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Naga Aw - Hand der Schlangengötter

Naga Aw - Hand der Schlangengötter · Sci-fi und Fantasy

Ein 15jähriges Mädchen wird Herrin über einen von vier Schlangengöttern und muss mit den anderen Reitern das Portal in ihre Welt beschützen.

Was möchtest du mit dem Buch bewirken?

Ich bin eine Geschichtenerzählerin, die sich in andere Welten träumt und es liebt, andere auf diese Reise mit zu nehmen. Dabei hoffe ich, mit meinen Worten die Seelen der Lesenden zu berühren, sie zum Lachen, zum Weinen, zum Mitfiebern und auch zum Nachdenken zu bringen. Weil für mich Gefühle die Essenz des Lebens sind. Dieser Urban Fantasy Roman handelt von Träumen, von Sorgen, von der ersten Liebe, von Verantwortung und von Tod. Von eben jenen Dingen, die das Leben ausmachen. Eine bunte Mischung aus widerstreitenden Gefühlen, für die man immer wieder eine Balance finden muss. Sowohl als junger Mensch, als auch im Erwachsenenalter. Die Lesenden können mit Katka als Reisende zwischen Realität und einer fantastisch-magischen Welt erleben, wie steinig so ein Weg sein kann und wie sehr man daran wächst, wenn man den Mut aufbringt, sich zusammen mit Freund*innen auch den Schattenseiten zu stellen.

Über den/die Autor:in

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Ich bin eine Geschichtenerzählerin, die sich in andere Welten träumt und es liebt, andere auf diese Reisemit zu nehmen. Dabei hoffe ich, mit meinen Worten die Seelen der Lesenden zu berühren, sie zum...

Kapitel 1

 

„Achtung, streng geheim“, übersetzte Katka die awischen Worte und fuhr dabei mit dem Finger über die gestickte Schrift auf dem Leinentuch. Offensichtlich war das Paket für eine weibliche Person bestimmt, denn Awisch, die Geheimsprache der Familie, wurde traditionell nur an die Töchter weitergegeben.

Aber was sollte es schon Totgeheimes in einem verstaubten Nähzimmer geben? Vielleicht Häkelmuster aus der Zeit ihrer Vorfahren? Die lang verschollene Anleitung für besonders kratzige, gestreifte Pullis?

Katka blies einen Schweißtropfen von der Nasenspitze und hockte sich auf den Boden vor die Kommode. Im Zimmer musste es an die dreißig Grad heiß sein. Staub hing in der Luft und tanzte in den wenigen Sonnenstrahlen, die sich durch die Ritzen der Rollos hindurchgequetscht hatten.

Neben einem Bauernschrank, einem Bügelbrett mit zerschlissenem Überzug und einem geblümten Sessel war die Biedermeierkommode das einzig Interessante in diesem Raum. Es handelte sich um ein antikes Möbelstück ihrer Großeltern - aus Kirschholz, massiv, mit drei vollgestopften Schubladen. Katka hatte die Unterste bei ihrer Suche nach Wertsachen aufgezogen und unter mehreren Lagen Stoff ein in Tuch gewickeltes Paket gefunden.

Ganz schön schwer. Vielleicht hat Oma eine eiserne Reserve für schlechte Zeiten bei sich gebunkert. Einen Goldbarren zum Beispiel. Hier hätte Opa den bestimmt nie entdeckt.

Beim Gedanken an ihren Großvater musste Katka schlucken. Arnold Wagenscheidt - ein Bär von Mann, in dessen Arme sie sich als Kind so gerne gekuschelt hatte, um seinen weisen Gedanken über Gott und die Welt zu lauschen. Doch seit Oma Lisbeth vor einem halben Jahr gestorben war, hatte der Großvater sich verändert. Erst war er nachlässig geworden, vergesslich, dann schrullig und schließlich ... die traurige Krönung hatte ein Küchenbrand gebildet, verursacht, weil er eine glühende Herdplatte mit Papiertüchern abgedeckt hatte, anstatt sie auszuschalten.

„Man muss ihm die Augen zudecken“, hatte er dem Arzt im Krankenhaus erklärt.

Und Katkas Mutter hatte seine Hand genommen und ihren Vater mit zitternder Stimme gefragt: „Wem?“

„Na dem Garuda! Lis hat gesagt, wenn seine Augen glühen, ist es zu spät. Dann packt er dich mit seinen scharfen Klauen, zerquetscht dich oder lässt dich über einem Stachelfelsen fallen. Oh Lis, was hat er dir angetan!“

Es war klar, dass ihr Opa nicht mehr unbeaufsichtigt bleiben konnte. Er brauchte Hilfe. Doch Katkas Eltern arbeiteten beide. Also hatten sie schweren Herzens entschieden, ihn in ein Heim mit betreutem Wohnen zu geben. Für den Unterhalt sollte der Erlös aus dem Verkauf des alten Hauses herhalten.

Deshalb saß Katka an diesem Bilderbuchtag im August in Oma Lisbeths ehemaligem Nähzimmer und kramte in verstaubten Schubladen, anstatt sich mit ihren Klassenkameradinnen aus der Zehnten im Strandbad zu vergnügen.

„Mal sehn.“

Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und schob die einzelne, rote Strähne hinters Ohr – das Ergebnis eines tagelangen Kampfes mit ihren Eltern. Eigentlich hatte Katka sich die Haare komplett färben lassen wollen. Doch eine Strähne war besser als nichts. Sie stach deutlich zwischen den langen, schwarzen Haaren hervor und hatte Katka den Spitznamen Feuerlocke eingebracht.

„Katka Feuerlocke“, das klang hundertmal besser als „Katka Krötenmaul“. Außerdem waren ihre Herpesbläschen schon längst abgeheilt. Trotzdem leckte sie sich bei dem Gedanken daran prüfend über die Unterlippe.

Keine Borke mehr. Keine Narbe. Alles glatt. Sie atmete auf, rieb sich die Handflächen an der Hose trocken, schlug die lose gefalteten Enden des Pakets zur Seite und wickelte das Leinen Schicht um Schicht ab.

Noch bevor sie den Inhalt sah, spürte sie seine kühle, metallische Beschaffenheit.

„Ein Säbel?“ Alles hatte sie erwartet, von der goldenen Stricknadel bis hin zum gusseisernen Webrahmen aus Vorkriegszeiten, aber keine Waffe.

Wohl war ihre Großmutter Sportlerin gewesen, hatte in ihrer Jugend an Fechtwettkämpfen teilgenommen und war auch im hohen Alter beweglich geblieben, aber das hier war weder ein Sportgerät noch ein dekoratives Urlaubssouvenir.

Vorsichtig zog sie die gekrümmte Klinge aus der, mit Leder überzogenen, Scheide. Beides wirkte wie ein archäologisches Fundstück. Die Schneide war etwas länger als Katkas Unterarm, nach der Winkelung wurde sie breiter und lief am Ende spitz zu. Nur die Innenseite war geschliffen. Der Griff bestand aus einem hornigen Material und einem dicken Ring in der Mitte, der wohl als Abrutschschutz dienen sollte. Im abschließenden Knauf hatte jemand einen kreisrunden Bernstein eingearbeitet.

Sie wusste deshalb so genau, dass es sich dabei um einen Bernstein handelte, weil ihre Mutter einen zuhause auf der Fensterbank im Wohnzimmer stehen hatte. Wenn die Sonne schien, konnte man eine winzige Mücke darin erkennen - seit tausenden von Jahren eingeschlossen und konserviert in erstarrtem Harz. Auch dieser Stein hier hielt etwas gefangen, das wie ein winzigkleiner, dunkelroter Tropfen aussah.

„Ob da noch mehr Schätze sind?“

Angestachelt von dem Fund, legte Katka die Waffe beiseite, grub tiefer in den Schubladen und entdeckte der Reihe nach: eine Kette mit einem Anhänger, der wie eine Sanduhr aussah, ein paar kniehohe, schnallenbesetzte Stiefel und einen durchsichtigen Plastikbeutel, in dem ein großes, braunes Ahornblatt und ein vertrockneter Frosch lagen.

„Igitt, wie ekelhaft! Oma Lis war ja noch durchgeknallter als Opa!“

„Was sagst du, Kati?“

Katkas Mutter erschien im Türrahmen, in der einen Hand einen Müllsack, in der anderen einen ausgedörrten Kaktus samt Plastikübertopf.

Katka hielt mit verzogenem Mund die Tüte hoch.

„Pfui Teufel, wie kommt denn so etwas hier rein. Schmeiß das weg, am besten gleich draußen in die Biotonne.“

Immer diese Rumkommandiererei: Kati tue dies, Kati tue das!

Widerwillig trat Katka vor die Tür.

Die Sonnenstrahlen stachen wie Stecknadelschwärme auf der Haut und verwandelten die kakifarbene Dreiviertelhose samt Tank-Top in einen Schweiß verklebten Haufen Stoff, der sich bei jedem Schritt fester an Katkas Körper sog.

Als sie den Beutel in die Tonne am Gartentor fallen lassen wollte, bemerkte sie vier dünne, dunkle Linien in der Mitte des getrockneten Blattes. Neugierig hielt sie sich die Tüte dichter vors Gesicht und blickte Richtung Sonne.

Die Linien entpuppten sich als winzigkleine Schrift, genauer gesagt als vier Zeilen eines in Awisch geschriebenen Reimes:

 

Der Schlüssel ist der Götter Wort,

wo Maus, Ratz, Spatz an dunklem Ort

erstarren jäh zur Säule

trotz Ga-ru-das Geheule.

 

Garuda? Den Ausdruck hatte ihr Großvater benutzt. Stammten diese Zeilen also von ihm? Nein. Er konnte ja kein Awisch. Nachdenklich klappte Katka die Biotonne wieder zu und mustere auch den Frosch genauer.

Auf dem Rückweg kam ihr die Mutter entgegen, bepackt mit einem Berg verschnürter Zeitungen. „Trödel nicht, Kati. Wir müssen bis zum Wochenende mit Entrümpeln und Hausputz fertig sein. Der Makler hat Interessenten, die er rumführen will.“

„Ich mach ja schon, was ich kann.“

Sie versuchte den Beutel außerhalb des Blickfeldes ihrer Mutter zu halten, doch es war zu spät. Gisela Gubsch, Spitzname Röntgenauge, hatte ihn entdeckt und rümpfte die Nase.

„Ich dachte, du wolltest das Vieh wegwerfen?“

„Nee, ich behalt den erstmal ... für den Biounterricht.“

Eine zugegebenermaßen billige Ausrede, aber zum Glück hatte Röntgenauge andere Sorgen. Unter geräuschvollem Stöhnen presste sie den Papierstapel an die Brust und stapfte weiter zur Straße.

Garuda. Wie gern hätte Katka jetzt Opa Wagenscheidt nach der Bedeutung dieses besonderen Wortes gefragt. Doch der saß bereits hundertsechzig Kilometer entfernt in seinem neuen Zimmer mit Aussicht auf den Rhein. Ob ich ihn anrufe?

Zurück im Nähzimmer beschloss sie, dem Rätsel hinter den Gegenständen zunächst auf eigene Faust nachzugehen und verstaute die Sachen in ihrem Rucksack. Es musste ja nicht jeder wissen, was sie da gefunden hatte.

 

Erst nach dem Abendbrot holte Katka die Schätze in ihrem Zimmer wieder hervor und unterzog sie einer genaueren Prüfung.

Auf dem braun verfärbten Ahornblatt entdeckte sie unter dem Spruch ein kleines Zeichen: ein mit feinen Linien umrahmtes Rechteck, in dem sich die Buchstaben „N“ und „O“ dicht aneinander drängten. Auf dem Säbel, der Sanduhr und den Stiefeln fand sie dasselbe Symbol. Aber was sollte es bedeuten? Nordost? Oder „no“, wie nein? Waren es vielleicht Initialen? Wenn ja, von wem?

Katka spürte, dass hinter all dem ein großes Geheimnis stecken musste. Aber welches? Wieder wanderte ihr Blick über die, auf dem Bett ausgebreiteten, Dinge.

Die Stiefel waren aus rostbraunem Leder mit einem kleinen, hornartigen Absatz. Hersteller und Schuhgrößen standen weder auf der Sohle, noch im Inneren des elastischen Schafts. Ob ich sie mal anprobiere?

Bevor Katka sich probeweise den linken Stiefel überzog, schüttelte sie ihn kräftig aus. Schließlich konnte man nie wissen, welches Viehzeug es sich darin gemütlich gemacht hatte.

Als sie sicher war, dass keine Spinne, Assel oder Maus darin lauerte, schlüpfte sie vorsichtig hinein. Ihre nackte Ferse glitt das aufgeraute Leder entlang und landete nach einem kurzen Ruck am Boden. Die Schnallen an der Außenseite klimperten.

Katka maß mit ihren Fingern den Abstand zur Schuhspitze. Die Zehen hatten genug Platz, ja sogar ein bisschen zu viel Platz. Eine Nummer kleiner wäre besser gewesen. Aber auch so fand sie die Stiefel cool.

Fehlt nur noch ein Wildledermantel kombiniert mit enger Bluse, Cowboyhut und mein neuer Western-Look wäre perfekt. Da würden Issy, Bell und Mila in der Schule die Augen rausfallen. Ein Cowgirl in Luisendorf, das gab’s bestimmt noch nie.

Katka setzte ihre grimmigste Miene auf, zog sich den imaginären Hut ins Gesicht und griff nach der Waffe. „Heda, ihr Schurkinnen! Das hier ist mein Revier. Alle Jungs mit dem Brandzeichen N.O. gehören in meine Herde! Besonders der da, mit der dunkelblonden Mähne.“

Bei dem Gedanken an Chris stieß Katka einen Seufzer aus und ließ sich zurück in die Kissen fallen. Chris, der war wirklich cool – cool und sexy. Schon zwei Verweise hatte er bekommen. Einmal, weil er Herrn Ziermeier im Unterricht lautstark widersprochen hatte und das andere Mal, weil er Fred sein dreckiges Lästermaul in der Pause mit seiner zerknüllten Mathe-Ex gestopft hatte. Ein knallharter Typ, der sich nichts gefallen ließ und dabei mit seinem kleinen Knackpo und den gestählten Bauchmuskeln geradezu anbetungswürdig aussah.

Leider schienen seine Gefühle für sie nicht so flammend auszufallen. Schlimmer noch, er behandelte sie wie einen Kumpel, statt wie eine potenzielle Freundin.

Katka seufzte erneut, wischte die Gedanken beiseite, beugte sich vor und betrachtete das Schwert in ihrer Hand. In das gewölbte Lederteil der Hülle waren allerlei Ornamente eingebrannt. Die Spitze dagegen schimmerte gelblich, so, als wäre sie einstmals mit Gold überzogen gewesen.

Ob es wertvoll ist?

Ein Anflug von schlechtem Gewissen machte sich in Katka breit. Vielleicht hätte sie es doch ihrer Mutter zeigen sollen. Vielleicht kannte die das Geheimnis, das hinter den Sachen steckte.

Der einfachste Weg, das herauszufinden, wäre, sie zu fragen. Aber die damit verbundene Beichte hätte unübersehbare Folgen. Ein Risiko, das Katka nicht eingehen wollte. Zum Entrümpeln abkommandiert zu sein, war schon nervig genug, da wollte sie sich keinesfalls auch noch eine Strafpredigt in Sachen Vertrauen und Ehrlichkeit einfangen.

„Ich werd’s schon noch selber rauskriegen“, sagte sie und griff nach der Sanduhr, schüttelte sie und drehte das Glas so, dass das volle Ende nach oben zeigte. Doch kein einziges Sandkörnchen rieselte herab.

„Mist, kaputt.“

Sie tippte versuchsweise gegen den Frosch. Er fühlte sich durch die transparente Folie des Beutels hart an, die Arme und Beine standen ab, als wäre er mitten im Sprung einfach erstarrt.

„Du bist echt eklig“, sagte sie und legte den Beutel auf ihr Knie, um ihn weiter betrachten zu können.

Als Letztes nahm Katka erneut das Blatt zur Hand und hielt es gegen den Schirm der Nachtischlampe.

 

Der Schlüssel ist der Götter Wort ...

 

„Der Schlüssel für was? Und welche Götter sind gemeint? Römische, Griechische, Ägyptische, Nordische oder vielleicht Asiatische?“

 

... wo Maus, Ratz, Spatz an dunklem Ort ...

 

„Mäuse und Ratten findet man im Keller, in verlassenen Häusern, in der Kanalisation und überall da, wo es stinkt, es duster und dreckig ist. Spatzen dagegen sieht man im Garten, auf Bäumen, in Büschen und Vogelhäusern oder im Restaurant auf der Terrasse. Sag schon Frosch, wie soll das zusammenpassen?“

Grübelnd las Katka Zeile Nummer drei.

 

... erstarren jäh zur Säule ...

 

Sie erinnerte sich, dass Lots Frau in der Bibel zur Salzsäule erstarrt war, weil sie sich aus Neugier umgedreht hatte, obwohl es ihr verboten worden war. Aber warum sollte einer Maus das passieren?

 

... trotz Ga-ru-das Geheule.

 

Ihr Opa hatte von glühenden Augen, Klauen und jemand Fallenlassen gefaselt. Handelte es sich also um irgendeinen Raubvogel? Aber Vögel pfiffen oder krächzten, die heulten nicht.

Kurz entschlossen packte Katka den Frosch, sprang vom Bett, setzte sich an den Schreibtisch und startete ihren Computer.

„Lass uns mal sehen, was das Internet zu diesen Stichwörtern ausspuckt.“

Sofort, nachdem der Begrüßungsbildschirm verschwunden war, poppten mehrere kleinere Textfenster auf - Nachrichten ihrer Freundinnen, die vom Ausflug ins Freibad berichteten. Viel Neues war allerdings nicht dabei, schließlich hatte der wichtigste Klatsch und Tratsch sie bereits über den Tag verteilt in über den Messenger erreicht.

„Jetzt nicht, Mädels. Ich bin da etwas auf der Spur.“

Sie schob die Fenster beiseite, öffnete einen Browser, fütterte die Suchmaschine mit Begriffen und erhielt zwei Sekunden später das Ergebnis:

 

Mit Garuda wird in der indischen Mythologie ein Götterbote bezeichnet, der halb Mensch und halb Adler ist. Als Erzfeinde des Garuda gelten die Naga. Während die Naga gewöhnlich auf dem Grund von Flüssen, Seen und Meeren hausen, lebt der Garuda im weiten Himmel.

 

Und was waren nun wieder Naga?

Das Internet gab auch darauf Antwort.

 

Als Naga bezeichnet man in der indischen Mythologie Schlangengottheiten. Mögliche Gestaltformen: Halb Mensch halb Schlange, teils mehrköpfig oder mit Giftstachel. Sie gelten als Wächter von Übergängen und sollen magische Fähigkeiten besitzen.

 

„Was hatte meine Oma mit indischer Mythologie zu schaffen? Wozu einen wirren Reim auf ein getrocknetes Blatt schreiben? Und wie passen du und die anderen Gegenstände ins Bild?“, fragte Katka den Kadaver im Frischhaltebeutel.

Nach weiteren zwei Stunden Online-Recherche gab sie auf, ging zurück ins Bett, versteckte die Fundstücke in ihrem Bettkasten, knipste das Licht aus und nahm sich vor, ihre Mutter am nächsten Tag um die Telefonnummer von Opa Wagenscheidt im Pflegeheim zu bitten.


Kapitel 2

 

„Mama, gibst du mir die Nummer von Opa Arnold?“, fragte Katka am Frühstückstisch.

Ihr Vater war wie immer schon um acht Uhr aufgebrochen, während sie und ihre Mutter sich bis halb zehn Zeit ließen, bevor sie sich mit dem Fahrrad zum Haus in der Bärengasse aufmachten. So lief das seit einer Woche und würde auch noch eine zweite so weitergehen. Denn nach dem Ausräumen kam das Renovieren.

Mit dieser Schufterei den Rest der Sommerferien zu verbringen, war eine Strafe. Aber ihrem Opa zuliebe hatte Katka bisher ohne großes Gezeter mitgespielt.

„Da muss ich dich leider enttäuschen, mein Schatz. Opa ist im Moment einfach zu durcheinander, um ein eigenes Telefon ins Zimmer gelegt zu bekommen. Trotzdem finde ich es sehr lieb von dir, dass du dich bei ihm melden willst.“

Katka rührte in ihrem Kakao, um die kleinen Schokopulverschollen, die auf der Oberfläche schwammen, aufzulösen. Sie legte sich zwei Tomatenscheiben auf ein Knäckebrot, dazu ein Klecks Quark und eine Essiggurke - das gesunde Morgenmenü eines Models. Zumindest hatte das in der Popzeitschrift Vicky gestanden, die sie sich mit Issy einmal in der Woche am Kiosk kaufte. Issy befolgte solche Tipps viel genauer. Katka legte da gerne mal ein zweites Frühstück mit Schokopudding ein. Ob sie Issy von ihrem Fund aus dem Nähzimmer erzählen sollte? Aber die würde sich wahrscheinlich nur vor dem Frosch ekeln.

Katka entschied, das Geheimnis vorerst auf eigene Faust zu entschlüsseln. Vielleicht würden die Pfleger ihren Opa ja ans Telefon holen, wenn sie in der Zentrale anrief? Aber am besten wäre es, ihn persönlich zu sprechen.

„Können wir ihn besuchen?“, fragte sie.

„Das machen wir. Sobald wir diese das Gröbste beim Ausräumen des Hauses hinter uns haben. Versprochen.“

„Am Samstag? Da könnte Papa dann auch mitkommen“, versuchte es Katka erneut.

„Am Wochenende kommt der Makler mit Kaufinteressenten. Da müssen wir hier sein, falls Fragen auftauchen.“ Ihre Mutter senkte den Kopf, griff zur Kaffeetasse und nippte. „Nächste Woche könnte es klappen. Aber versprechen kann ich es nicht. In Ordnung?“

Katka wollte erneut aufbegehren, bemerkte aber das Zittern in der Stimme ihrer Mum und ein verräterisches Glitzern in den Augenwinkeln. Für sie war es doppelt schwer. Erst hatte sie ihre Mutter verloren und dann diese Vorfälle mit Opa. Katka stellte sich vor, wie es ihr dabei gehen würde, und bekam Gänsehaut.

Klar wollte sie mit sechzehn manchmal Ruhe vor den Eltern haben, aber so ganz allein auf sich gestellt – nein, davor graute es ihr. Sie schluckte, gab ein gemurmeltes „Hm-hm“ zur Antwort und biss in die Essiggurke. Sauer macht lustig, dachte sie und blinzelte eine halbe Träne fort.

 

Eine Stunde später stand sie einmal mehr im miefigen Flur des alten Hauses in der Bärengasse. Diesmal mit dem Auftrag, den Wohnzimmerschrank auszuräumen, während ihre Mum den Keller entrümpelte.

Katka ging an der alten Couchgarnitur vorbei und streifte mit ihrer Hand den vergilbten Schirm der Stehlampe neben dem Lesesessel. Dahinter an der Wand hingen kleine quadratische Bilderrahmen mit Fotos von ihrer Mutter, als sie noch ein Kind gewesen war. Auf den meisten wirkte sie verweint oder beleidigt. Nur auf einem lachte sie. Sie stand auf einem mit Mosaiken verziertem Platz und fütterte einen Pfau. Im Hintergrund ragte ein orientalisch anmutendes Gebäude in den Himmel.

Pfauen kannte Katka nur aus dem Zoo in Duisburg. Urlaub in exotische Länder hatte sie nie gemacht. Einmal Italien war schon das höchste der Gefühle gewesen. Aber dass ihre Großeltern die Welt bereist hatten, war Katka neu. Davon hatte Opa in seinen Geschichten nie erzählt.

Grübelnd nahm Katka das Bild von der Wand, packte es in Zeitungspapier ein und legte es mit den anderen in den ersten der leeren Kartons, die ihre Mum ins Zimmer gestellt hatte.

Der Wohnzimmerschrank erstreckte sich über die gesamte Wandlänge. Neben ein paar Reisesouvenirs und, über Jahrzehnte gesammeltem, Kitsch waren es hauptsächlich Bücher, die die Regale bevölkerten.

Als Katka nach einer Porzellanfigur greifen wollte, erklangen die ersten melancholischen Takte von Arð, Burden Foretold. Sie zog ihr Handy aus der Beintasche ihrer Kargohose und sah das die Meldung auf dem Display - Nachricht von Issy:

 

Wo: Millinger Meer

W: me Mila Bell und Ines

M: Flann Heiko und Chris!!!

Stimmung: Hammer

Auftrag: Komm sofort her

 

Na, toll. Ich muss im Staub wühlen und schwitzen, während die schon wieder im Strandbad hocken. Mit Chris, der wahrscheinlich knackigbraun aus seinem Griechenlandurlaub mit seinen Eltern zurück ist. Und ausgerechnet Bells blöde Schwester Ines muss dabei sein. Die gibt sich doch sonst nie mit Jüngeren ab.

Katka drückte auf Antwort und tippte:

 

Wo: Bärengasse

W: me und Mum

M: Mr Langeweile

Stimmung: todestief. Komm hier nicht weg.

Auftrag: Halte I von C fern

 

Sie schickte die Nachricht ab, legte das Handy ins Regal und griff sich den Porzellantiger, der dort auf einem Platzdeckchen lag und ihr gelassen entgegenblickte. Auch den schlug sie in Papier ein und verstaute ihn im Umzugskarton. Dazu kam ein geschnitzter Büffel, ein mit bunten Glassteinen besetzter Elefant, ein bronzener Buddha, eine Schale in Form einer kunstvoll tätowierten Hand, eine Mosaikfliese und ein Set, bestehend aus einer goldfarbenen Teekanne mit drei schnapsglasgroßen Bechern.    

Alles Dinge, die sie von klein auf kannte. Woher sie stammten, wusste Katka allerdings nicht. Opa hatte bis vor kurzem als Schreinermeister in einem Betrieb in Rees gearbeitet und Oma war, seit Katka denken konnte, Hausfrau gewesen, hatte mit Leidenschaft gekocht, Ordnung gehalten und sich um den großen Garten gekümmert, der bis hinter zum Felsbruch reichte. Waren die Figuren also nur Nippes aus dem örtlichen Kitschladen?

Der erste Umzugskarton war schnell voll, aber die Regale bogen sich immer noch. „Was soll ich mit den ganzen Büchern machen?“, rief Katka die Kellertreppe hinunter.

„Die Zerfledderten kommen direkt in die Papiertonne, gut erhaltene Romane in eine Kiste, Sach- und Fachbücher in die Nächste und Bildbände in einen dritten Karton. Die versuchen wir dann auf dem Flohmarkt zu verkaufen.“

„Warum nicht im Internet?“, fragte Katka nach unten.

Das Gesicht ihrer Mutter erschien am Treppenabsatz. „Das wäre viel zu viel Aufwand. Diese ganze komplizierte Abwicklung, die Portokosten und das Verschicken. Falls man gebrauchte Bücher überhaupt los wird.“

„Frau Högel kauft nur noch so ein.“

„Milas Mutter?“

Katka nickte. „Es gibt viele Büchershops und Versteigerungsportale, bei denen man das machen kann.“

Ihre Mum rieb sich die Augenbrauen. „Ich weiß nicht. Wir können es ja mit den Sachen versuchen, die wir auf dem Flohmarkt nicht loswerden.“

Typisch!, dachte Katka und ging zurück ins Wohnzimmer. Mum ist total altertümlich. Bloß nichts Neues ausprobieren, da müsste sie ja umdenken oder sich von mir was zeigen lassen.

Mila hatte erzählt, dass ihre Mutter geradezu lesesüchtig war. Damit der Spaß nicht zu teuer wurde, hatte sie vor einem Jahr gelernt, wie das mit dem Kaufen oder Bieten im Internet funktionierte. Seither jagte sie nach Schnäppchen im Netz und es lagen wöchentlich Büchersendungen im Briefkasten.

Im Wohnzimmer piepte das Handy und riss Katka aus ihren Gedanken. Wieder eine Nachricht von Issy:

 

Ines zieht alle Register. Bin beim Sonnencremen dazwischen gegangen. Alarmstufe gelb. Bettel, wenn’s sein muss, aber komm! Cya Issy

 

Ines, Kackines! Ich mach dich fertig, wenn du mir Chris vor der Nase wegschnappst.

Klar hatte Chris schon Freundinnen gehabt. Aber das war, nach Katkas Beobachtungen, hauptsächlich Händchenhalten und Schmusen gewesen. Damit würde sich Ines sicher nicht zufriedengeben.

Ob Katka selbst mehr wollte, wusste sie ehrlich gesagt noch nicht. Ein paar Mal Knutschen mit Heiko war schon alles gewesen, was sie an Beziehung vorweisen konnte. Aber sie wollte Chris. Unbedingt. Das war sicher.

Wütend packte sie ein zerlesenes Taschenbuch und pfefferte es in den Müllsack. „Verdammt, verdammt, verdammt!“

Ihr Blick glitt über den, bis zur Decke ragenden, Schrank. Vielleicht könnte sie ja doch noch hinterherfahren, wenn sie schnell machte. Wer würde schon merken, wenn sie es mit dem Aussortieren nicht so genau nahm?

Entschlossen zog sie einen Stapel Exemplare aus dem untersten Regal und wollte ihn gerade in den Sack stecken, als ein einzelnes Blatt herausrutschte und zu Boden segelte. Eine Tuscheskizze.

War das nicht der Säbel, den sie in der Schublade gefunden hatte? Katka legte die Bücher beiseite und hob die Zeichnung auf.

Kukri stand über der, mit schnellen Federstrichen gestalteten, Skizze. Kein awisches Wort. Erst als Katka das Blatt nach eingehender Betrachtung auf den Sessel legte und sich wieder der Arbeit zuwendete, fiel ihr auf, dass sie hier vor einer Wand voller Informationen stand. Wenn Oma Lisbeth so eine Waffe besitzt, dann vielleicht auch Bücher darüber. Oder wenigsten welche, mit weiteren Hinweisen zu dieser Naga- und Garuda-Geschichte!

Ein Buch nach dem anderen zog Katka aus dem Regal, blätterte es durch, schüttelte es aus, damit ihr ja keine Kleinigkeit entging. Die Werke in den unteren Fächern waren alles Romane. Krimis, Fantasy und eine ganze Riege mit Erzählungen über Indien: Gebrauchsanweisung für Indien, Siddhartha – eine indische Dichtung, der Himmel über Darjeeling, Bombay Paradise, Liebeskummer auf Indisch. Sogar Jugendbücher waren dabei: Der Elefantenreiter, das Geheimnis des Buddha, Monsun, der weiße Tiger, der Königsgaukler – ein indisches Märchen. Aber kein Hinweis oder Zettel, der Katka weiterbrachte.

Vielleicht hatte Oma die interessanten Bücher weiter oben einsortiert? Katka wühlte sich mit Feuereifer durch die nächste Schrankzeile, dann höher und höher. In der Vorletzten stapelten sich Lexika und Bildbände. Bücher mit Fotos von Flüssen, Landschaften, Tieren. Nachschlagewerke über Medizin, Religion, Pflanzen und Sprachen.

Als sie vom vielen Durchblättern langsam das Gefühl in den Fingerkuppen verlor, entdeckte sie endlich eine weitere Spur. Ein aufwändig gestalteter Band über Amphibien und Reptilien war auf einigen Seiten mit kleinen gelben Klebezetteln markiert.

Sie setzte sich mit dem Buch auf die Couch und betrachtete neugierig die Abbildungen. Fast alle Lesezeichen führten zu einer Froschart. Da waren die Rotbauchunken, Gelbbauchunken, die Knoblauchkröten, die Syrischen Schaufelkröten, die europäischen Laubfrösche, die Sumpffrösche, Grasfrösche und Goldkröten. Glitschtiere in jeder Farbe, Größe und Form. Manche erdig und warzig, andere glatt und schillernd.

Aber welche Bedeutung hatten Frösche für Oma Lisbeth gehabt? Katka versuchte aus der Erinnerung den vertrockneten Kadaver einer der Gattungen zuzuordnen und tippte aufgrund der spitzen Maulform schließlich auf Sumpffrosch.

Erst das Bimmeln ihres Handys erinnerte sie dran, dass sie sich hatte beeilen wollen. Sie blickte auf die Armanduhr. Halb drei schon. Mist! Bei der Sucherei hab ich die Zeit total vergessen. Katka eile zum Regal und rief die neue Nachricht ab.

 

Wie sieht’s aus? Hast du deine Mum erweichen können? Wenn du nicht kommst, verpasst du den besten Tag des Sommers. Cya Issy.

 

Jetzt streute ihre Freundin auch noch Salz in die Wunde. Und warum schrieb sie nichts über Chris?

Kurz entschlossen ging Katka in den Flur und spähte am Treppenabsatz nach unten in den Keller. Blaue Säcke stapelten sich und es war deutlich zu hören, dass ihre Mutter immer noch fleißig räumte.

„Mum?“, rief Katka.

Die Geräusche verstummten. Ein verschwitztes Gesicht, eingerahmt von schwarzen, nackenlangen Haaren, erschien in Katkas Sichtfeld.

„Ja, mein Schatz? Hast du Hunger?“

„Draußen ist so tolles Wetter. Die anderen sind alle beim Baden. Kann ich heute nicht ausnahmsweise auch hin? Es sind doch Ferien.“

„Ach, Kati, du weißt doch, wie wichtig der Verkauf des Hauses ist.“ Ihre Mutter kam die Treppe hoch gestapft und fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn. „Wie weit bis du denn?“

Bei ihrer Sucherei hatte Katka zwar die durchgeblätterten Bücher bereits in die jeweiligen Kartons verfrachtet, aber die oberste Regalreihe wartete noch unberührt im Schrank. Sie schickte ein Stoßgebet an den Gott aller Strandbäder, er möge sie zu sich rufen und versuchte ihren treuesten Hundeblick. „Mama, bitte. Die Ferien sind fast zu Ende.“

Ihre Mutter begutachtete mit kritischer Miene die Bücherwand, den Inhalt des Ramschsacks und entdeckte dann das aufgeschlagene Tierlexikon auf dem Sofa. „Na, wenn du all die Schinken erst liest, bevor du sie wegpackst, wirst du noch Tage brauchen.“

„Das ist total unfair!“

„Ich weiß ja, dass das hier kein Spaß für dich ist. Aber irgendjemand muss es machen.“

„Und warum bin ausgerechnet ich dieser jemand? Papa könnte sich doch ein paar Tage Urlaub nehmen.“

„Pass auf, was du sagst, mein Fräulein! Dein Vater rackert sich tagtäglich ab, damit es uns an nichts fehlt.“

„Ach, und ich soll mich wohl auch noch dafür bedanken, dass ich hier wie eine Sklavin schuften muss?“

„Katharina! Es reicht!“

Nach einen kurzen aber intensiven Blickduell gab Katka auf, drehte sich um, stapfte mit hängenden Schultern zurück zur Bücherwand, griff sich ein Buch und feuerte es in den nächst besten Karton. Eltern waren Tyrannen. Immer musste alles nach ihren Regeln laufen, ganz egal ob die gerecht waren oder nicht.

Wutschnaubend packte Katka das nächste Buch und warf es Richtung Müllsack. Wenn Ines sich meinen Chris schnappt, werde ich Mum das nie verzeihen. Nie, nie, nie!

Als das nächste Buch mit einem Knall zu Boden flog, erklang hinter Katkas Rücken ein vernehmliches Seufzen. „Also schön. Bevor du am Ende noch vom Regal fällst, schlage ich vor, du räumst den Schrank leer und machst dann für heute Schluss. Einverstanden?“

 

Nachdem ihre Mutter wieder im Keller verschwunden war, sagte Katka zum Regal gewandt: „Also gut ihr Papiermonster, das muss jetzt schnell gehen, klar?“

Der Einfachheit halber warf sie die Bände jeweils vor die passenden Kartons. Doch beim Griff in das letzte Regalfach hielt sie überrascht inne. Der Umschlag des Buches zeigte verschiedene Messer. Als Titel stand darüber: Vom Kukri bis zum Muela Tanto – militärische Stich- und Hiebwaffen.

Mit seinen dreiundsechzig Jahren konnte Opa Arnold den Krieg nur als Kleinkind miterlebt haben. Und Oma Lisbeth war zwei Jahre jünger gewesen. Soweit sich Katka erinnern konnte, waren Waffen nie ein Thema gewesen. Im Gegenteil.

Ihre Großeltern hatten viel Wert auf eine zivilisierte Art der Streitschlichtung gelegt. Ihrer Meinung nach gab es immer zwei Seiten zu bedenken. Denn ob etwas als gut oder schlecht bewertet wurde, hing zu aller erst vom Standpunkt des Betrachters ab und vielleicht von seinem Glauben. Was also machte solch in Buch in ihrem Schrank?

Neugierig geworden stieg Katka nach unten, setzte sich erneut auf die Couch und blätterte das Buch durch. Auf dutzenden von Seiten war dieser seltsam gebogene Säbel, den sie gefunden hatte, abgebildet. Kleine gelbe Zettel klebten als Merker am Seitenrand. Teilweise waren Notizen neben die Abbildungen gekritzelt, Zeilen im Beschreibungstext unterstrichen.

Katka fand heraus, dass das Kukri so etwas wie eine Machete war. Es wurde noch heute vom nepalesischen Militär getragen, sogenannten Gorkhas. Früher trugen es sogar die Kämpfer der englischen Kolonialtruppen.

Das erinnerte sie an die Zeichnung. Sie holte das Blatt vom Sessel, um die Darstellungen zu vergleichen. Das Bild und damit auch Omas Kukri ähnelte einer indischen Version aus dem Jahr 1920. Indien. Das war ihr heute doch schon öfter untergekommen? In der Romanecke.

Von neuem angestachelt, wühlte sie in den Flohmarktkisten und fischte sich die entsprechenden Bücher wieder heraus. Inklusive des Bildbands mit den Fröschen. Oben im Regal fand sie unter den letzten Büchern neben einiger Fechtlektüre eine zerschlissene Ausgabe über Rasenhockey und einen Leitfaden Reiten leicht gemacht, bei dem mehrere Seiten mit Eselsohren gekennzeichnet waren.

Dass Oma eine aktive Fechterin gewesen war, wusste Katka. Aber wer der Großeltern hatte sich für Hockey und Reiten interessiert?

„Ich dachte, du wolltest zum Baden?“

Katka zuckte zusammen, legte reflexartig die Hände über die Bücher und drehte sich um.

Ihre Mutter stand hinter ihr im Türrahmen, das T-Shirt voller Schweißflecke, die Haare mit einer Klammer nach hinten gesteckt. Sie hatte den Kopf leicht schräg gelegt und ihren, alles durchdringenden, Blick aufgesetzt.

„Ich ... ich dachte, ich könnte vielleicht ein paar der Bücher behalten?“, sagte Katka aus einem spontanen Einfall heraus.

Ihre Mutter überlegt einen Moment. „Wenn etwas dabei ist, was dich wirklich interessiert, meinetwegen. Aber übertreib es nicht. Dein Zimmer ist sowieso schon vollgestopft mit unnützem Zeug.“

Katka lächelte schief. „Danke.“

„Schon gut. Und jetzt geh lieber, sonst macht das Strandbad zu, bevor du deinen Bikini geholt und angezogen hast.“

Das ließ sich Katka nicht zweimal sagen. Sofort war sie auf den Beinen, schnappte sich eine Tüte, verstaute die Bücher darin und eilte in den Flur. Als sie die Klinke der Haustür schon in der Hand hatte, drehte sie sich noch einmal um. „Mum, warst du mit Opa und Oma eigentlich mal in Indien?“

Ihre Mutter runzelte die Stirn. „Wie kommst du darauf?“

„Ach, nur wegen der Andenken im Schrank.“

„Solchen Kitsch kann man doch überall kaufen.“

„Also wart ihr nie in Indien?“

„Nein, nie“, antwortet ihre Mutter. Doch Katka hatte das unbestimmte Gefühl, dass das nur die halbe Wahrheit war.

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