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Im Reich des Hieronymus

Im Reich des Hieronymus · Romane

Ein uraltes Wesen will die Welt unterjochen. Ramira und Jens, ausgestattet mit magischen Kräften, sind erwählt den Kampf aufzunehmen.

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Als Fan von magischen Geschichten versuche ich, andere, bisher unbekannte Blickwinkel zu eröffnen. Ich möchte zeigen, dass es Realitäten jenseits festgezurrter Meinungsblasen gibt, die spannend genug sind, dass Voreingenommenheit oder interesselose Toleranz sie nicht einfach beiseiteschieben kann. Die Auseinandersetzung mit scheinbar unumstößlichen Dogmen verleiht Zauberkräfte, mit denen nicht nur die Helden meines Buches Grenzen überwinden und sie dadurch ihrer Monstrosität berauben können.

Über den/die Autor:in

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- Geboren in Sachsen-Anhalt - Physiker - Fantasiert trotzdem gern

Leseprobe (max. 60 000 Zeichen)

Spätsommer, 2100

Paula Redigers Zelle

 

Die Besucher erzählen mir von Dingen, die sich verändert haben. Leider verstehe ich nur noch selten, was sie meinen, wenn sie mit ihren modernen Begriffen um sich werfen wie mit Zaubersprüchen. Über vierzig Jahre wohne ich nun schon in diesem Kloster und die Welt da draußen hat sich so weit von mir entfernt, dass ich sie nicht mehr einholen könnte, selbst wenn ich es wollte. Was soll eine alte Frau wie ich dort auch bezwecken? Eine Frau, die mittlerweile das Schweigen dem Sprechen, die Einsamkeit der Gesellschaft und den Hunger der Sättigung vorzieht? Eine Frau, die einst mit dem Teufel rang, bis ihr die eigenen Gespenster näher waren als das Lamm, in dessen weiche Stimme sie sich einst verliebte? Was bleibt einer solchen Frau, als sich zu ihrer eigenen Zelle zu machen, sich in sich selbst zu verkriechen wie eine Schnecke in ihrem Häuschen? Dabei hätte alles ganz anders kommen sollen. Als ich jung war, stand mein Leben sperrangelweit offen. So glaubte ich jedenfalls. Das Gute wartete nur darauf, gepflückt zu werden. Ich musste es lediglich finden und die Hand danach ausstrecken. Jedenfalls war das mein Plan.

              

Doch schon so mancher gute Plan hob an,

zu enden alles Leiden,

und ward verstellt von reinen Überheblichkeiten.

Gott mag nicht sehen,

wenn seine Kinder gute Werke

ganz überzeugt von eigner Kraft,

Vernunft und Macht angehen.

Kein Mensch wird je bestehen

allein durch Macht und Größe seiner Stärke.

 

Als Beispiel soll hier dienen,

das Los der Söhne Benjamins,

besiegt von tausend Israeliten,

weil sie nur eigner Kraft vertrauten,

zu wissen glaubten, statt zu glauben.

Aus gleichem Grund ist es zu jeder Zeit gekommen,

dass teure Menschen,

mutig, aber auch getrieben,

so schrecklich wurden in den Tod genommen.

 

Der Antichrist vermag es ungestraft,

ob seiner Macht, all seinen Spuk

und seine Bosheit frech betreiben,

mag täuschen mit maskiertem Spiegelfechten,

den wütenden Protest sich einverleiben,

mit falschen Eiden

zum nächsten Blutvergießen gar verpflichten.

Doch wird der Bösen Sünden,

durch Teufelei wohl niemand überwinden.

Ertrinkt die Welt im Blut

vom Schwerte der Gerechten,

vom falschen Geist beseelt,

solch Irrung zuzurichten,

ist damit doch nichts ausgericht'.

 

Die letzten Sonnenstrahlen fingern über die Bergspitzen. Im Gegenlicht schimmern ihre Felsen wie die Haut dunkler Riesen, die sich gerade zum Schlafen niedergelegt haben. Es mag ja sein, dass man auf dieser Höhe Gott am nächsten ist und von der atemberaubenden Sicht auf das Tal unter uns will ich gar nicht sprechen, aber die Kühle des Abends bricht hier so schnell herein, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Man könnte annehmen, das von der Sonne aufgeheizten Gestein würden die Nachtkälte abmildern, aber nichts da: Die dünne Luft kühlt so schnell ab wie ein Verliebter unter einer kalten Dusche. Wenigstens sind die Wände meiner Zelle warm genug, um mir einen Abend mit angenehmen Temperaturen zu bescheren. Auch die Nächte sind zu ertragen, wenigstens jetzt, im Sommer. Im Winter rüttelt mich regelmäßig eine unerträgliche Kälte aus dem Schlaf, zwei Stunden vor den Laudes. Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als die Vigilien zu beten. "Wintervigilien", pflegen meine Mitschwestern zu spötteln.

 

Trotz der erfreulichen Jahreszeit hatte der Tag nicht in gleicher Weise begonnen. Schon nach dem Aufstehen kroch es in meine Beine, meinen Bauch, meinen Rücken. Der Schmerz war so stark, dass ich nur unter gotterbärmlichem Stöhnen und Jammern das Ordensgewand überstreifen konnte. Ich erinnere mich, dass sich mich danach aufs Bett setzte und minutenlang auf die geschnitzte Madonnenfigur über meinen Tisch starrte. Die Wärme, mit der sie das Jesuskind im Arm hält und die Seligkeit, mit der sein feines Gesichtchen zu ihr aufblickt, spendete mir für gewöhnlich Trost. Diesmal blieb die Erleichterung aus. Hinzu kam, dass ich mir den Grund für mein plötzliches Leiden überhaupt nicht erklären konnte. Es war nicht das übliche Reißen in den Gliedern, das mich für gewöhnlich erst nach dem Morgenlob heimsuchte. Mein Körper schrie um Hilfe wie der eines Geschäftsmanns, der von Termin zu Termin hetzt, ohne einen einzigen Tag der Entspannung. Kein Wunder, wenn sein Herz irgendwann den Dienst versagt.

 

Ich schleppte mich in die Kirche und riss mich zusammen. Da wir beim Gebet nicht mehr knien mussten, gelang es mir ganz gut. Meine Banknachbarin spürte jedoch sehr genau, dass mit mir etwas nicht stimmte. Es war noch dunkel draußen und das Flackerlicht der Kerze ließ ihre Miene noch milder erscheinen, als sie es - ihrem Charakter entsprechend - ohnehin schon war. Ich flüsterte ihr zu, dass alles in Ordnung wäre. Doch Schwester Margarete kann man nicht betrügen, wie man den Heiligen Christus am Kreuz nicht betrügen kann. Sie wusste, dass ich lüge, noch bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte.

 

Das Mittagsgebet verstärkte den Schmerz: Stich folgte auf Stich, als hätte ich Knochen aus rissigem Glas. Während des Mittagessens stand ich mehrmals kurz davor, laut zu stöhnen. Meine empfindsamen Mitschwestern hätte ziemlich irritiert aus der Wäsche geguckt und die Vorleserin wollte ich auf keinen Fall aus dem Konzept bringen. Sie saß erhöht unter einem der blau bemalten, für einen Neubau ein wenig unpassenden Fenster, und las aus der Apostelgeschichte. Während ich langsam Hühnerfrikassee mit Erbsen in mich hineinlöffelte, spürte ich, dass sich die Kombination aus warmem Essen und ihrer sanften Stimme wohltuend auf mein Befinden auswirkte. Als Paulus von seiner ersten Missionsreise nach Antiochia zurückkehrte, hatten sich meine Schmerzen auf ein erträgliches Maß abgekühlt. Ich lehnte mich zurück, streckte mich und dankte Gott für seine Gnade. Zu früh. Leider verschlechterte sich mein Zustand bis zur Vesperandacht. Nach dem Abendessen schluckte ich drei Naproxen. Statt wie üblich in die Bibliothek watschelte ich in den Garten. Ich hoffte inständig, dass mir die aromatische Luft Erleichterung verschaffen würde. Mein Geruchssinn funktioniert noch hervorragend, manchmal zu meinem Leidwesen, manchmal zu meinem Vergnügen. Ich liebe den Duft von Bergminze, doch ich verabscheue Lavendel. Zum Glück gibt es auf unserer Höhe kaum Motten, die unsere Kleiderschränke heimsuchen könnten. Ja, die Lage unseres Klosters hatte Vorteile, nicht nur hinsichtlich der penetranten Nachtfalter.

 

Früher war es ein katholisches Kloster - natürlich. Genauer gesagt, ein Benediktinisches. Seine Blütezeit erlebte es im Mittelalter, doch mit dem Anbruch der Renaissance verlor es seine spirituelle Bedeutung. Nur der Umstand, dass es sich in einer wunderschönen Gegend befindet, bewahrte es in den folgenden Jahrhunderten vor dem Verfall. Ende des 18. Jahrhunderts entdeckten naturverliebt, begüterte Bürger die klaren Bergseen und schneebedeckten Gipfel als willkommene Ablenkung von ihren anstrengenden Geschäften. Allerdings sank die Zahl der Nonnen auf sechs ab, was sie im Vergleich zu den Reisenden und deren Bewirtung zu einer hoffnungslos unterlegenen Minderheit machte.

 

Als die Nachfrage nach christlichen Lebensgemeinschaften im zweiten Drittel des 21. Jahrhunderts sprunghaft anstieg - warum dies geschah, werde ich später noch erläutern - wurde unser Kloster aus seinem religiösen Dornröschenschlaf erweckt. Eine rege Bautätigkeit erhob sich. Die Kirche mit ihren mächtigen Säulen aus rotem Sandstein, den feinen Wandreliefs und den Skulpturen heiliger Märtyrer, wurden aufs Genaueste restauriert. Natürlich auch die Staue des Heiligen Gumbert, dem Namensgeber. Der an die Kirche angrenzende Kreuzgang, der Kapitelsaal, die Bibliothek und das Skriptorium waren teilweise baufällig, weshalb es ein paar Jahre dauerte, bis man sie wieder instandgesetzt hatte. Bei der Gelegenheit brachte man auch die Wohnzellen in Schuss und erweiterte die Klausur um einen modernen Speisesaal. Man baute ein neues Verwaltungsgebäude, in dessen obere Räume die Äbtissin einzog. Für Touristen und Gäste, die sich für das Klosterleben interessierten, wurde eine entsprechende Unterkunft errichtet.

 

Das Kloster St. Gumbert wurde über die Provinzgrenzen hinaus bekannt. In der Mitte des 21. Jahrhunderts lebten bis zu sechsunddreißig Schwestern hier und mindestens noch einmal so viele Laien. Unter ihnen gab es ein ständiges Kommen und Gehen. Erst gegen Ende des Jahrhunderts kehrte Ruhe ins Kloster ein. Die Nachfrage nach christlicher Spiritualität ebbte ab. Wie gesagt: Die Welt da draußen verstehe ich nicht mehr und auch nicht den Grund, warum sich die Dinge so entwickelten. Möglicherweise war wieder mal eine Phase der Aufklärung über die Menschen gekommen. Nun, sie würde nicht lange andauern, so wie jedes Mal.

 

Der Nachmittag neigte sich dem Ende und ich verließ den Kräutergarten. Es war Zeit für die Komplet. Wir versammelten uns in der Kirche, wo ich dank Naproxen und der frischen Gartenluft ein paar entkrampft lächelnde Blicke an meine Schwestern verteilen konnte. Sie lächelten zurück, besonders Margarete stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Wir setzten uns, Stille kehrte ein. Die Phase der Besinnung und des Tagesrückblicks begann. Doch außer Frömmigkeit bewegte sich noch etwas anderes, Undeutliches, Geheimnisvolles zwischen den Säulen. Während der Psalmodie begann ich zu ahnen, womit dieser merkwürdige Tag schwanger ging.

 

Nach der Lesung folgten weitere Psalmen, die wir als Versikel beteten: Vorn intonierte die Priorin den ersten. Wir antworteten und aus dem Chor stieg es auf, nunmehr klar und deutlich, schwebend über dem Altar. War es real? Ein verstohlener Blick zu Margarete verriet mir, dass es sich entweder um eine Illusion handelte oder nur für mich zu sehen war. Aber das spielte keine Rolle, denn seine vom Grinsen entblößten Zähne bohrten sich in meine Knochen. Ich zuckte zusammen. Zum Glück übertönte der zweite Psalm meinen unterdrückten Schrei. In diesem Moment begriff ich, dass die schmerzhaften Stiche nicht von irgendwelchen elektrischen Reizen stammten, die aus dem kranken Gewebe unter meiner Haut auf Nervenautobahnen entlangrasten. Nein, die Schmerzen entstanden direkt in meinem Verstand. Er forderte etwas zurück, etwas das ich ihm jahrelang vorenthalten hatte.

 

Beim dritten Psalm: "Er stehe auf, dass seine Feinde zerstreut werden, und die ihn hassen, vor ihm fliehen", traute ich meinen Ohren nicht. Das war keinesfalls das übliche: Gottes Gnade behütet uns in der finsteren Nacht. Oder hatten sich die Worte heimlich in meinen Kopf gestohlen, um die Wirklichkeit zu übertönen? Ich legte meine gefalteten Hände in den Schoß und hob zögernd den Blick. Es schwebte noch immer über dem Altar, grinsend, mit acht ausgebreiteten, fürchterlichen Armen. Einst hatte ich es weggeschlossen, in sieben Truhen, hinabgesenkt in die sieben tiefsten Abgründe meiner Seele. Seitdem ruhen sie dort, schwer wie Altarsteine. Und heute Morgen war ich unter ihrer Last in die Knie gegangen, wie Balaams alte Eselin unter dem Propheten.

 

Es war an der Zeit, die Schwere dieser Erinnerungen abzuwerfen. Die Schmerzen würde ich jedenfalls nicht mehr lange aushalten. Nach dem abschließenden Vaterunser begab ich mich in meine Zelle, wo ich mich an den abgewetzten Schreibtisch setzte. Ich bekreuzigte mich und zerrte so lange an der störrischen Holzschublade, bis sie ihren Inhalt freigab. Ein Block Schreibpapier landete auf dem Tisch, daneben meine Lieblingsstifte, die mit einer deutlichen, blauen Farbspur schreiben. Auf dem Boden der Schublade rollten noch ein paar Bleistifte herum, allerdings nutzten sie mir wegen meiner schwachen Augen nichts. Ich sollte sie an eine jüngere Nonne verschenken.

 

Nun, das würde ich erst morgen tun, denn heute ist der erste Tag vom Rest meines Lebens, wie man so schön sagt. Ich weiß nicht, ob mir jener Rest genügend Zeit verschafft, über die verstörenden Ereignisse der Jahre 2043 und 2044 in aller Vollständigkeit zu berichten - immerhin muss ich sie erst aus den Untiefen meiner Erinnerung herausholen. Allerdings hege ich große Zuversicht, denn jetzt, da ich die ersten Zeilen niederschreibe, schwindet der Schmerz bereits aus meinen Gliedern, wie abgestandene Luft durch ein soeben geöffnetes Fenster.

 

Ich beginne meine Schilderungen am Switchday - manche nennen ihn auch den Umschalttag - der die schlimmsten Ereignisse seit dem letzten Krieg hervorbrachte.

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