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Unterm Stein

Unterm Stein · Romane

Was unter einem Stein verborgen liegt, kann man durch Heben des Steines zum Vorschein bringen. Man kann es auch wieder darunter vergraben.

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Aus Buchstaben werden Silben, aus Silben Wörter, aus Wörtern Sätze und aus Sätzen werden Texte und manchmal werden es auch Geschichten. Leben ohne Schreiben geht nicht und mit ist es häufig schwer. Aber ich mache einfach weiter.

Über den/die Autor:in

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Aus Buchstaben werden Silben, aus Silben Wörter, aus Wörtern Sätze und aus Sätzen werden Texte und manchmal werden es auch Geschichten. Leben ohne Schreiben geht nicht und mit ist es häufig schwer. Ab...

Teil I

Margarete Bolender legte Blutwurst und Schinken auf ein Holzbrett, schnitt Salami in Scheiben und garnierte sie mit ein paar Cocktailtomaten. Bevor sie den Käse auf ein anderes Brett legte, spülte sie das gerade verwendete Messer ab und trug alles in das Esszimmer. Auf dem massiven Tisch stand bereits ein geflochtener Korb mit frischem Bauernbrot. An den über Eck liegenden Plätzen am Fenster hatte sie für zwei Personen gedeckt. Neben Messer und Gabel lagen oberhalb der weißen Porzellanteller in einem Silberring zusammengerollte Stoffservietten.

Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass nichts fehlte, zupfte Marga ihre beigefarbene Seidenbluse zurecht, so dass sie den schmalen schwarzen Gürtel verdeckte und gleichmäßig über ihrem Hosenbund lag. Ihre Füße steckten in schwarzen Pumps mit Blockabsatz, da sie Hausschuhe nur am frühen Morgen oder spät am Abend trug, wenn sie sich schon zur Nacht bereitgemacht hatte. Sie trat an das Fenster und betrachtete gebannt das seltsame Schauspiel, das sie schon den ganzen Nachmittag mit wachsender Neugier beobachtet hatte. Die Sicht auf das Haus gegenüber versperrte ein roter Zwölftonner. Ein halbes Dutzend große, kräftige Männer in Overalls in der Farbe des LKW schleppten immer noch ein Möbelstück nach dem anderen und unzählige Kartons in das Haus. Zwei von ihnen mühten sich gerade mit einem Schreibtisch ab, der es in seinen Ausmaßen mit denen eines Kleinwagens aufnehmen konnte.

Einmal hatte sie einen Blick auf den, wie sie vermutete, neuen Eigentümer des Hauses werfen können. Der Mann stand den Möbelpackern in Größe und Statur in nichts nach, obwohl er geschätzte dreißig Jahre älter war. Er hatte fast schulterlanges silbergraues, lockiges Haar, trug eine grüne Breitcordhose sowie einen beigefarbenen Pullover mit Ärmelschonern. Das Gesicht konnte sie aufgrund des Vollbartes aus der Entfernung nicht deutlich erkennen.

Marga wurde aus ihren Beobachtungen gerissen, als ihr Mann mit dem Wagen in die Auffahrt fuhr. Sie sah Ludwig zu, wie er aus dem Auto ausstieg und seine Tasche aus dem Kofferraum holte. Über den Winter hatte er wieder zugenommen. Er war nie dünn gewesen, da sein kräftiger Knochenbau das nicht erlaubte und das Schwimmen hatte sein übriges getan. Er hatte immer noch volles Haar, das lediglich von blond zu grau übergegangen war. Eigentlich wäre gemütlich auch eine Definition seiner Statur, doch niemand der ihn kannte, würde ihm diese Eigenschaft zu schreiben.

»Das war vielleicht ein Tag«, schnaufte Ludwig.

»Wenn die Gesunden, die mein Wartezimmer verstopfen, zu Hause blieben, könnte ich mich um die wirklich Kranken kümmern.«

»Da zieht jemand ein«, bemerkte Marga, ohne auf ihren Mann einzugehen.

»Das habe ich bemerkt. Man kommt ja kaum noch an dem Lkw vorbei.«

Ludwig trat zu ihr ans Fenster und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Die haben vielleicht viele Sachen«, sagte Marga.

»Nicht mehr als wir auch, nehme ich an.« Sein Blick glitt kaum merklich über die Anrichte, auf der Porzellanfiguren in Form von Hunden, Engeln, Katzen, Pferden und zwei kleine Miniaturservice standen.

»Du hättest die Kartons sehen sollen, die sie den ganzen Nachmittag hineingetragen haben.« Im Stillen überlegte Ludwig, wie viele Kartons sie beide wohl zusammenbekommen würden; sagte aber nichts.

»Vielleicht sollten wir »Guten Tag« sagen.«

»Marga! Lass die Leute doch erst einmal einziehen. Außerdem sieht das so aus, als wären wir neugierig und hätten den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als ihnen aufzulauern und bei der erstbesten Gelegenheit über sie herzufallen.«

So uninteressiert, wie er sich seiner Frau gegenüber gab, war er aber nicht und so fragte er: »Hast du sie gesehen?«

»Nur den Mann«, antwortete Marga und beschrieb ihm, was sie beobachtet hatte.


Nicht ahnend, dass sich seine neuen Nachbarn bereits detailliert über seinen Hausstand informiert hatten, betrat Reto Löwenstein sein neues Leben.

Durch das ganze Haus wehte noch der Geruch frischer Farbe. Der zweigeteilte Wohnraum war an der Decke von ebenholzfarbenen Balken durchzogen. Die Zwischenräume waren weiß gestrichen, wodurch sie noch stärker hervortraten. Er ging in den Flur und wollte gerade die Treppe hinaufsteigen.

»Tschuldigung.« Er drehte sich um und sah zwei der Umzugshelfer mit seiner Waschmaschine beladen stehen.

»Ach, herrje«, sagte er und trat beiseite, damit die Männer die Maschine durch die Küchentür tragen konnten. Er ging nach oben in das kleine Schlafzimmer und begann, seinen Kleiderschrank einzuräumen und das Bett zu beziehen. Als er wieder nach unten kam, schoben zwei der Männer das Sofa in eine Ecke; einer der beiden hob den Kopf und fragte:

»Ist‘s recht so?«

»Genau richtig. Werden Sie noch lange brauchen?«

»Nein, wir sind gleich fertig.«

Nachdem seine Helfer gegangen waren, suchte Löwenstein auf dem Esstisch sein Pfeifenetui und ließ sich anschließend in seinen ledernen hellbraunen Ohrensessel fallen, dessen Armlehnen schon deutliche Gebrauchsspuren zeigten. Die Männer hatten freundlicherweise die Anlage bereits angeschlossen. Seine Klassiksammlung war noch in den Kartons verstaut, die sich neben seinem Sessel stapelten. Er öffnete den ihm am nächsten Stehenden und griff wahllos nach einer Langspielplatte. Kurz darauf scholl Dvořaḱs 9. Symphonie durch den Raum und gab Löwenstein ein Gefühl von Zuhause. Er stopfte seine Pfeife, rauchte genüsslich, während er Dvořaḱ folgte, und ließ seinen Blick durch das Wohnzimmer gleiten. Dafür, dass er gerade erst eingezogen war, strahlte es bereits ein wenig Gemütlichkeit aus. Die dunkelbraune Couchgarnitur hatte sich in die Ecke des Wohnraums eingefügt, als wäre sie dafür gemacht worden. Das Grammophon hatte seinen Platz zwischen der Sofalandschaft und dem Sessel bekommen. An die freien Wände hatten die Umzugsleute die Gemälde und Grafiken gelehnt. Löwenstein musste schmunzeln, da der Raum nur in der unteren Hälfte eingerichtet war, als wäre der Bewohner nicht größer als einen Meter. Im Geiste ging er die Bilder durch und überlegte, wo er sie hinhängen wollte. Erst das Verstummen der Musik riss ihn aus seinen Gedanken.

Noch mit der Pfeife im Mund stieg er die Holztreppe mit den halbkreisförmigen Teppichstücken hinauf. Das Geländer schmiegte sich mit seiner abgerundeten breiten Form an seine Hand, als wäre es nur für ihn gemacht. Sein Arbeitszimmer bestand aus ursprünglich zwei kleinen Räumen, die er zu einem großen und geräumigen Zimmer hatte umbauen lassen, das nun mehr als die Hälfte des Obergeschosses einnahm.

Zwei Fenster gaben den Blick in den Garten frei, dessen Grasfläche man ansah, dass das Haus zwei Jahre leer gestanden hatte. Die fast kniehohen Gräser, die sich dort ausgebreitet hatten, waren mit Löwenzahn, jeder Menge Klee und diversem Unkraut durchsetzt. Auch die einmal angelegten Beete rechts und links der Rasenfläche bestanden zum großen Teil aus Unkraut, zwischen denen vereinzelte Rosenbüsche vor sich hin wucherten. Eine Schaukel, die nur noch an einem verwitterten Seil hing und eine ursprünglich einmal weiß gewesene Bank standen im rechten hinteren Teil des Gartens. Die ursprüngliche Gartenplanung ließ sich noch erahnen. Den Abschluss bildeten drei Apfelbäume, hinter denen ein verwitterter Jägerzaun stand, der den Garten von dem dahinterliegenden Wald trennte. Einer der Apfelbäume wurde von einer großen Eibe derart eingeklemmt, dass er überhaupt keinen Platz hatte um sich auszubreiten und so deutlich schmächtiger war, als die beiden anderen. Löwenstein würde als Erstes die Schaukel und die Eibe entfernen. Die Bank ließe sich mit einem Anstrich vielleicht noch retten, aber vor allem.

Löwenstein wandte sich dem Zimmer zu. Das Arbeitszimmer beherbergte bisher nur seinen riesigen Doppelschreibtisch aus Nussbaumholz und seinen Kapitänsstuhl. An der den Fenstern gegenüberliegenden Wand stapelten sich die Kartons bis fast unter die Decke. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, auf dem die Laptoptasche und ein Haufen Kabel lagen. Große Lust, seinen neuen Computer einzuschalten, verspürte er nicht, stattdessen starrte er die Kartonberge an.

Ich brauche einen Tischler, der mir passende Regale baut, dachte Löwenstein. Die Einbauregale aus seiner Frankfurter Wohnung hatte er schließlich nicht mitnehmen können.

Die Kartonberge erdrückten ihn und gaben ihm das Gefühl, in einem Lagerhaus zu sitzen, sodass er lieber wieder nach unten ging. Der einzige, vollständig eingerichtete Raum war die Küche. Sogar das Geschirr war bereits in den Schränken verstaut.

Er sah aus dem Fenster. Direkt vor seinem Haus standen zwei Dorfbewohnerinnen und unterhielten sich. Eine der beiden, die auffallend rotwangig war, warf einen verstohlenen Blick auf das Haus. Sie bemerkte Löwenstein, wie er die beiden aus seinem Küchenfenster heraus beobachtete, und zog die Andere am Arm, um sie zum Weitergehen zu bewegen. Dass sie sich über ihn unterhalten hatten, war so offensichtlich, dass er unwillkürlich lächelte. Es war eben ein Dorf, in dem ein Einzug natürlich auffiel.

Löwenstein sah den beiden nach, bis sie an der Straßenecke aus seinem Blickfeld verschwanden und ging in das Wohnzimmer. Der Esstisch war auf der gesamten Fläche mit Gläserkartons belegt. Als er die ersten Gläser in den Schrank räumte, fiel ihm ein, dass der Inhalt seines Kühlschrankes nicht viel hergab und er nicht sicher sein konnte, dass der Supermarkt hier bis spät in den Abend geöffnet waren. Löwenstein suchte in der Küche nach einem Beutel und trat hinaus in den lauen Frühsommerabend. Am Himmel türmten sich hohe Wolken, die den nächsten Wolkenbruch ankündigten. Da er nicht wusste, wo sein Regenschirm war, hoffte er, dass der Regen noch auf sich warten ließ, bis er wieder zurück war.

Als Löwenstein die Straße entlang schlenderte, wurde ihm bewusst, was für einen langweiligen und unspektakulären neuen Wohnort er sich ausgesucht hatte. Die meisten Häuser waren in den fünfziger Jahren erbaut worden und zeichneten sich durch ihre Zweckmäßigkeit aus. Ihm hatte das Haus, der Garten und die Ruhe gefallen, und letztendlich war ihm das Wichtigste Abstand von der Universität zu bekommen, aber um den Rest hatte er sich nicht gekümmert. Er hatte nur darauf geachtet, dass es einen kleinen Laden gab, in dem man etwas kaufen konnte, damit er für einen Liter Milch nicht in der Gegend herumfahren musste.

Löwenstein bog in die Hauptstraße ein, in der es nur noch zwei Höfe gab, die noch betrieben wurden. Er kam an der Bäckerei und dem Schreibwarenladen vorbei, der auch Tabak und Briefmarken verkaufte und in dem man sogar ein Paket aufgeben und einen Lottoschein kaufen konnte. Er ging weiter bis zu dem kleinen Lebensmittelladen. Als er die Tür öffnete, erstarb das Gespräch, das die Kassiererin mit zwei Frauen führte. Löwenstein erkannte die beiden sofort wieder. Es waren dieselben, die sich vorhin so auffällig vor seinem Haus postiert hatten.

»Guten Tag«, sagte er höflich.

»Guten Tag. Kann ich Ihnen helfen?«, antwortete die Kassiererin.

»Nein, danke. Ich denke, ich komme schon zurecht.«

Sie sah auf seinen Jutebeutel und meinte: »Dort drüben stehen Plastikkörbe, da können Sie Ihre Sachen reintun.«

Die drei Frauen sprachen nun leise weiter. Das Gemurmel begleitete ihn auf der Suche nach den ihm fehlenden Lebensmitteln durch die Gänge. Neben Putenschnitzel für seine geplante Gemüsepfanne landeten noch Butter, Wurst, Käse, Brot und Kaffee in seinem Korb. Vor dem Gemüseregal blieb er stehen, griff nach einem Beutel Paprikaschoten und ließ auch Zwiebeln, Pilze und Tomaten in seinen Korb fallen.

»Entschuldigung. Haben Sie noch Zucchini?«

»Da müssen Sie früher kommen oder nach Michelstadt fahren. Da haben die mehr Sachen. «

Er ging noch einmal zu dem Gemüseregal zurück, doch eine gute Alternative für die Zucchini gab es nicht und dafür 8 km mit dem Auto fahren, wollte er auch nicht.

Auf dem Weg zur Kasse blieb er vor den Nudeln stehen, und entschloss sich zur Sicherheit eine Packung mitzunehmen, da er keine Ahnung hatte, welche Lebensmittel er überhaupt Zuhause hatte.

Er legte die Waren auf das Band. Während die Kassiererin ein Produkt nach dem anderen über den Scanner zog, schaute Löwenstein sich um. Die Frauen waren inzwischen gegangen. Sein Blick fiel auf das schwarze Brett neben der Eingangstür.

»Das macht 23,87.« Löwenstein gab ihr einen Fünfzigmarkschein.

»Kleiner haben Sie es nicht?« Er schüttelte den Kopf und packte seine Sachen in den Beutel.

Während er das Wechselgeld entgegennahm, fragte er: »Entschuldigung. Wäre es möglich, an dem Schwarzen Brett einen Aushang zu machen?«

»Haben Sie ‘was zu verkaufen?«

»Nein. Ich suche eine Putzfrau.« Sie sah ihn durchdringend an, als könnte sie seine Vertrauenswürdigkeit an seinem Gesicht ablesen.

»Sie sind in das Haus der Müllers eingezogen?«

»Bin ich«, bestätigte Löwenstein.

Die Kassiererin sah ihn an, als erwartete sie noch weitere Details. Doch Löwenstein hatte keine Lust hier Rede und Antwort zu stehen.

Nachdem Löwenstein keine Anstalten machte, sich weiter zu erklären, sagte sie barsch: »Dort liegen Zettel, da können sie einen ausfüllen. Einen Stift haben Sie?«

Er nickte, füllte den vorgefertigten Zettel aus und pinnte ihn an das Brett. »Auf Wiedersehen«, sagte er noch, dann machte er sich wieder auf den Heimweg. Der Himmel hatte sich schneller zugezogen, als Löwenstein erwartet hatte. Vereinzelte große Regentropfen landeten auf seinem Pullover und so ging er schnelleren Schrittes die Straße entlang, froh darüber, dass er es nicht weit hatte, da die Regentropfen sich zusehends vermehrten.

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