Die wilden 80-er
Leseprobe
Der tägliche Wahnsinn auf der Autobahn
Vor Harry strahlten die Bremsleuchten signalrot, mit aller Kraft trat er auf das Bremspedal. Nichts, keine Wirkung – er versuchte es wieder und wieder, die Lichter kamen immer näher. Sein Körper verkrampfte sich, die Hände umklammerten mit aller Kraft das Lenkrad, jeden Moment würde der Aufprall kommen. Adrenalin schoss durch seinen Körper, das ist das Ende. - Das Herz raste, wann kam der Aufprall. Angstschweiß schoss aus jeder Pore seines Körpers. - Sein letzter Gedanke galt seinen Töchtern Stefanie und Nicole. Ich hab euch lieb.
In diesem Moment erwachte Harry schweißgebadet hinter dem Lenkrad seines Trucks. Er brauchte einige Zeit, um in die Realität zurückzukommen. Was war passiert? Sein Truck stand auf einem kleinen Parkplatz neben der Autobahn. - Ja, richtig, er hatte sich so gerade noch hinter einen anderen Lkw gequetscht, dessen Rückleuchten nur ein paar Handbreit vor ihm leuchteten. Alle Parkplätze vorher waren belegt gewesen. Er wollte nur ein kurzes Schläfchen halten. Um nicht zu lange zu schlafen, legte er seinen Kopf auf die verschränkten Arme, die auf dem Lenkrad lagen, und war sofort eingeschlafen. In dieser Position schlief er maximal eine halbe Stunde, dann weckte ihn sein geschundener Körper von selbst. Aber heute hatte der ihm einen Streich gespielt und einen Albtraum erzeugt, der Harry fast umgehauen hatte. Er zitterte immer noch am ganzen Leib, vorsichtig stieg er aus, zündete sich eine Zigarette an und ging ein Stück auf dem Parkplatz hin und her. Er wusste selbst, dass er sich mal wieder zu viel zumutete. Aber was sollte er machen? Er war gestern Abend viel zu spät in München losgekommen, seine Fracht bestand aus Paketen für einen großen Logistikdienstleister. Er hatte knapp 2 Stunden auf die Frachtpapiere gewartet. Diese Zeit fehlte ihm. Wenn er nicht um 4:00 Uhr an der Rampe des Empfängers stand, gab es richtig viel Ärger. Aber jetzt war er ja wieder topfit, beruhigte er sich mit einem müden Lächeln. Sein Körper sagte ihm das Gegenteil. Ein Blick auf die Uhr, noch 2 1/2 Stunden Zeit, das reichte für die letzten 130 km bis zum Ziel. Harry warf die Zigarettenkippe auf den Boden und trat sie mit dem Fuß aus. Er schwang er sich hinter das Lenkrad, startete den Motor und setzte den Truck ein Stück zurück. Dann fuhr er aus der Parklücke und rollte zurück auf die Autobahn. Unterwegs schickte er ein Dankgebet zum Himmel für die Bewahrung vor Schlimmeren.
Um 3:30 stand er an der Rampe in Kassel und seine Pakete wurden entladen. Anschließend fuhr Harry auf den Betriebsparkplatz des Unternehmens und legte sich noch für zwei Stunden aufs Ohr. Er konnte erst ab 7:00 Uhr seine Rückladung in Baunatal aufnehmen. Und ein bisschen Ruhe tat ihm jetzt gut, nach diesem Erlebnis in der Nacht. Er zog die Rundumgardinen in seinem Fahrerhaus zu und entledigte sich seiner Jeans. Dann krabbelte er in die obere Schlafkoje hinter den Sitzen. Nach zwei Minuten schlief er tief und fest.
Von Baunatal war er gegen Mittag losgekommen, es fehlte mal wieder ein Teil und die Suche dauerte endlos. Aber jetzt konnte nicht mehr viel passieren. Harry steuerte seinen 38-Tonner über die A 44 in Richtung Heimat, noch ein knappes Stündchen, und diese Woche war geschafft. Für Anfang Mai war es angenehm warm, das Thermometer zeigte 15° Grad Celsius. Für den morgigen Samstag waren knapp 20° Grad vorhergesagt. Eine gute Gelegenheit, die Kartoffeln unter die Erde zu bekommen. Der Sack stand seit einer Woche im Keller. Sicher konnte er seine Mädels dafür begeistern, ihm beim Pflanzen der Kartoffeln zu helfen.
Vor Harry tauchte das Hinweisschild auf die Tankstelle Diemelstadt auf, jetzt noch einen heißen Kaffee, das wäre genau das Richtige. Schon ging seine Hand zum Blinker und der Fuß ließ das Gaspedal frei. Da sein LKW voll beladen war, fiel die Tachonadel sofort nach unten, als er das Gaspedal losließ. Harry ließ den LKW in Richtung der Zapfsäulen ausrollen, kurz davor hielt er seinen Laster dann an und zog die Handbremse. Noch schnell den Fahrtenschreiber auf Pause gestellt und schon stand einem heißen Kaffee nichts mehr im Wege. Harry stieg aus dem Fahrerhaus und machte mit ein paar Dehn- und Streckübungen seinen Körper fit. Dann ging er, immer noch etwas steifbeinig, hinüber zur Tankstelle, dessen Verkaufsraum auch als kleiner Imbiss eingerichtet war. Hinter der kleinen Theke sah Harry den gemütlichen Tankwart Peter stehen, mit dem er sich schon oft unterhalten hatte. „Hallo Peter, alles fit im Schritt, mein Freund“ frotzelte Harry. Peter grinste über das ganze Gesicht: "Hallo Harry, bei mir ist alles fit und bei dir? Hast du gleich Feierabend?“ „Das will ich hoffen, Peter, morgen will ich mit meinen Mädels Kartoffeln pflanzen. Jetzt kann ich aber noch einen schönen Schwarzen vertragen.“ "Auch ´ne Wurst dazu mit frischem Kartoffelsalat?“ Harry überlegte kurz "Warum nicht, gib mir mal eine, aber ohne Salat, nur mit einem Toast, das reicht mir.“
Kurz darauf saß Harry an einem der kleinen Tische und ließ sich die Wurst schmecken. Auch der Kaffee war gut, so wie er ihn liebte, heiß und schwarz. Zu einem Gespräch mit Peter war aber kaum Zeit, da immer wieder Kunden kamen, die ihre Tankrechnung bezahlten und sich mit der einen oder anderen Kleinigkeit für ihre Reise versorgten. Harry warf einen Blick in den Sportteil der BILD-Zeitung, die auf dem Tisch lag. Sein BVB spielte morgen gegen die Bayern und Harry hoffte auf einen Sieg, auch die Zeitung gab ein 2:1-Sieg der Borussia als Tipp ab. Das sah doch schon mal gut aus. Er trank den restlichen Kaffee und wünschte Peter noch ein schrott- und knitterfreies Wochenende und ging zu seinem Truck, um die letzten Kilometer bis zum Speditionshof zu fahren.
Kurz vor 15 Uhr steuerte Harry seinen LKW auf den leeren Speditionshof, nur 2 Fahrzeuge aus dem Nahverkehr wurden gerade entladen. Vor der Werkstatt stand ein anderer LKW und bekam neue Schlappen, sprich Reifen, verpasst. Harry hielt an der speditionseigenen Tankstelle und füllte die beiden 400 Liter Tanks mit Diesel auf. Während der Kraftstoff in den Tank strömte, schaute er nach dem Scheibenwischwasser und dem Ölstand. Anschließend noch ein Gang rund ums Fahrzeug, um eventuelle Schäden festzustellen oder Fremdkörper in und zwischen den Reifen aufzuspüren. Es kam öfter vor, dass sich gerade zwischen den Zwillingsreifen auf der Antriebsachse Teile fanden wie eine alte Konservendose oder Drahtgeflecht, das auf irgendeinem Rastplatz herumgelegen hatte. Aber auch Nägel oder Krampen bohrten sich gerne in das Gummi der Laufflächen. Wurden diese Teile nicht bemerkt, konnten sie zum einen die Reifen zerstören oder bei hohen Geschwindigkeiten auf der Autobahn wie ein Geschoss hervorschießen und den nachfolgenden Verkehr gefährden. Daher war dieser Kontrollgang sehr wichtig und Harry machte ihn mindestens einmal am Tag. Heute war alles in Ordnung und so stellte er seinen Truck vor der Waschanlage ab. Als er seine persönlichen Sachen zu seinem PKW brachte, rief ihn Otto, der Disponent, durch das geöffnete Fenster der Disposition zu: “Harry, wenn Du fertig bist, sollst Du mal zum Chef rein“ „Okay,“ gab er zurück“ ich bin gleich so weit.“ Hm, was der Chef wohl von ihm wollte? Er war ja erst seit 6 Wochen in der Firma und das nur mit einem 6-Monatsvertrag. Ein Kollege hatte einen Herzinfarkt bekommen und dadurch hatte er diese befristete Stelle bekommen. Der Job war viel besser als sein vorheriger, die Bezahlung war gut und vielleicht kam der Kollege ja nicht wieder. Er war gespannt, was sein Chef auf dem Herzen hatte. Er sprach noch ein paar Worte mit den beiden Studenten, die hier am Wochenende die Lkws äußerlich wieder blitzblank für die nächste Woche machten. Dies zeigte auch die soziale Einstellung seines Chefs, denn es war nicht die Regel, dass die Fahrzeuge gewaschen wurden. Meistens war es so, dass der Fahrer dies nach einer anstrengenden Woche selbst machen musste. Noch ein Pluspunkt für seine derzeitige Firma. Sein Fahrerhaus hielt er allerdings selbst sauber, das war sein gutes Wohnzimmer.
Harry ging ins Gebäude und klopfte bei seinem Chef an. "Herein“ tönte es durch die Tür und Harry berat das Allerheiligste. Sein Chef stand direkt auf und kam auf ihn zu. "Hallo Herr Lohbergen, hatten sie eine gute Fahrt?“ Freundlich streckte ihm sein Chef die Hand entgegen und Harry antwortete mit einem festen Händedruck "Danke, alles super gelaufen, ist ja selten genug, dass ich so früh nach Hause komme. Hoffe, sie haben keine Überraschung für mich.“ "Setzen wir uns doch erst einmal, darf ich Ihnen ein Kaffee oder ein Wasser anbieten?“ "Gerne einen Kaffee, schwarz.“ "Nun dann will ich Ihre Neugier auch nicht auf die lange Folter spannen.“meinte sein Chef, während er ihm eine Tasse dampfenden Kaffees bereitstellte. Die Kanne stand direkt auf dem kleinen Besprechungstisch, an dem sie Platz genommen hatten. "Sie sind hier bei uns ja ganz gut reingekommen, auch wenn es im Anfang ein paar Problemchen mit unseren alten Hasen gab. Aber Sie haben die richtige Einstellung gefunden und ich würde es begrüßen, wenn Sie länger für unsere Spedition fahren würden. Sie sind ja hier bei uns vom Sattelzug auf den Gliederzug umgestiegen und ich konnte mich selbst schon mehrmals davon überzeugen, dass sie auch damit sehr gut zurechtkommen. Besonders das Rangieren scheint Ihnen ja keine Probleme zu bereiten. Wir werden im nächsten halben Jahr einen Sattelzug mit Kühlauflieger bekommen. Da dies für uns ein ganz neues Geschäftsfeld wird, suche ich für dieses Auto noch einen Fahrer, der notfalls zwischendurch auch wieder auf einen Gliederzug wechseln könnte. Falls die Auftragslage sich anders entwickelt als gedacht. Wäre das etwas für sie?“ Harry war etwas geschmeichelt, dass sein Chef ihm dies Angebot machte, zeigte es ihm doch, dass er bisher alles richtig gemacht hatte.
Selbst die Schote, als er seinen Kollegen Sonntagabends auf der Autobahn ausgesetzt hatte, hatte sich anscheinend nicht negativ auf die Bewertung seines Chefs ausgewirkt. Harry erinnerte sich noch genau, er war gerade mal zwei Wochen in der Firma und es war mal wieder Sonntagabend 22:00 Uhr, das bedeutete für die meisten Fahrer den Start in die neue Woche. Er sollte an diesem Sonntagabend mit dem Kollegen Paul Kläser mitfahren und wie üblich war Harry um 21:20 Uhr auf dem Speditionshof und hatte schon sein Bettzeug und die Wechselsachen für die nächsten Tage im Lkw von Paul verstaut. Er kannte den Kollegen nicht, hatte ihn einmal kurz auf dem Hof gesehen, aber noch kein Wort mit ihm gesprochen. Bis der Kollege kam, machte er seine obligatorische Runde um das Fahrzeug, überprüfte ob die Anhängerkupplung eingerastet war und alle Bremsleitungen und Stromkabel angeschlossen waren. Auch die Verzurrung der Planen schaute er sich an und als er auf der anderen Seite wieder vorne am Fahrerhaus ankam, fuhr der Kollege auch vor. Er parkte direkt vor dem Lkw, um wahrscheinlich auch sein Bettzeug und Tasche umzuladen. Harry stellte sich kurz vor und versuchte eine erste Einschätzung des Kollegen. Der wollte sich von seiner besten Seite zeigen, vermied aber den direkten Augenkontakt mit Harry. Außerdem war sein ganzes Verhalten überfreundlich. Der erste Eindruck war nicht der beste und Harry´s Bauch sagte ihm, sei lieber mal vorsichtig mit Paul, der ist nicht ganz sauber. Paul bot sich direkt an, die erste Strecke zu fahren, auch dies hatte Harry bisher in dieser Firma nicht erlebt. Die alten Fahrer waren in der Regel die, die sich gerade Sonntagabends gerne in die Koje zum Schlafen legten und den 2. Fahrer das Lenkrad überließen. Da nachts die langen Autobahnstrecken ab gespult wurden, waren die Altfahrer morgens ausgeruht für den Tagesbetrieb, während der 2. Fahrer kaum ein Auge im LKW zumachen konnte, weil tagsüber natürlich von einem zum anderen Kunden gefahren wurde, häufig über Stadt- und Landstraßen mit vielen Ampeln und Kurven. Dazu kamen die Fahrzeugbewegungen beim Entladen. Dies hatte auch Harry nicht anders in den ersten 14 Tagen so erlebt, darum wurde er direkt stutzig, als Paul sich sofort für die Nachtfahrt anbot. Aber Harry wartete erst mal ab und beobachtete genau, was da eventuell auf ihn zukam.
Nach einer kurzen Fahrt über die Landstraße ging es auf die Autobahn 44 in Richtung Kassel. Bis jetzt war die Fahrt problemlos verlaufen, mit Paul hatte Harry ein bisschen Smalltalk gemacht. Da die Fahrt jetzt ruhiger war, machte sich Harry bettfein und kroch in die Koje. Bei den modernen Lkw gab es hinter den Sitzen ein ca. 6o cm tiefen Bereich, wo quer zur Fahrtrichtung zwei Schlafpritschen verbaut waren. Nach vorne waren diese Pritschen durch einen Vorhang abgetrennt. Auf die untere Pritsche kroch Harry also nun und machte es sich in seinem dort ausgebreiteten Schlafsack gemütlich. Das Schlafen während der Fahrt war auch auf der Autobahn nicht so erholsam wie zu Hause im eigenen Bett. Darum fuhr Harry am liebsten auch alleine, dann konnte er sich einen ruhigen Stellplatz für seinen Truck suchen, wo er wesentlich besser zur Ruhe kam. Heute kam noch hinzu, dass er seinen Kollegen Paul nicht kannte und nichts war schlimmer, hinten in der Koje zu liegen, wenn der Partner am Steuer einschlief. Jeder Fahrer kannte diesen sogenannten Sekundenschlaf, meistens wurde man selbst wieder rechtzeitig wach. Aber etliche Kollegen landeten auch schon mal in der Leitplanke oder noch schlimmer im Graben. Und wenn der Fahrer Linkshänder war, dann kam noch ein weiteres Problem dazu, denn diese Fahrer neigten dazu, beim Sekundenschlaf das Fahrzeug nach links zu steuern. Rechtshänder dagegen zogen auch ihr Fahrzeug nach rechts. Gerade nachts sah Harry oft genug Kollegen vor sich, die immer wieder mal ihr Fahrzeug nach rechts zogen. Wenn er nahe genug hinter dem Kollegen war, reichte schon mal ein Druck auf sein Lufthorn, um den Kollegen vor sich wieder aufzuwecken und auf die richtige Spur zu bringen. Darum war Harry noch hellwach in seinem Bett und lauschte auf verdächtige Geräusche. Aber bis jetzt war alles ruhig. Aber was raschelte den da vor ihm? Harry bemerkte wie sein Kollege sich aus einem Fach neben dem Fahrersitz einen Flachmann hervorholte. Kurz danach konnte Harry deutlich den Geruch von Weinbrand wahrnehmen. Das ging ja mal gar nicht! Was sollte er denn jetzt machen? Fieberhaft überlegte Harry, wie er mit dieser Situation fertig werden konnte. Und hatte plötzlich einen Einfall, wie er diese Situation umdrehen konnte.
„Hey Paul, wo sind wir jetzt?“ „Hey, ich denke, du schläfst schon, Kollege! Wir sind kurz vor Diemelstadt, warum, ist was mit dir?“ „Tue mir einen Gefallen und fahr auf den Seitenstreifen und halt mal an. Ich muss kotzen, glaube ich. Hätte vorhin die Frikadelle an der Tankstelle nicht essen sollen. Ich komme mal raus.“ Und damit kroch Harry auch schon nah vorne und bemerkte noch, wie Paul mit der linken Hand neben seinem Sitz herumfummelte. Wahrscheinlich verstaute er schnell wieder den Flachmann. Er steuerte aber den Lkw schon auf dem Standstreifen und die Fahrt verlangsamte sich. Als der Wagen stand, war Harry auch schon aus der Beifahrertür und markierte, wie er die Frikadelle erbrach. Dann rief er zweimal „Scheiße, Scheiße!“ „Was ist los?“ rief Paul von innen „Kannst Du mir mal mit einer hier leuchten, ich habe meine Brille verloren und bin nur auf Socken?“ „Moment Kollege, ich komme.“ Als Harry merkte, dass Paul auf der linken Seite ausgestiegen war und um das Fahrerhaus herum kam, sprang Harry schnell auf der Beifahrerseite wieder in den LKW und verriegelte die Tür von innen. Dann machte er sich lang und verriegelte auch die Fahrerseite. Paul stand nun draußen vor der Beifahrertür und hämmerte dagegen. „Hey, was soll das? Bist du total verrückt?“ Harr öffnete das Fenster der Beifahrertür ein Stück und sagte zu Paul:“ Mein Freund, für dich ist die fahrt hier zu Ende. Schau dich mal um, da unten siehst du die Raststätte, das schaffst du zu Fuß in einer halben Stunde. Deinen Schnaps behalte ich für unseren Chef. Alles klar, mein Freund?“ Paul glaubte, sich verhört zu haben und knallte immer wieder mit den Fäusten gegen das Blech der Beifahrertür. „Bist du blöd? Haben sie dir ins Gehirn geschissen?“ Harry ließ sich b´nicht beeindrucken, schnappte sich Pauls Tasche von der oberen Koje und schmiss sie aus derm Fenster auf Paul. „Ruf den Chef an, der holt dich sicher sofort hier ab“ rief im Harry noch zu, dann schloss er das Fenster, setzte sich auf den Fahrersitz und fuhr los. Im Rückspiegel konnte er noch sehen, wie Paul wie ein HB-Männchen auf dem Standstreifen rumsprang. Harry hatte keinerlei Gewissensbisse, denn das Verhalten des Kollegen ging gar nicht. Und Harry hatte keine Lust, schon in dieser Zeit bei Petrus anzuklopfen. Er war jetzt zwar alleine unterwegs, aber die Tour schaffte er auch allein. Auf dem nächsten Parkplatz hielt Harry nochmal kurz an, zog sich wieder komplett an und dann ging es weiter.
Gegen 4:30 h war Harry an der ersten Entladestelle in Aalen, hier konnte er ab 7:00 h entladen, also noch Zeit genug für ein kleines Schläfchen. Als er sich kurz vor 7 Uhr in der Warenannahme meldete, sagte ihm der Disponent dort schon direkt, er solle dringend in seiner Spedition anrufen. Harry bedankte, lud aber erst noch die sechs Gitterboxen aus und machte sein Auto für die Weiterfahrt fertig. Dann holte er sich beim Disponenten die unterschriebenen Lieferpapiere ab und ließ sich anschließend ein Telefongespräch mit seiner Firma geben. Als ersten hatte er Otto, seinen Disponenten, am Apparat, der ihn sofort anmaulen wollte, was ihm denn einfiel, einen Kollegen auf der Autobahn auszusetzen. Harry hielt sich erst gar nicht mit Erklärungen auf, sondern wollte nur wissen, ob der Chef schon da sei. „Nein, brüllte Otto, aber ich soll dich sofort zu ihm nach Hause verbinden, du Arsch.“ „Dann mach das doch endlich und halt die Klappe.“ Er hörte noch ein paar Flüche, dann war es still in der Leitung und kurz danach hörte er die Stimme von seinem Chef. „Guten Morgen, Herr Lohbergen, ich hoffe ihnen geht es gut und meinem LKW auch?“ In knappen Worten informierte Harry seinen Chef und versprach ihm, alle Waren pünktlich auszuliefern und spätestens am Mittwoch wieder zurück zu sein. Falls er dann die Kündigung bekommen würde, wäre es ihm das die Sache wert gewesen. Sein Chef stellte dann nur noch eine Frage:“Das mit dem Alkohol ist sicher?“ „Ja, ich habe die Flasche immer noch hier neben dem Sitz stehen.“ „Okay, dann passen sie gut auf mein Auto auf, wir sehen uns, wenn sie wieder hier sind. Gute Fahrt“ Damit war das Gespräch beendet und Harry setzte seine Tour fort. Der nächste Kunde wartete in Nördlingen auf seine Ware, dann ging es über Neuburg an der Donau und Günzburg nach Ulm. Dienstag standen dann noch Memmingen und Kempten auf dem Programm, in Kempten bekam er auch Rückladung für Münster. Wenn alles gut lief, war er Mittwochnachmittag wieder zu Hause. So war das seinerzeit gewesen, der Kollege Paul war schon nicht mehr da, als von seiner Tour zurückkam. Seitdem fuhr er fast nur noch alleine, höchstens mal bei einer Tagestour als zweiter Fahrer. Sein Chef glaubte ihm und Paul hatte letztendlich auch seinen Alkoholkonsum eingestanden und sollte in Kürze eine Entziehungskur machen.
"Alles richtig gemacht. Kumpel“ sagte Harry im Stillen zu sich selbst, seinem Chef antwortete er:“ Danke für ihr Angebot. Lassen sie mir das Wochenende Zeit, nächste Woche bekommen sie dann meine Antwort. Ich werde es in Ruhe mit meiner Frau besprechen und dann entscheiden.“ "Das ist okay, nächste Woche reicht voll und ganz. Aber ich habe noch ein anderes Problem, wir müssen bis morgen Mittag zwei Mehrzweckbagger in Niederstadtfeld anliefern, der Kollege Blankenhaan kommt mit den beiden Baggern heute Abend gegen 19:00 Uhr hier an, morgen früh um 4:00 Uhr muss er dann wieder los und dafür suche ich noch einen Beifahrer, denn die Fahrt dauert sicher 6 Stunden und dann schafft der Kollege es morgen nicht mehr zurück. Sind sie dabei, Herr Lohbergen?“ Harry dachte kurz an seine Kartoffeln und was seine Frau wieder für einen Aufstand machen würde, auf der anderen Seite hatte er den Kollegen schon zweimal kurz gesprochen und einen guten Eindruck bekommen. Das schien ein echter Kumpel zu sein. So nickte er kurz und sagte knapp:“ Ich bin dabei, Chef“ "Danke, ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen kann. Otto hat alle Infos zu der Tour. Dann höre ich nächste Woche wegen der anderen Sache von Ihnen.“ Damit stand sein Chef auf und zeigte damit, dass ihr Gespräch beendet war. Harry holte sich von Otto noch die nötigen Infos zu der Tour und vereinbarte die gemeinsame Abfahrtszeit für 4:00 Uhr. Dann machte sich auf den Weg nach Hause. Otto würde die Infos an den Kollegen weitergeben.
[FM1] Paula, Harrys Ehefrau
Paula, die von allen, außer von ihrem Mann Harry, nur Pia genannt wurde, stand in der Küche und schälte Kartoffeln. Harry hatte heute Mittag angerufen und angekündigt, dass er zwischen 16 und 17 Uhr zu Hause wäre. Nicole war auf einem Kindergeburtstag und Stefanie war mit ihrer Freundin Natascha im Kinderzimmer. Pia freute sich auf Harry, denn er war seit Sonntagabend schon unterwegs. Das war der Nachteil bei seiner neuen Firma, er war höchstens einmal in der Woche für ein paar Stunden oder wenn es ganz gut lief, sogar für eine Nacht zu Hause. Aber meistens wurde es freitags auch immer spät oder er kam erst am Samstagmorgen nach Hause. Ein gemeinsames Abendessen war schon selten. Dafür stimmte aber zumindest der Lohn, denn die neue Firma zahlte wesentlich besser als die vorherige. Vielleicht konnte sie heute Abend mal über das Jobangebot mit ihm sprechen, was sie schon ein paar Tage beschäftigte.
In der Stadt hatte sie am Montag Hans wiedergetroffen, einen alten Schulfreund. Hans betrieb im Nachbarort eine Gaststätte mit Disco, wie er ihr bei einem Kaffee erzählte. Und er war auf der Suche nach einer guten Thekenkraft für die Gaststätte an den Wochenenden. Hans hatte ihr einen Stundenlohn von 18,00 DM angeboten, wenn sie samstags ab 17:00 Uhr bis zum Ende um 1:00 Uhr und sonntags noch den Frühschoppen von 11:00-14:00 Uhr als Bedienung arbeitete. Das Ganze als 630 DM-Job, also bar auf die Hand ohne Lohnsteuerkarte. Und Überstunden ebenfalls bar. Pia arbeitete ja schon halbtags als Verkäuferin an der Käsetheke im örtlichen Supermarkt, aber durch die Steuerklasse 5 blieb netto nicht so viel übrig. Außerdem kam sie so auch raus aus ihrer familiären Tretmühle und an den Wochenenden war Harry ja da und konnte sich um die Kinder kümmern.
Es war schon fast 22 Uhr, als endlich Ruhe einkehrte im Haus von Harry und seiner Familie. Paula nutze den Zeitpunkt, um Harry von dem Jobangebot zu erzählen. Er war zwar im ersten Moment nicht begeistert, aber das Geld konnten sie schon gut gebrauchen. Der nächste Urlaub stand vor der Tür und auf ihrem Konto sah es nicht besonders gut aus. Die beiden vereinbarten, dass Paula probeweise ein Wochenende arbeiten sollte, um zu sehen, wie sie alle damit zurechtkamen. Harry nutzte die Gelegenheit, um Paula zu sagen, dass er morgen früh noch mal auf Tour musste und erst am späten Nachmittag wieder zu Hause wäre. Paula machte kein Freudentänzchen deswegen, aber sie akzeptierte es, weil sie gerne direkt morgen das Probewochenende machen würde. So ging Harry gegen 23 Uhr einigermaßen zufrieden ins Bett, um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, Paula wollte sich noch den Spätfilm anschauen. Harry verabschiedete sich mit einem Kuss von Paula und war kurz danach im Land der Träume. Pia rief direkt ihren alten Schulfreund Hans an und machte das Probearbeiten für den nächsten Tag mit ihm klar.
Am nächsten Morgen war Harry pünktlich auf dem Speditionshof und zusammen mit dem Kollegen Jürgen war er kurz nach 4:00 Uhr auf dem Weg in die Eifel. Mit Jürgen verstand er sich auf Anhieb sehr gut, unterwegs erfuhr er, dass Jürgen auch zwei Kinder hatte und das dritte gerade unterwegs war. Mit den älteren Kollegen hatte er die gleichen Probleme wie Harry, daher fuhr auch er meistens alleine. Nach knapp 5 Stunden hatten die beiden das Ziel erreicht, allerdings war niemand beim Empfänger vor Ort, der die beiden Mehrzweckbagger abnehmen konnte. Das Betriebsgelände war verschlossen und nirgendwo stand eine Telefonnummer, auch die Frachtpapiere gaben keinen Aufschluss. Nebenan war ein Raiffeisenlager für die Landwirte in der Gegend, das geöffnet hatte. „Ich schau mal, ob man uns nebenan helfen kann,“ rief Harry seinem Kumpel zu und ging zu dem Raiffeisenlager rüber. In einer Halle fand er schließlich einen älteren Mann in einem grauen Kittel. „Hallo, Lohbergen mein Name, wir wollen nebenan zwei Mehrzweckbagger anliefern, aber dort ist niemand. Wissen Sie zufällig, wo ich jemanden von der Firma erreichen kann?“ „Hallo, ich heiße Schmidt und bin der Niederlassungsleiter hier. Wenn sie wollen, können sie die beiden Geräte bei uns auf dem Hof abladen, da haben wir auch eine Rampe, die von der Firma Heubach auch immer benutzt wird für die Verladung ihrer Maschinen.“ „Mensch, das ist ja super, wo ist die Rampe?“ Der Niederlassungsleiter ging mit Harry aus der Halle und zeigte ihm die Rampe, Platz war genug da und Harry bedankte sich noch mal und ging zurück, um Jürgen die guten Nachrichten mitzuteilen. Der war natürlich genauso froh, dass sie ihre Ladung schnell loswerden konnten, und fuhr den LKW direkt auf das Gelände des Raiffeisenlagers. Harry wies ihn ein, damit er gerade vor der Rampe zum Stehen kam. Der Rest war dann schnell erledigt, die Spannketten der Ladungssicherung entfernt und die Maschinen gestartet. Nachdem Harry alle Hebel vorsichtig probiert hatte, wusste er, welche Hebel er für die Bedienung der Hydraulik des Baggers benutzen musste. Jetzt konnte er den ersten Mehrzweckbagger auf die Rampe fahren. Jürgen folgte kurz danach mit dem zweiten Traktor. Während Jürgen dann die Spannketten wieder verstaute und auch die Plane wieder festzurrte, kümmerte Harry sich um die Ladepapiere. Der freundliche Herr Schmidt hatte kein Problem damit, die Papiere zu unterschreiben, und so waren die beiden Trucker schon 45 Minuten später wieder auf dem Heimweg. Da es Samstag war, mussten sie auch keine Ladung mehr aufnehmen, sondern konnten direkt mit dem leeren LKW nach Hause fahren. Die Rückfahrt wurde den beiden nicht lang, denn sie hatten schnell gemerkt, dass sie auf der gleichen Wellenlänge unterwegs waren. Nur beim Fußball kamen sie nicht zusammen, denn Harry ließ nichts auf seinen BVB kommen, auch wenn die Jungs heute gegen die Bayern wahrscheinlich den Kürzeren ziehen würden. Jürgen war ein echter Schalker Junge. Das tat aber der neuen Freundschaft keinen Abbruch, sondern verstärkte sie noch. Als sich die beiden um kurz nach 16 Uhr auf dem Speditionshof verabschiedeten, hatten sich zwei Kumpel gesucht und gefunden.
Harry freute sich, dass er jetzt noch seine Kartoffeln in die Erde bekam und machte sich direkt auf den Heimweg. Dort angekommen ging er sofort in den Garten und legte zusammen mit seinen Kindern die Kartoffeln in die Erde. Natürlich hatte Kathrin nach einer halben Stunde keine Lust mehr und wollte lieber mit ihrer Puppe spielen, Stefanie aber hielt durch, bis die letzte Kartoffel verbuddelt war. Dann war es auch schon Zeit fürs Abendbrot, seine Frau machte sich im Bad für die Arbeit zurecht. Harry war gespannt, was sie wohl am nächsten Tag berichten würde.
Kurz nach 8 Uhr wurde Harry wach, seine Paula schlummerte noch friedlich neben ihm. Sie war erst um 3:00 Uhr zu Hause gewesen, er hatte es im Halbschlaf kurz mitbekommen. Möglichst geräuschlos stand er auf, machte sich im Bad frisch und ging in die Küche. Auf dem Weg schaute er kurz bei den Kindern rein, Stefanie war noch im Land der Träume und ihre Schwester spielte mit ihren Barbiepuppen. Sie war so im Spiel vertieft, dass sie gar nicht merkte, dass ihr Vater durch die Tür schaute. In der Küche machte Harry als Erstes die Kaffeemaschine flott. Danach heizte er den Backofen vor, um ein paar Brötchen auf zu backen. Den Tisch im Esszimmer hatte er schon am gestrigen Abend mit den Kindern gedeckt. Es fehlte nur noch der Aufschnitt und die Butter. Danach legte er die auf Aufback-Brötchen in den Backofen und goss sich eine erste Tasse des frisch gebrühten Kaffees ein. Er liebte diese Mischung aus Kaffeearoma und Brötchenduft am Sonntagmorgen. Dazu rauchte er seine erste Zigarette. Harry überlegte, ob er heute mit seinen Kindern in den Wildwald nach Vosswinkel fahren sollte. Seine Paula Wagner bis heute Nachmittag noch beschäftigt. So konnte er sich einen schönen Tag mit seinen beiden Töchtern machen, die immer gerne in den Wildpark fuhren. Er drückte seine Zigarette aus, trank den letzten Schluck Kaffee und stellte die leere Tasse an seinen Platz auf dem Frühstückstisch. Dann schaute er zuerst bei der Großen ins Zimmer, Stefanie war schon wach. Er gab ihr einen guten Morgen Kuss und bat sie, sich anzuziehen, damit sie gemeinsam frühstücken könnten. Danach schaut er bei der Kleinen durch die Tür, und wiederholte die Prozedur. Zum Schluss gingen Schlafzimmer und weckte Paula sanft auf.“ Na ausgeschlafen?"fragte er Paula mit einem Lächeln. "Wie spät ist es denn? Ich bin noch so müde.“mäkelte Paula zurück.„Es ist kurz vor neun mein Schatz. Du wolltest ja unbedingt diesen Job ausprobieren. Und wenn wir noch gemeinsam frühstücken wollen, wird es Zeit für dich.“ Harry wollte Paula deutlich machen, dass diese Situationen demnächst zur Routine werden würden, wenn sie den Job auf Dauer machen wollte.“ Ja, ich weiß. Aber gestern Abend ist es auch sehr spät geworden. Das wird bestimmt besser. Lässt du mir noch eine Viertelstunde?“ Paula wusste, dass Harry den Wunsch nicht abschlagen würde. Und so war es auch."Ich schicke dann deine Töchter. Möchtest du ein gekochtes Ei zum Frühstück? Dann koche ich uns noch ein paar.““ Oh ja, gerne."
Harry machte sich auf den Weg in die Küche und setzt einen Topf mit Wasser für die Eier auf. Damit die Eier nicht platzten beim Kochen, kippte er einen Schuss Essig ins Wasser. Danach holte er sechs Eier aus dem Kühlschrank, pikste sie an der runden Seite ein und legte sie neben dem Topf bereit. In dem Moment kam Stefanie in die Küche und schmiegte sich an ihren Vater.“ Was machen wir heute Papa?““ Ich hätte da schon eine Idee Steff. Die verrate ich euch gleich beim Frühstück. Schau jetzt bitte mal nach deiner Schwester, dass sie sich auch fertigmacht. Danach könnt ihr eure Mama aus dem Bett holen.“ Harry strich seiner Tochter noch über den Kopf und gab ihr einen liebevollen Klaps auf den Po. In diesem Moment klingelte das Telefon. Harry nahm den Hörer ab und meldete sich mit: „Hier ich, wer stört!“ „Hallo hier ist Hans, der Wirt von der Windmühle. Du musst der Mann von Pia sein?“ „Ja da hast du recht. Willst du meine Frau sprechen?“ „Ich wollte nur hören, ob sie nachher zum Frühschoppen pünktlich hier ist. Oder ob es ihr gestern schon gereicht hat?"fragte Hans mit einem leisen Lachen in der Stimme."Ich hab nur kurz mit ihr gesprochen, aber mach dir keine Sorgen, sie wird pünktlich da sein. Sie ist gerade noch in Bad. Ich sage ihr, dass du angerufen hast. Soll sie noch mal zurückrufen?“ „Nein das ist nicht nötig. Ich weiß ja jetzt Bescheid. Würde mich freuen, dich auch mal bald kennenzulernen.“ „Okay, das wird sich sicherlich einrichten lassen in naher Zukunft. Ich sag mal bis dann. Tschüss Hans.“ „Ja, bis dann Harry.“ Damit war das Gespräch zwischen den beiden Männern beendet und Harry legte auf. In dem Moment hörte er auch, dass das Wasser auf dem Herd kochte. Er lief schnell in die Küche und legte die Eier vorsichtig mit einem Löffel in das heiße Wasser und schaute auf die Uhr. Um 9:00 Uhr waren die Eier fertig. Im gleichen Moment hörte er lustiges Stimmengewirr aus dem Elternschlafzimmer. Die Kinder holten anscheinend gerade ihre Mutter aus dem Bett.
Beim Frühstück machte Harry den Kindern seinen Vorschlag, in den Wildwald zu fahren. Beide waren begeistert und der Vater nutzte dies aus, um ihnen das Abräumen des Frühstückstisches aufzutragen. Paula und er gingen mit einer Tasse Kaffee rüber ins Wohnzimmer, um über den neuen Job zu sprechen. Denn bisher hatten sie ja noch keine Gelegenheit gehabt. Paula erzählte, dass wir bis Mitternacht fast nur mit der Kegelbahn beschäftigt war und einer Versammlung der örtlichen Jäger, die in einem Nebenraum der Gaststätte getagt hatten. Sie war sicher einige Kilometer gelaufen an diesem Abend. Aber alle Gäste waren nett und freundlich zu ihr gewesen. Harry erzählte ihr, dass der Wirt angerufen hatte. Paula schaut auf ihre Uhr:“Dann werde ich mich jetzt mal fertigmachen, damit ich früh genug vor Ort bin. Ich finde es übrigens toll, dass du mit den Kindern in den Wildpark fährst. Das macht ihn sicherlich wieder viel Spaß. Weißt du schon, wo du hinfährst heute Abend?““Ja, das weiß ich. Zuerst nach Offenburg, dann in den Schwarzwald und über München wieder nach Hause. Ich hoffe, dass ich bis Mittwoch Abend wieder zu Hause bin. Denn Donnerstag ist ja Feiertag.“ „Meinst du, du schaffst das nicht bis Mittwoch?"wollte Paula wissen. "Ich hoffe es, aber du weißt ja, es kann immer etwas dazwischen kommen. Wir telefonieren ja in der Zwischenzeit noch mal zusammen. Dann will ich mal schauen, wie weit unsere Mädels sind.“ Mit diesen Worten ging Harry in Richtung Küche. Paula erhob sich ebenfalls und verschwand im Bad.
Drei Wochen später, es war Pfingstmontag kurz vor 17 Uhr. Paula war vor einer Stunde von ihrem Job in der Kneipe zurückgekommen. Zusammen mit den Kindern hatten sie Überlegungen für den nächsten Urlaub gemacht. Wie immer wollten die Kinder ans Wasser, Harry wollte gerne ein bisschen Berge haben und Pia am liebsten nur Sonne und Strand. Gemeinsam hatten sie sich letztendlich für den Bodensee entschieden und sich drei Angebote aus den Katalogen ausgewählt. Die Chefin von Paula betrieb ein Reisebüro und dort hatte sich Paula mit vielen Katalogen versorgt. Jetzt, da sie etwas mehr verdiente durch den Zweitjob in der Kneipe, konnten sie sich wohl ein bis zwei Wochen Urlaub in den Sommerferien leisten. Harry sah den neuen Job nach wie vor mit kritischen Augen, denn er sah seine Paula jetzt nur noch ein paar Stunden am Wochenende. Das Jobangebot seines derzeitigen Arbeitgebers hatte Harry abgelehnt, weil wer dann noch weniger zu Hause gewesen wäre.
Aber auch so konnte man von Familienleben im Hause Lohbergen nicht sprechen. Am Freitag war er erst nachts um 2:00 Uhr zu Hause gewesen, Samstag morgen hatte Paula Dienst hinter der Käsetheke bei ihrem Hauptarbeitgeber. Um 15:00 war sie zu Hause und hatte sich noch eine Stunde auf dem Sofa etwas ausgeruht, um sich dann wieder frisch zu machen, für den Job in der Gaststätte. Von dort war sie irgendwann weit nach Mitternacht wiedergekommen, Harry hatte sie nicht mehr gehört. Und gestern, am Sonntag, war sie nach dem Frühstück auch schon wieder weg und erst um 16:00 h wieder zurück von ihrem Kellnerjob. Jetzt packte Harry schon wieder seine Wäsche und seine Vorräte für die kommende Woche zusammen, danach legte er sich noch ein Stündchen aufs Ohr. Um 19:00 Uhr wurde gemeinsam das Abendbrot eingenommen. Da Paula nicht die Super-Hausfrau war, spülte Harry zusammen mit Stefanie das Geschirr ab und las Nicole eine Gute-Nacht Geschichte vor. Stefanie durfte etwas länger aufbleiben und kuschelte gerne noch eine Runde mit ihrem Vater. Spätestens um 21:00 Uhr musste Harry sich dann aber verabschieden für mindestens 3 Tage, häufig für die ganze Woche. Leider wusste er das selten im Voraus, denn es konnte so viel in der Woche passieren. Entweder war wieder irgendwo Stau oder die Ware, die er irgendwo aufnehmen sollte, war noch nicht fertig. Oder es war was mit dem LKW.
So war es auch heute, Harry würde seine Tour erst kommenden Donnerstag beendet haben. Paula wollte sich am Montag direkt um die Buchung für das ausgesuchte Ferienhaus kümmern. Harry versprach, sich am Dienstagabend telefonisch zu melden. Harry fuhr eine halbe Stunde bis zum Speditionshof, da sie auf dem Land wohnten, hatten sie zwei Autos. Harry besorgte sich meistens ein billiges Auto für 200 bis 300 DM, was noch 6 bis 12 Monate TÜV hatte. Zurzeit fuhr einen alten DKW F 12 mit Zweitaktermotor Baujahr 1965. Das Teil qualmte wie wild, wenn es gestartet wurde, dies legte sich aber nach kurzer Fahrtzeit. Seine Kollegen machten zwar immer ihre Witze über sein Auto, aber das war im egal. Für ihn war nur wichtig, günstig zur Arbeit hin und zurückzukommen.
[FM2] Kurztour in die Eifel
Harry war der erste auf dem Hof, er fuhr mit seinem PKW direkt vor seinen LKW und ging dann in den Fahrerraum, um sich die Schlüssel und die Papiere zu holen, die dort in Fächern für den jeweiligen LKW bereit lagen. Harry schloss den LKW auf, setzte sich auf den Fahrersitz und legte die Papiere auf er Mittelkonsole ab. Dann nahm er zuerst eine neue Diagrammscheibe für den Fahrtenschreiber, beschriftete diese mit Namen, Kilometerstand und Datum und legte sie in den Tachografen. Oben an dem Gerät befanden sich zwei kleine Rädchen, mit denen wurde eingestellt, welcher Arbeitszustand gerade herrschte. Harry stellte das Rädchen auf Arbeitszeit, denn er musste jetzt noch eine umfangreiche Abfahrtskontrolle durchführen. Und die zählte schon als Arbeitszeit. Sobald er dann losfuhr, wurden mit einer Nadel auf der eingelegten Diagrammscheibe die Geschwindigkeiten und die zurückgelegten Kilometer aufgezeichnet. So konnten die Polizei und auch das Bundesamt für den Güterverkehr, kurz BAG, über Wochen feststellen, ob Harry sich an die geltenden Vorschriften zu den Lenk- und Ruhezeiten gehalten hatte.
Harry liebte die Nächte allein auf der Autobahn, dabei konnte er seinen Gedanken immer so gut nachhängen. Heute beschäftigte ihn die aktuelle Situation zu Hause mit der zusätzlichen Arbeitsstelle seiner Frau schon sehr. Er wusste nicht, ob die Nachteile nicht größer waren als die Vorteile. Was konnte er tun, damit seine kleine Familie keinen Schaden nahm? Zweifel kamen in ihm auf, ob er alles richtig gemacht hatte bisher oder irgendetwas verändert werden musste. Harry fing an zu beten oder vielmehr ein Gespräch mit Gott zu führen. Er machte dies oft, wenn er nicht weiterwusste und es half ihm bei der Bewältigung seiner Probleme. Seine Vorstellung von Gott war geprägt durch seine katholische Erziehung und seine Großmutter, aber schon als Jugendlicher hatte er die Institution Kirche abgelehnt. Seiner Meinung nach war gerade die katholische Kirche eher ein abschreckendes Beispiel für gelebten Glauben, er hatte vor einiger Zeit auf einem Rasthof eine Gideon-Bibel geschenkt bekommen von einem freundlichen, älteren Herrn. Sie hatten zusammen einen Kaffee getrunken und dabei viel über Gott gesprochen. Als Harry danach wieder auf der Autobahn war, dachte er noch lange über dieses Gespräch nach und am selben Abend fing er an, in der Bibel zu lesen. Der freundliche Herr hatte ihm geraten, er solle mit dem Johannes-Evangelium anfangen. Auch der Vorschlag, bei anstehenden Problemen mit Gott oder mit Jesus zu sprechen, stammte von ihm. Bisher kannte Harry aus seiner katholischen Erziehung her nur standardisierte Gebete wie das Vater unser oder das Ave Maria. Aber mit eigenen Worten mit dem Herrn sprechen, das war für ihn vollkommen neu. Aber es machte ihm sehr viel Freude, direkt mit eigenen Worten zum Herrn zu sprechen.
[FM3] Wie Harry Paula kennenlernte
Harry überlegte gerade, auf welche Weise es überhaupt zu seiner Ehe mit Paula gekommen war. Sie waren jetzt 6 Jahre verheiratet und er mochte seine Paula schon gerne, aber die richtige, tiefe Liebe war es bis heute nicht. Er lernte Paula auf einer Party kennen, die sein Bruder Thomas zu seinem 21.ten Geburtstag veranstaltet hatte. Die Brüder wohnten zusammen mit ihrer Mutter auf einem ehemaligen Bauernhof und hatten entsprechend viel Platz und diverse Stallgebäude zur Verfügung. Für die Musik engagierte Thomas einen Arbeitskollegen von sich, den Martin Bauer. Der kam zu der Party schon nachmittags angefahren, um seine Musikanlage aufzubauen. Er brachte seine Frau Paula und seine Tochter Stefanie mit, die damals gerade 3 Jahre war und sehr neugierig und wissbegierig. Harry bemerkte sofort, dass Paula eine seelisch kranke Person war.
Schon seit früher Kindheit hatte Harry diese sozialen Antennen, die sofort Alarm schlugen, wenn sich jemand in seinem Umfeld seelisch nicht wohlfühlte. Er täuschte sich sehr selten in seiner ersten Wahrnehmung. Durch seine offene Art gewann er schnell das Vertrauen dieser Menschen und schon nach kurzer Zeit hatten sie häufig ihr Leben vor ihm ausgebreitet. Vielen half schon, dass Harry einfach zuhörte, anderen waren die Gespräche mit Harry wichtig, an deren Ende dann regelmäßig Ratschläge von ihm standen, die vielen weiterhalfen. So führte Harry seine erste Eheberatung mit 14 Jahren durch. Und das sogar mit Erfolg. Sein Klient war ein Bauer aus dem Dorf, der sich häufig dem Alkohol hingab und dadurch seinen Hof vernachlässigte. Er hatte eine 15 Jahre jüngere Frau, die mit dem Leben auf dem Dorf sehr schlecht zurechtkam. Außerdem störte sie das viele Trinken ihres Mannes. Die Situation war eskaliert, als die Frau bei einem Streit mit ihrem alkoholisiertem Mann zum Brotmesser gegriffen hatte und damit ihren Mann fast umgebracht hatte. Der Bauer weinte sich bei Harry aus, der daraufhin mehrere Einzelgespräche mit den beiden führte und danach in gemeinsamen Sitzungen die Grundlagen für die weitere Ehe schaffte. Der Bauer trank zwar immer noch, aber nicht mehr so häufig und so viel. Auch den Hof hatte er zusammen mir seiner Frau wieder auf Vordermann gebracht. Und die neueste Nachricht war, dass die Frau schwanger war. Harry hoffte sehr, dass dieses Kind dem Bauer in Zukunft einen Halt geben würde. Er ging seit den damaligen Gesprächen auch regelmäßig zu einer Gruppe der Anonymen Alkoholiker in der Nähe.
Vor Harry tauchte das blaue Schild der Autobahnausfahrt Offenburg auf. Hier musste er runter und 10 Minuten später stand er auf dem Werksgelände des ersten Kunden. Die Warenannahme öffnete um 7:00 Uhr, Harry konnte sich somit noch rund 3 Stunden aufs Ohr legen. Die Entladung der 10 Gitterboxen nahm nur rund 20 Minuten in Anspruch. Somit war Harry kurz nach 7:00 Uhr schon wieder auf der Straße. Der nächste Kunde war in Villingen-Schwenningen und wenn es gut lief, konnte er dort heute noch entladen.
[FM4] >>> Die Tour mit Aline "<
Gegen 7:30 Uhr verließ Harry den 1. Kunden. Das nächste Ziel hieß Villingen-Schwenningen. Kurz vor der Auffahrt zur A 5 iin Richtung Frankfurt sah Harry eine Anhalterin, die ein Schild mit einem großen M hochhielt. Die junge Dame wollte nach M wie München. In der Anhalterszene war es üblich, ein Schild mit dem Kfz-Kennzeichen des gewünschten Zielortes hochzuhalten. Harry bremste ab und hielt direkt neben der jungen Frau an, machte sich lang und öffnete ihr von ihnen die Beifahrertür. „Hallo, du willst nach München, wie ich sehe. Wenn du willst, kannst du bis Pforzheim mitfahren. Dann bist du schon mal in der richtigen Richtung, komm hoch.“ „Das ist ja toll, ich stehe erst 5 Minuten hier und schon hält jemand an.“ Harry half der jungen Frau, ihren großen Rucksack in die Fahrerkabine zu bekommen, und dann fuhr er schon weiter. Auf den nächsten Kilometern erfuhr Harry dann so einiges über die Tramperin. Sie war Französin und hatte gerade ihr Abitur in der Tasche. Jetzt wollte sie sich erst einmal ein bisschen in Europa umsehen, bevor sie sich dann für ein Studium oder vielleicht auch für eine Berufsausbildung entscheiden würde. Harry erzählte auch ein bisschen von sich und seiner Familie zu Hause, und dass er jetzt auf dem Weg nach Villingen-Schwenningen war und von dort durch das Allgäu nach München fuhr. Aline, so hieß seine Begleitung, sprach ein akzentfreies Deutsch und ihre Eltern wohnten im Elsass. In München wollte sie eine Freundin besuchen und dann mal sehen, wie es weiter ging. Harry bot ihr an, sie in Pforzheim an der Raststätte abzusetzen, von dort aus würde sie sicherlich schnell einen Kollegen finden, der München direkt ansteuerte. Aline erzählte sehr schnell von ihren bisherigen persönlichen Erlebnissen. Harry kannte dies schon, da sich Menschen in seiner Nähe häufig öffneten und ihm ungefragt die eigene Lebensgeschichte erzählten. In der nächsten Stunde erfuhr Harry so, dass Aline sich gerade von ihrem Freund getrennt hatte, weil ihr die Beziehung zu eng geworden war und sie erst einmal ihre Freiheit nach der Schule genießen wollte. Ausbildung oder Studium, das war im Moment nicht dran. Das wollte sie sich in Ruhe überlegen.
Harry fand, dass ihre Einstellung die richtige war. Die meisten jungen Leute entschieden sich zu früh für einen bestimmten Beruf für ein bestimmtes Studium und waren dann entweder ihr Leben lang in einem Beruf, den sie gar nicht leiden konnten oder sie fingen nach der ersten Ausbildung eine zweite Ausbildung an. Er würde seinen Kindern dann später auch die volle Freiheit lassen damit sich einen Ruf aus konnten, der sie ausfüllte und in dem sie zufrieden waren. Irgendwann kamen sie auch auf das Thema glauben. Aline erzählte ihm, dass sie aus einem streng katholischen Elternhaus kam und sie häufig den sonntäglichen Gottesdienst ätzend fand. Harry versuchte sich diesem Thema auf einem anderen Weg zu nähern und fragte sie ganz direkt, wie sie sich die Entstehung der Erde vorstellen würde. Es erstaunt ihn nicht, dass sie das wiedergab, was sie wahrscheinlich in der Schule gelehrt bekommen hatte. Sie hatte mal etwas von dem Urknall gehört und der Staub und Aschewolke, aus dem alles entstanden sein sollte. Harry fragte sie direkt, ob sie mal das erste Buch Mose in der Bibel gelesen hätte, denn dort stand die Schöpfungsgeschichte an die Christen glauben. Und die fing an mit dem Satz „am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“.
Während sie dank mäßigen Verkehrs gemütlich gen Stuttgart fuhren, erklärte Harry seiner Mitfahrerin, was er unter Schöpfung und dem Begriff Schöpfer verstand. “Die Erde und das Weltall sind natürlich nicht in sieben Tagen entstanden, so wie es wörtlich in der Bibel steht. Sondern diese 7 Tage sind bei Gott ein ganz anders Zeitraum, das waren sicherlich etliche Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende nach unserer heutigen Zeitrechnung. Aber ich glaube fest an Gott als Schöpfer, denn das alles nur aus Staub und Asche entstanden sein soll, kann ich nicht nachvollziehen. Wenn wir uns die Natur betrachten, die vielen Tierarten und ihre Funktionen im Tierreich. Der Löwe zum Beispiel ist eine Raubkatze, die andere Wildtiere frisst. Was soll denn zuerst da gewesen sein? War zuerst der Löwe da? Und wenn ja, wovon hat er sich ernährt? Oder war erst die Antilope da und dann kam erst der Löwe, um die Antilope jagen zu können. Verstehst du, Aline, was ich meine? Wenn wir nur im Tierreich bleiben und uns das mal anschauen mit unserem heutigen Wissen unserem heutigen Verstand dann muss dort ein System hinter stehen, nachdem diese ganze Tierwelt funktioniert. Denn ich glaube nicht, dass der Löwe zuerst ein Pflanzenfräser war und erst später zu einem Fleischfresser wurde. Also muss beides gleichzeitig da gewesen sein, auf der einen Seite das Raubtier und auf der anderen Seite das Beutetier. Ähnlich ist es mit Pflanzen. Es gibt verschiedenste Bäume, Sträucher, Blumen, die auf den unterschiedlichsten Böden wachsen. Je nach ihrem Standort haben diese Pflanzen unterschiedlichste Formen entwickelt der Weiterverbreitung ihrer Samen. Und das alles nur aus einem Feuerball? Ich sage nein, es gibt so viele bis heute noch unentdeckte Besonderheiten gerade auch in der Pflanzenwelt da muss im Hintergrund jemand mit einem ganz ausgeklügelten Verstand gewesen sein, der diese Pflanzenwelt sich so hat entwickeln lassen. Von Martin Luther stammt der Satz »wo er nicht anfängt der kann nicht sein noch währenden, wo er aufhört da kann nichts bestehen«. Wir haben hochintelligente Naturwissenschaftler Physiker und Chemiker und was, da sonst noch alles rumläuft, die alle sehr gut im Erforschen von irgendwelchen Vorgängen in der Natur sind. Und diese Wissenschaftler versuchen, uns immer die Welt mit ihrem Wissen zu erklären. Das ist zwar sehr schön, aber ich würde mal sagen unsere Wissenschaftler weltweit haben, wenn überhaupt, höchstens ein Zehntel der biologischen chemischen und physikalischen Vorgänge erforscht und davon vielleicht ein Drittel auch verstanden. Ein Beispiel aus der Tierwelt: Eine Ameise, die 10 mg wiegt, kann das vierzigfache ihres eigenen Gewichtes tragen. Zusammen mit ihren Kumpels können Ameisen bis zu 50 g schwere Teile wegtragen. Ich wiege zum Beispiel 85 Kilo. Wäre ich eine Ameise, könnte ich eine Last von 3400 kg tragen. Und wenn ich dann beobachte, wie diese Ameisen in einem Staat zusammenleben, so bin ich mir vollkommen sicher, dass dies nicht aus einer Staub- und Gaswolke entstanden ist. Denn da steckt so ein feines, soziales Gefüge hinter das hat sich nicht von alleine entwickelt. Ich hoffe, Aline, du konntest mir folgen. Oder hast du eine andere Theorie von der Entstehung der Welt? Oder langweilt dich mein Geschwätz?“ Harry warf einen freundlichen Blick auf seine Begleiterin. Aline antwortete direkt mit einer Gegenfrage: „Gehst du jeden Sonntag in die Kirche?“ „Nein, ich bin eher selten in der Kirche“ entgegnete Harry. „Mein Glaube an Gott ist eine Sache, die katholische Kirche brauche ich dafür nicht. Vielleicht trete ich auch in Kürze aus der Kirche aus, denn ich kann diese Verlogenheit der Kirche nicht mehr lange ertragen. Auch die Unfehlbarkeit des Papstes lehne ich ab, denn er ist ein Mensch wie du und ich und ist auch von Menschen in dieser Position gewählt worden. Er ist nicht von Gott dazu bestimmt worden. Verstehst du das?“ Aline zog ein fragendes Gesicht “ was ist das - Anfehlbarkeit?“ Jetzt musste Harry doch schmunzeln über diese nette, aber falsche Aussprache von Aline. Er erklärte ihr:“Das Wort heißt Unfehlbarkeit und es bedeutet, dass alles, was der Papst in seiner Person als Papst sagt, nicht angezweifelt werden darf. Es gilt quasi als Wort Gottes. Aber auch der Papst ist letztendlich nur ein Mensch. Ein Mensch mit allen Fehlern und Irrtümern, die Menschen nun einmal haben. Da wir hier bei uns in Deutschland die beiden großen Kirchen mit einer Kirchensteuer finanzieren, die der Staat den Arbeitnehmern direkt mit der Lohnsteuer einbehält und sie an die entsprechende Kirche weitergibt. Und ich bin nicht mehr bereit, diese Institution katholische Kirche weiter mit meinem Geld zu unterstützen. Kurz gesagt: ich glaube an Gott und an Jesus Christus aber nicht an die katholische Kirche.““ Du denkst anscheinend viel über deinen Glauben nach, ich habe mir bisher noch nie so viele Gedanken darüber gemacht. Aber es ist, wie sagt man, ein spannendes Thema. Und du kannst so einfach darüber erzählen, das finde ich gut.“antwortete seine Mitfahrerin.
Vor Harry tauchte das erste Hinweisschild zum Rasthof Pforzheim auf. Er zeigte, während sie daran vorbeifuhren mit dem Finger darauf:“Noch ein paar Minuten, Aline, dann sind wir am Rasthof Pforzheim. Jetzt kannst du dir überlegen, ob du dort aussteigen willst und dir eine neue Fahrgelegenheit suchen willst oder ob du mit mir weiterfahren willst.“
„Ich dachte, du fährst nicht nach München.“ Aline schaute ihn an. „Ich fahre schon nach München, aber nicht auf direktem Wege. Ich muss in Kürze von dieser Autobahn abbiegen und fahre dann erst nach Villingen-Schwenningen. Das ist eine Stadt im Schwarzwald. Dort werde ich übernachten und morgen geht es dann weiter in Richtung München. Wenn du also willst, kannst du gerne bei mir bleiben, denn ich habe hier zwei Schlafplätze im Auto.“ Aline schaute ihn fragend an. Harry bemerkte die unausgesprochene Frage in ihrem Blick sofort und ergänzte: „du musst keine Angst haben, ich will nichts von dir. Ich bin glücklich verheiratet und habe keine Lust auf irgendwelche Affären. Also mein Angebot steht und du kannst es dir gerne überlegen.“ Mit diesen Worten setzte er den Blinker nach rechts und lenkte den Truck auf die Abbiegespur zur Raststätte. “Hast du Lust auf ein Kaffee oder Tee?““ Gerne" antwortete Aline.“ Ich müsste auch mal dringend aufs Klo.“ Daran solls nicht scheitern. Du kannst dich dann auch entscheiden, ob du dir einen neuen Fahrer suchst oder mit mir weiterfahren willst.“