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Ingeborg hing neben der Spüle

Ingeborg hing neben der Spüle · Romane

Dies ist die Geschichte von Sommer, Herbst und Winter; die Geschichte einer aufgebrauchten Liebe. Eine Rückschau auf wahnsinnige Jahre.

Was möchtest du mit dem Buch bewirken?

Das Leben schreibt die besten Geschichten. Das sollten wir nicht vergessen. Es geht mir darum - im Stile einer Autofiktion, im Prinzip einen Teil von mir zu erzählen, in der Hoffnung das Leser sich darin wiederfinden und sagen, so habe ich mich auch schon gefühlt. Oder die Menschen zu den richtigen Fragen animieren, nur so kann man im Leben voran kommen, denke ich. Es soll zeigen, dass es man nicht immer nach gut und Böse definieren kann oder immer den Schuldigen benennen kann. Meistens sind alles Missverständnisse. Zu guter Letzt, bin ich der Meinung, dass das Leben in Wellen kommt und geht. Erfolg, Liebe, Krankheit, Verlust, Freude, Trauer, Glück, Pech usw. Dementsprechend ist der Roman auch so konzipiert. Es ist keine chronologische Abfolge von Handlungen.

Über den/die Autor:in

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32, Meeresmensch, beruflicher Tausendsassa. Studierter Buchwissenschaftler. Ich schreibe seit 9 Jahren an kürzeren und längeren Erzählungen. Aktuelles Projekt: Und Ingeborg hing neben der Spüle. Ein S...

Leseprobe (max. 60 000 Zeichen)

Sommer

„Diese Freude - sie gleicht unserer Freude über die langen, hellen Sommertage. Unabweisbar mischt sich mit ihr die Ahnung der kommenden finsteren Tage.“ Henrik Ibsen

“Summer means happy times and good sunshine. It means going to the beach, going to Disneyland, having fun.” – Brian Wilson

"In summer, the song sings itself." Williams Carlos Williams

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Es war weit bevor, ich aufgehört hatte unbewusst Turnschuhe zu tragen. Der Tag, an dem wir uns zum ersten Mal getroffen hatten, war ein Ebenbild, dessen an dem ich jetzt hier stehe, ein Freitag am Ende des Jahrzehnts, im Sternzeichen Löwe: dickköpfig, kraftvoll, starsinnig und voller Hingabe.

Wir haben selten darüber gesprochen, über diesen Tag, über unser erstes Aufeinandertreffen in der stickigen Befangenheit: Ein Ort mit Café im Namen, der sich stets aufs neue als Bar erwies und gar kein Kaffee im Angebot hatte. Hier stand die gefühlte halbe Gästescharr für gewöhnlich auf der Straße und zeigte keinerlei Reaktion auf einen zunehmenden Schauer oder eine schlagartig reduzierte Temperatur an Tropennächten. Präziser: Sie dehnten die Ladenfläche um ein Drittel aus. Es wurde kollektiv geraucht, ausnahmslos.

Warst du jemals dabei, als die Anwohner es nicht mehr an sich hielten? Die Eimer Wasser entluden sich dutzendweise über die Unerwünschten, die Ruhestörer, eine schnellere Art der Beschwerde, direkte Demokratie sozusagen.

Der Wirt demonstrierte indes Gelassenheit, in einem Interview in der Tageszeitung erst vor wenigen Monaten, gar freudig, sagte er, so sei es im lieber, besser als hinter dem Rücken zur Polizei zu rennen. Als spielten Erwachsene stille Post, beim letzten kommt dann doch nie die Wahrheit an. „Da ist ein Eimer mit kaltem Wasser die bessere Wahl. Da weiß jeder voran er ist. Hinterher kommt man ins Gespräch, so kann man was verändern auch wenn sich schlussendlich dennoch nichts änderte.“ Aber hier zählte der olympische Gedanke oder zumindest so ähnlich.

Du wirst fragen, ob es einen Grund gibt. Du wirst fragen, wieso ich zurückgekommen bin, ich würde abwarten, auf ein Visuelles – ja bitte – und dann würde ich sagen, am liebsten wäre ich gar nicht her gekommen, aber manchmal hat man nicht die Wahl und ich würde sagen, dass ich über die Zeit sprechen werde, über unsere Zeit sprechen werde und dies kannst du als Anlass nehmen. Es wird einer der vielzähligen Alternativen entsprechen. Um diese Möglichkeit hatten wir uns damals gebracht. Du hast es vorgezogen zu schweigen und ich habe es respektiert. Nur sehe ich so weit nachträglich keinen Grund mehr dazu. Ich denke, so wird es sein, in erster Linie.

Ich habe dir Blumen mitgebracht; Nelken, sonnengelb, Margariten in optimistischem Orange, das unnütze Grün habe ich ausgelassen. Blumen, die du selber gerne verschenkt hattest. Entschuldige die scheußliche Vase, nur war die Auswahl denkbar knapp, so viel dazu und genug der Höflichkeiten. Setz dich zu mir auf die Bank, unter der Eiche. Die dicke Blätterkrone schützt uns gegen den Blick von oben. Ihr Holz ist rissig, untersetzt von Moos. Wasserflecken aus Regenfällen und der Witterung aus vergangenen Jahrzehnten verteilen sich gleichmäßig auf der Sitzfläche. Sie wird trotz alldem unseren Ansprüchen genügen. Der Tag ist fast noch Nacht, es fehlt ihm an der Schwüle, die kriechend mit zunehmenden Stunden unseren Willen beherrschen wird. Es ist zu früh, um gestört zu werden. Die Stadt wälzt sich weiterhin verschlafen um Kaffeetassen. Wir haben Zeit.

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Die ersten Tropfen Erleichterung, die auf der Kopfseite des Bahnhofs fielen. Die brachiale Hitze zuvor: Die Menschen auf dem inneren Geländer der Hackerbrücke, die der stickigen Stadt den Rücken kehrten. Die drückende Luftfeuchtigkeit im Kosmos. Meine erste halbe Stunde an der Bar. Jede Geschichte hat einen Anfang. Es ist mehr als naiv anzunehnmen: Auf eine vorbestimmte Art und Weiße läuft es ab, von Natur aus, so und nicht anders. Unsere Geschichte ist die von Sommer, Herbst und Winter. Es existieren Dutzende Varianten, diese zu erzählen. Im Kern ähneln sie einem Ei dem anderen.

Meine Version beginnt an jenem Tag. Sie beginnt in diesem ortstypischen Garten mit dem bürstenkurz geschorenen Gras, in der allumfassenden bayrischen Feuchtfröhlichkeit. Sie nimmt einen Anfang ohne dein Zutun, ohne deine Anwesenheit, einzig dadurch, dass ich mich im Nachhinein dazu entschied, sie genau an diesem Punkt einsetzen zu lassen. Ich stelle mir vor: Die Wolken über dem Grillfest hätten sich ungewöhnlich lang zusammen gezogen und die Bierbankbewohner auf die Folter gespannt. Der Regen hätte untypisch ausführlich angedauert. Ich wäre geblieben bis zu dem Punkt an dem, die Gewitterdunkelheit und die abendliche Dunkelheit nicht zu unterscheiden sind. Du und die Kroatin – wie war ihr Name noch gleich? – seid gemeinsam vorzeitig gegangen. Zwölf Kilometer hätten zwischen uns gelegen. Wir wären uns nie begegnet: Tina´s Geburtstag verpufft ohne eine nennenswerte Erfahrung. Ich stelle mir vor: Ein verfrühtes Ende unserer Geschichte und es fühlt sich sichtlich falsch an.

In meiner Erinnerung dröhnen aus gewaltigen Lautsprechern Musik aus Zeiten vor der massenhaften Rückkehr des deutschen Schlagers. Und trotzdem lief da eine Auswahl in einem abgeschlossenen Areal(leere Bierkisten als Begrenzung)ohne Wertschätzung mit dem Versuch, nicht den kompletten Banausen zu offenbaren. Meist dudelten diese Lieder auf Radiosendern, die den optimalen Mix aus Neuem und Oldies versprachen. Rotationen die aus nichts weiter bestanden, als aus alten Hits von großen Bands, die sie selber nicht mehr hören wollten, gar verfluchten überhaupt geschrieben zu haben.

Die grauen Wolken hatten fast schlagartig die Umgebung unwetternächtlich verdeckt. Ich hatte es als Zeichen genommen, zu verschwinden. Am Ende des Gartens hatte ein halb betrunkenes Dreiergestirn mit Bryan Adams zu Summer of 69 um die Wette geschrien. Im Wohnzimmer des Hauses hatte sich ein Haufen Ausdrucksloser vor dem Fernseher versammelt. Im Zweiten lief ein Fußballspiel. Ich erhaschte einen kurzen Blick: Jeder Spieler trotte ohne Motivation über das dunkele Grün. Der Kommentator legte seine regelmäßigen Pausen ein, bevor er eine auffallend langsame Schilderung des vorangegangenen Fouls nachlegte. Dazwischen hörte man das Stadion schweigen. Das Spiel schien von geringer Bedeutung zu sein. Wie konnte es auch anders, im Juli. Der Monat der Bedeutungslosen. Und ohne Bedeutung ist jede Sache nur halb so aufregend. Trotzdem beschimpften die Ausdruckslosen den Schiedsrichter, als würde deren Existenz auf dem Spiel stehen. Ich verabschiede mich hastig bei allen, die ich kannte und warf einen letzten Blick in den Garten. Einen Unterschied machte es kaum, dass ich fehlte. Irgendwer klatschte im falschen Takt zu Hells bells. Die Ausdruckslosen reagierten mit starren Augen auf das Spiel als ich mit einem kurzen Winken an Ihnen vorbei das Haus verließ.

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Erinnerst du dich an deinen anfänglichen Eindruck? An deine ersten Worte mit einem eindeutigen Bezug zu mir? Einige Wochen später, es war Mitte August im Alkoholgekicher. Du sagtest: „Ätzend! Für einen wirklich ätzenden Kerl hatte ich dich gehalten.“ Dabei hatte ich es nicht mal mitbekommen, dass ihr zur Gruppe gehört hattet, weißt du? Ich war zu spät und gehetzt. Tina war mir um den Hals gesprungen. Fast hätte sie den beistehenden Tisch samt Getränken umgeworfen. Gabriel klopfte mir zur Begrüßung mehrfach umgreifend auf die Schulter. Ich hatte Tina gratuliert zum Geburtstag, griff in meiner Tasche nach einem Umschlag, reichte ihn weiter, Tina freute sich merklich und anständig, obwohl sie wusste, was sie bekam. Wir hatten zu der Zeit eine Abmachung und schenkten uns ohne Überraschung jedes Mal Konzertkarten, für die Lieblingsbands des anderen. „Wann ist es nochmal?“ Ihre Frage damals, ohne den Umschlag zu öffnen. Nach dem ich mich anschließend mit einem der bekanntermaßen unterdimensionierten Stühle mit dem Treppengeländer im Rücken positioniert hatte, verstand ich es viel zu spät und war mal wieder zu langsam und dann zu gedankenverloren der Frage nachgegangen bis wann etwas der Höflichkeit entsprach. Auch Moritz war da gewesen, oft hatte ich ihn ja nicht getroffen, den Habsburger, den Weltenbummler, verschollen und nie wieder aufgetaucht, der fast ausschließlich schwieg, sofern Wien nicht das Thema war. Ich erinnere mich an seine Skispringerabsprunghaltung, an seinen laschen Händedruck, an sein Pockegesicht, an das Gras aus seiner luftdichten Tasche, an meinen ersten Zug, das erste Brennen in den Lungen, an meinen ersten Joint, nur ohne Überzeugung, ob dieser Abend auch tatsächlich dieser Abend gewesen war und ich erinnere mich an die erste Enttäuschung und den Ärger darüber, dass alles ohne Unterschied geblieben war. Ein Gefühl, das nachhaltig verweilt. Es gibt nichts Sinnloseres als Drogen ohne Wirkung. Zum Teufel damit.

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Hatte die Kroatin einen Einfluss darauf? Ich weiß beim besten Willen nicht mehr, wie ihr Name war. Ich versuchte sie schnellstmöglich zu vergessen, sah ich sie doch nie wieder im Leben, dessen war ich mir umgehend sicher. Sie war auf Anhieb unsympathisch mit Ihrer Attitude eines Bogenhausener Kindls, ihrem kilometerlangen Pferdeschwanz und mit ihrem Kopf im Nacken, Longchamptasche in der Ellenbogenfalte, einen zu reifen Blaser, freundlich zu allen, wortlos zu mir, auch beim Gehen bereits nach einem Drink. Sie war ein Fremdkörper in deiner Umgebung und die Frage nach dem Ursprung eurer Freundschaft bleibt mir bis heute unbeantwortet.

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Äußerst seltsam ist: Du hattest dir nichts anmerken lassen. Ich erinnere mich an dein fliehendes Haar, zusammengebunden, durchwuchert von Klammern wie schwarzen Raupen, die roten Wangen in natürlichem Rouge und an die mintgrüne Strickjacke auf dem Schoss. Nur war da kein verstimmter Blick. Nichts was darauf schließen ließ. Ich spürte da keine Abneigung. Dein Lachen war ansteckend, ein wenig rollend und auch nur dezent eingesetzt, aber es wirkte und ich vergas das zuverlässige Nachdenken. Gegen das eigentlich nur diese tamponartigen Stofftorpedos halfen, die man in der Tagesklinik bekommt, aufgebrochen verströmten sie einen alles übertünchenden Amoniakgeruch. Eine wirksame Ablenkung.

Euphorisch holte ich mir zwischenzeitlich im Kosmos das nächste und übernächste Getränk, bevor ich überhaupt etwas gemerkt hatte, wechselte rasch von Bier auf Gin Tonic, zwar nur eine mittelmäßige Variante mit Gordon, aber selbst ein miserabler Gin Tonic ist besser als gar keiner. Dann war der Abend, für mich in alkoholisierter Kantenlosigkeit verlaufen, im Rausch der Euphorie einer Gewissenlosigkeit, eines zu Ende gehenden Jahrzehnts. Ich hatte endlich das Gefühl besessen, dass etwas Bedeutsames passierte, dass ich etwas zum Großen verändern konnte. Ich erinnere mich, dass wir die Bar verließen, zu welcher Uhrzeit auch immer, der neue Tag war sicherlich schon angebrochen und wir waren zu mir in den Westen gefahren, warum auch immer. Ich erinnere mich daran, in der furnierten U-Bahn gesessen zu haben, wir beide auf den congacbraunen Polstern gegenüber, die anderen querfeldein im verlassenen Abteil. Ich hatte dich mehr und mehr anziehend gefunden, selbst wenn ein Teil in mir dich ein klein wenig altmodisch fand. Ich hatte dich anziehend gefunden, so wie ich alle Frauen anziehend fand, die nicht der Norm entsprachen und Dekolleté zeigten. Ich verspürte den stetigen Drang nach deiner ungeteilten Aufmerksamkeit und freute mich über ein unscheinbares Lächeln auf deinen vollen Lippen, als ich anfing über Beckett zu sprechen. Nur verflüchtigte es sich so schnell, wie es gekommen war, da du von Murphy schwärmtest und ich zwar von Warten auf Godot gehört, es aber bis dahin als staubig und veraltet abgespeichert hatte und mehr als über den Spannungsabfall von halbwegs gut gemachten forensischen Krimis wusste ich nicht zu sagen. Ich schwieg eine Zeit lang peinlich berührt, ohne dass du Kenntnis davon genommen hattest, und hätte es schnell wieder beendet, wäre da nicht Moritz gewesen den du schon länger gekannt hattest und das Gefühl, dass du an ihm gefallen fandest, und ich hoffte, er gefiel dir, wie Männer nun Mal Frauen gefielen.

Später fanden wir uns wieder hinter den grauen, vierstöckigen Flachbauten und durchbrachen auf dem schon brüchigen Rasen die Parallelität des Siedlungskonzeptes. Alle fünf auf einer Decke, die Grüne mit dem Brandloch am Rand und von irgendwoher hatten wir noch Whiskey und Cola besorgt, deren Mischung eigentlich nur Gabriel und ich tranken, aber trotzdem waren alle heillos betrunken und nach Stunden zum Himmel starren ein haltbares Stück melancholisch. Moritz versuchte eine Ähnlichkeit der Häuser zum Bauhausstil zu finden, konnte jedoch im Dunkel des schlafenden Vororts nur eine geringe Funktionalität feststellen und seufzte. Gabriel sagte: „Hier leben? So ne scheiße und was soll denn hier noch werden. Es ist zum sterben, da sollte jeder einen Freifahrtsschein bekommen. Hier will man doch gleich weit weg!“ Und so tat er es und zog als bald nach Hamburg, Master, Kriminologie. Er bezog eine Wohnung an einem Alsterarm und postete regelmäßig Fotos vom Wasser. Ich sage dir: Am Ende verliert diese Stadt nach und nach ihre stärksten und schönsten Söhne.

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Vorwiegend habe ich gewartet. Stunden über Stunden mit einem eingenisteten Gefühl der Unruhe, dass sich immer dann zeigte, wenn die Zeit aus dem Ruder lief. Sie war überall und kein Ende in Sicht. Es war August und hinter uns lagen gerade mal wenige Wochen. Damit fing es an: vor mir die nächtliche Straße, geteilt von Straßenbahngleisen mit umrandendem Gewächs. Die Tankstelle schräg gegenüber leuchtete mattgelb. Aufgebrachtes Gerede von Tankenden und Feierwütigen drang herüber. Jeder kam mit seiner profanen Lösung zum Überstehen der Nacht aus dem Tankstellenhäuschen heraus. Oder: Es war Tag. Ich stand am Eingang zum Baggerseegelände. Schatten: Es ließ sich aushalten. Der August war dem Juli ebenbürtig, nur trockener. Ich wartete. Keinen Schimmer worauf. Planlos blieb ich stehen und versuchte nicht darüber nachzudenken. Du weißt: Meine Heimat war ein Land, in dem Schlange gestanden wurde, nur kenne ich keine Heimat, im wahrsten Sinne. Besser: Ich komme ursprünglich aus einem Land, in dem Anstehen als Warten mit ungewissem Ausgang übersetzt wurde. Meist waren es Hausfrauen, die stundenweise sich die Füße blutig standen mit dem Risiko, vergeblich gewartet zu haben. Sorokin hat einen Roman darübergeschrieben, keine Handlung, nur Dialoge, wie beim Schlange stehen, welches die Leute, Mitte der 80er so langsam leid wurden. Oder: die Nordseite des Pasinger Bahnhofs. Das halbe Gebäude im Zaungerüst verkleidet. Spätnachmittag, brodelnder Asphalt, baumlos im gefahrlosen Weggehumkreis, wunderschön verfärbter Himmel. Ich schwitzte, ein Kopfschmerzschweiß. Ich warte, hier und dort, schon immer. Ich denke ich habe nie aufgehört. Ich warte auf Erkenntnis, auf die richtigen Fragen und Antworten, dabei ist klipp und klar, dass ich sie nicht erhalten werde.

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Also, ich stand an der Straße, lief ein paar Schritte, blieb stehen mit den monströsen Figuren im Hintergrund, dann das Bauamt, ein Glaspalast konformistischer Modernität. Es hatte abgekühlt, windstille, endlich genug Sauerstoff, zum Luft holen. Ich zählte die Straßenbahnen, die links und rechts vorbei ratterten. Nach einer Weile wurde ich müde. Die Regelmäßigkeit der im Hintergrund vorbeirauschenden Autos – Hügel hoch, Hügel runter - verstärkte den Effekt. Ich schaute mich um, Autohaus, Busbahnhof, Baumarkt, unvollendetes Industriegebiet mitten in der Stadt. Kein Anzeichen für ein Abreisen des Wartens.

Am See machte mich das Warten nervös, kirre. Beunruhigt scharrte ich mit meinen Flip-Flops im staubigen Kies. Das Gelände war überrannt worden und es stieg in mir die Sorge, keinen Platz zu bekommen. Dann wäre das Warten umsonst gewesen. Das Wasser wurde von einer Armada aufblasbaren Fabelwesen kontrolliert. Wortloses Geschrei in fröhlichen Frequenzen diente als ultimative Waffe. Kinder an die Macht lautete die Devise. Nur kann man sich selber Macht verleihen? Über den Köpfen war der Himmel einheitlich, verlassen, leer, kein Vogel war zu sehen. Sie waren ausgeflogen oder unsichtbar in den satten Baumkronen versteckt. Am liebsten hätte ich mich auf den Kopf gestellt, um klar sehen zu können.

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Die Menschen sind die nervigsten Geschöpfe, großflächig gesehen, deutschlandweit, durchweg. Ich könnte mich schon wieder aufregen, umgeben von Dummheit und Ignoranz, von der Hektik der Großstädter, die nicht warten können oder wollen, die rennen ohne Rücksicht, ohne Rundumblick, aus dem Bahnhof, in den Bahnhof, dem Bus oder der Bahn hinterher. Ich denke: Was kann man in zwei Minuten alles verpassen?

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Bis heute weiche ich ständig den Kopflosen aus. Ein Wunder, dass niemand in meiner Anwesenheit zu Schaden kommt. Damals in der prallen Nachmittagshitze wurde der Busfahrer vor mir beschimpft, erhobenen Armes. Nach seiner nächsten Schleife sah ich ihn wieder. Überrascht schaute er zurück, fragte, ob es nicht endlich Zeit wäre mitzufahren, ich schüttle den Kopf, er zündete sich eine Zigarette an, schulterzuckend. Von innen hörte man einen Passagier rufen. „Musst das wirklich sein?“ So langsam hatte ich in der Tat keine Lust mehr zu warten. Es wiederholte sich immerzu und ich kam nicht drum rum die Minuten zu zählen, ungeduldig, sauer. Vor allem da ich nicht wusste, aus welcher Richtung du kamst.

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Ich wartete auf dich an der längsten Straße Münchens, vor diesem halbherzigen Industriegebiet, in deren Hinterhöfen sich der Club zwischen Donnersberger- und Friedenheimerbrücke befand. Ein Déjà-vu der Halbwahrheiten, der ähnlichen Situationen, diesmal wollte ich es bewusst angehen, endlich eine Gelegenheit nutzen. Ich wartete voller Vorfreude seit einer geraumen Zeit. Mein Stundenzeiger hatte fast eine Umdrehung vollführt. Ich wusste: Du warst vorher verabredet gewesen. Ein Poetry Slam im Westend. Hätte schon vorbei sein müssen, längst. In meinen Ohren steckten die billigen Kopfstecker von Panasonic. Der Bass war kräftig. Sie taten, was sie sollten, zumindest eine Weile: Es liefen mittelschnelle Gitarrenakkorde, die von der Zeit ablenkten. Musik, die mir das Gefühl gab übers Meer zu fahren, mehr zu wollen. Ich dachte, ich bin dafür geschaffen mich selber zu belügen. Ich sang darüber, wie es war auf verlorenem Posten zurück zubleiben. Nach einer Stunde und mehreren Kleinigkeiten dann doch: Von Links wurde ein Rad geschoben, gemächlich und mühevoll. Ich bildete mir ein, du saßt oben auf, wurdest getragen wie eine Königin von zwei neuen Gesichtern; korrigiere mich, wenn ich mich irre. Beide Männer waren deutlich älter. Der eine randlos bebrillt, der andere Roy Black. Roy trug einen Prinz Eisenherzschnitt auf Kinnlänge und einen Schulrucksack. Ich wollte um ein Autogramm bitten oder um eine kurzes Ständchen, wurde aber vom Bebrillten harsch unterbrochen, er wollte sich vorstellen und dann doch nur über Geschehenes diskutierten. Sie halfen dir herunter und sprachen über die Arroganz der Szene, über den Absturz der Poesie, der Name war nicht mal das Papier wert, auf den die Einladungsflyer gedruckt wurden. Ich erfuhr: Du hattest es zumindest ins Finale geschafft. Dann aber nur noch einen ernsten Text dabeigehabt. Haushoch, sagte Roy, hättest du, aber mei, sagte er, selten gewinnt schon wer es verdient. Er kratzte sich heftig über seinen Bartschatten. Es war schnell eindeutig: Roy und der andere, der sich Basti nannte, gackerten ihren Ärger von sich. Du klinktest dich aus, warst nur dabei statt mittendrin, ich nahm dich zur Seite, umarmte dich ordentlich zur Begrüßung, beglückwünschte dich, da war es wieder dieses Lächeln, ich versprach beim nächsten Mal mitzukommen, ein Versprechen, das sich selber einlud. Dich schien es keinesfalls zu stören, gut gelaunt nahmst du mich bei Wort. Erinnerst du dich: Ich glaube, du warst bereits aus dem Gleichgewicht. Deine Augen glasig vom Alkohol. Wir entfernten uns aus dem Kosmos, den Roy und Basti beherbergten, in dem sie wie zwei gegnerische Schachfiguren über den Untergang diskutiert hatten, Auge in Auge, aber sich eigentlich von Beginn an einig waren, schwarzgrau und weißgrau, Rucksack und Ringelshirt, Bartschatten und Pausbacken, ein unsinniger Schlagabtausch zwischen den beiden Hälften eines Ganzen. Wir entfernten uns immer weiter, bis wir, außer Hörweite waren, uns umdrehten, am Club den Eintritt zahlten und mit einem Stempel auf dem Unterarm – Nachtjäger stand dort geschrieben – im dumpfen Raum verschwanden.

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Ohne ein Wort der Erklärung erschienst du nach einer zermürbenden Fußballhalbzeit. Auf der Einfahrt zum Seeparkplatz hatte sich mittlerweile eine Farbkarawane auf unbestimmte Zeit angestaut. Die Fahrzeuge standen bis zur Autobahn, die Ausfahrt von der A8 gewohnt zur Mittagszeit am Sommerwochenende gesperrt. Ich wartete auf eine entschuldigende Geste, stattdessen ließest du mich schroff wissen, dass es nichts zu sagen gab, ich sollte reden, rechts am See vorbeizeigen, neben den Stegen hatte ich mir weniger Familien erhofft, mehr Ruhe. Du nicktest mir das bekannte Nicken. Wir breiteten uns aus: Unsicherheit. Zaghaft zogst du deinen Rock, deine Leinenbluse aus, als wäre es dir peinlich oder unangenehm. Dein schwarzer Bikini hatte kleine Plastikringe auf dem Oberteil. Du besaßt bis zum Schluss keinen anderen. Ich wollte zurückkommen auf die Verspätung, wollte mich vergewissern, ob auch alles in Ordnung war, nur handelte ich nicht, ungewiss deiner Reaktion. Nichts lag mir ferner als dich zu verägern. Du legtest deine Sachen fein säuberlich neben das Handtuch zusammen, auffällig behutsam, dann griffst du nach einem dünnen, grünen Taschenbuch. Ohne zu zögern, fingst du an zu lesen. Salinger: Fänger im Roggen. Ich hatte davon gehört, besser gesagt der Titel war mir vertraut im Hinterkopf und nichts weiter. Ich legte mich hin, schloss meine Augen und fing an erneut zu warten.

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Der blaue Bus hielt zum dritten Mal. Ich erkannte ihn am Nummernschild. Der Fahrer schüttelte seinen schütteren Kopf, als er mich erneut erblickte. Er lachte lautstark, ich hatte ihn durch die Scheiben gehört. Auf meinem Rücken hatten sich Flecken ausgebreitet. Tropfen liefen mir bitter bis in die Arschritze. Ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt gefragt, wieso ich noch immer wartete. Gespräche, die man nur mit sich führt: Wie lange noch? Oder schlicht und ergreifend: Wieso? Dann die Zugeständnisse, die man sich selbstgefällig macht: So würde es nicht weitergehen. Von den Gleisen des Bahnhofs drang forderndes Greifvogelgekreische herüber, Unerwünschte vertreiben, so die Absicht. Hastig: Schnaufend hattest du dich von unerwartet genähert. Deine Ballerinas klapperten hölzern. Sie schienen dir zu groß, du hattest zu kämpfen, um einen Verlust zu vermeiden. Dein Gesicht war feurig angelaufen, deine Brüste ein auf und ab im tief ausgeschnittenen, weißen Tanktop. Du fielst mir um den Hals, herzlich; deine Sprache im emotionalen Ausnahmezustand. Fast zärtlich, gar niedlich deine Entschuldigung, wie die  beruhigende Hand auf der Wange. Froh bin ich, hattest du lautstark gesagt, du kannst es dir nicht vorstellen, plötzlich fiel der ein, eigentlich wollte ich los, meine Mutter und ihr Befehlston, als wäre ich ein Kind, besser noch ihre Marionette und dann ist sie völlig eskaliert. Teller waren geflogen, wie so oft. Deine Worte wirr und ungelenk. Ich wartete einige Minuten, bis deine Atmung sich wieder verflacht hatte und genoss währenddessen von dir als Stütze benutzt zu werden.

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Eine Frau, Anfang zwanzig, intelligent, durchaus intellektuell, still, vorwiegend unscheinbar, ist ohne größere Vorkommnisse, ohne jegliche Problematik, an diesen Punkt in ihrem Leben gelangt. Erst als Sie wiederholend im Kreis sitzt, mit mehr oder weniger bekannten Gesichtern, es wird über Ziele und Wünsche gesprochen, es werden Erfahrungen ausgetauscht, ist sie sich plötzlich dieser nicht vorhandenen Vorkommnisse bewusst. Es trifft Sie unvorbereitet, wie mau es aussieht. Es zieht ihr buchstäblich, den Perserteppich unter den Füßen hinweg. Es bleibt nichts außer das Knarzen maroder Fichtendielen. Ich stelle mir vor: Ihre Sehnsucht nach Veränderung. Sie begegnet einem Mann, durchaus zufällig, bei der Geburtstagsfeier einer ehemaligen Klassenkameradin: Alltägliche Menschen an bescheidenen Getränken und überschaubaren Themen. Sie findet den Mann zunächst grundsätzlich unsympathisch, fühlt sich überlegen, so dass Langeweile droht oder schlichtweg, weil Langeweile droht für den sommerlichen Übergang, lässt sich überzeugen von seiner charmanten Hartnäckigkeit. Dann, ein Jahr der Partnerschaft ist vergangen: Die Frau steht in Rostock im Supermarkt vor dem Eisregal. Sie trägt ein Blumenkleid mit bedeckten Schultern im wiederbelebten Stil. Sie hat die Wahl einen Katzensprung vom Ostseestadion entfernt. Es scheinen ihr unüberwindbare Hürden im Weg zu stehen oder die Auswahl zu üppig, kein Angebot ist überzeugend. Ein Sog hinter den Augen: Sie tippelt auf der Stelle. Eine Entscheidung nicht in Sicht. Der Mann versucht zu verstehen, versucht Kontrolle über die Ruhe zu gewinnen, schmackhaft zu machen. Die Frau den Tränen nahe läuft ohne Vorwarnung aus dem Geschäft. Der Mann bleibt zunächst im Licht der Aufmerksamkeit ratlos stehen. Unsichtbare Augen lasten auf ihn, tausendfach, bleischwer. Er verlässt nach einer angemessenen Zeit den Supermarkt, Kopf gesenkt, eislos, läuft hinterher, den Tränen, die nun bis zu dem blauschwarzen Kopfsteinpflaster der Hans Sachs Allee fallen, folgend. Sie läuft vor ihm fort, er redet beschwichtigend auf Ihre Schattenseite ein, er sieht, den cognacfarbenen Gürtel verrutscht. Er holt sie ein, sie bleiben stehen, auf dem Bürgersteig, neben den sündhaft hohen Immergrün, hinter den Tannen, der Sportplatz, der Spielplatz totenstill. Ihre Stimme mittlerweile das Schluchzen eines Kindes mit dem Bedürfnis nach Nähe, ihr Atem ein Zittern. Sie dreht sich zu ihm, lehnt sich an ihn, Kopf auf Schulter, mit Händen vor der Brust. Minuten stehen Sie dort, unbewegt, gerührt. Er spricht deutlich, idealisiert, um zu vereinfachen. Er fühlt sich verpflichtet, ein elterliches Bewusstsein, ohne es in diesem Moment zu begreifen. Es existieren keine Rätsel mehr, alles ist sternenklar. Sein Geist rein, als hätte es nie einen anderen Zustand gegeben. Er fühlt sich entschieden überlegen und genießt es, nicht zum letzten Mal. Die Frau lässt sich beruhigen, ein Minimum, lässt sich führen, zum Hohlbeinplatz, auf die Hamburger Straße, in den Botanischen Garten, prächtig verwunschen zu dieser Jahreszeit. Sie bleiben dort abseitig bis das Licht sich blutrot verfärbt, bis es zu spät wurde um sich noch ein Eis am Stil zu kaufen.

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Auf einer Handvoll Platz erstreckte sich eine Welt zwischen Hier und Nostalgie. Du hattest den begrenzten quadratischen Raum optimal ausgenutzt. Dein Stockbett thronte über den Dingen deines ehemaligen Zimmers, darunter ein Tisch mit Spitzenrand, zwei Polsterstühle, popelgrün. Alles war durchdacht, Kleinigkeiten hatten ihren Platz. Jedes Holz im Raum hatte denselben dunklen Ton, bis auf die helle Kommode vor dem Wellenspiegel und dem Kinderkleiderschrank in der Ecke; Einheitlichkeit durchbrechen. Unter der Decke waren Bretter in die Wand gehauen. Darauf strapazierten Jahrhunderte von Literatur die Tragfähigkeit. Jedes Mal wenn wir die Zeit bei dir verbrachten, zählte ich die Sekunden, bis die Bücher runterkommen würden, doch das Unheil blieb aus. Auf der Fensterlade hinter dem Tisch mit den Klappflügeln stand der rote Plattenspieler mit der silbrigen Kühlergrillverkleidung. Bei meinem ersten Besuch holtest du ihn zu uns herunter, stelltest ihn auf den grauen Teppichboden. Aus dem weinroten Quader aus Hartplastik griffst du dir eine gezielte Scheibe – Vormann Leiss - Musik in einer medialen Form, die erst wieder angesagt werden sollte, mir in diesem Augenblick völlig fremd gewesen war. Langsam fing die Platte an, sich zu drehen, es knisterte, der einsetzende Sound klang hohl und nach einer Minderwertigkeit. Eine deutsche Männerstimme, unmöglich einem Alter zuzuordnen, sprach und brüllte ein Lied über seine norddeutsche Heimat. Unter melodischen, ab und zu giftigen Gitarren verfluchte er seine graue Stadt, klang verzweifelt und fest. Trotzdem hatte man das Gefühl, hier erzählt jemand aus Liebe, jemand der es besser wusste. Husum verdammt! eine Stadt mit dem Rücken zum Publikum.     Ich saß angelehnt an der Kommode, du kamst zu mir, reichtest mir mein Glas, legtest dein Kopf in meine Schulterkule und später in meinen Schoss. Während vor dem offenen Fenster der Hinterhofgarten seine Vegetation sanft im feuchten Wind hin und her bewegte und die Sonne allmählich dem Halbdunkel Platz machte, bewegten wir uns kaum, lediglich um an die Weinflasche zu kommen, wir redeten kaum ein überflüssiges Wort miteinander, was auch gar nicht nötig gewesen war. Es herrschte die schönste Stille der Welt.

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An der Eisdiele hinter der Bushaltestelle Pasing Nord, an der eine junge Schwarze mit einem geflochtenen Bienennest auf dem Kopf und einen Bullenring in der Nase bediente, bestellten wir uns unser erstes Eis. Daneben stand das winzigste Restaurant der Welt, ein Miniaturitaliener, klein aber oho. Der kleinste Italiener der Welt hatte jedoch nichts mit dem Eisdielenitaliener gemein, sie teilten sich nicht das Geringste außer einer krummen Hauswand, nicht einmal die Fassadenfarbe.

Ums Eck, vorbei am doppelstöckigen Fahrradparkplatz, einem Massengrab aus dem niemals wieder ein abgestelltes Rad abgeholten wurde und sie so verrotten, verschimmelten, bis die Stadt ein Erbarmen hatte und die Skelette mit wespengestreiftem Klebeband versah, hatten wir uns auf eine Bank gesetzt, ähnlich der Jetzigen. Der neu gebaute Abenteuerspielplatz hatte den größten Teil unserer Sicht eingenommen. Der Spielplatz war überwältigend an Möglichkeiten und leergefegt. Zum Spielen war keine Zeit. Schnell passierten verängstigte Radfahrer unseren Weg und den erschreckenden Ort. Radfahrer und Hunde, Hunde auf Rädern, Vierbeiner mit Helmen und herausbaumelnden Zungen, Kinder auf Skateboards, Pubertierende mit Strubbelhaar auf Longboards, Rentner in Ganzkörperfarbabwesenheit an Rollatoren oder Krückstöcken, in ihrer gewohnten Umwelt, dem gewohnten Habitus, einen flotte Beschwerde auf den blutleeren Lippen.    

Von allem Ärger über deine Mutter befreit fingst du mit deinem epochalen neongrünen Plastiklöffel an zu fuchteln, deinen erleichterten Erzählungen einen Nachdruck zu verleihen, ich bekam den Eindruck, dass du wirklich fröhlich warst. Du warst bei mir und ich war erstaunt, wie lange ich schweigen konnte. Das Eis schmolz derweil im Pappbecher vor sich hin. Ein Berg aus grünem Apfel schwamm auf einer Pfütze aus ehemaligem Karamell. Du hattest die lebende Kugel kritisch vor jedem Löffel begutachtet, in Acht vor der streitlustigen Erfrischung. Es hatte für mich einen gewissen Witz und mir entfiel, während ich zuhörte, ich dir zu sah, für einige Momente das Warten. Wie lange halten solche Momente an? Meist vergaß ich, Anteil zunehmen, ihnen beizuwohnen, und Schwups waren sie vorbei und dann war es wieder auffällig, ganz offensichtlich, was hier passierte. Man fiebert auf so vieles in seinem Leben hin, nur um dann die Dinge nicht einmal vorbeiziehen zu sehen.

Mir fiel auf, dass ich auf einen ersten Kuss wartete. Ich wollte dich unbedingt küssen. Ich wartete darauf am Tag und in der Nacht. Es passierte alles zur selben Zeit und doch lag auch eine unerträgliche Unendlichkeit dazwischen, eine gefühlstechnische Gleichheit aber keine Folge. Folglich war man in einer aufregenden Zeitschleife gefangen, in der man so gut wie alles zum ersten Mal erleben konnte, auch wenn sich gerade die dritte Wiederholung abspielte. Man war der Bill Murray der Hingezogenen, der Menschen, die drohten sich zu verlieben.

Mein Schädel dröhnte, ich hatte das Ausbleiben deiner Stimme nicht bemerkt. Ich brauchte etwas zu trinken und schlug vor in den Biergarten zu wechseln. Deine Stimmung hatte sich gewandelt, Sorgenfalten durchzogen dein Gesicht. Du lehntest ab, erst etwas strikt, dann versöhnlicher, du müsstest los, sagtest du, ich habe noch einen Haufen zu bügeln.

Vertröstend ließt du mich stehen. Es hätte mir eine Warnung sein sollen. Vertraue nie einer Frau, die dringend Bügeln muss.

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