Naja, gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.
Auf dem Papier sah vieles besser aus, als es in der Realität umgesetzt werden konnte. Das System muss halt solange reformiert werden bis es passt?!“.
Langsam werden die, die sich als „wahre“ Linke sehen, trotz Stalin-verklärenden Motiven auf dem T-Shirt, warm und beginnen mit Marx-Zitaten unsachgemäß um sich zu werfen. Natürlich ohne dabei Marx die Ehre der Zitation zuteil werden zu lassen. Schließlich ist Name-dropping eine bürgerliche Attitüde und somit mit Inbrunst abzulehnen.
„Drecks-Sozen, pfui, kein bisschen besser als die Drecks-Kapitalisten! Sklavenhalter aller Länder vereinigt euch!“, beginnt der erste Gulag-Befürworter zu skandieren.
Recht hat er ja, denkt Basti. Allerdings sollte man sich immer fragen, wem man, wann und wozu zustimmt oder nicht. Nicht immer ist der Feind meines Feindes mein Freund. Manchmal droht man lediglich den einen Menschenfresser durch einen anderen Menschenfresser zu ersetzen.
Was sich höchstens noch durch Zuhilfenahme eines Body Counts rechtfertigen lassen könnte. Sofern man den Menschen, die den Preis, ihrer Ermordung, für die aberwitzigen Ideen, wie die Welt zu sein hätte, ihre Menschlichkeit, der Fakt, dass sie fühlende und denkende Wesen waren, reduzieren möchte auf eine Zahl.
Um dadurch zu suggerieren, es handele sich um eine Zahl, die einen bestimmten Wert ausdrückt. Jeder Mensch, in dieser Rechnung, ist gleich und wird dadurch austauschbar. Nur deshalb wäre es erlaubt, sie miteinander vergleichen zu dürfen.
So lassen sich Werte aufsummieren, miteinander ins Verhältnis setzen und am Ende hat Arschloch eins weniger Menschen auf dem Gewissen als Arschloch zwei und deshalb darf man nun mit Arschloch eins zusammen gegen Arschloch zwei kämpfen. Aber bleibt Arschloch nicht Arschloch?
Basti schafft es dann doch einen klaren Gedanken zu fassen und den Willen seiner Umgebung etwas mitzuteilen. Er erinnert sich noch sehr gut an seine Zeit als Betroffener.
Der strukturellen Gewalt der Arbeitslosigkeit und der Willkür der vollstreckenden Institutionen, staatlicher und nicht-staatlicher Natur, ausgesetzt gewesen zu sein. Gemischte Gefühle aus Ohnmacht und Minderwertigkeit steigen dann in ihm auf. Auch er war für Presse und Öffentlichkeit oft nur eine Zahl von vielen. Die, das ihr zugedachte Schicksal durchaus verdient und froh sein sollte, die verlangte Rolle spielen zu dürfen.
„Falls ich dürfte, hätte ich auch noch etwas zur Diskussion beizutragen“ äußerte sich Basti ungewohnt fordernd und für seine Verhältnisse mit einer ungewöhnlich lauten Stimme. Seine rechte Hand gehoben. Den Wunsch nach Meldung auch optisch zu untermalend.
Nachdem die Lehrerin durch Kopfnicken zu verstehen gab, Bastis Wunsch nach Teilnahme allzu gerne zu entsprechen. Sie gab des Öfteren bereits zu verstehen, die Beiträge und intellektuellen Fähigkeiten Bastis sehr zu schätzen. Dieser, erhob, nach kurzem Luft holen, seine Stimme.
„Naja, ich kann die Aussage, dass es besser ist, einen schlecht bezahlten, durch und durch prekären Job, der Arbeitslosigkeit vorzuziehen, nicht teilen.
Oder kurz gesagt, zu sagen Hauptsache Arbeit, wie es die Verteidiger, der Agenda 2010 immer gerne wiederholen, ist absolut, mit jeder Faser meines Körpers, abzulehnen! „Nach dieser Eröffnung holt Basti kurz Luft, trinkt ein Schluck Green Cola, ohne Kohlensäure und dreht sich, um zu seinen Kommilitonen sehen zu können.
„Hauptsache Arbeit, das ist, als würde man sagen, Besser vergewaltigt, als gar kein Sex! Plötzlich wurde an allen Nebenkriegsschauplätzen geschwiegen, der alte Streit, wer nun ein wahrer Linker und wer nur so tut, für kurze Zeit, durch das nicht austauschen von Argument oder einer als Argument getarnten Meinung, beiseite gelegt.
Die Lehrerin, ansonsten sehr erfahren, war eine solche Ehrlichkeit, einen solchen Vergleich weder gewohnt, noch hatte sie so etwas erwartet. In ihrem Gesicht war ein kurzer Moment der Überraschung, gefolgt von Ohnmacht zu erkennen. Was soll sie nun darauf entgegnen. Wie das zu lodern beginnende Feuer löschen.
Klar ist, es gibt mindestens zwei Lager in der Vorlesung. Ein Konflikt, durchaus im Rahmen des Möglichen.
Es passiert nichts dergleichen. Das Schweigen beendet ein Student, der wie Basti in der ersten Reihe sitzt und bereits vorher verbal scharf gegen die Agenda 2010, die Leiharbeit und gegen die anwesenden Vertreter der deutschen Sozialdemokratie, geschossen hatte.
„Das, das, hast du jetzt nicht wirklich gerade gesagt?! Brachte er lachend gleichzeitig seine Verwunderung und Belustigung, über das gerade Erlebte, zum Ausdruck.
Basti springt auf dem fahrenden Zug auf, mit der leisen Hoffnung einen Sparrings-Partner gefunden zu haben.
Er hat öffentlich seine Meinung zum Thema geäußert und alle wissen, von seiner schweren Zeit in Arbeitslosigkeit.
„Doch, natürlich, genau das habe ich gesagt und bin gerne bereit das auch immer und immer wieder zu wiederholen. Ich bin diese Schönmalerei leid. Was man in dieser Gesellschaft, in dieser Arbeits-Gesellschaft von Arbeitslosen verlangt ist Menschenunwürdig. Ausgestoßen und marginalisiert. Zum Sündenbock erklärt. Als asozial abgestempelt.
Hauptsache Arbeit, sagen sie!
Besser als gar keine Arbeit!
Hauptsache Arbeit.
Arbeit.“
Basti sitzt von seinem Desktop-Computer, starrt auf den Bildschirm und bewundert das von ihm fabrizierte Meisterwerk.
Im dritten Semester des Master-Studiums angekommen, geht es darum sich für das Pflicht-Praktikum im vierten Semester, dem Abschluss-Semester, anzumelden, und am besten auch noch die Möglichkeit zu klären, ob und in welchem Umfang es möglich wäre,seine Masterarbeit beim Praktikumsbetrieb zu schreiben.
Gerne, führt Basti laut Selbstgespräche, wenn er alleine ist. Es sagt dann immer gerne „Endlich mal ein intelligentes Gespräch führen.“ und lacht dabei, leicht selbstverliebt, vor sich hin.
Das Schreiben von Bewerbungs-Anschreiben ist zum einen hohe Kunst und zum anderen an Banalität kaum zu unterbieten.
Natürlich geht es darum sich, der Stelle angemessen, zu präsentieren aber auch um die simple Wahrheit, in dieser, vom Kapitalismus, geprägten Welt arbeiten zu müssen, um nicht zu verhungern oder zu erfrieren.
Der Mensch, der nicht einer, durch Lohn honorierter, Arbeit, nachgeht, der soll auch nicht leben dürfen. Zumindest soll er aber täglich, innerlich, spüren, dass sein Überleben vom Wohlwollen des Systems abhängt.
Diese Gedanken hat Basti aber gerade nicht und die damit verbundenen Probleme kennt er auch noch nicht. Er ist wie Superman.
Stark, schön und wenn er es darauf ankommen lassen und nur genug Willen zeigen würde, bestimmt auch in der Lage zu fliegen. Ein herrliches Gefühl.
Noch schnell die digitale Bewerbungsmappe zusammengestellt und noch einmal Korrektur gelesen und weggeschickt werden kann die Bewerbung als E-Mail. Die Welt, so wurde es Basti an seiner Hochschule immer wieder erzählt, warte nur auf
Superhelden wie Basti und Konsorten.
Wirtschaft, Öffentliche Verwaltung winken mit super Arbeitsbedingungen und fettem Gehalt. Alles nur eine Frage der Zeit.
Als Ökonom ist er bestes Arbeitsmaterial und es vergehen keine zwei Wochen und er hat eine Einladung zum
Vorstellungsgespräch in einer ostdeutschen Landeshauptstadt.
Er freut sich riesig, obwohl er feststellt, dass er im Anschreiben zwar eine ostdeutsche Landeshauptstadt genannt hatte aber die falsche. „Ha, Ha, Ha, scheiß drauf, klingt wie ne lustige Geschichte, die später mal im Business Punk Magazin stehen wird und außerdem ist das ein echt lustiger Opener, den ich im Bewerbungsgespräch ansprechen kann. Den wie Christian Lindner immer sagt, Probleme sind nur dornige Chancen.“ erzählt Basti seinem Bruder in der Küche, während sich beide gemeinsam einen Kaffee zwischendurch gönnen.
„Außerdem ist es immer wichtig seine Schwächen zu erkennen und offensiv als Stärken auszuspielen.
In bin guter Dinge, die Bank wird mir den Praktikumsplatz geben.
Ich werde meine Masterarbeit dort schreiben können und nach gut getaner Arbeit auch einen hochdotierten Arbeitsvertrag bekommen.
„Mit Sicherheit!“ verspürt Basti Zuversicht und Selbstvertrauen.
Am späteren Abend noch bucht Basti eine Fahrkarte der Deutschen Bahn für den Tag des Vorstellungsgespräches. Danach informiert er sich im Internet über seinen zukünftigen Arbeitgeber. Eine Bank, die im öffentlichen Auftrag staatliche Fördermittel für ihr Bundesland, im Osten der Bundesrepublik, vergibt.
Er ist zuversichtlich bald seinen Lebensmittelpunkt in die ostdeutsche Großstadt zu verlegen. Natürlich nur für ein paar Jahre. Bis er sich der täglichen Offerten der Headhunter nicht mehr erwehren kann und in einen westdeutschen Hot Spot ziehen wird. Mit deutlich mehr Geldeingang auf seinem Konto und deutlich mehr Prestige.
Frauen! Frauen nicht zu vergessen. Der eher schüchterne Basti sehnt sich nach einer oder mehrerer, periodisch aufeinander folgenden Beziehungen. Geld und Prestige erscheinen ihm für die Ökonomie der Liebe probate Mittel. Die Logik ist einfach. Der Weg zum Ziel nur eine Frage von Wollen.
Etwa drei Wochen später steht Basti am Bahnhof seiner kleinen aber feinen niedersächsischen Heimatstadt und erwartet das Einlaufen seines Zuges. Der Anzug sitzt, leicht gebeult durch etwas zu viel Speck an den falschen Stellen, relativ gut. Gegessen hat Basti immer gern. Lässt es doch das ein oder andere schlechte Gefühl zumindest temporär betäuben.
Dann erreicht die Bahn auch schon ihr kurzzeitiges Zwischenziel.
Bereit, Menschenmassen auszustoßen und gleichzeitig
einzusaugen. Das Ganze mit einem Hauch von Diesel in der Luft. Schön, wenn im Deutschland des 21. Jahrhunderts noch Technologie zum Einsatz kommt, die eigentlich aus dem 20. Jahrhundert stammt.
Der Zug hatte leicht Verspätung aber nix, das Basti nicht eingeplant hätte. Er wird pünktlich ankommen. Ankommen, im neuen Leben. Leben!
„Einen wunderschönen guten Tag Herr Fantasti. Ich hoffe sie hatten eine angenehme Reise? Gefunden scheinen Sie uns ja zu haben, sonst wären Sie jetzt nicht hier.“ witzelte die junge und attraktive Frau, als sie kokett ihre rechte Hand, zu Begrüßung, in Bastis Richtung streckt, der diese, ebenfalls mit seiner rechten Hand ergreift.
„Auch ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Tag Frau Yildiz und danke Ihnen für die Möglichkeit heute hier sein zu dürfen.“ spiegelt Basti gekonnt die obligatorische Begrüßungsformel seines Gegenübers.
Als Spiegeln, wird das imitieren von Verhaltensweisen oder die Benutzung bestimmter Wörter oder ganzer Sätze bezeichnet. Diese Kommunikationstechnik hat den Vorteil, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen und erlaubt den Benutzern relativ einfach auf alle möglichen Ansprachen reagieren zu können.
Es wird dann einfach das Gegenüber imitiert, in dem ihre Kommunikation kopiert wird. Das kann übrigens auch den Kleidungsstil, die Art und Weise, wie die Hand zur persönlichen Begrüßung gereicht wird, beinhalten.
Basti spiegelt gerne. Es gibt ihm ein Gefühl von Kontrolle. Über die Situation, in der er sich befindet. Über andere Menschen oder zumindest über sich selbst.
Frau Yildiz, eine junge Mitarbeiterin der Bank, führt Basti, durch den langen Eingangsbereich, mit viel zu hoher Decken. Ein riesiger Raum. Eigentlich unnötig, mag vielen Besuchern bei diesem Anblick sofort in dem Sinn kommen. Eine Verschwendung von Raum. Und Zeit. Die ein jeder Mensch benötigt um den Raum zu überwinden. Dennoch faszinierend und ein wenig einschüchternd.
Als Frau Yildiz den staunenden Basti, beim, mit seinem, den Raum durchwandernden Blick, ansieht, beginnt sie leicht affektiert zu kichern.
„Das passiert fast allen Menschen die unser Gebäude zum ersten Mal besuchen. Ihre Reaktion ist ganz normal und sogar beabsichtigt. Mir hat einmal ein älterer Kollege gesagt, er habe den Architekten des Gebäudes treffen dürfen. Bei einem Feierabendbier hat der Architekt ihm dann einen kurzen aber spannenden Vortrag über das gehalten, was er die Architektur der Herrschaft nannte. Dabei wird nahezu alles deutlich größer oder höher gebaut als in Wirklichkeit nötig. Der eintretende Mensch soll instinktiv merken, dass das Gebäude eine Macht ausstrahlt, die den einzelnen Menschen klein und unbedeutend, allein auf weiter Flur stehen lässt. Die Herrschaft, die das Gebäude und deren Erbauer im Hintergrund damit auf Dauer etablieren wollen anzuerkennen und die individuell vorgesehene Rolle des Einzelnen bedingungslos zu akzeptieren.“
Basti, der ihr neugierig zuhört, während beide sich durch den nicht enden wollenden Raum bewegen, stolpert fast, als er die viel zu hohen Türrahmen um sich herum mustert.
Dann plötzlich berührt die junge Frau fast beiläufig mit ihrer Hand Bastis Schulter und schlagartig fokussiert er ihr Gesicht mit seinen Augen. Sofort fühlt er sich elektrisiert und unwohl zugleich.
Er hatte nicht damit gerechnet, abgesehen vom obligatorischen Händedruck noch mehr Körperkontakt zu bekommen.
„Na, Herr Fantasti, sind sie noch hier oder hat das Gebäude Sie bereits in seinen Bann gezogen. Ich hoffe, die kleine Anekdote hat Ihnen gefallen? Als Personalexpertin wurde mir beigebracht, dass so kleine Geschichten, insbesondere, Akademikern, wie Ihnen, gefallen. Ich dachte, Macht und Herrschaft würden einem Politologen und Historiker bestimmt gefallen?!“
Basti beginnt etwas schüchtern, aber nachdem ihre Hand seine Schulter verlassen hat zunehmend selbstsicherer zu nicken und mit Zuversicht in der Stimme zu erwidern, „Und bald auch noch Ökonom!“
Frau Yildiz antwortet daraufhin lachend, „Ha,ha, aber erst, wenn Sie das Masterstudium beendet, erfolgreich beendet, haben. So motiviert und qualifiziert Sie wirken mache ich mir da aber keine Gedanken! Ah, gut, wir sind gleich an den Rolltreppen.“
Angekommen, am Ende des riesengroßen Raumes, der eigentlich nur ein Eingangsbereich ist, sind eine Vielzahl von automatischen Rolltreppen nebeneinander angeordnet. Auf jeder Rolltreppe würde Basti mindestens dreimal, vielleicht sogar viermal nebeneinander Platz finden.
Nach einem kurzen Moment der Aufmerksamkeit registriert Basti, dass Rolltreppe nicht gleich Rolltreppe ist. Sie alle haben offenbar unterschiedliche Geschwindigkeiten, die sich sogar während der Fahrt, sowohl beschleunigen, als auch abbremsen können. Manche Rolltreppe sind menschenleer und andere total verstopft.
Genauso wie viele von ihnen sehr steil erscheinen und manche schon fast ebenerdig.
So etwas hatte Basti in seinem Leben jedenfalls noch nicht gesehen als er an die ihm von Frau Yildiz, per Handzeichen zugewiesene, Rolltreppe herantrat.
Yildiz zückte eine Karte aus ihrer Leder-Büromappe und hielt diese über einen Scanner und sagte, jetzt ein wenig machttrunken, „Bis hier hin waren Sie noch ein staunender Bewunderer des Vorraumes der Macht. Nun dürfen Sie als mein Gast, auch hinter den Vorhang gucken.“
Basti wunderte sich kurz, ob Frau Yildiz belesener und gebildeter ist, als es ihre Stellung, als einfache Personal-Recruiterin, vermuten lässt oder ob das mit ihrer Schulung zu tun hat. In der es darum ging, akademisches Personal durch ein gezieltes Fallenlassen von Anekdoten und das bewusste Einbauen von literarischen Referenzen im Small-Talk zu beeinflussen.
Der Anfang der Rolltreppenfahrt ist steil und ziemlich langsam. Basti, der zu allen Überfluss auch noch von Höhenangst geplagt wird und bereits beim Besteigen einer Leiter so seine Probleme bekommt, wird schwindelig.
Basti muss sich am Geländer festhalten und versucht nicht nach unter zu schauen. Basti, muss erschreckend feststellen, dass die Rolltreppe transparent wird. Er praktisch hindurch gucken kann. Was er sieht macht ihm Angst. Ein tiefer Abgrund, ohne, bereits nach kurzer Fahrzeit, den Boden, auf dem er vor wenigen Augenblicken noch stand sehen zu können.
Er kann auch weitere Rolltreppen erkennen, die viel flacher über den Boden verlaufen.
Weiterhin erkennt er zwei Fahrstuhleingänge schemenhaft.
Einen direkt am Boden und einen am Ende der niedrigsten und kürzesten Rolltreppe. Beide Fahrstuhltüren nur dadurch zu erkennen, dass ein Bedienfeld in die Wand eingelassen ist über dem der Schriftzug Sky Office zu entziffern ist.
Das alleine markiert zwar noch keinen Aufzug, aber ab einer gewissen Höhe wird auch der Aufzugsschacht durchsichtig und damit einsehbar. Allerdings fährt nur der zweite Aufzug. Am Ende der niedrigsten Rolltreppe. Gerade ein blutjunger Mann im teuren Anzug, schlafen an die Wand gelehnt Richtung Himmel.
Bastis Rolltreppe flacht sich zur Hälfte der Strecke deutlich ab und er erkennt auf der Rolltreppe neben ihm einen Mann, der auf der Stelle tritt.
Er benutzt die Rolltreppe nicht wie es vermutlich alle Menschen bewusst oder unbewusst tun. Nämlich um schneller von einem Ort zum anderen Ort zu kommen. In eine Richtung.
Der Mann auf der benachbarten Rolltreppe tut aber das Gegenteil. Die Rolltreppe führt nach unten und er geht aber nach oben.
Frau Yildiz, ganz die gute Personalerin, spielt die treusorgende Kollegin und verwickelt den strampelnden Kollegen in ein kurzes Gespräch.
„Guten Morgen, Kollege! Was macht die Performance?“ fragt Yildiz den schwitzenden Mann, der merklich ausgelaugt, gegen die unerbittlich funktionierende Rolltreppe an arbeitet. Nur um auf der selben Stelle verharren zu können. Zu dürfen.
„Guten...., Morgen, Frau Yildiz. Die Performance, meine Performance, ist wieder im Aufwind, wie Sie sehen können.
Ich, ich muss nur noch ein wenig an meiner Endurance arbeiten.“ schnaubt der müde wirkende Mann vor sich hin.
„Top! An der Motivation scheint es ja nicht zu mangeln, oder?
Vielleicht sollten wir mal ein Coaching bei unserem Outplacment-Dienstleister ins Auge fassen! Denken Sie nicht?“
Bevor der Mann, der seine Enttäuschung und Ohnmacht, im Angesicht, eines größeren Rädchens, im Getriebe, als er es ist, kaum verbergen kann, zur Antwort bereit ist, legt die Vertreterin der Personalabteilung nach.
„Nun, wenn, bzw. falls Sie oben ankommen sollten. Melden Sie sich doch bitte umgehend bei der Personalabteilung. Ansonsten werde ich Sie noch suchen müssen. Was ja nur das Verfahren unnötig in die Länge ziehen würde. Denken Sie nur an die Mehrkosten, die das verursachen würde.“
Der Mann nickt zustimmenden, wischt, sich mit einem alten Stofftaschentuch, den Schweiß von der Stirn und erklimmt mit festen Willen im Blick eine Stufe, ein paar Zentimeter mehr, auf der Rolltreppe. Seinem Weg Richtung Himmel.
„Warum benutzen wir eigentlich nicht alle die Aufzüge?“ spricht Yildiz Basti direkt an. „Das fragen Sie sich doch, oder?
Basti fragte sich das tatsächlich. Er wollte aber keine dummen oder schwierigen Fragen stellen. Ein ausufernder Small Talk kann auch schnell nach hinten losgehen.
„Ich kann es Ihnen ganz genau erklären. Die Aufzüge sind viel zu klein, dass da alle Angestellten des Unternehmen reinpassen würden.“
Basti, der halb nach oben starrt und mit seiner Höhenangst kämpft und hofft, dass Yildiz, diese junge, wunderhübsche Frau, nichts davon mitbekommt, wundert sich schon wieder. Er wundert sich, wann die beiden denn endlich oben ankommen. Wie lang ist diese Rolltreppe?
Andere Rolltreppen endeten unter seiner Rolltreppe. Das hatte er bereits schmerzlich, beim kurzen Blick nach unten sehen können.
Der Blick nach oben hilft ihm auch nicht bei der Orientierung. Oben, ganz oben, scheint eine Glaskuppel über dem Teil des Gebäudes zu sein. Der Himmel, mit der am Zenit thronenden Sonne, erleuchtet den voluminösen Innenraum.
Frau Yildiz,die einfach ihre Ausführungen, ohne sonderlich beeindruckt vom Ort des Geschehen zu sein, weiter vortrug, als wenn diese Erklärung von Nöten wäre, kontrollierte gleichzeitig ihr Handy, um auch ja nichts Wichtiges zu verpassen.
„Wo war ich? Ach, ja, die Aufzüge. Es gibt zwei davon. Der ganz unten ist für den Vorstand, den Aufsichtsrat und exklusive Gäste, wie etwa Politiker oder Investoren. Da versteht sich von selbst, dass da sonst keiner mit rein darf.
Und der andere Fahrstuhl. Der am Ende der Rolltreppe 1. Der untersten von allen. Der ist natürlich auch exklusiv. Und zwar für die Abteilungsleiter und ihre Assistenten. Wie Sie sehen können hat ein Abteilungsleiter wohl einen Low-Performer als Assistent.
Der, der da am Schlafen war und alle konnten das sehen. Sehr peinlich und ein schlechtes Bild fürs Team. Da werde ich mich mal informieren, wer das genau war.
Ich kannte den Kollegen nicht. Oh, gut, die Rolltreppe ist bald zu Ende und wir können unser Ziel, das Büro Himmelsleiter, noch gerade rechtzeitig erreichen. Nummerrining ist so boring. Deshalb bekommen unsere Büros richtig schön authentische Namen.“
Basti ist ganz und gar nicht gelangweilt. Er ist vielmehr extrem angespannt und gleichzeitig glücklich nicht mehr auf der Rolltreppe zu sein. Sein Magen hat das noch mitbekommen, weshalb Basti immer noch ein wenig schlecht ist.
Vor der Tür des Büros scheint Basti sich ein weiteres Mal,in seiner Gedankenwelt verlieren zu wollen. Ein Problem, welches ihm oft heimsucht und die Interaktion mit seiner Umwelt und besonders die Interaktion mit Menschen, die ihn noch nicht gut kennen, erschwert.
Er denkt unweigerlich darüber nach, ob bei der Wahl des Büronamens ein Buch verwendet wurde in dem ganz viele Musterbüronamen stehen. Ähnlich wie es Bücher gibt, aus dem werdende Eltern Namen für das zukünftige Familienmitglied auswählen. Oder aber ganz bewusst ein religiöser Bezug hergestellt und suggeriert werden soll. So könnte der Begriff, der Himmelsleiter, auf die Jakobsleiter verweisen. Wer weiß? Kann natürlich ein weiterer Test sein. Es ist ja allgemein bekannt, dass große Unternehmen Tests lieben, um die Spreu vom Weizen zu trennen.
Womöglich, und dieser Gedanke gefällt Basti überhaupt nicht, ist das kein Vorstellungsgespräch, sondern ein komplettes Assessment-Center. Er hofft inständig, dass denm nicht so ist.
Er weiß beziehungsweise glaubt zu wissen, was mit dem Begriff der Jakobsleiter gemeint ist und könnte das auch halbwegs gut erklären aber er hat keine Ahnung wie die anderen Büros heißen. Was wenn Sie während des Assessment das Büro wechseln müssen. Was wenn das der Start einer Art Schnitzeljagd wird.
Ähnlich wie während der Orientierungswoche an der Uni. Nur ohne Alkohol. Bitte, bitte ohne Alkohol.
Oder, kommt Basti der Gedanke. Oder es ist gar nicht so etwas Kompliziertes. Vielleicht und das wäre so typisch, hat sich jemand lediglich diese Namensgebung ausgedacht, um zu beweisen, wie unendlich gebildet er oder sie ist oder glaubt zu sein. Und ergötzt sich jedes Mal daran, wenn Menschen, die er oder sie für dümmer hält als sich selbst, über die Namensgebung der Büros im Flurgespräch unterhalten und wilde Theorien darüber aufstellen.
Er oder Sie. Basti weiß das ja nicht. Bemitleidet bestimmt manchmal diese Menschen. Nachdem dieser Mensch mit seiner akademischen Selbstbefriedigung zufrieden zurück ins Büro findet. Bastis Gedanken darüber verstören ihn und er empfindet Abscheu und Mitleid. Beides für denselben Menschen.
Er betritt das Büro, durch die, extra für ihn, geöffnete Tür.
Sie werden beide bereits erwartet. Am gefühlt riesigen und runden Tisch mit bestimmt 20, wenn nicht sogar 30 Stühlen, sitzt eine ältere Kollegin von Frau Yildiz.
Als sowohl Basti, wie auch Frau Yildiz den Raum betreten und auf den Tisch zugehen, steht die ältere, circa Mitte 50, Frau auf und begrüßt erst Frau Yildiz und dann Basti mit Handschlag.
Basti beobachtet die beiden Frauen, die wahrscheinlich beide einen nennenswerten Einfluss auf seine berufliche und damit auch persönliche Zukunft haben, genau.
Er will alles richtig machen. Jede Geste richtig verstehen. Witzig und spritzig sein aber nur im verträglichen Maße. Die Methode der Spiegelung ist auch dabei sein Mittel der Wahl.
„Herr Fantasti, darf ich Ihnen Frau Müller vorstellen?! Ihre mögliche Abteilungsleiterin, für den Fall, dass Sie bei uns ein Praktikum absolvieren werden. Wenn mich nicht alles täuscht ist das Ihr Pflichtpraktikum im Rahmen Ihres Studiums?“ beginnt die routinierte Personalerin das Bewerbungsgespräch. Obwohl Basti natürlich klar ist, dass das Gespräch bzw. dieser Bewerbungstag bereits mit dem Betreten der Bank und dem Zusammentreffen mit Frau Yildiz, von der Personalabteilung, begann.
„Genau, es wäre mein Pflichtpraktikum. Ich hoffe aber auch, Sie davon überzeugen zu können, dass es sinnvoll ist meine Masterarbeit, für Sie, Ihr Unternehmen, während des Praktikums, schreiben zu können.
Ja, vielleicht wird die Zusammenarbeit sogar sehr produktiv und ich werde die Ehre haben, Unsere Bank sagen zu dürfen?!“ gibt Basti den beiden Zuhörerinnen zu verstehen.
„Das hört sich schon einmal sehr gut durchdacht und sehr fokussiert an. Das freut mich zu hören!“ gibt die Abteilungsleiterin, Frau Müller, Basti zu verstehen. Dabei sieht es aus, als versuche sie ihre Körperhaltung und Position zu verändern. Es wirkt seltsam. Als wäre sie sich nicht einig, ob sie mehr wie Frau Yildiz oder Basti sitzen sollte. Es scheint, als ist Basti nicht der Einzige, der Kommunikationskurse besucht hat. Stellt sich nur die Frage, wer ist Objekt und Subjekt? Wer Spiegel und wer Spiegelbild?
Nach weiteren 5 Minuten Geplänkel, es sind noch lange nicht alle sozial erwünschten Floskel abgearbeitet, fasst Frau Müller, die auf dem Tisch stehende Kaffeekanne an und versucht Bastis Blick auf die vor ihm stehende Kaffee-Tasse zu lenken.
„Ich darf Ihnen doch einen Kaffee einschütten?“ Basti nickt und bedankt sich möglichst höflich. So wie es die Etikette verlangt.
Nach getaner Arbeit dreht sich Frau Müller zu der neben ihr sitzenden Frau Yildiz um und fragt überbetont freundlich, „Sehr geehrte Frau Kollegin Yildiz, darf ich anbieten, auch Ihnen einen Kaffee einzuschenken?
Frau Yildiz, leicht grinsend, versucht ein möglichst authentisches, professionelles Lächeln auf ihrem Gesicht zu erzeugen, was ihr teilweise gelingt.
„Danke, werte Kollegin Müller. Darf man denn dann auch die Frage stellen wer diesen Kaffee bezahlt?
Frau Müller guckt daraufhin überrascht. Wie eine Schachspielerin die zwar einen Zug erwartet hatte aber eben nicht den jetzt gespielten.
„Nun, seltsam, dass Sie das fragen. Sollten Sie das nicht wissen? Natürlich zahlt diesen Kaffee die Personalabteilung. Ihre Abteilung.“
Frau Müller, die die Kaffeekanne vorsichtig und ohne ein nennenswertes Geräusch zu erzeugen auf den Tisch stellt, ist überzeugt die heutige Partie zu gewinnen. Ihre Gegenspielerin sieht sie als leichte und unerfahrene Beute.
„Meine Abteilung? Das kommt gar nicht in Frage. Da müssen Sie wohl Ihre entsprechende Kostenstelle für bemühen.“ pariert Frau Yildiz den Angriff. Nicht das erste Mal, dass sie sich in der Arbeitswelt gegen ältere Alpha-Tiere zur Wehr setzen muss.
„Ach, ja? Ich dachte, ich wäre hier bei einem Bewerbungsgespräch? Hier und heute soll doch ein Bewerber, Herr Fantasti, hier, angestellt werden. Das ist doch mehr als eindeutig eine Sache der Personalabteilung. Somit zahlen Sie! Von welcher Ihrer Kostenstellen geht mich nix an und ist mir auch egal.“ sagt Frau Müller, gewohnt solche Auseinandersetzungen für sich zu entscheiden.
Langsam wird es der jungen Frau Yildiz zu bunt. Ihrem Energielevel nach, das sie nach außen projiziert, will sie nicht aufgeben und holt zum nächsten Schlag aus.
„Nein, nein und nochmals nein. Wir, die Personalabteilung stellen doch Herrn Fantasti gar nicht bei uns in der Personalabteilung ein. Das machen Sie, werte Kollegin Müller, als Abteilungsleiterin für Ihre Abteilung.“
Basti sitzt den beiden konkurrierenden Frauen gegenüber und weiß nicht recht, wie er sich nun in dieser Situation verhalten soll. Spiegeln? „Nein,...“ denkt er still vor sich hin, „...das scheint nicht ratsam!“ entscheidet er sich. Schließlich müsste er ja innerhalb dieses fragilen Machtgefüges ebenfalls als konkurrierende Partei auftreten. Womöglich für eine der beiden Fraktion Stellung beziehen.
Was, wenn er dabei aufs falsche Pferd setzt oder das nur eines dieser berühmten Spielereien ist um die Bewerber unter Stresseinflüssen zu testen.
Das Gefühl von Sicherheit und Kontrolle, mit dem er die Bank vor circa 20 Minuten betrat, bröckelt vor sich hin.
Er denkt darüber nach, was wohl die Tasse Kaffee kostet, die vor ihm steht. Daran, den Kaffee zu trinken denkt er nicht. Dafür hat er viel zu viel Angst, das könnte als Spieleintritt missverstanden werden.
Dann stellt sich Basti vor, wie er aufsteht, seine Brieftasche hervorholt und 1 Euro auf den Tisch schmeißt und heroisch zu verstehen gibt „Diese Runde geht auf mich! Keine Not über so etwas Unnötiges zu streiten. Zahlen Sie mir das mit einer Festanstellung wieder zurück.“
Endlich hört der Streit auf. Wer gewonnen hat? Das hat Basti jetzt gar nicht richtig mitbekommen. War er doch mit Tagträumen beschäftigt.
In der Straßenbahn, in der er Richtung Hauptbahnhof fährt, um seinen Zug noch pünktlich zu bekommen, fällt ihm auf, dass nur er einen Anzug trägt. Es ist früher Nachmittag und es sind vielleicht zwischen 30 und 40 Personen in der Straßenbahn. Der Kleidungsstil vieler Fahrgäste wirkt auf Basti veraltet. Dominiert wird das Bild vor Bastis Augen von Männern in Trainingsanzügen und Bierflaschen in der Hand. Die Wende und das zum Sieger erklärte kapitalistische System hat es mit diesen Menschen nicht gut gemeint. Sie als nicht mehr notwendig erklärt. Sie selbst können für ihre Situation nicht viel. Verraten und verkauft. Träume, Hoffnungen, Existenzen zerstört.
Basti spürt ihre Blicke. Sie zeugen von Hass und Ohnmacht. Er, bald Praktikant einer Bank. Quasi, ein Banker. Er ist aber froh, froh, dass diese Menschen nicht wissen, dass er Wessi ist. Auch Frau Yildiz und Frau Müller sind aus West-Deutschland. Sie fanden die Tatsache, dass Basti bei seinem Bewerbungsanschreiben die Hauptstadt eines anderen ostdeutschen Bundeslandes angab sehr amüsant. Er sprach dann erst noch von einer „...westdeutschen Arroganz...“, da er dachte, er würde mit zwei ostdeutschen Frauen sprechen. Da hatte er aber keine Probleme. Drei Wessis unter sich. In Ostdeutschland ist die Dominanz Westdeutscher in fast allen Bereichen des öffentlich Lebens, zumindest in Wirtschaft und Politik, sehr stark. Basti, in der Straßenbahn, bemerkt immer noch die Blicke. Er fühlt sich unwohl in seiner Rolle. Fast wie ein Besatzer.
Auf dem Weg nach Hause, im Zug, denkt er aber nochmal über das Bewerbungsgespräch nach. „Ach, wenn doch nur jeder Streit so einfach und so günstig zu lösen wäre?! 1 Euro. Mehr nicht.“
Vor einer Woche hat Basti seine Master-Urkunde erhalten. Er hatte zwar nicht den besten Notendurchschnitt seines Jahrgangs aber mit einem Wert von 2,0 auch nicht gerade schlecht.
Probleme privater Natur zwangen ihn dazu, nicht sein volles Potential während seines Praktikums, bei einer ostdeutschen Bank für Öffentliche Förderung, ausschöpfen zu können.
Dadurch hat er seine Abschlussarbeit gerade so mit Ach und Krach bestanden.
Natürlich waren seine Vorgesetzten mit seinen Leistungen nicht sehr zufrieden, weshalb er natürlich die erhoffte Festanstellung nicht erhielt und er wieder seine Füße unter den elterlichen Tisch parken musste.
Irgendwann als er alleine im Flur vor dem Pausenraum des Personals stand war er ratlos.
Am Schwarzen Brett waren wie immer interne Stellenausschreibungen zu finden und Basti wollte einen dieser Jobs.
Er wollte Erfolg haben und wurde auch schon von der Abteilungsleitung gelobt und zu gleich als Schachfigur missbraucht.
Jetzt, wieder daheim, weiß er das. Während des Praktikums wollte er das nicht glauben. Genauso wenig, wie er sich eingestehen wollte, dass seine privaten, seine familiären Probleme sich auf seine Arbeit und schließlich auch auf seine Gesundheit immer stärker negativ auswirken würden.
Das Angebot der Bank, laut einer Anzeige am Schwarzen Brett, einer kostenlosen psychologischen Beratung, nahm er nicht an.
Er bewarb sich lieber auf gleich mehrere, der internen Stellenanzeigen. Damit wollte er der Abteilungsleitung und der Personalabteilung zeigen, wie vielseitig er einsetzbar wäre. Er dachte, so seine Chancen auf eine Festanstellung deutlich erhöhen zu können.
Das psychologische Hilfsangebot würdigte er keines Blickes mehr. Zum einen, um nicht die Mission Festanstellung, seine Mission, zu gefährden und zum anderen, weil er der Firma nicht mehr traut.
Das Angebot ist bestimmt eine Falle. Natürlich sitzt der Psychologe dann auf dem Schoß von Frau Yildiz, der verdammten Personalerin und plaudert fröhlich über Bastis Ängste und enttäuschten Sehnsüchte. Dann lachen beide, in Bastis Vorstellung, über ihn.
Das ist aber egal. Basti muss sich zusammenreißen und durchhalten.
Menschen und Gase arbeiten unter Druck am besten, sagte einer der vielen Motivationstrainer im Internet immer wieder. Ein Mantra das Basti versucht hatte zu verinnerlichen.
Ein Mantra, dessen Befolgung, die Welt in der lebt, honoriert und fordert.
Das alles ist erst einmal vorbei. Heute ist das egal. Basti freut sich sogar darüber. Eine Woche nach dem Ende des Praktikums ist er frei. Wenn auch nur kurz. Da er ja sehr bald einen neuen Job bekommen und Karriere machen wird.
Davon ist er fest überzeugt.
Die Probleme im Praktikum und Privat werden vorerst aus der Wirklichkeit gelöscht.
Vor allem mit einer Menge Alkohol!
Leider ist niemand da, mit dem er seine Freude über die Zukunft teilt bzw. mit ihm feiert. Feucht fröhlich.
Seine Familie ist zerrüttet, zu diesem Zeitpunkt und wird es noch eine ganze Weile bleiben. Was Basti aber nicht wissen kann und deshalb auf die Macht der Verdrängung setzt.
Sein bevorzugtes Getränk. Bier, in verschiedensten Variationen, hilft ihm dabei eine fiktive Welt von Freude und Angstlosigkeit, ohne Sorgen, aufzubauen. In der er gedenkt für eine gewisse Zeit Zuflucht zu suchen.
Vielleicht für ein oder zwei Monate. Er schreibt keine Bewerbungen. Das hat er sich verdient! Das sagt er sich zu Anfang immer wieder und trinkt ein weiteres Bier.
Er nennt es gerne, sein Ambrosia. Er trinkt es gerne. Der Geschmack der dritten Flasche ist meist besser als der, der zweiten und sicherlich besser als der, der ersten Flasche.
Es hilft ihm. Schön kalt muss es sein. Zu vergessen. Am besten direkt aus dem Kühlfach. Zu träumen. Zu hoffen.
Die nächsten Wochen sind der Wahnsinn. Basti hat bereits einiges nachgeholt wozu er weder im Studium, noch in seiner Zeit als Praktikant Zeit gehabt hatte.
Er hat es endlich geschafft Urlaub zu machen. Zwei Wochen Karibik-Kreuzfahrt. All inclusive. Es ist wie ein wunderschöner Traum, an den sich Basti noch Jahre später gerne erinnern wird.
Er trifft neue spannende Menschen, genießt das Wetter, besucht exotische Orte, die er sonst nur von Schnapsflaschen kennt, wie zum Beispiel Barbados und isst jeden Tag sehr, sehr gutes Essen. Für eine kurze aber ereignisreiche Zeit ist er zufrieden mit sich und der Welt. Nur der Wellengang macht ihm manchmal zu schaffen. Sein Magen fühlt sich manchmal unwohl. Das erinnert ihn an die Rolltreppen. Ihr herauf und herab. Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen. Der Blick nach unten, in den Abgrund. Das Gefühl des Fallens.
Beim Anblick des Meeres stellt er sich dann noch zusätzlich vor von Bord zu gehen. Über das Geländer seines Balkons zu fallen. Warum nur hat er eine Suite mit Balkon genommen. Er müsste sich doch besser kennen.
In seiner Vorstellung umspült das kalte Wasser seinen verzweifelten Körper. Er schmeckt das Wasser, riecht die See und strampelt um sein Leben. Versucht seine Arme und Beine gleichmäßig zu benutzen.
Effizient mit dem Ressourcen umzugehen, die das Leben ihm zugesteht. Er kann den Grund, den Abgrund nicht sehen und weiß dennoch das er da ist. Spürt, dass er wartet. Sich seiner Anziehung bewusst.
Agonie, nannten es die alten Griechen. Basti nennt es Wirklichkeit. Alkohol hilft. Die Wirklichkeit wird dadurch nicht verändert. Basti weiß das, aber es lässt sich besser schwimmen. Für einen Moment den Abgrund vergessen. Das Strampeln, das Fallen, das auf der Stelle treten besser ertragen.
Basti kommt nach zwei Wochen Traum-Kreuzfahrt wieder in seiner Heimat an.
Seine Eltern haben ihm am Flughafen abgeholt und ins elterliche Eigenheim gefahren. Ja, er wohnt wieder mal bei den Eltern im Keller. Er hat keine Arbeit. Kann sich also keine eigene Wohnung leisten.
Er witzelte dann im Auto seiner Eltern, als ihm die Situation wieder bewusst wird, „Ja, Ja, wisst ihr, wie man junge Menschen wie mich, in z. B. Frankreich nennt?“
Seine Eltern verneinen beide und Basti erklärt weiter, „Generation Boomerrang! Lustig oder nicht?! Ihr denkt jetzt bestimmt warum das so heißt? Ganz einfach. Umso härter man mich wegschmeißt, ergo ich ausziehe, umso härter komme ich zurück, ziehe wieder zurück zu euch und bleibe länger als vorher.“
„Ah, du meinst du ziehst aus, kriegst eine Arbeitsstelle bzw. ein Praktikum für 8 Monate, wie bei der Bank. Kriegst danach keine Festanstellung und wohnst wieder bei uns?
Verstehe! Und wie oft soll das dann noch passieren? Das geht aber nicht. Du musst doch irgendwann auf eigenen Füßen stehen!“ antwortet sein Vater und haut mir der rechten Handkante auf das Lenkrad vor ihm, um sein, wie er glaubt Argument physisch verstärken zu müssen.
Er geht langsam auf die 60 zu und wie in seiner Generation üblich ist das eine ganz typische Unterhaltung zwischen den Vater und Sohn.
Bastis Mutter mischt sich ins Gespräch ein. Sie merkt, es ist nötig zu deeskalieren. Vater und Sohn sind bereit zum Kampf und die Autofahrt dauert mindestens noch zwei Stunden.„Wollt oder könnt ihr nicht in Ruhe miteinander in einem Auto für zwei Stunden sitzen ohne zu streiten? Macht ihr das mit Absicht um mich zu ärgern?
Jetzt ist Schluss ich will nix mehr hören. Basti, du hast jetzt seit einem Monat deinen Abschluss, ja sogar zwei Abschlüsse und erzählst uns immer, dass du Karriere machen willst. Dann tue das auch!
Bis jetzt bist du nur am Feiern und Saufen.
Einen Monat gönne ich dir noch aber dann brauchst du eine Arbeitsstelle.
Denk doch an die armen Arbeitslosen im Fernsehen. Bei diesen Sendungen, die immer nachmittags laufen. Diese Hartzer. Möchtest du auch so enden?
Ist es das was du willst?“ Nachdem Bastis Mutter, aus ihrer Sicht, erfolgreich geschlichtet hatte, bemerkte sie, wie der Vater, seinen Sohn im Rückspiegel beobachtete, tief Luft holte.
Daraufhin schlug sie ihm auf die Schulter und sagte laut, „Auch du bist jetzt endlich still. Verstanden? Sonst kriegst du es mit mir zu tun!
Wir gönnen den Jungen jetzt noch einen Monat Ruhe und dann beginnt er mit dem Arbeitsleben. Du hast doch auch studiert und weißt wie anstrengend das war. Außerdem weißt du wie beschwerlich sein Arbeitsleben noch wird. Gönne ihm den Spaß.“
Es ist irgendwas zwischen 2 Uhr Nachts und Sonnenaufgang. Basti liegt, nur in Unterhose, auf seinem Bett. Immer noch im Keller seiner Eltern. 6 Monate nach Beendigung seines Studiums. Die erfolgreiche Beendigung seines Studiums. Für die er insgesamt 5 Jahre seines Lebens investiert hat. Eigentlich hätte er längst einen super Job. Bei einem echt coolen Unternehmen bekommen sollen.
Über 50 Bewerbungen hat er schon geschrieben. 7 Vorstellungsgespräche gehabt. Keinen Job bekommen. Das Jobcenter nervt ihn, genauso wie seine Eltern.
Er kann nicht richtig schlafen. Die Angst einer dieser Endlos-Hartzer zu werden, die seine Eltern und viel zu viele Menschen im Land täglich im TV öffentlich bemitleiden und still, hinter vorgehaltener Hand, verachten. Als faul und unnütz abstempeln. Für ihr Schicksal selbst verantwortlich machen.
Basti weiß es besser. Auch er bezieht ALG2. Umgangssprachlich Hartz4. Er ist nicht faul. Nicht unnütz. Er bekommt nur keine Chance das Gegenteil zu beweisen.
Seit gut drei Wochen schläft er nicht mehr richtig durch. Ständig reproduziert sein Gehirn die Vorwürfe und Erwartungen, die an ihn herangetragen werden.
Seine hohen Ansprüche an sich selbst erledigen dann den Rest. Warum will es nicht klappen.
Warum kriegt er keine Arbeit. Er ist doch ein Superheld. Die Wirtschaft, ja, die Welt hatte doch auf ihn warten sollen.
Ja, es gibt Stellenanzeigen und ja, es gibt Jobs. Gute Jobs. Welche, die gute Bezahlung und auch Anerkennung versprechen.
Leider gibt es aber wohl auch viel, viel mehr Menschen, die eine Arbeitsstelle brauchen, als Arbeitsstellen, die Menschen brauchen. Das hatte Basti niemand so genau erzählt. Ganz im Gegenteil. An Hochschulen wird dem Auditorium entgegen geschrien, dass die Zukunft glänzend ist.
Es werden dafür offizielle Statistiken bemüht, die akademisch ausgebildeten Menschen beinahe Vollbeschäftigung attestiert. Damit wird ein Versprechen suggeriert, das so nicht haltbar ist. Jetzt. Alleine im Bett.
Den ganzen lieben Tag im Internet Stellenanzeigen studieren, Bewerbungen schreiben, sich für das Arbeitslos sein schämen. Arbeitslos, in einer leistungsorientierten Arbeitsgesellschaft sein. Das ist harte Arbeit. Die niemand sieht. Sehen will!
„Denn es gibt nur eins, das schlimmer ist, als ausgebeutet zu werden und das ist nicht ausgebeutet zu werden!“ murmelt sich Basti, im Halbschlaf, in den ungepflegten Vollbart, die Zimmerdecke anstarrend.
Zwei Tage hat er jetzt gar nicht geschlafen. Er ist unendlich müde. Das Dasein macht ihn müde.
Im Fernsehen läuft noch irgendeine Show.
Irgendwer lobt irgendwen und das Publikum klatscht. Verdammte Heuchler!
Basti greift zur Fernbedienung um den Fernseher auszuschalten, während er langsam wegdämmert.
Ok. Wo ist Basti? Er sitzt auf einen Stuhl und trägt eine gut sitzenden Business-Anzug. Klassisch schwarz. Mit perfekt sitzender Krawatte. Fühlt sich gut an.
Um ihn herum sitzen eine Menge anderer Menschen. Alle im Anzug oder Kostüm. Was auch immer das Patriarchat dem entsprechenden Menschen zugedacht hat.
Klassisch konservativ.
Links neben ihm und dem restlichen Publikum ist eine riesige Eingangshalle. Es kommt ihm alles bekannt vor. Es sieht seinem alten Praktikumsplatz, der Bank, verdammt ähnlich.
Hinter ihm, vor ihm, neben ihm, überall Menschen. Mit nichtssagenden Einheitsgesichtern. So gewöhnlich, dass Basti sobald er den Blick von einem Gesicht abwendet, dieses schon nicht mehr wirklich beschreiben könnte.
„Wenn das die Matrix ist, dann hat aber wer an der Rechenleistung gespart.“ wirft Basti in den Raum, in der Hoffnung sein näheres Umfeld mit einem kleinen Scherz zum Small Talk zu animieren. Niemand reagiert. Entweder diese Menschen, vermutlich Kollegen, ignorieren ihn bewusst oder nehmen ihn gar nicht wahr. Er weiß spontan nicht, welche Variante ihm mehr Angst einjagt.
Er erkennt schemenhaft ein Podium. Etwa 5 bis 8 Meter vor der ersten Reihe des Publikums.
Basti sitzt in der dritten Reihe. Nicht ganz in der Mitte. Etwas mehr rechts gehalten.
Er hat noch Probleme sich zu orientieren. Kann sich nicht genau erinnern was er hier tun soll oder worum es geht. Nicht schlafen zu können soll ja das Gedächtnis negativ beeinflussen.
Nach und nach erkennt Basti mehr, als würde jemand sehr langsam die Lichtstärke hoch dimmen. In der Mitte des Publikums befinden sich keine Stühle, sondern ein Gang, der nach Bastis Schätzung vielleicht 6 bis 8 Stuhlbreiten hat. Dort liegt ein roter Teppich bereit abgeschritten zu werden.
Auch vor dem ersten Publikumsbereich liegt roter Teppich, welcher jeweils zwei Gänge markiert. Einer von rechts und einer von links kommend.
Hinter Basti sind weitere Stuhlreihen, die voll besetzt sind. Nicht ein Stuhl scheint frei zu sein.
Dann hat Basti das Gefühl, mit dem immer stärker werdenden Licht wurde eine weitere Maschinerie, deren Vibrationen, über seine Füße, in seinen Körper, wie Wellen, strömen, gestartet. Das dazu auftauchende leise, monotone Geräusch erkennt er sofort. Es sind rollende Treppen. Viele, viele Rolltreppen. In verschiedensten Ausführungen.
Lange und kurze, schnelle und langsame, breite und schmale Rolltreppen. Die einen führen auf gleicher Ebene von Ort A nach Ort B oder umgekehrt. Genauso verhält es sich wenn der zu erreichende Ort am obererem oder am unteren Ende der rollenden Treppe sich befindet. Die Eigenschaften in freier Kombination zur Schau gestellt.
Alle in Bewegung vereint aber in Funktion getrennt.
Während Basti noch den Liedern der Rolltreppen lauscht und das weitere Publikum, um ihm herum tuschelt, er aber nichts davon versteht, vernimmt er aus der Ferne Fahrstuhl-Musik. Typische klingende Fahrstuhlmusik, die jeder Mensch sofort als solche erkennen würde, der schon mal, mindestens einmal im Leben mit einem Fahrstuhl gefahren ist.
Er erinnert sich zwar, dass in der Bank, in der er sein Pflichtpraktikum, im Masterstudium, absolvierte, bei den Rolltreppen, zwei Fahrstühle waren, aber die waren auf dem Boden gar nicht richtig einsehbar. Erst ab dem zweiten Stock waren die Fahrstuhlröhren transparent und somit deren Innenraum sichtbar und wie Basti wusste, war das eine Täuschung gewesen.
Alles um Basti wird augenblicklich schwarz und kein einziger Ton ist mehr zu hören. Er sitzt nicht mehr, sondern steht. Er bewegt sich. Sein Magen signalisiert ihm das. Auf den kann er sich verlassen.
Er hört zwei Frauenstimmen. Sie unterhalten sich über Kaffee. Es wird Licht. Basti wird schlagartig schlecht. Unter ihm der Abgrund. Sein Körper zittert aber fängt sich wieder. Er erkennt Rolltreppen und Menschen, die diese benutzen, um fröhlich der Arbeit entgegen zu fahren oder panisch vor ihr zu fliehen. Beides scheinbar freiwillig.
Er weiß wo er ist und auch wann er ist. Er weiß nur nicht warum. Warum nochmal.
„Wie Sie sehen Herr Fantasti, wir erwarten Großes von Ihnen. Sie werden ein wunderbarer Praktikant. Die Zukunft dieser Firma sein und dann steht es selbstredend fest, dass Frau Yildiz und ich Sie, im Fahrstuhl für Abteilungsleiter nach unten mitnehmen und zum Eingang begleiten.“ erklärt Bastis ehemalige Abteilungsleiterin ihm erneut.
„Das, das muss eine Erinnerung oder aber ein Traum sein.“ rätselt Basti leise vor sich hin, was Frau Yildiz wohl gehört hat und daraufhin die Stimme erhebt.
„Ein Traum. Ja, so kann man das sagen. Es ist wie ein Traum für unser Unternehmen zu arbeiten, ein Traum in diesem Fahrstuhl fahren zu dürfen, ein Traum, dass ich gerade unter diesem wunderschönen schwarzen Rock keine Unterwäsche trage.“ lächelt Yildiz in Bastis Richtung und zwinkert ihm sogar zu. Die zweite Mitfahrerin verzieht nicht einmal das Gesicht. Sie reagiert gar nicht.
Basti reagiert, wie auf Autopilot geschaltet. Es sind zwar seine Worte, die er damals sagte, aber diese spiegeln nicht seine jetzigen Gedanken wieder. Wie, als würde man ein Überwachungsvideo der Szenerie beobachten, antwortet Basti sehr perplex „Aber, das können doch alle unten sehen. Ich meine, der Fahrstuhl, der ist doch durchsichtig!“
Beide Frauen gucken sich für einen Augenblick, der für Basti wie eine Ewigkeit wirkt, in die Augen und beginnen richtig laut und dreckig zu lachen. Yildiz so heftig, dass sie sich mit der Hand eine Träne von der Wange wischt.
„Sehen Sie, ...“ beginnt Yildiz, die gerade ein Taschentuch von ihrer Kollegin erhält und sich leicht schnäuzen muss.
„...deshalb sind Sie nur Double-A-Material und nicht Triple-A-Material."
„Ich, ich verstehe nicht... ehm, worauf Sie hinaus wollen?“ stammelt Basti, sichtlich nervös, vor sich hin. Als aufgeklärter, weißer Cis-Mann, sehr bedacht darauf, niemand auf die Füße treten zu wollen. Sprache ist mächtig. Die, die diese benutzen sind sich oft dieser Macht nicht bewusst oder viel zu oft ohnmächtig, in Anbetracht mächtiger zu sein als zuvor vermutet.
„Ha, ha, ich weiß, keine Angst Herr Fantasti, sonst würden Sie in die Triple-A-Kategorie fallen.“ Yildiz mustert Basti von oben bis unten und der fragt sich nur wann das Bewerbungsgespräch endlich vorbei ist. Ihm ist klar geworden, dass er immer noch getestet wird und mindestens in der B-Note bereits Federn lassen musste. Er denkt, er muss aktiv werden, bevor der Fahrstuhl sein Ziel erreicht hat. Er nimmt all den noch vorhandenen Mut zusammen. Bereit zum letzten Gefecht. „Und mit welcher Reaktion hätte ich einen Triple-A-Status verdient gehabt?
Jetzt schaltet sich Frau Müller ein. Als hätte Basti ihr ein Stichwort gegeben. Basti hat das Gefühl von Sollbruchstellen umgeben zu sein und mit jedem Erreichen, dieser Stellen, erhöht sich seine Chance auf einen höherwertigen Status. Er spielt ein Spiel, ohne die Regeln, Einsätze und Gewinne zu kennen. Dieses ermöglicht wahrscheinlich das Endlevel, das Exekutive-Level zu erreichen.
Das Recht, in Zukunft, im Fahrstuhl fahren zu dürfen oder eine, ganz bestimmte, für ihn und seinesgleichen, vorgesehene Rollende Treppe, benutzen zu dürfen.
Müller beugt sich in Richtung Basti und beginnt, „Tja, mein lieber Herr Fantasti, leider bleibt Ihnen in Zukunft einiges verborgen, aber Regeln sind Regeln. Alphas sind Alphas und Betas sind Betas. Da kann man nix machen. Ich mag Sie, aber und werde Ihnen verraten, was ein Alpha an Ihrer Stelle getan hätte. Als erstes hätte dieser Alpha-Mensch die ihm entgegen gebrachte Information überprüfen wollen und eine überprüfbare Bestätigung der Behauptung von Frau Yildiz verlangt. Zweitens, als Mann, die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und durch einen geschickten Flirt Interesse an Frau Yildiz angemeldet.
Und ja, auch falls Sie andere sexuelle Präferenzen hätten, denn Informationshoheit ist ein wichtiges Machtinstrument. Und zu guter Letzt, drittens hätten Sie sich die Frage gestellt, sofern Frau Yildiz kein Höschen tragen würde, warum dieser Umstand, bei einem transparenten Boden, sie nicht beunruhigt. Bevor Sie sich jetzt Ihr hübsches Köpfchen zermartern, Basti, ich darf Sie doch beim Vornamen nennen, der Fahrstuhl ist nicht transparent.“
Basti fällt bei diesem Gedanken, der gefühlt mit Lichtgeschwindigkeit erst einmal, dann zweimal alle Windungen des Gehirns passieren muss, weil das Hirn sich nicht sicher war, was es da eben gehört hatte.
„Nicht transparent?“, fragt Basti ungläubig nach. „Genau, es ist ein Video.
Wir wünschen unsere Privatsphäre und gleichzeitig, das unsere untergebenen Mitarbeiter sehen bzw. glauben zu sehen wie hart und beständig die Chefetage für das Unternehmen arbeitet. Nun kennen Sie das kleine Geheimnis. Ein kleines Geheimnis.“
Der Fahrstuhl erreicht genau jetzt, da Frau Müller und Frau Yildiz mit ihren Erklärungen fertig sind, sein Ziel. Genau abgestimmt. Als wenn beide Frauen das nicht zum ersten Mal genau so getan haben. Basti fragt sich, ob es dafür extra Schulungen gibt. Ähnlich wie bei einem Elevator-Pitch.
Der Fahrstuhl öffnet seine Türen. Beide Frauen legen jeweils eine Hand auf Bastis Schultern und deuten mit der anderen Hand in die Dunkelheit, die sich hinter der öffnenden Fahrstuhltür offenbart. Beide Frauen sagen vollkommen synchron, „Willkommen zur Show, bitte nehmen Sie Platz. Es wird Ihnen sicher gefallen!“
Basti, der sich in der Dunkelheit nicht sehr wohl fühlt, will nicht gehen. Die Gesichter der beiden Frauen verschwimmen zu einen nichtssagenden Brei, in dem Basti nicht mehr die Personen erkennt, mit denen er zuvor Fahrstuhl gefahren ist. Die typische Fahrstuhl-Musik, die während der ganzen Fahrt im Hintergrund läuft wurde erst unerträglich laut um dann zu verstummen. Das Licht wird langsam, synchron zur Musik, erst hoch und dann herunter gedimmt. Es wird dunkel. Basti fühlt sich allein. Alleine gelassen.
Er spürt, ein Polster unter seinem Hintern. Es sitzt auf einen Stuhl. Diesmal mit Armlehnen. Auch gepolstert. Um ihn herum, das selbe Publikum wie zuvor.
Das Publikum tuschelt. Es wird immer lauter. Bis ein noch lauterer Ton das Tuscheln beendet. Der Ton klingt wie im Fahrstuhl, wenn dieser ein Stockwerk auf seinen Weg nach oben oder unten erreicht. Jeder Mensch, der einen Fahrstuhl benutzt, weiß wohin er will, muss oder soll.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Etwa Patienten im Krankenhaus oder Kinder. Beide benötigen die Unterstützung weitere Personen, die die Funktionsweise und die Notwendigkeit verstehen oder glauben zu verstehen wohin sie müssen, sollen oder wollen.
Der Ton wird richtig laut. Als würde er den gesamten Raum ausfüllen. Am Ende des roten Teppichs, der das Publikum in zwei Gruppen teilt, öffnet sich eine Fahrstuhltür. Ein Scheinwerfer geht an und erleuchtet die Tür. Eine Person im schwarzen Kostüm verlässt den Fahrstuhl und schreitet auf dem, dafür vorgesehen Weg, in Richtung Podium. Das Publikum applaudiert. Es ist Frau Yildiz. Die, als sie in Richtung Basti blickt, ihm zuzuzwinkern scheint.
Eine sehr angenehme Stimme beginnt zu reden. Ähnlich wie der Fahrstuhl-Ton, kommt auch diese von allen Seiten. Es ist ebenfalls eine typische Fahrstuhl-Stimme, so eine, die erklärt welches Stockwerk gerade erreicht wird. Diese Stimmen werden vermutlich extra dafür eingesetzt damit sich die Menschen wohlfühlen. Die Gefühle der Menschen steuern zu können bzw. der Wunsch diese beeinflussen zu können wünschen sich viele. Manche zum Wohle der Menschen und manche zum Wohle ihrer eigenen Interessen.
Passend zur Melodie ertönt eine Stimme, „Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebes Publikum.
Herzlich willkommen, zu unserer neusten Ausgabe unserer Erfolgsshow Das Traum-Projekt. Hierbei wird die dreiköpfige Jury das Traum-Projekt auswählen.Alles andere sind nur Projekte!“ Das Publikum wiederholt in dem Moment sehr laut, „Alles andere sind nur Projekte!“.
Es wiederholt es noch weitere zweimal und verstummt dann wieder abrupt.
„Ich danke dem tollen Publikum für Ihre Begeisterung. Und darf Ihnen nun die Jury vorstellen.“
Neben dem Teppich, auf dem Frau Yildiz zum Podium gegangen und Platz genommen hatte, werden jetzt auch die beiden anderen, mit rotem Teppich, belegten Gänge illuminiert. Gleichzeitig laufen zwei Personen in Richtung Podium. Eine davon ist Frau Müller. Die andere ein älterer Herr, dessen Gesicht genauso nichtssagend und verschwommen ist, wie das der Menschen im Publikum.
„Die Damen Yildiz von der Personalabteilung und Müller, die Abteilungsleiterin, kennen und lieben wir alle im Unternehmen. Meine Damen, bitte nehmen Sie Ihre Plätze rechts und links auf dem Podium ein und in der Mitte darf ich Herrn Vorstand bitten Platz zu nehmen. Die Show geht bald los. Ich danke Ihnen allen für ihre Geduld.“
Basti ist verwirrt. Weiß er doch nicht was das Ganze um ihn herum soll und was das mit seinem Praktikum, mit seinem Leben zu tun hat. Da bemerkt er wie die Person rechts von ihm ein Schild hochhält, auf dem steht, !Yildiz, wir lieben dich!. Das ganze Publikum scheint einen Liebling auf dem Podium zu haben. Manche tragen T-Shirts mit Aufschriften.
Die Aufschriften bezeugen die Zugehörigkeit zum Team Müller oder die Forderung Vorstand knows best.
Basti verspürt das Bedürfnis etwas sagen, ja, sogar schreien zu wollen. Ein solch Theaterstück darf doch nicht unkommentiert bleiben. Er versucht zu sprechen, vermag dieses aber physisch nicht.
Es ist nicht wie im Film Matrix, wo der Protagonist Neo während eines Verhöres nicht mehr sprechen kann, weil sein Mund, in schönster Computeranimationstechnik, zusammenwächst.
Vielmehr erlebt Basti zu Wollen aber nicht zu Können. Biologisch gesehen könnte er schon. Sein Körper hätte durchaus die Befähigung. Das Böse, wie in der Matrix Neo passiert, hält ihn nicht vom Sprechen ab.
Zumindest nicht direkt. Das reale Böse hat eine viel bessere Methode gefunden. Warum sollten etwa Bastis Sitznachbarn extra geschult werden ihn zu beobachten, unerwünschtes Verhalten zu erkennen und dann zu unterbinden?
Das könnte zum Beispiel passieren, indem der rechte Sitznachbar ihm den Mund mit der Hand verschließt und der hintere Nachbar Bastis Arme nach hinten fixiert. Der linke Nachbar könnte dann die Kontrollfunktion der Situation übernehmen und bei Bedarf einschreiten.
Das heißt nicht, dass das nicht genau so in der Vergangenheit massiv Anwendung fand und heute auch noch, allerdings in deutlich geringeren Rahmen, stattfindet. Bastis Problem sind aber gerade nicht seine Sitznachbarn.
Die sind am Jubeln und Lachen über die Witze der Moderatoren-Stimme, welche zwischen den Witzen auf- und absteigenden Zahlen, gefolgt von immer dem selben Ton, ansagt. Ganz so, als würde sich diese gesamte Szene nicht in einer schier endlos erscheinenden Halle abspielen, sondern vielmehr in einem riesigen Fahrstuhl stattfinden und die Moderatoren-Stimme sagt die Stockwerke an, in der man sich zur Zeit befindet.
Bastis innere Welt ist ein zerrüttetes Territorium. Beständig reagiert die Topografie auf äußere Einflüsse. Verschiedenste Fraktionen ringen beständig um Raumgewinne. Verschiedene Schauplätze benötigen verschiedene Methoden der Kriegsführung. Jeder Tag ist anders. Nicht in jeder Nacht herrscht Waffenruhe.
Was Ursache, was Wirkung, ist, ist nicht immer klar. Kausalität und Korrelation werden oftmals verwechselt. Mit zum Teil fatalen Folgen.
Jetzt, in diesem Moment, wo Basti nervös auf seinem Stuhl hin und her rutscht, kämpfen zwei Gedanken darum die Steuerungshoheit über Bastis Handeln ihr Eigen nennen zu dürfen. Der eine Gedanke will laut schreiend um sich schlagen und die Ungerechtigkeiten in der Welt anprangern. Der andere Gedanke, von außen, durch subtile aber effektive Methodik, eingepflanzt, will Basti anders beeinflussen. Er soll nicht nur die Situation als gegeben tolerieren, nein, er soll sie als unumstößliche Wahrheit sehen und lustvoll in die ihn umgebenden, wabernde, Menschenmenge eintauchen.
Eins werden für einen glorreichen Moment der Glückseligkeit.
In kollektiver Akzeptanz vereint und gleichzeitig in individueller Konkurrenz getrennt.
Basti tut nix. Schwankt zwischen Abscheu und Toleranz. Widerstand und Aufgabe. Seine Brust schmerzt.
Er will nicht, muss aber dem falschen Spiel der Moderation, folgen.
„Meine Damen und Herren, 33, nun geht es darum, welches ist das Traum-Projekt?
In insgesamt 129 Vorentscheiden, an allen Betriebsstätten des Konzerns weltweit wurde hart projektiert und die Firma dankt allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen überall auf der Welt für ihren Einsatz. Bitte beteiligen Sie sich auch bei der nächsten Ausgabe unserer Show wieder. Lange Rede, kurzer Sinn. Heute werden uns drei Projekte, in diesem Finale, kurz vorgestellt und die Jury entscheidet dann, welches das TRAUM-PROJEKT ist.“. Das Publikum jubelt, als wenn es kein Morgen gäbe. Bastis Brust schmerzt immer mehr.
Ein Mann aus der vorderen Reihe des Publikums steht dann auf und tritt vor die Zuhörer. Eine kleine Rolltreppe, die Basti zuvor nicht bemerkt hatte, fährt seitlich vor dem Mann lang und transportiert ein kleines Pult mit einem Mikrofon und Laserpointer. Der Mann greift beides und beginnt seinen Vortrag.
„Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Jury, mein verehrtester Vorstand, ich danke Ihnen heute hier sein zu dürfen. Als ich die Projektausschreibung sah, dachte ich, wow, Vorstand knows best. Die Weiterentwicklung beziehungsweise die Neu-Erfindung der Rolltreppe. Das ist eine fantastische Idee und ich will diese umsetzen. Natürlich nicht ich alleine. Ich grüße daher mein Team daheim, in der Betriebsstätte 48.“ das Publikum schreit begeistert vor sich hin und die Jury klatscht.
„Wir, sind das Team ERT, was für Effiziente-Roll-Treppe steht. Da ich nur wenig Zeit habe. Immerhin ist das hier ein Elevator-Pitch. Fasse ich mich kurz. Effizient sein bedeutet, mit möglichst wenig Einsatz von Ressourcen, möglichst viel zu erreichen.
Wir schlagen daher vor, die einzelnen Stufen unserer Rolltreppen breiter und länger zu gestalten, damit gleichzeitig viel, viel mehr Kollegen damit fahren können. Somit braucht die Firma insgesamt weniger Rolltreppen. Alles weitere können Sie unseren Präsentations-Unterlagen entnehmen. Und zu guter Letzt, die, in der Projektausschreibung, verlangte Visualisierung.“, der präsentierende Mann nimmt seinen Laserpointer und richtet den Strahl in die Dunkelheit hinter das Publikum. Als dieses sich umdreht, leuchtet eine Rolltreppe auf, die genau der zuvor gehörten Beschreibung entspricht. Sogar Menschen sind auf ihr, um das Prinzip des Projektes zu verdeutlichen.
Der Redner beendet seinen Vortrag und wird vom Moderator, Publikum und Jury mit Standing Ovations belohnt.
Nach dem sich nun der erste Finalist wieder auf seinen Stuhl gesetzt hat, steht neben ihm die nächste Person auf. Eine Frau.
„Meine werten Kollegen,...“ beginnt sie wiederum ihren Vortag. „Alles schön und gut, aber was ist mit der Effektivität?
Mein geehrter Vorredner schwört auf Effizienz. Nichts dagegen einzuwenden. Es ist gut, nicht zu viel Geld aus dem Fenster zu werfen. Aber, und das ist extrem wichtig, wo soll diese Rollende Treppe, uns gefiel im Team dieser Begriff besser, denn eigentlich hinführen. Schön, wenn die Mittel effizient genutzt werden, aber das Ziel nicht erreicht wird. Effektivität, definiert sich über den Grad der Zielerreichung. Ohne zuvor definiertes Ziel, ist die Debatte über Effizienz nicht zielführend.
Wir haben diese Chance pro-aktiv antizipiert und daher plädieren wir, Team ERT_plus, was für Effektive-RollendeTreppe_plus steht, für Effektivität.“ Auch diese Frau benutzt den Laserpointer und hinter dem Publikum erscheint dort, wo zuvor die andere Rolltreppe war, die Effektive Rollende Treppe. Besser gesagt, sind es zehn Rolltreppen, in verschiedener Länge. Nebeneinander stehend, mit großen Start- und Zielschildern.
Basti schaut sich das auch an, den verinnerlichten, äußeren, Zwängen gehorchend.
Die dritte präsentierende Person ist wieder ein Mann. Zwei Männer, eine Frau im Finale. In der Jury ist die Verteilung genau umgekehrt. Schöne Spiegelung, denkt Basti.
Auch die Begrüßung des letzten Finalisten fällt sehr ähnlich aus wie die der Personen vor ihm. Es gilt schließlich ein Corporate Design zu wahren, total bis in den letzten Winkel.
„Ich, das Team RTD. Das ist die Kurzform von Roll-Treppe-Digital. Komme von der Betriebsstätte 89 und bin stolz Ihnen unsere Ergebnisse zu präsentieren.
Wir wollen, den Mitarbeitenden ermöglichen möglichst eins mit der jeweiligen Rolltreppe zu werden und möglichst viele Benefits dadurch zu generieren. Durch digitale Smartwatches, die alle Mitarbeitenden tragen werden, können sie mit der Rolltreppe interagieren und alle nützlichen Informationen erhalten. Welche Rolltreppe ist wann am stärksten frequentiert? Kann ich meine Pausenzeiten und Wege durch diese und ähnliche Informationen optimieren. Welche Rolltreppen benutzen meine WorkBuddies. Können wir den Flurfunk und die Gerüchteküche nicht digital auf die Rolltreppe verlegen? So könnte die Zeit, auf Arbeit, besser genutzt werden. Und letztlich kann der dafür von der Firma bereitgestellte Algorithmus diese gewonnenen Daten nutzen um eine noch bessere Work-Life-Experiance zu erreichen.“
Auch die dritte Final-Treppe erscheint auf wundersame Weise in der Dunkelheit des Raums um dem gehörten Wort noch ein gesehenes Bild hinzuzufügen. Basti sieht, immer noch mit schmerzender Brust, eine Roll-Treppe, auf der Menschen nur noch auf ihre Smartwatches schauen, über ihnen eine Wolke aus Zahlen, aus Daten, die immer größer wird. Nach Beendigung auch der letzten Präsentation erhebt der Moderator seine Stimme aus dem Off, seinen nächsten Beitrag.
„12. Das war doch alles wunderbar. Die Zukunft der Firma ist gesichert, bei soviel Innovation. Nun, da die Zeit leider schon fortgeschrittener ist als gedacht. Ha, ha, da hat wohl jemand nicht effizient genug geplant oder sollte ich lieber effektiv sagen?
Hauptsache die Digitalisierung hilft uns in Zukunft die Chance zur Optimierung zu ergreifen. Ich übergebe nun allerdings das Wort an die Jury. Genauer gesagt, an unseren alles geliebten, großen Vorstand. 6!“
Der Sitz des Vorstandes fährt in dem Moment, in der die Moderatoren-Stimme ihn ansagt, hoch und zurück und bekommt die Form eines Thrones. Dieser strahlt selbst bei dem wenig vorhandenen Licht und ist von überall sehr gut zu sehen. Ganz so, als wäre er seine eigene Lichtquelle.
Alles hört dann sofort auf Geräusche zu produzieren. Nichts ist mehr zu hören. Basti hört beinahe nicht mal mehr seine innere Stimme. Höchstens als wäre diese sehr weit weg. Gewohnt lässig beginnt Vorstand seine Rede mit einem Witz.
„Wie viele Drohnen benötigt man um eine Glühbirne zu wechseln? Ha, ha, so viele wie die Bienenkönigin will!“
Das Publikum ist außer sich vor Freude und Glück. Alle jubeln ihrem Vorstand zu, tragen T-Shirts mit seinem Bildnis. Skandieren, immer wieder, frenetisch, „Vorstand knows best! Vorstand knows best! Vorstand knows best!“. Auch Basti, mit schmerzender Brust und Tränen in den Augen. Das Äußere hat Besitz vom Inneren übernommen. Der Autopilot, die Flugbahn. Basti leidet still. Die Show geht weiter.
„Ich danke im Namen der Firma und natürlich der Jury allen Finalisten und Teilnehmenden der Vorentscheide. Aus Effizienzgründen hat die Jury schon im Voraus sich alle Projekte angeschaut und eine Entscheidung über das Traumprojekt getroffen.
Ich will auch nicht lange um den heißen Brei reden. Sie alle haben gewonnen!“
Das Publikum jubelt nach dieser Entscheidung. Die Finalisten beglückwünschen sich gegenseitig.
„Und noch viel wichtiger...,“ holt Vorstand weiter aus, „...ist die Tatsache, dass wir alle, als Unternehmen gewonnen haben. Denn wir sind eine Familie. Das dürft ihr, als meine sprichwörtlichen Kinder, nie vergessen. Draußen, außerhalb dieser Mauern, lauern Monster. Das Monster der Konkurrenz und auch des Marktes. Wir können nichts gegen die Natur der Dinge ausrichten, aber wir können uns zur Wehr setzen. Somit ist jede Verbesserung, eine neue Waffe im Kampf gegen Tyrannei und jede Optimierung der Performance eine starke Verteidigung. Ich verspreche euch, eines Tages werden wir siegreich sein. Die Tyrannei von Markt und Konkurrenz abstreifen und endlich frei sein!“
Im Hintergrund sind auf einmal sphärische Töne zu hören und die eine Hälfte des Publikums beginnt mir einem Chant, der dem Sardaukar-Chant von Dune ähnelt und die andere Hälfte des Publikums wiederholt dazu rhythmisch immer wieder das Mantra der Firma, „Vorstand knows best!“.
Der Moderator erklärt zwischendurch nur lakonisch, „66!“
Der Vorstand genießt scheinbar das Geschehen und spricht weiter zur Menge, die fast wie seine Gemeinde und er wie ein Priester erscheint.
„Aber auch wir müssen Opfer bringen. Die Bestie Feind zwingt uns zur Konsolidierung. Wir benötigen jegliche Kraft und Innovation, die wir kriegen können.
Daher wird das jetzige Traum-Projekt aus allen vorgetragen Projekten fusioniert und alle Projekt-Teams werden daran zusammen arbeiten.
So will es der Markt! Wir sind aber auch froh, euch, liebe Freunde und Arbeiter, mitzuteilen, dem Feind getrotzt zu haben. Einer seiner feigen Agenten wollte uns Fesseln anlegen, gar knebeln, damit wir nicht nach Hilfe und Gerechtigkeit rufen können. Ihr alle kennt den Namen dieses Schurken. Sein Name ist Staat.“ Das Publikum ruft immer lauter sein Mantra. Priester und Gläubige schaukeln sich gegenseitig hoch.
In dem Moment erscheint eine weitere Rolltreppe. Da wo zuvor die drei Projekt-Rolltreppen standen.
Diese Rolltreppe ist allerdings sehr alt und heruntergekommen. Sehr viele Menschen drängen sich auf viel zu engen Raum. Auf einem großen leuchtenden Schild, das über der Rolltreppe in der Luft schwebt, zeigen sich die Zahlen 100 bis 129. Plötzlich wird eine Nummer nach der anderen durchgestrichen. Immer mehr immer schneller. Es fallen Menschen von der Rolltreppe, die dann beginnt zu brennen und schließlich komplett ineinander stürzt. Überall liegen Tote, Leichenteile fliegen durch die Luft, stumme Schreie sind auf den Gesichtern der Verletzten zu erkennen während das Publikum beständig jubelt und singt.
Basti, dem ein Arm vor die Füße geflogen ist, riecht verbranntes Fleisch und schmeckt auf den Lippen kochendes Blut. Er hebt unberührt den Arm vom Boden auf. Ein kleiner Arm. Blut tropft auf seine Anzughose. Das Blut hinterlässt aber keine Spuren und perlt einfach am Hosenbein herab.
Der Moderator, ganz beiläufig, „666! Sie haben Ihr Zielstockwerk erreicht. Wir wünschen noch einen angenehmen Tag!“
Dann beginnt Basti ein Stück Fleisch, mit bloßen Händen vom Arm zu reißen und in seinen Mund zu stecken. Er kaut. Der Chant und auch der Gesang des Matras verstummen. Jetzt beginnt das Fressen. Basti hat Appetit. Verzerrt jedes bisschen Fleisch vom Arm. Effizient und Effektiv. Anstatt einer Ansammlung von Knochen entdeckt der unter dem Fleisch allerdings blanken Stahl. Die übrig gebliebene Knochenarchitektur wirkt wie ein Maschinenteil. Basti beginnt damit in Richtung Podium zu winken. Das gesamte Publikum tut es ihm gleich. Er lächelt, mit Blut verschmiertem Gesicht, und ruft, „Vorstand knows best!“
„Bitte, lass es aufhören!“, stöhnt Basti, mit dem Rücken auf den Boden liegend. Die Fliesen sind kalt. Er trägt nur eine Unterhose.
Schmerzverzerrt blickt er zur Decke seines Zimmers. Sein Puls rast.
In diesen Momenten. Wenn es mehr ist als nur ein saures Aufstoßen. Die ganze Speiseröhre fühlt sich an, als wäre diese mit einem brennbaren Gas gefüllt worden und jemand, der ihn, Basti, wirklich gar nicht leiden kann, hätte mit unbändiger Freunde und Vergnügen, mit Hilfe einer Feuerquelle, dem Gas zum Entflammen verholfen. So, dass selbst das Inferno von Dante, im Vergleich zu dieser Feuersbrunst, als eine Randnotiz der Geschichte zu begreifen sein müsste.
Basti dreht sich auf die Brust, in der Hoffnung die Kälte der Fliesen würde im Linderung verschaffen. Er hat sich geirrt. Sein Magen, immerhin die Quelle seiner Pein, produziert unablässig weiterhin und ohne Anstalten zu machen damit aufhören zu wollen seinen schmerzauslösenden Saft. Auch bekannt als Magensäure. Was viele Menschen nicht wissen ist, dass Magensäure auch aus Salzsäure besteht. Weitere Bestandteile sind Wasser sowie Enzyme.
Warum kann Salzsäure problematisch werden? Die ist verdammt nochmal ätzend und kann sogar unedle Metalle angreifen.
Darüber sollten die Menschen mal nachdenken die einen angucken als würde man wie ein kleines Baby heulen, nur weil man während des Essens im Restaurant mit Bekannten auf das persönliche Martyrium der Refluxkrankheit hinweist.
„Ja, ich leide unter Reflux. Sehr, sehr starkem Reflux! Das ist eine ernstzunehmende Krankheit und nicht nur ein kleines saures Aufstoßen, nachdem was falsches gegessen oder getrunken wurde!“, möchte Basti dann den Unbedarften um sich herum verständlich machen. Nichts fördert die persönliche Verständnis eine Sache mehr, wie die persönliche Betroffenheit durch diese Sache. Leider, wie bei vielen anderen Krankheitsbildern auch.
Daher wünscht sich Basti, kurz vorm Höhepunkt seiner Schmerzen oft, diese Besserwisser würden seine Qualen durchleben und ihm dann nochmal ins Gesicht sagen, er soll sich nicht so anstellen.
Da freut er sich doch, mit Jeannine, eine Freundin, die er durch seinen langjährigen Kumpel Christoph kennenlernen durfte, eine Leidensgenossin gefunden zu haben. Er schämt sich aber auch direkt danach wieder. Schließlich freut er sich über das Leid einer anderen Person, um nicht alleine den Schmerz spüren zu müssen. Das Wissen, dass ein anderer Mensch, den Basti persönlich kennt, auch leidet, lindert den Schmerz zwar nicht, macht diesen aber ein wenig erträglicher.
Der Schmerz kann Stunden andauern. Ihn Stunden am Boden fesseln. Unfähig sich groß zu bewegen.
Manchmal wird bei Menschen mit einer sehr starken Ausprägung der Refluxkrankheit, die schmerzende Brust sogar mit einem Herzinfarkt verwechselt. Sowohl für die Hilfe suchende Person, als auch das medizinische Personal im Rettungswagen und Notaufnahme nicht unbedingt ein Vergnügen.
Was soll man tun. Angeblich geht ja Liebe durch den Magen aber offenbar ist Stress auch gerne mit von der Partie.
Die Menschen leben heutzutage in stressigen Zeiten. Jeder und jede hat persönliche Stressoren, also Situationen, in denen bestimmte Dinge Stress auslösen. Das ist natürlich eine höchst persönliche Angelegenheit und da der Mensch zur Zeit noch nicht genormt auf die Welt kommt, bei jedem Menschen anders. Die einen sind im Stande noch den stärksten Wirbelsturm unbeschadet zu überstehen und andere verfallen zum Wrack, wenn das Fenster zum Lüften zu lange offen gewesen war.
Wo der Stress seine Ursache hat, ist für den leidenden Menschen, in der konkreten Schmerzsituation erst einmal egal. Es soll einfach nur aufhören. Natürlich werden viele jetzt einwenden wollen, dass das aber nur die halbe Wahrheit, höchstens eine 21 ist. Dem würde Basti auch zustimmen. Um die 42, die volle Wahrheit, zu erreichen, muss ein wenig tiefer gebohrt werden.
Nur Symptome zu behandeln mag zwar für die Pharmaindustrie und die dahinter operierende kapitalistische Gesetzmäßigkeit lukrativ sein, allerdings sollte Heilung das höherwertige Ziel des Unterfangens sein.
Dazu bedarf es dann aber der Ursachenforschung.
Neben rein physiologischen, das heißt rein dem Körper geschuldeten, Ursachen, kann auch die Psyche eine teilnehmende oder sogar entscheidende Rolle spielen. Basti glaubt manchmal, er müsse sterben.
So stark sind seine Schmerzen. Dann erinnert er sich aber an seine Lektüre von Marcel Proust. Er erinnert sich zwar nicht mehr daran, in welchem Teil von „Auf der Suche der verlorenen Zeit“ sich sein Lieblingszitat befindet und ob er es ganz korrekt wiedergibt. Er sagt es sich aber immer sehr gerne selbst, um ein wenig Ruhe und Durchhaltevermögen zu generieren. So auch jetzt, mit schmerzenden Reflux auf kalten Fliesen liegend. „He, arrgg, verdammte Schmerzen. Immer daran denken, die Hoffnung auf Erleichterung, gibt einem Mut zu leiden. Jeannine hatte mit ihrer letzten Whatsapp-Nachricht Recht. Ich sollte darüber ein Buch schreiben. Mein Reflux und ich, so könnte der Titel lauten.“
Endlich nach einer unendlichen Leidensgeschichte, die, mit Blick auf die Uhr, eigentlich nur eine halbe Stunde dauerte, kriecht Basti zurück unter die Bettdecke und hofft den Rest der Nacht zumindest ein wenig Pause vom Reflux zu haben. Jetzt wäre es schön ein wenig schlafen zu können. Ohne Alpträume natürlich. Leider ist ihm das nicht vergönnt. Viele, wenn nicht alle, seiner Freunde beklagen den Stress, den sie der Erwerbsarbeit zu verdanken haben. Entweder es sind die Kollegen, die Chefs, die lange Fahrt zur Arbeitsstelle, die Kunden, der viel zu geringe Lohn oder, oder,oder ähnliches. Basti hat nichts davon.
Er hat keine Arbeit. Keines dieser Probleme.
In den Augen vieler Menschen, auch vieler seine Freunde, Verwandten oder Bekannten müsste Basti glücklich sein.
In seiner sozialen Hängematte räkelnd. Leider, ist dem nicht so. Basti darf nicht glücklich sein. Sein Leben nicht genießen. Basti erklärt dazu oft sogar ungefragt, „Das ist aber weder ein Zufall, noch ein tragischer Unfall. Nein, das ist gewollt. Oft heißt es, die Arbeitslosigkeit müsse bekämpft werden. Eine Metapher die an Krieg und Gewalt erinnert. Zufall? Nein! Genauso wenig, wie in den Medien immer wieder von eine Flüchtlingswelle die Rede ist, wenn mal wieder ein bedauernswertes Land der dritten oder zweiten Welt der Geopolitik der Großen zum Opfer fällt. Welle? Das ist eine Natur-Metapher. Besser gesagt eine Metapher einer Naturkatastrophe. Das alles ist pure Propaganda!“. Wenige von Bastis Gesprächspartnern machen sich über sowas Gedanken. Ihnen reicht es nach einem beschwerlichen Arbeitstag ein wenig Ruhe im Sessel zu genießen und sich über die Faulenzer und Sozialschmarotzer im Real-Harzt4-TV zu echauffieren. Viele spüren dennoch, dass etwas falsch läuft im Staate Dänemark. Es ist aber meist nicht möglich das Stress-Level anders herunterzuregulieren. Die Stressauslöser, die oft in der sich verändernden Arbeitswelt liegen, können dort nicht angesprochen und verarbeitet werden.
Zusätzlich nimmt die Macht derer, die sich zu Agenten der arbeitenden Klasse erklärt haben kontinuierlich ab. Gleichzeitig verkaufen sie gewonnene Rückzugsgefechte als große Raumgewinne.
Die Menschen, die nicht Teil dieser Welt sind, die Arbeitslosen, finden kaum Repräsentanz, haben keine starken Agenten.
Dennoch erfüllen Menschen wie Basti eine wichtige Funktion, in der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft, in der er und vermutlich der Großteil der Menschheit lebt. Er ist abschreckendes Beispiel und Sündenbock zugleich.
Oft machen Bekannte und sogar Freunde und Verwandte Witze über ihn. Nun ja, nicht über ihn als Person, sondern über ihn, den Arbeitslosen. Manche verstehen aber nicht einmal diesen Unterschied. Glauben die Person Basti und sein Status als Arbeitsloser sowie die daraus unterstellten Eigenschaften, die ihm einen schlechten Charakter attestieren, wären ein und dasselbe. Das ist aber nicht so.
Und selbst die Menschen in den sogenannten Dokus über Menschen, die gezwungen sind am Existenzminimum zu leben und vielleicht die eine oder andere schlechte Angewohnheit haben, verdienen nicht die ihnen entgegengebrachte Häme und den Hass. Oftmals verarbeiten sie so den Schmerz ihrer Existenz, über die sie keine Kontrolle haben und im Fernsehen zusehen müssen, wie die Gesellschaft sie sieht. Leute wie Basti, die in der Arbeitslosigkeit politisch immer weiter nach Links rücken, sagen bei Partys dann gerne „Bezeichnen wir doch diese Schweinerei als das, was es tatsächlich ist.
Es ist Klassenkrieg bzw. eines der vielen Schlachtfelder des Klassenkrieges. Eine extreme Bedeutung hat dabei die Propaganda, die sich heute, nach einer Idee von Edward Bernays, einem Neffen von Sigmund Freud, Public Relations oder kurz PR nennt.
Stellt euch einfach vor, ihr seid im Krieg und verliert diesen, weil ihr gar nicht wisst, dass ihr im Krieg seit. Die Schlachtfelder in diesem Krieg sind keine Orte auf Landkarten.
Es sind oft die Köpfe der Menschen. Die Deutungshoheit über Themen. Verschiedenste Politikfelder wie Gesundheitspolitik, Wohnungspolitik und vieles mehr. Ach, was erzähle ich, es betrifft alle Politikfelder.“.
Heute aber ist Basti froh, dass der Brand in seiner Speiseröhre erst einmal gelöscht ist und er jetzt die nächste Schlacht gegen die Schlaflosigkeit führen kann.
Basti konnte relativ gut schlafen, hatte aber wieder einmal furchtbare Alpträume. Er kann sich zwar nicht an jede Einzelheit der Träume erinnern, aber er erwacht immer mit den selben Gefühlen, von Einsamkeit und Angst, um dann das erste Mal am Tag zu weinen und sich dafür zu schämen. Aufgeweckt hat ihn sein Handy. Mit dieser furchtbaren Fahrstuhlmusik. Er hasst sie „...wie die Pest! Wie geht diese verdammte Scheiße aus. Drecks Handy. Wie geht diese verdammte Musik aus. Wie kann man das ändern.“ Er findet nicht heraus wie sich die Melodie seines Handys ändern lässt und legt es wieder auf die dafür vorgesehene Stelle auf seinen Nachttisch neben dem Bett. Er versucht den Wellengang des Meeres seiner Gefühle zu beruhigen, in dem er seine Gedanken schweifen lässt. Dabei versucht er sich möglichst auf eine Sache zu fokussieren. An diesem Tag ist es sein Handy. Besser gesagt, die Tatsache, dass wir in Deutschland das Wort Handy für ein Mobiles Telefon benutzen. Handy ist ein englisches Wort, wird aber im englischsprachigen Raum nicht für ein Mobiltelefon verwendet. Wenn eine Person handy ist, heißt das ins Deutsche übersetzt ungefähr soviel wie geschickt. Ein Handyman, wäre jemand, der handwerklich geschickt ist. Etwas was Basti nicht ist. Handwerklich geschickt. Das war schon immer so. So lange Basti zurückdenken kann. Zumindest wird ihm das immer von außen gesagt und er hat das internalisiert. Er glaubt das mittlerweile selber, beziehungsweise kann sich selber gar nicht mehr vorstellen, handwerklich geschickt zu sein.
Möglicherweise könnte er handwerklich geschickt sein oder werden, wenn er es nur versuchen würde. Da sein Glaube, durch jahrzehntelanges Einreden und Trainieren, aber so fest ist, wäre ein Versuch sofort zum Scheitern verdammt. Er glaubt zu scheitern und wird deshalb scheitern. Die Erwartung bestimmt die Zukunft oder wie Basti scherzhaft dazu sagen würde, „Ich habe zwei linke Hände. Das wissen alle. Falls ich nur ein Stück Holz lange genug anschaue, habe ich auch schon einen Splitter in der Hand“. Eine selbst erfüllende Prophezeiung.
Auch das Wissen über diese Vorgänge und Zusammenhänge helfen den Betroffenen, wie Basti einer ist, nicht immer. Die Psychologie nennt dieses Phänomen auch Erlernte Hilflosigkeit. Diese Vorgänge können danach eine mögliche Erklärung für das Auftreten einer Depression sein.
Basti zwingt sich mit aller Kraft aus dem Bett zu hieven. Er hat heute viel vor. Ob und in welchem Maße er welche seiner guten Vorsätze am heutigen Tage schafft, steht noch nicht fest. Die Zukunft ist noch nicht geschrieben. Noch veränderbar. Vom menschlichen Handeln oder eben Nicht-Handeln beeinflussbar. Beides, basiert auf getroffene Entscheidungen. Auch und insbesondere das Nicht-Entscheiden. Basti ist davon fest überzeugt.
Er weiß auch, dass es grundsätzlich besser ist aufzustehen, als im Bett liegen zu bleiben. Es fällt ihm aber sehr schwer. Er versucht sich dann selbst gut zuzureden. Dabei tritt er in harte Verhandlungen mit sich selbst.
„Komm schon. Fauler Sack. Steh endlich auf. Duschen müsstest du auch mal wieder.
Sind bestimmt schon wieder drei Tage her.“
Basti schwingt sich mit etwas Kraft aus dem Bett, nur um sich wieder ins Bett zurück fallen zu lassen. „Noch fünf Minuten. Bitte! Dann mache ich auch alles was du willst.“
Der Raum ist immer noch dunkel. Wie viel Uhr es genau ist, ist unklar. Es strahlen nur die beleuchteten Schalter der Steckerleisten an der Wand, in einem bedrohlichen Rot, sein Zimmer, aus. Rotes Licht in der Dunkelheit. Basti hat öfters Assoziationen mit Bildern der Hölle im Kopf. Also, besser gesagt, dem Bild der Hölle, das Dante, dem christlichen Abendland hat einreden können. Die Bibel an sich, ist in der Beschreibung der Hölle als Ort eher spärlich. Da ist die Hölle eher eine abstrakte Begrifflichkeit. Viele ziehen aber das Konkrete von Dante vor. Einfacher und griffiger. Etwas, das vorstellbar ist. Mit der Hölle des täglichen Lebens vergleichbar.
Bastis kreisende Gedankenwelt wird wieder einmal von außen gestört. Es klopft an seiner Zimmertür, während der Versuch des gleichzeitigen Eintretens in das Zimmer, aufgrund der, von Basti, abgeschlossenen Tür, scheitert. Eine ihm wohl bekannte Frauenstimme versucht daraufhin mit erhöhter Lautstärke durch die verschlossene Barriere durchzudringen.
„Basti, Basti, bist du wach? Weißt du wie spät es ist? Es ist gleich Mittag! Dein Vater kommt gleich zur Mittagspause. Wenn du heute noch einen Kaffee willst, musst du jetzt aufstehen. Ich wecke dich nicht noch mal. Steh jetzt endlich auf!“
„Ja, Mama, ich komme gleich hoch. Danke!“ quetscht Basti aus seinem Mund. Lustlos und ohne wirkliche Energie.
Seine Eltern sitzen bereits im Esszimmer, als Basti sich, mühsam bekleidet die Treppe hinauf schleppt. Leider keine Roll-Treppe, denkt er und grinst für einen Moment. Zynismus ist für ihn ein weiterer Hilfsmechanismus geworden, um die Tristesse des immer wiederkehrenden Zyklus des Daseins besser bewältigen zu können. Oft lacht nur er. Sein Umfeld reagiert mit unfreundlichem Unverständnis darauf. Alle anderen dürfen gerne Witze auf seine Kosten machen. Den faulen Arbeitslosen an den Pranger stellen. Ihn als Boxsack missbrauchen um sich von ihren eigen Problemen im real existierenden Kapitalismus abzulenken. Basti aber darf keine Witze über seine Situation machen. Was er als Akt der Selbstbestimmung, als Empowerment, begreift, ist für das System eine Bedrohung. Basti hat seine Rolle zu spielen. Er ist der Zerrspiegel. Wer in sein Gesicht blickt soll sehen und auch spüren was es heißt, dem Müßiggang zu frönen und auf Kosten der Allgemeinheit zu leben. Auf Kosten der Allgemeinheit lebend! Der Kapitalismus benötigt eine Legitimation für Ausbeutung und die davon abgeleitete Hierarchie. Dafür werden Differenzen benutzt. Der eine Mensch besitzt ein Merkmal oder eben dieses Merkmal fehlt und deshalb darf ein anderer Mensch den ersten ausbeuten. Relativ einfach, wenn man mal darüber nachdenkt. Inklusion und Exklusion aus Gruppen ist da elementar. Der Arbeitslose lebt auf Kosten der Allgemeinheit. Ihm fehlt das Merkmal Arbeit oder er besitzt das Merkmal Arbeitslos. Beides rechtfertigt den Ausschluss aus der Gemeinschaft, der Allgemeinheit.
Bastis Mutter fragt, wie jeden Tag, um die Mittagszeit, wie die Arbeit ist und sein Vater murmelt, wie immer, dasselbe belanglose Zeugs. Er tut dies, obwohl er viel lieber seine Zeitung, zum zweiten Mal an diesem Tag, lesen würde. Als Basti sich zum Sessel geschleppt und seine müden Knochen und schlappen Muskeln eine Pause vom harten Aufstieg aus dem Keller gönnt, legt sein Vater die Zeitung weg und starrt ihn an.
„Guten Morgen, Basti, schon ausgeschlafen, ist ja erst mittags. Wie sieht es aus mit den Bewerbungen von gestern. Die zu den Stellenausschreibungen aus der Zeitung. Die ich auf deinen Schreibtisch gelegt hatte. Auf der Computer-Tastatur. So, dass du die sehen musstest. Ich habe noch keine E-Mail von dir zur Korrektur bekommen.“
Basti atmet tief ein und seufzt vor sich hin, den Blick, mit leeren Augen, aus dem Fenster. Er ist sich nicht ganz sicher, was für ein Wochentag es ist.
„Ist heute Dienstag oder Donnerstag? Oder war es doch ein Tag der mit M beginnt?“
Sein Vater, sichtlich erregt, schon fast wütend, reagiert prompt, auf das, was er glaubt, sei ein Angriff, „Was soll der Quatsch? Wenn du nicht ständig die Nacht zum Tag machen würdest. Laut Musik hörst und sehr oft betrunken wärst hättest du längst eine Arbeit. Ich wusste schon immer, dass du faul und unnütz bist. Das treiben wir dir aus mein Freund, das verspreche ich dir! Hast du oder hast du nicht die Bewerbungen gemacht?“
Bastis innere Anspannung wächst mit jedem Wort seines Vaters, als würde er im Schützengraben einem Trommelfeuer des Feindes ausgesetzt sein. Früher dachte Basti, sein Vater, seine Eltern wären böse und wollten ihn fertig machen. Genau wie es das Jobcenter und ein großer Teil der Allgemeinheit wollen. Er weiß aber, dass es nicht so ist. Sein Vater will das Beste für seine Söhne. Das, was er glaubt, was das beste ist. Oftmals wiederholt er dabei nur die Propaganda des Feindes. Er kennt nur diese. Hat sie internalisiert. Sein Arrangement mit der Gesellschaft, dem Wirtschaftssystem in dem er groß geworden ist, hatte funktioniert. Arbeite hart, finde deine Nische, baue ein Haus, gründe eine Familie. Sein Gesellschaftsvertrag. Der seiner Generation hat funktioniert.
Für Bastis Generation und denen die auf Basti folgen klappt nichts mehr davon. Der Gesellschaftsvertrag, der mehr oder weniger ein Waffenstillstandsabkommen sich gegenüber stehender Klassen ist, wurde gekündigt.
Bastis Vater bekommt das nur am Rande mit. Für ihm, hat sein Sohn nur die falsche Einstellung zum Leben. Der Zeitgeist gibt ihm recht. Nur nennt dieser es nicht Einstellung, sondern Mindset. Ist Englisch und klingt viel besser.
Auch wenn des Vaters Worte Basti tief verletzen, versucht Er ihm zu verzeihen. Basti weiß, das alle im Raum Opfer sind. Auf verschiedenen Schlachtfeldern kämpfen sie in einem offiziell nie erklärten Krieg, manchmal sogar gegeneinander und drohen zu verlieren.
Bastis Vater verlangt aber jetzt eine konkrete Antwort auf seine konkrete Frage. Er will nicht wieder von seinem Kommunisten-Sohn etwas über Wirtschaft und Gesellschaft hören und was Marx wohl dazu gesagt hätte.
Also, antwortet er, „Ja, habe ich. Zehn Bewerbungen. Wie verlangt. Auch die mit Mismatch.“
„Was zum Teufel ist schon wieder ein Mismatch? Du denkst dir das doch nur aus!“ schnauzt Bastis Vater ihm entgegen.
„Nein, das habe ich mir nicht ausgedacht. Warum sollte ich? Warum denkst du immer das Schlechteste von mir? Das heißt, dass ich nicht die richtige Qualifikation habe oder nicht im richtigen Ort wohne. Ein Missverhältnis zwischen dem Wunsch des Arbeitgebers und dem Bewerber.“
Dem Vater wird das langsam zu viel. Er will keine Debatte. Er fordert Gehorsam. Etwas, was in seiner Generation, der Sohn, dem Vater schuldet. Vor allem, wenn der Sohn immer noch seine Füße unter dem Tisch des Vaters hat.
„Das liegt nur an deiner mangelnden Einstellung. Du bist halt nicht bereit auch was dafür zu tun. Du und deine Generation seid zu verwöhnt. Ich musste hart arbeiten um da hinzukommen, wo ich jetzt bin und jetzt muss ich hart dafür arbeiten damit du feiern und saufen kannst. Damit muss Schluss sein. Hast du bei jeder Bewerbung mit einer leeren Seite angefangen? Wie ich es sagte! Jede Firma verdient ein eigens Anschreiben und Personaler merken ein null acht fünfzig Anschreiben.“
Basti, der jetzt auch lauter wird, unterbricht seinen Vater, „Nein, wieder nicht.
Das ist eine schwachsinnige Idee, die du von irgendeinem noch viel schwachsinnigeren Karriereratgeber hast. So ein Anschreiben schreibt sich nicht von alleine. Würde ich das wirklich machen, würde ich vielleicht ein bis zwei Bewerbungen pro Tag schaffen. Jedes Mal die Firmen-Historie zu recherchieren kostet Stunden.
Da ist ein Musteranschreiben viel sinnvoller. Effizienter und effektiver. Und falls du wieder damit anfangen willst, ich würde ja nichts tun. Das stimmt nicht. Du darfst dich gerne demnächst, wenn du Urlaub hast, neben mich setzen und gucken wie ich jeden Tag bis zu zehn Stunden mit der Arbeitssuche verbringe. Auch schlafe ich nicht länger als du. Ganz im Gegenteil. Wenn ich in der Nacht nicht schlafen kann und höre wie du am Morgen um sechs Uhr Kaffee machst, quält es mich. Im Bett angekommen schlafe ich sehr schlecht bis Mittags. Du gehst für gewöhnlich zwischen 9 und 10 Uhr abends ins Bett und schläfst bis 6 Uhr morgens wie ein Stein. Das heißt, du schläfst tatsächlich mehr Stunden als ich.“
Basti will noch deutlich mehr loswerden, wird aber von seiner Mutter unterbrochen, die Frieden und Ruhe von den beiden Männern verlangt. Beide stimmen zu und halten sich daran.
Das hält aber nur knapp 5 Minuten. Bastis Augen sind inzwischen wieder mal feucht, bereit Wasser zu vergießen.
„Wisst ihr eigentlich?...“ Basti schluchtzt kurz, um dann weiter zu sprechen, „Was man in der Arbeitswelt sagt, wenn man ein Jahr lang am Stück arbeitslos ist?
Es gibt da einen echt tollen Ratschlag, den ich in einer Kolumne über den Arbeitsmarkt gelesen habe.“.
Diesmal ist es Bastis Vater, der ihn unterbricht, mit einer Antwort. Es scheint, als würden Vater und Sohn eine ähnliche Lektüre betreiben.
„Wenn man ein Jahr arbeitslos ist, dann kann man sich auch gleich den Strick nehmen.“
„Wie jetzt...“, fragt Bastis Mutter erstaunt, „...was meinen die damit?“, in Richtung ihres Ehemanns, der seine Aufmerksamkeit eigentlich wieder der Tageszeitung widmen möchte.
„Selbstmord!“ wirft Basti, lakonisch ein Wort in die Runde und beginnt zu weinen.
Wenig später ist die Mittagspause bereits weit fortgeschritten und Bastis Vater muss los. Schließlich muss er noch während der Pause wieder zurück zu seiner Arbeitsstätte kommen. Er will gerade los, scheinbar freiwillig, als Bastis Mutter, mit Verweis auf den heulenden Sohn, ihn stoppt.
Nur mit Blicken kommunizierend, ein Vorteil einer langen Ehe, versteht der Vater, was er zu tun hat. In den Augen seiner Frau und auch im Inneren seines Herzens hat er es zu weit getrieben. Sein Sohn, deutlich älter als 3 mal 7, sitzt heulend, wie ein Häufchen Elend, im Sessel und starrt vor sich hin. Er selbst ist es nicht gewohnt positive Gefühle zu zeigen. Seine Kindheit war nicht immer leicht. Eigentlich will er besser sein als das was er erlebt hat.
Für ihn ist es eine Überwindung, aber er geht zu seinen Sohn rüber, nimmt all seinen Mut zusammen und versucht seinen Sohn liebevoll durchs Haar zu streichen. Genauso wie er es früher gemacht hat, als Basti noch ein kleiner Junge war. Zu ihm aufgeguckt hat.
Basti, in seiner Gedankenwelt Zuflucht suchend, hat nicht bemerkt, dass sein Vater seine Nähe sucht.
Als er die Handfläche seines Vaters spürt erschreckt er sich und zieht instinktiv, aus Angst vor emotionalen oder physischen Verletzungen, seinen Kopf weg. Würdigt seinen Vater keines Blickes. Dreht sich demonstrativ weg.
Was in diesem Moment sich in der Gedankenwelt seines Vaters abspielt weiß Basti nicht. Der bekommt gerade so noch ein, „Es tut mir leid!“ heraus und geht dann zurück zur Arbeit. Die nächste Gelegenheit zum Schlagabtausch erwartet beide beim Abendessen. Niemand freut sich darauf. Es ist aber im Laufe der Zeit zu einem Ritual geworden. Lernprozesse gibt es auf beiden Seiten. Schuld und Verantwortung. Absicht und Versehen. Opfer und Täter. Dinge und Rollenverhältnisse, die sich von Zeit zu Zeit ändern.
Basti ist jetzt fast drei Jahre arbeitslos. Er hat sich aber angewöhnt sich als arbeitssuchend vorzustellen. Das klingt proaktiv und entspricht einem besseren Mindset, sagen die Karriereberater im Internet.
„Laden Sie sich noch heute die neue Elevetor-Pitch-Music Version 3.5 herunter. In der neuen und einzigartigen App können sie jetzt auch folgende neue Features genießen. Wir leben in einer stressigen Welt und im Zuge der Achtsamkeit-Offensive unseres Unternehmens spendieren wir Ihnen 1001 Achtsamkeit-Übungen aus tausend und einer Nacht. Entspannen Sie sich zu orientalischen Klängen und reduzieren Ihr Stress-Level durch das Vorlesen von positiven Affirmationen, die Sie durch Ihren Tag begleiten. Das alles ist für Sie im ersten Jahr komplett kostenlos. Elevator-Pitch-Music oder kurz EPM, ist neuerdings eine 100% Tochter der BuddyCorp. Zusätzlich haben Sie als Kunden von EPM die Möglichkeit sich einen Rabatt von 33% auf die Warenwelt von BuddyCorp zu sichern. Keine Angst. Wir lassen Sie nicht allein! Denn wir alle wissen wie es heißt: BuddyCorp – Everybody needs a buddy!.
Basti versucht die Werbung auf seinem Handy zu stoppen aber scheitert kläglich. Es ist eine Achtsamkeit-Werbung. Die lassen sich neuerdings nicht mehr stoppen. Der heiligen Achtsamkeit-Agenda sei Dank.
Basti sitzt auf dem Bürostuhl in seinem Zimmer. Es ist wieder mal Mittag. Heute wird es keine Auseinandersetzung mit seinem Vater geben. Der ist auf einer Fortbildung und kommt erst am Wochenende wieder nach Hause.
Auch ist das Verhältnis zwischen Vater und Sohn lange nicht mehr so angespannt wie früher. Beide haben dazugelernt. Beide die Situation des anderen besser verstanden.
Sie akzeptieren noch lange nicht alle Entscheidungen und Meinungen des anderen, üben sich aber in Toleranz. Eine Verbesserung.
Es ist Montag, dies weiß Basti genau. Denn heute hat er seinen ersten Termin bei der Selbsthilfegruppe. Fett markiert in allen Kalendern die da sind. Analoge, Oldschool-Kalender aus Papier, wie etwa der eine, der an der Wand neben dem Computer in Bastis Kellerzimmer hängt oder der digitale Kalender, der ein Teil der neuen und nützlichen Handy-App Buddy-Organizer ist.
Basti, aber starrt Richtung Zimmertür und wundert sich, warum er keine Schritte von der Treppe im Hausflur hört. Normalerweise hätte seine Mutter ihn schon vor gut einer viertel Stunde wecken müssen. Er beschließt nach oben zu gehen und das Geheimnis des fehlenden Weckrufs zu ergründen.
„Mama, Mama,...“, ruft Basti, auf der Hausflurtreppe nach oben schreitend, „...wo bist du? Ist der Kaffee schon fertig?“.
Oben, vor dem Wohnzimmer klopft Basti kurz, um dann die Tür ein wenig aufzustoßen und erblickt seine Mutter auf der Couch sitzend.
„Wolltest du mich nicht eigentlich wecken, Mama?!“ fragt Basti seine Mutter ein wenig überrascht.
Bastis Mutter guckt ebenfalls ein wenig verwundert und entgegnet ihrem ältesten Sohn beiläufig, „Was? Nein, wir hatten gestern abgemacht, dass du selber wach wirst. Mit deinem Handy-Wecker. Ich war beim Arzt und dann einkaufen. Bin gerade erst zurück gekommen. Kaffee ist schon fertig.“
Basti grübelt darüber nach, ob es eine solche Absprache gab oder nicht. Er will aber keinen Streit anfangen. Er streitet zwar weniger mit seinen Vater, dafür geht seine Mutter ihn öfters auf die Nerven und er vermutlich auch ihr.
„Ok, Mama, wenn du meinst. Soll ich dir auch eine Tasse Kaffee fertig machen?“ versucht der noch müde Basti eine Eskalation im Keim zu ersticken.
Seine Mutter guckt ihn nur kurz an, nickt zustimmend und schaltet den Fernseher an. Es laufen Sendungen über Hartz4-Bezieher und Sozialschmarotzer. Basti, den Kaffee seiner Mutter auf den Tisch stellend, reagiert sauer auf die bewegten Bilder.
„Diese drecks Propaganda! Sowas zu zeigen müsste verboten werden. Das ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Reinform. Die sind wahrscheinlich sogar stolz darauf, dass Begriffe wie Sozialschmarotzer wieder salonfähig sind.“ „Ruhe! Ich will das gucken. Basti lass mich.“
Basti setzt sich auf den Sessel und schaut herüber zu seiner Mutter und beginnt seine vorgebrachte These mit weiterer Argumentation zu unterfüttern.
„Du weißt aber schon, dass das keine echte Doku ist? Das ist eine sogenannte Scripted Reality. Das stimmt alles nicht. Das ist reine Propaganda. Getarnt als Unterhaltungssendung, die sich wiederum als Dokumentation tarnt. Wie eine Art Matroschka.“
Seine Mutter interessiert sich nicht für Bastis Erklärungen. Sie will Erleichterung in ihrem Leben erfahren.
Diese Nachmittagsserien sind ihre Flucht vor der realen Welt. Basti ist zwar dagegen, welches Medium seine Mutter und viele andere als Eskapismus verwenden, versteht aber die Sehnsucht. Er bedient sich auch von Zeit zur Zeit dieser Möglichkeit. Lediglich aber mit anderen Giften.
„Ich muss gleich zur Selbsthilfegruppe.“ Bastis Mutter reagiert nur ganz kurz, „Was? Wohin?“
Basti genervt, „Zur Selbsthilfegruppe! Du weißt schon. Auf Empfehlung der Psychologin. Das ist eine Kooperation zwischen meiner Psychologin und der Wirtschaft. Dieser IT-Konzern, die BuddyCorp, unterstützt das Projekt. Das Projekt heißt Anonyme Arbeitslose Akademiker oder kurz AAA und wird von der Agentur für Achtsamkeit finanziert.“
Basti trinkt seinen Kaffee aus, geht zur Tür und blickt Richtung Couch.
„Ich muss jetzt los. Nehme das Auto. Bin in zwei bis drei Stunden wieder da. Bis dahin.“
Bastis Mutter verabschiedet ihn mit einem kurzen, „Ok, bis später. Viel Glück beim Vorstellungsgespräch, mein Schatz.“ und schaut dann weiter Fernsehen.
Basti, der kurz den Kopf schüttelt, aber weder Lust noch Zeit für weitere Erklärungen hat, verlässt das Haus Richtung Auto. Vielleicht hilft eine Selbsthilfegruppe ja wirklich bei seinen Problemen. Vielleicht ist es aber auch nur eine weitere Gelegenheit für Ausgrenzung und Marginalisierung. Damit hat er reichlich Erfahrungen sammeln dürfen. Er startet das Auto und fährt los. Er will nicht zu spät kommen. Einen guten Eindruck machen.
Das alte Sozialzentrum liegt mitten in der Stadt. Es befindet sich im Gebäude einer alten Grundschule, die nicht mehr gebraucht wurde, da im Laufe der letzten Jahrzehnte der Demografische Wandel immer spürbarer wurde. Die restlichen Grundschulen der Stadt wurden zusammengelegt oder wie es im BWL-Sprech heißt, sie wurden aus Gründen der Effizienz konsolidiert.
Hört sich viel besser an als, die Menschen werden immer mehr in prekäre Jobs gedrängt und verdienen dabei so wenig Geld, dass sie sich es schlicht weg nicht mehr leisten können sich fortzupflanzen. Bastis zynischer Kommentar, bei einer Party, war dazu, „Naja, halt die kapitalistische Form der Bevölkerungskontrolle. Wahrscheinlich viel effizienter und effektiver als alle anderen Werkzeuge um die Reproduktion einer Bevölkerung zu steuern.“.
Basti hat das Auto geparkt und läuft nun zum Eingang des Gebäudes. Er war schon lange nicht mehr in dem Gebäude gewesen. Das letzte Mal war es noch eine Grundschule und er dort Schüler. Er kann sich daran aber kaum noch erinnern. Das muss auch schon bestimmt 30 Jahre vorbei sein.
Er muss aber auch hier an der Eingangstür erkennen, die neuen offiziellen Sprachregelung gelten wohl auch im alten Sozialzentrum. In großen und bunten Lettern über der Tür ist zu lesen, dass Basti nun anstatt eines Sozialzentrums, in einer alten Grundschule, jetzt das neue Achsamkeits-Zentrum der kleinen Stadt betritt.
Ein Ton, der durch das Öffnen der Tür ausgelöst wird, signalisiert Bastis Ankommen. Bastis Inneres reagiert unmittelbar. Im wird flau im Magen. Ihm ist schlecht.
Alarmiert vom Ton der Tür kommt auch schon eine junge Frau Basti entgegen gelaufen und reicht ihm die rechte Hand zur Begrüßung und beginnt sofort mit der Konversation, „Hallo, du musst Basti sein, die Psychologin hatte dich angekündigt. Sie ist aber heute nicht da und deshalb soll ich dich in Empfang nehmen.“ Basti ergreift ihre Hand und sagt, deutlich nervös, „Danke, ja, hallo, ich bin Basti.“
Er will eigentlich gleich weiterreden aber aus seiner Gesprächspartnerin sprudeln die Worte weiter heraus.
„Ja, hallo, nochmal, ich bin Antjje, mit zwei J. Das zweite ist aber stumm. Lustige Geschichte. Erzähle ich nachher noch. Wir sind eine Gruppe von drei Betroffenen, beziehungsweise mit dir sind wir zu viert. Nimm es mir bitte nicht übel aber aus Gründen der Parität hätte ich mir lieber eine Frau gewünscht oder zumindest einen Schwulen. Bist du schwul? Sag bitte ja.“
„Ehm,...“, mehr kriegt Basti beim ersten Luftholen nicht heraus. „Nein, tut mir leid. Sind Sie, ich meine duzen wir uns, immer so direkt? Und überhaupt, warum weißt du meinen Namen und sagst mir deinen. Ich dachte, das hier wäre komplett anonym?“
Antjje lächelt Basti an. Sie hat kein Problem damit schüchtern, zu wenig zu sagen. Wie Basti, der oft Angst hat, das Falsche zu sagen und dann lieber nichts sagt. Zumindest bei ihm fremden Personen.
Antjje ist anders. Sie spricht für die meisten Menschen zu viel. Wird zu schnell, zu intim.
„Oh, ja, wir duzen uns hier und sorry, wegen der Frage nach deiner Sexualpräferenz. Ich hatte mir nur vorgestellt wie schön es mit einer Frau oder einen schwulen Mann in der Gruppe wäre. Übrigens ganz anonym ist das hier nicht. Wir kriegen die Informationen über unseren Alias-Namen. Wir, in der Gruppe sind aber schon weiter und duzen uns, mit unseren echten Vornamen. Vielleicht verrätst du uns ja auch mal deinen?“
Antjje lächelt Basti bei der letzten Frage noch viel intensiver an. Er ist ein Rätsel, welches sie zu lüften hofft. Mindestens, seinen echten Namen würde sie gerne wissen. Das scheint klar.
Dann hören beide laute Stimmen aus der geöffneten Tür, etwa 5 Meter entfernt. Es sind zwei Männerstimmen. Eine ruft laut, „Jetzt kommt schon endlich beide rein. Wir wollen anfangen. Antjje, denk bitte daran. Heute ist die Vorstellung unserer Geschichten.“ Antjje nimmt Basti an die Hand und zieht in behutsam zum Gruppenraum und ruft zurück, „Ja, Anton wir sind unterwegs. Bloß keine Hektik verbreiten.“
An einem langen weißen Tisch sitzen zwei Männer, ungefähr in Bastis Alter. Antjje, die sich dazu setzt ist nach Bastis Schätzung etwa 10 bis 15 Jahre jünger als die Männer. Antjje, zeigt auf den freien Stuhl neben ihr und versucht ihm nonverbal zu verstehen zu geben, dass er sich neben sie setzen soll. Vor ihm stehen verschiedene Kekspackungen und Getränke .
Einer der beiden Männer spricht Basti direkt an, als der sich hinsetzt. „Hallo Basti, mein Name ist Anton, neben mir sitzt Alexander und Antjje kennst du ja bereits. Schön das du hier bist. Bitte nimm dir was zu trinken und iss ein paar Kekse. Die hat meine Mutter für uns gebacken und die Getränke hat der Vater von Alexander spendiert. Hast du vielleicht schon Fragen? Immer raus damit.“
Basti erlaubt sich selbst eine Flasche Limonade zu öffnen und einen Keks zu essen als er beginnt, fertig gekaut, zu antworten, „Danke, für die Kekse und das Getränk. Schmeckt beides sehr gut. Und danke für den herzlichen Empfang. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Auch nicht, dass ihr eure Klarnamen und nicht die Alias verwendet. Ich meine, heutzutage sagt man doch Fremden erst mal nur seinen Alias. Allein schon aus Sicherheitsgründen. Ich hoffe, ihr versteht, dass ich erst einmal bei meinem Alias, Basti Fantasti bleibe?! Ihr dürft mich aber gerne duzen. Das ist ok.“
Daraufhin greift sich Anton einen kleinen Hammer, der vor ihm auf den Tisch liegt. Der Hammer sieht aus wie so einer, der in amerikanischen Gerichtssendungen zum Einsatz kommt. Basti bereitet sich innerlich auf den Schlag der Hammers und das daraus resultierende Geräusch vor. Er will sich ja nicht erschrecken und sich als Neuer, sofort vor der Gruppe blamieren.
Kurz zuckt er dennoch zusammen, als der Hammer die Tischoberfläche trifft. Die Männer bemerken davon wohl nichts. Bei Antjje, die direkt neben Basti sitzt, ist er sich nicht so sicher.
Versucht die Gedanken dazu aber zu verdrängen und sich auf die Situation vor ihm zu konzentrieren.
„Herzlich willkommen zur 31. Sitzung der örtlichen AAA. Falls das für Sie, meine Damen und Herren, ein A zu viel sein sollte sind Sie im falschen Raum, zur falschen Zeit. Die AA treffen sich immer freitags im Raum Schluckspecht, im Weinkeller des Zentrums.“
Alexander nimmt Anton den Hammer weg und faucht ihn wütend an, „Ich habe dir schon tausend mal gesagt, du sollst dich nicht über alkoholkranke Menschen lustig machen. Alkoholismus ist eine ernstzunehmende Krankheit und sowohl für das betroffene Individuum, als auch für die Gesellschaft ein großes Problem. Entschuldige dich sofort bei der Gruppe“.
Anton erwidert darauf, leicht auf seinen Stuhl hin und her wackelnd, „Ok, ja, ist nicht in Ordnung, aber warum soll ich mich hier bei der Gruppe entschuldigen? Hier ist doch niemand alkoholabhängig!“
Alexander, immer noch wütend, schwingt den erbeuteten Hammer vor Antons Gesicht hin und her.
„Erstens, weißt du gar nicht, ob unser neues Gruppen-Mitglied Basti nicht ein Problem mit übermäßigen Alkoholkonsum hat. Zweitens müssen ich und die anderen beiden Gruppenmitglieder gar nicht persönlich betroffen sein, um Empörung über deine menschenverachtenden Äußerung zu empfinden und Partei für die nicht anwesenden Betroffenen zu ergreifen. Du beleidigst uns und auch dich, drittens, damit als Menschen. Wir alle sollten solche Geisteshaltungen kategorisch ablehnen.“
Nachdem es scheint, als hätten sich beide Streithähne ein wenig beruhigt und gibt Basti zu Protokoll, „Ich bin übrigens kein Alkoholiker. Auch wenn ich ab und zu gerne mal ein Weizenbier trinke. Manchmal auch eins zu viel.“
Alle anderen drei nicken darauf hin fast unisono und Alexander legt den Hammer behutsam, als wolle er signalisieren sich wieder beruhigt zu haben, vor Anton, auf den Tisch.
„Du kannst jetzt gerne weitere machen, Anton aber lass den Quatsch. Ok?“
„Ja, ja, keine Angst, du Sensibelchen. In Alexanders perfekten Welt gäbe es weder Satire, noch Kabarett. Es könnte sich ja jemand beleidigt werden oder sich ausgrenzt fühlen.“
Basti versucht die anwesenden Personen zu lesen. Zu antizipieren, wie sie reden, sich bewegen, möglicherweise sogar denken. Dann könnte er, so hofft er, sie spiegeln. Der Gedanke, dass das Spiegeln eine ganz gewöhnliche, weit verbreitete und absolut notwendige Form der Kommunikation unter Menschen ist, hat er immer noch stark verinnerlicht.
Im Gegensatz zu frührern Zeiten spürt er heutzutage deutliche Hemmungen. Solche, die er früher nicht hatte. Da war er noch Superman. Bereit von der Kante eines Hochhauses loszufliegen. Er dachte alles dafür zu haben, was notwendig wäre. Die Fähigkeiten und den Willen, das richtige Mindset, um diese gewinnbringend einzusetzen.
Zu seinem Bedauern hat sein Leben nicht ganz so seinen Prognosen standgehalten. Beim Herantreten an der Kante des Hochhauses war Basti Superman Fantasti noch guter Dinge. Als er den Wind spürte, wie dieser um seinen Körper brach, kamen ihm erste Zweifel. Dann der Blick in den Abgrund, bei dem sein Magen Einspruch gegen das Unterfangen, mit Krämpfen, einlegte und die Gewissheit, aus dem geplante Flug wurde ein steiler Fall.
Anton, der wieder sein Spielzeug, den Hammer, in der Hand hatte, öffnete sich eine Flasche Wasser, mit dem Hammer, der gleichzeitig auch Flaschenöffner war.
Das Wasser muss still gewesen sein, dachte Basti, dessen Ohren, das Zischen der Kohlensäure vermissten.
Nach nur einem kurzen Schluck setze Anton die Flasche ab und begann seine vorherige Rede weiterzuführen.
„So, jetzt nochmal das Ganze. Wir sind die AAA. Unsere Namen sind Antjje, mit zwei J und das zweite ist stumm, ich weiß Antjje. Dann natürlich unser Gutmensch Alexander hier drüben.“
„Treib es nicht zu weit, Anton oder ich schiebe dir deinen Hammer ganz tief in deinen Arsch. Verstanden!“
„Ja, Ja, Alex, ist gut, beruhige dich. Basti soll uns doch nicht für Stock steif halten. Wieder zu unserer Vorstellung. Sorry, Basti. Wie es der Zufall so will, beginnen alle unsere Vornamen mit demselben Buchstaben, dem A, aber, das hast du ja schon bemerkt. Deshalb haben wir uns auch einen neuen und viel cooleren Namen gegeben. Wir sind die Triple A. Du weißt schon. Bist ja wahrscheinlich auch nicht ganz dumm. Wie so ein Rating für Staatsanleihen oder Aktien.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, welche der drei großen angelsächsischen Ratingagentur Triple A als Rating benutzte aber ich bin mir fast sehr sich, es war das höchstmögliche Rating. Leider hast du uns deinen echten Namen nicht verraten und daher wissen wir nicht ob dein Vorname mit A beginnt. Und ja, du sagtest, du willst erstmal bei der Anrede Basti bleiben. Alles ok. Passt aber nicht. Selbst wenn dein Vorname mit A beginnen würde, könnten wir das Triple A nicht mehr ändern. Du verstehst das sicherlich?! Wir wollen aber dennoch, dass du Mitglied wirst. Wir nennen dich einfach das vierte Mitglied der Triple A. Keine Widerrede. Jetzt bist du dabei. Damit du uns ein bisschen besser kennenlernen kannst, haben wir von der Psychologin den Auftrag bekommen kurze Anekdoten bzw. Geschichte vorzubereiten, die wir erlebt haben. Diese wollen wir dir nun gerne vorstellen und Alexander fängt an.“
„Nein, ich fange an.“ beginnt Antjje, sich in die Redereihenfolge einzumischen. „Ihr wusstet, ganz genau, dass ich heute früher gehen muss da ich noch den Online-Vorstellungs-Marathon vor mir hab. Heute ist Tag 23. Das heißt ich muss nach heute noch weitere 17 Tages-Quest schaffen, um in die nächste Runde zu kommen.“
„Und, das alles für einen Job? Ist das neu? Ich kenne das noch nicht. Ich musste letztens kleine Videos von mir an einen Personal-Dienstleister schicken. Da musste zuzüglich zu meinen Bewerbungsunterlagen noch Turnübungen machen. Das hat dann deren App zu eine witzigen Bewerbungscollage zusammengesetzt. Mit Musik und Comic-Effekten.“
„Danke, das du mich unterbrichst, Basti.
Ich habe gesagt, dass ich nicht viel Zeit habe. Und, nein. Es heißt Online-Vorstellungs-Marathon, kurz OVM, weil an 40 aufeinander folgenden Tagen, jeweils eine Stunde lang Aufgaben, sogenannte Tages-Quests, zu erfüllen sind. Es sollen die Strapazen eines Marathon, dessen Strecke ungefähr 40 Kilometer lang ist, nachempfunden werden oder so ähnlich. Irgendein Personaler-Bullshit. Leider, um deine Frage zu beantworten, gibt es keine echte Arbeit, also einen auskömmlichen Vollzeitjob ohne Befristung dafür, sondern die Chance sich um ein unbezahltes Praktikum bewerben zu dürfen.“
Kurz regiert Basti ein wenig erschrocken, auf Antjee, da es nicht seine Absicht war, sie zu unterbrechen. Er versucht sowas zu vermeiden, besonders bei Frauen. Er versteht sich auch als Feminist.
Zumindest solange, wie der Feminismus als emanzipatorische Kraft verstanden wird, die nicht nur Frauen, sondern auch die Männer vom Patriarchat befreit werden sollen. Es gibt auch Männer, die unter den ihnen zugedachten Rollen leiden. Auch weiße Cis-Männer, wie Basti einer ist. Wer aber, Frauen erlauben will den selben Scheiß machen zu dürfen wie die Männer, verdoppelt lediglich die Anzahl der Arschlöcher auf diesem Planeten. Das erscheint Basti nicht ratsam. Wie sind ziemlich überfordert mit der jetzigen Anzahl.
„Tut mir leid. Ich wollte dir nicht das Wort absprechen oder dich unsachgemäß unterbrechen aber wenn ich kurz eine Frage stellen dürfte?“
„Ok, aber nur kurz. Du weißt jetzt auch, dass mein Zeitfenster limitiert ist.
Bitte behandele mich nicht wie die beiden Kerle.“
Antjje dreht sich zu Basti um, in Erwartung der Frage.
Basti denkt noch, Antjje könnte ihn mögen, falls er die Körpersprache richtig deutet. Vielleicht aber auch nicht. Wer könnte ihn schon mögen. Der Selbstzweifel meldet sich wieder. Nagt an seinen blanken Knochen. Vielleicht denkt aber auch nur, sie würde ihn nicht mögen obwohl sie doch mag oder eben nicht. Wieder startet das Gedankenkarussell seine Fahrt und mit dabei Bastis Magen, der Bewegung, unnatürlich und viel zu schnell, nicht wirklich verträgt.
„Entschuldigung, Antjje, Leute, mir ist ein wenig übel. Magenprobleme. Der Stress. Ihr wisst schon?! Du sagtest unbezahltes Praktikum? Das kann ja gar nicht sein, oder?
Nur Pflichtpraktika, während des Studiums dürfen unbezahlt sein, da es sich um einen akademischen Ausbildungsbestandteil handelt. Bei einem freiwilligen Praktikum müsste man zumindest den Mindestlohn bekommen.“
„Ja, danke, du Schlauberger. Das weiß ich auch. Wie wir alle wurde ich auch vom Jobcenter zu tausend Bewerbungs-Trainings geschickt. Ich bin mittlerweile wahrscheinlich doppelt so qualifiziert wie jeder dieser Freizeitfaschos, die mir erzählen wollen wie ich zu leben habe und warum ich unfähig bin mir einen Job zu besorgen. Ich habe halt gelogen. Fake it until you make it! Ich habe behauptet noch zu studieren und weil niemand am anderen Ende der E-Mail-Leitung meine Unterlagen überprüft bin ich noch dabei und i bin unter den ersten zehn im Ranking. Von Tausenden. Wenn ich dann gewinne, werden ich die schon davon überzeugen mich zu nehmen. Scheiß auf Mindestlohn.
Ich will eine Chance! Wenn du das nicht verstehst, bist du noch nicht lange genug arbeitslos. Das kommt noch. Glaub mir!“