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Love me Later

Love me Later · Romane

Liebe ich mich, oder liebe ich dich? - gefangen in einer Entscheidung, die das Leben von Chiara für immer verändern kann.

Was möchtest du mit dem Buch bewirken?

"Love me later" soll auf das Thema Gewalt und toxisches Verhalten in Beziehungen aufmerksam machen. In So vielen Büchern werden toxische, übergriffige Männer als der Held gefeiert, was letztendlich nicht dazu beiträgt ein gutes Wertesystem sowohl für Männer, als auch für Frauen zu vermitteln. Mit diesem Buch soll gezeigt werden, dass man keinen Partner in seinem Leben braucht, um glücklich zu sein - jedenfalls keinen, der einen kleinhalten will. Be strong, be bold, be whoever you want to be. Gewalt in Beziehungen ist harter Alltag für viele Frauen und Männer. Meiner Meinung nach sollten genau solche Themen aufgegriffen werden, um unsere Scheuklappen zu öffnen und solche Probleme aktiv wahrzunehmen. Die Themen müssen enttabuisiert werden, um Betroffenen den Weg zu erleichtern, sich anderen anzuvertrauen. Für mich ist das Schreiben wie eine Art Therapie. Schon als Kind habe ich sehr gerne geschrieben, es dann aber wieder aus den Augen verloren. Nachdem ich den Beginn von "Love me later" in einer Nacht geschrieben habe, habe ich direkt gemerkt, wie beflügelt ich mich danach gefühlt habe und es wieder ein aktiver Teil meines Lebens werden soll. Die "Macht", die man über das Leben fiktiver Personen hat - die Freude, die man empfindet, wenn nach ewiger Tortour endlich die Erlösung kommt und der Charakter sein Glück oder eine Lektion erhält - einmalig.

Über den/die Autor:in

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Laura - 26 Wenn Laura nicht gerade als angehende Lehrerin über einem Haufen an Arbeit verzweifelt, schreibt sie gerne, liebt Tiere und ist so gut wie immer mit einem Lächeln auf den Lippen anzutreffen...

Leseprobe

Kapitel 1

Ich höre das leise Ruckeln des Druckers – sofort überzieht ein Schauer der Erleichterung meinen ganzen Körper. Die Anspannung der letzten Wochen weicht einem Gefühl der Erleichterung gepaart mit vollkommener Kraftlosigkeit. Die finalen Züge meiner Bachelorarbeit haben mir seit einigen Wochen jeglichen Spaß geraubt, ganz zu schweigen von den Selbstzweifeln und dem Gefühl jeden Moment zusammenzubrechen. Wie ich mich darauf freue endlich wieder normal essen zu können, ohne die ganze Zeit im Kopf die To-Do-Liste durchzugehen.

In Gedanken stelle ich mir vor, wie es jetzt wohl wäre am Strand zu sitzen. Ein Cocktail in der einen Hand, ein gutes Buch in der anderen. Die Sonne knallt nur so auf meinen Körper und würde ihn wahrscheinlich gleich am ersten Tag wieder puterrot erstrahlen lassen. Wie sehr mir dieses Gefühl von Sonne fehlt – bis abends draußen sein, vom Salzwasser verklebte Haare zu haben, stundenlang auf die Wellen zu starren. Ich war schon immer jemand, der sich stundenlang am Meer aufhalten konnte. Eigentlich wäre es nach der Bachelorarbeit wirklich an der Zeit gewesen mal weit weg zu fliegen, aber mein Freund Alex reist nicht gerne und alleine wegfliegen würde sich, nach seiner Ansicht nach, nicht gehören für eine vergebene Frau. Immerhin könnte ich dort ja andere Männer treffen und Gott bewahre, dass er mir dazu genug vertraut.

Ich kann schon fast das Meer riechen, als mich das Summen meines Handys schlagartig aus meiner Fantasie herausreißt. „Hey Babe, sehen wir uns morgen endlich wieder?“, genervt lege ich das Handy wieder weg. Seit 2 Wochen liegt mir Alex in den Ohren, dass er sich vernachlässigt fühlt, ich ja nie Zeit für ihn habe und er sich langsam so vorkommt, als wäre er mir gar nicht mehr wichtig. Einerseits kann ich ihn verstehen und bin kurz davor meine Pläne für heute zu ändern, andererseits denke ich mir, dass ich mich nicht dafür rechtfertigen sollte, dass ich in stressigen Phasen nicht immer wie ein Hündchen neben ihm laufen und ihn anhimmeln kann. Fast so als wäre es für ihn unmöglich, ohne mich und meine Aufmerksamkeit zu existieren. Schon oft habe ich mit meinen Freundinnen darüber geredet und immer wieder stellen sie sich auf seine Seite. „Du musst ihn doch auch mal verstehen, immerhin liebt er dich und möchte dich ja auch mal sehen“ oder „Sei nicht immer so böse zu ihm, es wirkt fast so, als würdest du ihn als Last sehen“ sind typische Sprüche, welche mir vorwurfsvoll an den Kopf geknallt werden. Ich trau mir schon gar nicht mehr irgendwelche Zweifel, oder Beschwerden zu äußern, weil ich bereits vorher weiß, dass sie sich wieder beschützend auf Alex’ Seite stellen werden. Lediglich mit Laura und Nathalie, meinen zwei besten Freundinnen kann ich ganz offen reden.

Ich tippe schnell „Nein sorry, bin echt kaputt und brauche etwas Zeit für mich. Wir sehen uns nächste Woche“ in mein Handy und stelle es kurz danach auf Flugmodus, um mich nicht wieder über seine Beschwerden aufzuregen. So langsam habe ich echt das Gefühl, dass mir diese Beziehung meine restliche Kraft aus dem Körper zieht. Anstatt mich aufzubauen, mir neuen Fahrtwind zu geben, oder mich mit Liebe auszufüllen, fühlt sich die Beziehung mittlerweile wie ein schwerer Zementsack an, den ich überall mit hintragen muss und der mir jede Art der Bewältigung meines Alltags deutlich schwerer macht. Gerade in stressigen Phasen schleichen sich immer wieder Gedanken des Zweifels und der Überlegung einer Trennung in meinen Kopf und lassen ihn fast explodieren. Jedes Mal, wenn ich kurz davor bin den Absprung in die Freiheit zu wagen, schaffen es meine Freundinnen mir einen Keim des Skrupels in den Kopf zu pflanzen und ich lasse mich weiter in dieser Beziehung fesseln. Früher wäre mir sowas nie in den Sinn gekommen. Ich war frei, selbstbewusst und vor allem selbstbestimmt. Nie hätte ich es zugelassen, dass die Meinungen anderer mich davon abhält meine Träume zu verwirklichen und Entscheidungen durchzuziehen. „Was ist nur aus dieser mutigen und glücklichen Frau geworden?“ frage ich mich und schaue zurück auf die vor mir liegende Bachelorarbeit.

Jetzt kann ich endlich mit diesem Semester abschließen, auch wenn selbstverständlich noch nicht klar ist, wie die Qualität meiner Arbeit am Ende ausfallen wird. Sofort breitet sich das flaue Gefühl im Magen wieder aus und mir wird schlecht – Was ist, wenn ich komplett versagt habe? Ich versuche die Zweifel beiseitezuschieben und schalte den Fernseher an. Es ist zwar schon fast um 2, aber ich weiß, dass ich jetzt trotzdem noch nicht einschlafen kann, zu sehr hat mich dieser Stress aufgewühlt. Ich suche auf Netflix Gossip Girl heraus und lasse mich von den Problemen und Dramen anderer Menschen berieseln. Meine Atmung wird gleichmäßiger, meine Muskeln lassen so langsam los und ich spüre richtig, wie die Anspannung der zwei Wochen durch mich hindurch in das Sofa gleitet. Entgegen meiner Erwartung spüre ich wie mein Körper immer mehr der Müdigkeit zum Opfer fällt, weshalb ich meine Serienaktion von der Couch ins Bett verlagere, in der Hoffnung doch schnell einzuschlafen.

Am nächsten Morgen schrecke ich aus dem Tiefschlaf hoch und brauche kurz ein paar Sekunden, um zu realisieren was für ein Tag heute ist und warum ich mir um 7 den Wecker gestellt habe. Stück für Stück komme ich in der Gegenwart an und realisiere, dass heute der finale Tag ist. Endlich kann ich meine Arbeit binden, in die Uni bringen und anschließend die Luft der Freiheit schnuppern. Schlaftrunken steige ich aus dem Bett und lege mich sofort wieder hin. Noch nie war ich ein Frühaufsteher, aber der fehlende Schlaf der letzten Tage und Wochen tut sein Übriges, um mir einen energischen Start in den Tag zu verwehren. „Alexa, spiel Kontra K auf Spotify“ – wenn nichts mehr hilft, dann bringt mich nur noch Musik aus dem Bett. So langsam merke ich, dass ich immer mehr die Kontrolle über meinen Körper zurückerlange. Fast schon gut gelaunt setze ich mich – im Takt der Musik mitwippend – auf und schalte den Flugmodus meines Handys wieder aus. Fünf neue Nachrichten von Alex. Genervt lege ich das Handy weg .. vorbei ist es mit der guten Laune. Ich steige aus dem Bett und gehe ins Badezimmer, um mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Mit müden Augen starre ich mein Spiegelbild an. Die blauen Ränder unter den Augen, die noch blassere Haut als sonst, noch dazu meine Haare die mir in alle Richtungen wild abstehen. „Wow, ich bin eine wahre Schönheit“, denke ich mir und grinse mein eigenes Spiegelbild an. Ich steige erstmal unter die Dusche, um mir die Müdigkeit abzuwaschen. Das warme Wasser fließt über meinen Körper und lässt mich erschaudern. Ich schließe die Augen und halte für einen kurzen Moment inne, lasse das warme Wasser über mein Gesicht, meine Haare, meine Brüste laufen und genieße das Gefühl der Entspannung. Wie automatisch wandern meine Hände über meinen Körper, was mir erneut eine Gänsehaut bereitet. Schnell dusche ich zu Ende, schminke mich, suche mir wahllos ein halbwegs zusammenpassendes Outfit raus und packe meine Sachen zusammen. Erst als ich im Auto sitze merke ich wie nervös ich bin. Die ganze Anspannung der letzten Wochen hat mich doch wohl mehr mitgenommen, als ich zugeben wollte. Das Binden verläuft in Minuten, ich fahre zur Uni und werfe die 3 Exemplare in den Briefkasten.

Zuhause angekommen lasse ich mir erstmal eine Badewanne ein und bereite mir ein paar Snacks vor. Auch wenn ich heute morgen geduscht habe, brauche ich dieses Ritual der Entspannung. Normalerweise bin ich kein Freund des ausgiebigen Badens, viel zu viel Zeit geht da immer wieder ins Land und so richtig entspannen kann ich normalerweise dabei auch nicht, aber heute bewirkt es Wunder. Trotz dessen halte ich es nicht lange aus.

Ich beschließe, dass der Tag heute voll im Fokus der „Me-Time“ stehen soll. Ich trage eine Maske auf, bestelle mir Sushi, lasse meine Lieblingsserie laufen und spüre seit langem mal wieder die vollkommene Zufriedenheit in mir aufleben. Während ich auf der Couch liege - die Reste meiner Sushi-Vernichtungsaktion um mich rum verteilt - klingelt mein Handy. Ohne zu schauen, gehe ich ran „Hallo“. „Hi Schatz, wie fühlst du dich? Du hast doch heute deine Arbeit abgegeben stimmt?“Genervt von mir selbst, dass ich einfach ohne zu gucken ran gegangen bin antworte ich recht emotionslos, „Äh ja, bin froh es endlich abgegeben zu haben und entspanne gerade etwas. Brauche ich gerade einfach“. „Perfekt, das können wir ja gemeinsam feiern. Ich bin gleich bei dir, bis gleich.“ Bevor ich etwas sagen kann, höre ich schon das Tuten am anderen Ende der Leitung.

Schnell räume ich das Wohnzimmer ein bisschen auf, da ich genau weiß, was ich mir sonst von ihm anhören kann. Im Gegenteil zu mir hasst er das Chaos und eckt deswegen regelmäßig mit mir an. Ich lebe frei nach dem Motto ‚das Genie beherrscht das Chaos‘, bei ihm hingegen hat alles seine Ordnung und das Verhalten erwartet er auch von mir. Nach 15 Minuten klingelt es an der Tür. Ich merke, wie sich mein Magen automatisch zusammenzieht… ich kann nichts dagegen tun, aber fühle mich irgendwie sofort beklemmt und weiß, dass mein Abend nun ganz anders verlaufen wird als geplant. In Jogginghose und meinem alten ausgewaschenem Lieblingspulli, der am linken Ärmel sogar schon ein Loch hat, durch das sich beim Anziehen meine Finger öfter mal verheddern, öffne ich ihm die Tür. Obwohl er genau weiß, wie stressig meine letzten Wochen waren und dass ich diesen Schlabber-Look liebe, begrüßt er mich mit den Worten „Wolltest dich wohl nicht für mich schick machen“ und gibt mir einen Kuss. „Ich wusste nicht, dass wir heute noch ausgehen wollten, oder muss ich mich seit neuestem bei mir zu Hause verkleiden?“, antworte ich schnippisch. Er lässt meine Aussage unkommentiert, verdreht jedoch die Augen und läuft sofort ins Wohnzimmer, um sich dort auf die Couch fallen zu lassen. „Hast du dir wieder Essen bestellt? Wolltest du nicht wieder mehr auf deine Ernährung achten?“. Ich merke, wie sich innerlich ein Kloß in meinem Hals bildet. Am liebsten würde ich ihn sofort rausschmeißen und ihm sagen, dass er sich seine blöden Kommentare sparen kann, ich eine wundervolle Frau bin und sich manche Männer ein Bein ausreißen würde, um mit mir gerade hier auf dem Sofa zu sitzen und Junkfood zu essen. Stattdessen schlucke ich meinen Ärger runter, atme kurz tief ein und setze mich wortlos neben ihn. Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass es besser ist seine Kommentare einfach zu ignorieren, anstatt sich den Abend noch mehr durch eine stundenlange Diskussion versauen zu lassen.

 

Kapitel 2

 

Der Abend verläuft unspektakulär. Wir schauen einen Film, einen seiner Lieblingsfilme - Fast and the furious. Wie ich diesen Film hasse. So oft musste ich ihn schon mit ihm ansehen… er weiß genau wie ich diese Art von Filmen und diesen ganz besonders hasse. Ich dachte wenigstens heute könnte er sich ein bisschen nach mir richten, immerhin ist es ja nicht so, dass ich heute seit Wochen mal wieder einen freien Abend habe. Aber er rechtfertigt sich nur damit, dass er mich ja so lange nicht gesehen hat und ich das so wieder gut machen kann. Als hätte ich es mir die letzten Wochen gut gehen lassen und ihn aus einer Laune heraus einfach ignoriert. „Du musst verstehen, die Zeit war auch nicht leicht für mich, immerhin musste ich so lange auf dich verzichten. Niemand konnte mir mein Bett wärmen und immerhin habe ich ja auch Bedürfnisse“ höre ich seine Worte in meinem Kopf nachhallen. ‚Bedürfnisse‘ ja, das klingt nach großer Liebe. Hauptsache ich bin regelmäßig da um seine körperlichen Reize ausreichend zu befriedigen und der Herr ist glücklich. Ob es mir gut geht, ob ich gerade Lust habe, oder vielleicht auch einfach mal nur seine Nähe brauche spielt in dem Moment absolut keine Rolle. Mein Unterbewusstsein schreit mich an, dass ich meine Sachen packen und gehen soll und trotzdem finde ich nicht die Kraft und den Mut, um endgültig einen Schlussstrich zu ziehen. Wie konnte es nur so weit kommen, dass mich ein Mann so fest im Griff hat, obwohl ich genau weiß, dass er mir nicht guttut? Ich erinnere mich in solchen Momenten oft an die Zeit vor 3 Jahren, wir waren gerade frisch zusammengekommen. Er war ein Gentleman durch und durch, hat mir zu unseren ersten Treffen immer eine kleine Margarete mitgebracht, weil er wusste, dass mir dies sofort ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Auch die erste gemeinsame Übernachtung zog sich wochenlang hin, er drängte mich zu nichts und legte immer den Fokus darauf, dass es mir gut geht. Er war wie mein bester Freund, den ich stundenlang mit meinen Problemen belasten konnte, ohne dass er mir das Gefühl gab, dass ich verrückt bin, oder mich für irgendetwas schämen musste. Die Erinnerung an die guten Zeiten bringt mich zum Lächeln. Vielleicht ist der Mann, der sich immer so liebevoll um mich gekümmert hat, ja doch noch irgendwo da drin.

Ich schmiege mich enger an Alex, in der Hoffnung, dass er mir heute dieses alte Gefühl der Vertrautheit wiedergeben kann. Langsam küsse ich seinen Hals und meine Finger vergraben sich in seinem lockigen Haar. Der Duft seines Parfums steigt mir in die Nase und entfacht in meinem Unterleib ein Kribbeln, was mir Lust auf mehr verschafft. Von meiner Lust getrieben werde ich immer forscher und setze mich auf seinen Schoß, um ihm direkt in die Augen zu schauen. Ich freue mich innerlich schon darauf, dass er mich gleich mit der für ihn typischen sexuellen Leidenschaft in die Augen schaut und mir das gibt, was ich in diesem Moment so offensichtlich brauche. Doch meine Leidenschaft bekommt einen schmerzhaften Dämpfer, als er mich nur genervt anschaut und mich lieblos von sich runterschiebt. „Du weißt doch, dass ich den Film schauen will,“ sagt er und widmet seine volle Aufmerksamkeit sofort wieder dem Fernseher. Verletzt sitze ich neben ihm und merke wie mir die Tränen in die Augen steigen. Um ihm nicht zu zeigen, wie sehr mich das gerade getroffen hat, stehe ich langsam auf und gehe in die Küche. Ich halte mir die Hände vor die Augen und versuche mich zu beruhigen, jedoch kann ich die Tränen nicht mehr aufhalten. Im Wohnzimmer wird es auf einmal unruhig und ich höre den Abspann des Filmes. Sofort laufe ich ins Bad und schließe die Tür hinter mir, ich kann ihm grade nicht vor die Augen treten. Ich hasse mich selbst dafür, dass ich ihm nicht die Stirn biete und ihm sage, was mich stört, aber wie immer schlucke ich meine Tränen einfach runter und sage mir, dass es ja nicht so schlimm ist, wie er mit mir umgeht. Ich lege meine Hände auf dem Waschbecken ab und schaue mein Spiegelbild mit großen, roten Augen an. Ich höre ein „Schatz, bist du im Bad?“ aus dem Flur klingen. Unter dem Versuch normal zu klingen, rufe ich nur schnell ein kurzes Ja entgegen. „Ist alles okay?“. Ich halte kurz inne, atme tief ein und versuche meine Stimme zu regulieren. „Ja klar, ich komme gleich ins Wohnzimmer Baby“, sage ich leise, aber zu meiner Verwunderung doch recht gefasst. „Okay, beeile dich.“ Als ich höre, wie seine Schritte leiser werden kann ich erleichtert aufatmen. Er würde es nicht verstehen, wenn ich ihm erklären würde, warum ich gerade so emotional bin. Ich könnte mir nur wieder anhören, dass ich mich nicht so haben soll und es doch gar nichts war und das könnte ich momentan noch weniger vertragen. Aus diesem Grund bleibe ich vorm Spiegel stehen, wische die letzten Reste der Tränen von meinen Augen weg, frische mein Make-up auf und hoffe, dass er nicht merkt, dass ich geweint habe. Bevor ich den Schlüssel rumdrehe, atme ich noch einmal tief durch und setze ein Lächeln aufs Gesicht, als wäre nichts gewesen. Es ist für mich mittlerweile fast normal geworden meine Gefühle vor ihm zu verstecken.

Als ich ins Wohnzimmer komme sitzt er schon erwartungsvoll auf der Couch und hat diesen Blick im Gesicht – genau den Blick, den ich mir vorhin so sehr gewünscht hätte und in mir jetzt nur eine tiefe Leere und Traurigkeit auslöst. Auch wenn ich weiß, dass er mich tief in sich wirklich liebt, fehlt mir die liebevolle Leidenschaft in unserer Beziehung. Wenn er mich so anguckt, weiß ich, dass er mich braucht, mich will, jedoch habe ich mittlerweile das Gefühl, dass ich in einer körperlichen Beziehung, ohne große Emotionen gefangen bin. Wenn es ihm nicht nur um den sexuellen Druckabbau gehen würde, wäre es ihm dann nicht vollkommen egal gewesen, was für ein Film läuft. Früher konnten wir kaum einen Film zu Ende gucken, ohne nicht vorher übereinander herzufallen. Diese pure Leidenschaft, wenn man sich in die Augen sieht und im Gesicht des Partners erkennt, dass man bedingungslos geliebt wird – leider ist das mittlerweile total anders. Jetzt sehe ich nur noch das heiße Feuer seiner Lust.

Langsam laufe ich zur Couch und lasse mich neben ihn fallen. Sofort fängt er an meinen Arm zu streicheln und mich zärtlich am Hals zu küssen. Innerlich möchte ich ihn am liebsten wegstoßen und anschreien, jedoch weiß ich genau, dass ich dann wieder die eingebildete Kuh bin und lass es deshalb geschehen. Ich denke mir, je kooperativer ich bin, umso schneller ist es vorbei und wer weiß, vielleicht geht es mir danach ja auch wieder besser. Ich drehe meinen Körper langsam zu ihm und er ergreift sofort die Initiative und legt sich auf mich. Als ich das schwere Gefühl seines Körpers auf mir fühle, merke ich erneut den Kloß in meinem Hals wachsen. „Was mache ich hier nur“ denke ich, während er anfängt sein Oberteil auszuziehen. Erwartungsvoll schaut er mir tief in die Augen und flüstert mir ins Ohr, wie sehr er sich darauf gefreut hat. Es geht sehr schnell. Besonders liebevoll ist er dabei auch nicht. Eigentlich gleicht es eher einer One-Man-Show, die der reinen Befriedigung seiner Bedürfnisse gilt. Als wir anschließend gemeinsam auf der Couch, eingewickelt in einer Decke, liegen merke ich, wie er langsam einschläft. Ich versuche mich behutsam aus der Decke zu befreien und setzte einen ersten Fuß auf den Teppich. Ich höre ein tiefes Seufzen und halte inne. „Bitte wach‘ nicht auf, bitte nicht“, bete ich innerlich. Das Atmen wird wieder gleichmäßiger und ich schaffe es mich unbemerkt ins Schlafzimmer zu stehlen. Ich kann nicht mehr anders, als den Tränen freien Lauf zu lassen. Wie kann es sein, dass der Mann, der mich einst so glücklich gemacht hat, mir innerhalb von Stunden meine gute Laune wie mit einem Hammerschlag einfach zerstören kann. Ich fühle, wie ich am liebsten alles einfach mal komplett rauslassen würde, aber die Wände sind so dünn und ich will nicht, dass Alex mich hört.

Weil ich es nicht mehr aushalte beschließe ich, mich anzuziehen und nochmal nach draußen zu gehen. Jetzt ist auf den Straßen eh nichts mehr los und ich kann mich mit Kopfhörern auf eine Bank setzen und dort einfach kurz für mich sein.

 

Kapitel 3

Draußen angekommen spüre ich, wie mich die frische Luft sofort wieder atmen lässt. Ich bleibe für ein paar Sekunden vor der Tür mit geschlossenen Augen stehen und lasse diese angenehme Ruhe einfach auf mich wirken. Der Wind schmiegt sich wohltuend an meine Haut und die kalte Luft weitet sich in meinen Lungen aus, während ich tief ein und ausatme. Ich merke erst jetzt, da sich mein Herzschlag verlangsamt, wie aufgeregt ich war. Das erste Mal seit dem Ankommen von Alex kann ich wirklich entspannen und meine Gefühle rauslassen. Unweigerlich fangen die Tränen erneut an über meine Wangen zu kullern. Wie ein Automatismus versuche ich mich wieder zu beruhigen und die Tränen runterzuschlucken, in der Angst, dass es jemand mitkriegen könnte. Ich ziehe mir meinen Schal tief ins Gesicht und laufe los - ziellos. Noch nie habe ich mich in der Dunkelheit unwohl gefühlt, jedoch war es rückblickend vielleicht doch etwas leichtsinnig mitten in der Nacht durch die Straßen und geradewegs auf den Park zuzulaufen. In diesem Moment ist mir all das egal – nur hier kann ich mich gerade wirklich alleine und befreit fühlen. Ich laufe von der beleuchteten Hauptstraße rechts in die Unterführung zum Nordpark. Das sichere Licht der Laternen nimmt immer weiter ab und die schwarze Dunkelheit prasselt so intensiv auf mich ein, dass ich normalerweise sofort wie jeder normale Mensch umgekehrt und mich in sichere Gefilde begeben hätte. Aber nicht heute, ich bin gerade nur leichtsinnig, mutig und einfach wütend auf mich selbst. Ich laufe weiter, immer weiter in den Park hinein, bis ich nur noch ganz entfernt das milde Licht der warm leuchtenden Laternen erkennen kann. Ich lass mich auf eine Parkbank fallen und ein lauter, herzergreifender Schluchzer entfährt meiner Kehle. Erschrocken gucke ich mich um, doch es ist niemand zu sehen, der meine Verzweiflung hätte hören können. Und da ist es. Das Zeichen für meinen Körper, endlich loslassen zu können. Wie in einer Explosion lasse ich alle Gefühle und Gedanken in einem lauten Weinen raus. Total versunken in meine tiefe Verzweiflung spüre ich auf einmal, wie mich etwas an der Schulter berührt. Wie aus einer Trance schrecke ich hoch. Sofort schießen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Vergewaltiger, Massenmörder, Alex? Von der Angst fast gelähmt, drehe ich mich um. Mir kommen diese Sekunden fast unendlich lang vor, während mir mein Herz bis zum Anschlag klopft. Ich frage mich, was ich wohl sehen werde und ob dies der traurige Untergang einer Frau sein wird, die die letzten Stunden ihres Lebens mit Weinen zugebracht hat.

Entgegen der Befürchtung in das vermummte Gesicht eines Perversen zu gucken, schauen mich nur zwei braune liebe Augen an. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, entfährt es ihm schnell, als ihm bewusstwird, wie diese ganze Situation auf mich wirken muss. „Ich bin kein Vergewaltiger, obwohl“, er zögert kurz, „das würde ein Vergewaltiger wahrscheinlich auch sagen. Aber guck,“ er hebt beide Hände, „kein Chloroform zu sehen“. Ich muss lachen und mein Blick wandert auf die Leine in seiner Hand. Erst jetzt fällt mir auf, dass ein Hund neben ihm steht. Ein großer Hund, mit schönem braun glänzendem Fell. „Oh wow, der ist ja süß“, sage ich und meine Hand schießt sofort zu seinem Gesicht. Meine Angst ist wie weggeblasen. Ich weiß nicht warum, aber irgendetwas Beruhigendes liegt in dem Gesichtsausdruck des Fremden. Außenstehende würden sich wahrscheinlich ungläubig an den Kopf fassen. Aber ich bin in diesem Moment einfach nur versunken in das weiche, warme Fell des Hundes.

 Nach kurzer Zeit schaue ich wieder hoch in die warmen, braunen Augen, die mich mit zusammengezogenen Augenbrauen prüfend mustern. „Ich hab‘ dich weinen gehört und dachte hier wird vielleicht gerade jemandem etwas angetan. Ich wollte dir nicht zu nahetreten, entschuldige bitte.“ In diesem Moment weiß ich gar nicht, wie ich ihm antworten soll. Einerseits bin ich überrumpelt von der netten Art, die mich aber andererseits auch darauf aufmerksam macht, dass mich ein Fremder bei meinem Gefühlsaufbruch gehört, vielleicht sogar beobachtet hat. Wahrscheinlich muss ich für ihn immer noch sehr verängstigt wirken, denn er entschuldigt sich erneut und ist schon im Begriff sich umzudrehen und zu gehen. Ohne nachzudenken, greife ich blitzartig nach seinem Arm, woraufhin er sich verwundert umguckt. Ich brauche ein paar Sekunden, um wieder klar denken zu können. „Möchtest du mir vielleicht ein bisschen Gesellschaft leisten?“, sage ich, bevor mir überhaupt bewusstwird, was ich hier gerade mache. Sichtlich überrascht guckt er mir tief in die Augen und fragt sich vielleicht gerade, ob ich in diesem Szenario die Verrückte bin. Doch irgendetwas hält ihn offensichtlich davon ab, schreiend wegzurennen. Vielleicht ist es mein verheultes Gesicht, oder er ist genauso treudoof und leichtsinnig wie ich. Jedenfalls bewegt er sich langsam in meine Richtung und setzt sich neben mich.

Eine kurze Stille erfüllt den eh schon sehr bizarren Moment und treibt mir eine Gänsehaut auf meinen Körper. ‚Was tue ich hier nur?‘, denke ich im Inneren. Als er die unangenehme Stille schließlich unterbricht, schrecke ich innerlich hoch und gucke ihn mit großen Augen an. „Ich muss dich jetzt nochmal fragen, ist wirklich alles okay? Ich meine ich hätte jetzt von einer Frau, die alleine im Park sitzt, nicht erwartet, dass sie mich einlädt mich dazuzugesellen. Okay gut, ich hätte allgemein nicht erwartet jemanden hier zu treffen, deswegen bin ich eigentlich auch hierhergekommen.“ Wieder schaffe ich es nicht ein Wort rauszubringen. „Vielleicht sollte ich doch lieber gehen“, sagt er und will sich gerade erneut von mir wegbewegen, als ich meine Stimme wiederfinde. „Ich wollte auch alleine sein, deswegen bin ich hier. Und ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, warum ich dich gebeten habe zu bleiben und wahrscheinlich würde mich meine Mama dafür anbrüllen und mich fassungslos fragen, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe, aber irgendwie hat deine Anwesenheit etwas sehr Beruhigendes auf mich. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, schon hatte ich dich gebeten zu bleiben.“ Sein Blick wandert in meine Richtung, er öffnet den Mund, jedoch schließt er ihn sofort wieder. Schnell füge ich hinzu, „Ich muss dir wie eine Verrückte vorkommen, entschuldige, du kannst selbstverständlich gehen, immerhin wolltest du ja auch allein sein.“ Es entsteht eine erneute Pause, die wahrscheinlich nur ein paar Sekunden andauert, mir jedoch wie eine halbe Ewigkeit vorkommt. Wie einsam und hilflos muss ich rüberkommen, dass ich einen wildfremden Mann bitte zu bleiben. Was ist nur los mit mir?

Endlich wird das wilde Gedankenchaos durch seine Worte unterbrochen. „Nein, du kommst mir nicht verrückt, sondern eher etwas verloren vor“, sagt er mit einem Blick, den ich nicht zuordnen kann. Die Worte schneiden ein, wie eine messerscharfe Klinge. ‚Okay, also wirke ich wirklich so schwach und klein, wie ich mich im Inneren fühle.‘, denke ich mir und merke, wie sich mein Bauch vor Unwohlsein ein kleines bisschen zusammenzieht. „Ich will dir nicht zu nahetreten, aber möchtest du wirklich nicht darüber reden, was dich dazu bringt einem Fremden im Wald zu vertrauen? Ich meine was wäre, wenn ich ein Serienmörder wäre und dich gleich in den Wald verschleppe und man nie wieder etwas von dir hört, sondern nur immer mal wieder einzelne Körperteile von dir auftauchen?“. Offensichtlich muss ich ihn so entsetzt angestarrt haben, dass er merkt, wie diese Aussage gerade auf mich gewirkt hat, denn er fügt schnell hinzu: „OH GOTT, jetzt wirke ich wie der Verrückte. Es war ein Spaß, oh nein, bitte hab keine Angst, ich lese nur zurzeit ununterbrochen, diese kranken Thriller und hab wohl vergessen, dass das nicht jeder mit einer gewissen Ironie sieht.“ ‚Ironie bei einem Psychothriller, in dem Leute krank abgeschlachtet werden findet er also witzig? Scheiße, was mache ich hier, bin ich vielleicht wirklich an einen Irren geraten und erscheine morgen in allen Zeitungen, als die abscheulichste Tat, die je jemand gesehen hat?  Ich merke, wie die Angst langsam in mir hochsteigt und ich das erste Mal, seit dem Eintreffen des Fremden wirklich über die möglichen Konsequenzen meines Handelns nachdenke. Ich will etwas sagen, doch es kommt nur ein leiser, piepsiger Ton aus meiner Stimme. Ich versuche den Kloß im Hals durch ein Räuspern zu beseitigen, doch es wirkt nicht. ‚Ob ich einfach losrenne? Soll ich ihn schlagen, oder macht ihn das erst recht böse? Was ist wenn er doch ein ganz normaler Mann ist…. der… im dunkeln spazieren geht… und… Thriller ironisch sieht.’ Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, ich höre richtig, wie das Pulsieren meines Herzens im Ohr immer lauter wird.

Ich bin so damit beschäftigt mich zu fragen, was ich als nächstes mache, dass ich ganz vergesse, dass er immer noch vor mir steht und mich in der Erwartung auf eine Antwort mit großen Augen anschaut. Ein kurzes „alles gut?“ zieht mich aus meiner Gedankenwelt zurück und prallt mir die harte Realität ins Gesicht. Ich bin kurz davor mich für den Weg des Fliehens zu entscheiden, als mich der Blick in seine Augen umstimmt. Keine Ahnung was es ist, aber diese lieben braunen Augen, die kleinen Falten an den Seiten und das warme Gefühl, was von ihm ausgeht, räumen auch nur die kleinste Möglichkeit aus, dass er mir etwas tun könnte. Mein Körper entspannt sich und erst jetzt merke ich, dass ich meine Nägel die ganze Zeit so tief in meinen Handballen gedrückt habe, dass es richtig schmerzt, als ich meine Hand wieder öffne. Ich blicke auf meine Hände und sehe nur die roten Abdrücke von meinen langen Nägeln. Sein Blick folgt meinem und sofort nimmt er meine kalten Hände in die seinen. Anstatt ihn wegzustoßen, nehme ich seine Hand und gucke ihn von unten aus an. „Nein, ich habe keine Angst“, flüstere ich. Wir gucken uns in die Augen und für einen kurzen Moment, kommt mir das Gefühl so vertraut, so liebevoll.. einfach richtig vor. So stehe ich nun vor ihm, mein Herz bis zum Anschlag in meiner Brust trommelnd. Doch nicht vor Angst, sondern vor Aufregung – positiver, elektrisierender Aufregung.

Gedanklich gehe ich alle Möglichkeiten durch, wie ich Alex erklären kann, warum ich diesen Fremden im Park geküsst habe und dass das eigentlich nichts zu bedeuten hat. Oder hat es das doch? Ich bin so in meine Gedanken vertieft, dass ich gar nicht merke, wie er mich mit einem Grinsen auf den Lippen mustert. „Kann es sein, dass du dich ein kleines bisschen in deinen Gedanken verloren hast?“, sagt er mit einem Lächeln auf den Lippen. Ein Lächeln, dass mich Alex am liebsten komplett vergessen lassen würde. Am liebsten würde ich ihn einfach an mich ran ziehen und mit voller Leidenschaft küssen – wäre da nicht mein verdammtes Bewusstsein dafür, das richtige zu tun. Wie ferngesteuert antworte ich, ohne die mögliche Wirkung meiner Worte zu bedenken: „Ich musste nur gerade darüber nachdenken, was wohl mein Freund zu dieser Begegnung im Park sagen würde.“ Ich habe den Satz noch gar nicht ausgesprochen, schon bereue ich das Gesagte, als ich spüre, wie er einen Schritt zurück macht. Er braucht es gar nicht aussprechen, ich merke sofort, dass er nicht angenommen hat, dass ich einen Freund habe. „Naja du musst es ihm ja nichts sagen, wir haben uns ja nur unterhalten. Ist ja nichts wildes dabei“, sagt er mit einem deutlich kühleren Ton als noch wenige Sekunden zuvor. „Verdammt“, denke ich, wie kriege ich das wieder hin, ich will nicht, dass er jetzt einfach geht. Ich weiß nicht warum, aber er hat echt eine extreme Wirkung auf mich. Es würde mir das Herz brechen, wenn wir jetzt einfach jeder unsere Wege gehen würden.

„Vielleicht sollte ich jetzt gehen..“, sagt er und schaut mir dabei fordernd in die Augen, als wollte er mich durch seine Blicke dazu anregen, ihn nicht gehen zu lassen. „Du könntest natürlich auch noch etwas mit mir durch den Park laufen, ich meine es wäre ja absolut unverantwortlich, wenn du eine junge Frau allein durch die Nacht laufen lassen würdest, meinst du nicht?“. Ich funkle ihn regelrecht an, als ich die Worte sage und habe automatisch mein provokantes Lächeln aufgesetzt. Das Lächeln, was Alex am Anfang so anziehend an mir fand. Auch diesmal verfehlt meine Prozedur keinesfalls seine Wirkung, denn ich sehe wie sich ein kleines Lächeln in seinem Mundwinkel bildet.

Schlagartig fällt mir auf, dass ich hier mit jemandem flirte, der erstens nicht mein Freund ist und ich zweitens keine Ahnung habe, wie er überhaupt heißt. Etwas unbeholfen stolpere ich mit der Frage heraus: „Wie heißt du eigentlich?“ Amüsiert von meinem krassen Stimmungsbruch reicht er mir mit einem nun deutlicheren Lächeln die Hand. „Marten, es freut mich Sie kennenzulernen Unbekannte Axtmörderin aus dem Park.“ Er knickst leicht vor mir und ich kann nicht anders als Lauthalts loszuprusten. So eine Antwort hätte auch von mir kommen können. Ich steige sofort auf das Spiel ein. „Sehr erfreut Herr einsamer Serienmörder. Chiara mein Name.“ Auch ich knickse dabei vor ihm, als wären wir im Mittelalter und hätten uns gerade gegenseitig zum Tanzen aufgefordert. Diese Leichtigkeit in der Unterhaltung mit Marten bringt richtig Schwung in meine Stimmung und die letzten Stunden der Wut, des Unmutes und der Trauer sind wie weggeblasen. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich mit Alex das letzte Mal so einen Blödsinn veranstaltet habe. Früher haben wir uns ständig gekabbelt, oder uns gegenseitig geneckt. Heute machen wir das kaum noch und wenn, dann guckt er mich nur genervt an und gibt mir sofort das Gefühl, dass ich mich gerade unpassend verhalte.

Sollte ich kein schlechtes Gewissen haben, weil ich mich mit einem Fremden wohler fühle, als mit meinem Freund? Ich wische den Gedanken beiseite und fokussiere mich wieder auf Marten, der immer noch mit einem umwerfenden Lächeln vor mir steht, welches meine Beine ein kleines bisschen schwach werden lässt.

Eine gefühlte Ewigkeit stehen wir beide einfach nur da und schauen uns tief in die Augen. Der Augenblick fühlt sich gleichzeitig ewig, aber dennoch nicht annähernd lang genug an. Was ist nur los mit mir, bin ich so unglücklich, dass ich in etwas alltägliches so viel reininterpretiere, oder ist da wirklich so etwas wie Magie, die in der Luft liegt? Unser Schweigen wird von dem ungeduldigen Winseln seines Hundes unterbrochen. Oh stimmt ja, den Hund hatte ich schon wieder komplett vergessen. „Vielleicht sollten wir uns so langsam mal wieder etwas bewegen, dein Hund scheint sehr gelangweilt von uns zu sein“, kommt es sofort aus meiner Kehle geschossen. Ich warte keine Antwort ab, sondern hake mich blitzschnell bei Marten ein und ziehe ihn mit Richtung Parkinneres. Ich merke einen kurzen Widerstand der Verunsicherung, der aber schnell nachlässt und er sich ganz einfach mitziehen lässt.

Erst jetzt, da ich so nah an ihm stehe steigt mir der Geruch seines Parfums in die Nase und vernebelt erneut meine Sinne. Die Nähe zu ihm, sein Duft und die Gewissheit, dass ich hier gerade mit dem Feuer spiele, hinterlässt Spuren an meinem Körper. Ich merke ein Ziehen im Bauch, was sich bis in meinen Unterleib ausweitet und mich nur noch mehr aus der Fassung bringt. Ich schaue ihn an und wieder treffen sich unsere Blicke. Ich sehe an seinem Blick, dass er mich etwas fragen will, aber selbst mit sich hadert. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das hören will, was er zu sagen hat, aber ich halte die Stille gerade auch einfach nicht mehr aus. Ich bleibe stehen und halte ihn mit beiden Händen fest, fast so, als würden wir uns schon ewig kennen. „Jetzt rück schon mit der Sprache raus, ich merk doch, dass dir etwas auf dem Herzen liegt“, sage ich und merke innerlich, wie sich mein Bauch ein kleines bisschen verkrampft. „Ich habe mich nur gerade gefragt, ob ich es mir einbilde, dass du mit mir flirtest, oder ob es wirklich so ist. Und wenn du wirklich mit mir flirtest, dann weiß ich nicht, ob ich das dann gut finden soll, oder mich fragen sollte, ob du nicht einer dieser Frauen bist, die ‚nen Scheiß auf ihren Partner geben und einfach durch die Weltgeschichte….“, er bricht mitten im Satz ab. „vögeln?“, beende ich seinen Satz. „Naja, so krass wollte ich es jetzt auch nicht sagen… aber ja, sowas in der Art habe ich gemeint“.

Ich hole tief Luft und weiß selbst nicht so genau, wo ich anfangen soll. „Naja also… puh, ich weiß gerade nicht so ganz, wie ich das erklären soll, ohne dass ich entweder verrückt oder egoistisch rüberkomme“. Ich hoffe, dass er irgendetwas sagt, was mich dazu ermutigt weiter zu reden, aber er schaut einfach nur auf seine Hände, die mittlerweile nicht mehr in meinen liegen. „Okay, also naja ich bin seit 3 Jahren mit meinem Freund zusammen und ich war am Anfang wirklich extrem glücklich jemanden gefunden zu haben, der eine genauso große Meise hat wie ich“, ich lache, aber es klingt doch gestellter, als ich beabsichtigt habe. „Ich bin jemand, ich brauche einen sicheren Hafen Zuhause und jemanden, der hinter mir steht. Am Anfang war das auch genauso. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie glücklich ich war, ich hatte zwischenzeitlich schon echt Angst, dass ich niemanden finde, der mich wirklich versteht“, meine Stimme ist mittlerweile sehr leise, fast schon brüchig. Ich muss kurz innehalten, als ich merke, dass sich Tränen in meinen Augen sammeln und ich weiß, dass ich mich sofort in einem Meer aus Tränen verliere, wenn ich jetzt weiterspreche. „Irgendwann… irgendwann“, ich kriege kein Wort raus, ohne dass meine Stimme anfängt zu zittern. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er mittlerweile vom Boden aufgeguckt hat und mich direkt anschaut, aber ich kann ihm in diesem Moment nicht ins Gesicht schauen. Ich atme kurz tief ein und aus und beginne erneut: „Irgendwann habe ich gemerkt, dass er bei meinen kurzen Anfällen von Verrücktheit angefangen hat die Augen zu verdrehen, oder einfach kommentarlos aus dem Raum gegangen ist. Am Anfang hat mich das auch gar nicht so gestört, weil immerhin habe ich auch mal einen schlechten Tag, oder war von ihm genervt, aber irgendwann hat er auch keine Späße mehr mit mir gemacht und mich durch seine Reaktionen immer mehr dazu gedrängt, dass ich schon gar nicht mehr ich selbst sein WOLLTE, weil mir sofort gezeigt wurde, dass das was ich mache, dumm ist“. Ich drehe mich kurz um, damit er nicht sieht, wie mir eine Träne aus dem Augenwinkel rollt. Seine Hand an meiner Schulter, die mich aufmunternd zu streicheln versucht, ziehe ich reflexartig weg. Ich war noch nie jemand, der besonders gut mit Emotionen umgehen konnte und schon gar nicht damit vor anderen zu weinen.

Als ich mich wieder gefangen habe drehe ich mich um, ohne ihn dabei anzuschauen. „Können wir vielleicht dabei ein Stück laufen, ich mag es nicht so, wenn bei so einem Thema der Fokus dann auch noch direkt auf mir liegt?“, frage ich ihn. „Klar, aber du musst auch nicht weiter darüber reden, ich wollte dich auch wirklich nicht traurig stimmen, oder dafür sorgen, dass du dir wie eine Schla*** vorkommst. Tut mir echt leid, ich will nicht, dass du weinst“. Er legt seine Hand an meine Taille und dreht mich noch während des Redens in Laufrichtung. So langsam werde ich etwas ruhiger. „Nein, alles gut, vielleicht muss ich da auch einfach mal drüber reden, ich habe das ja schon ‘ne ganze Weile in mich reingefressen.“, ich warte seine Antwort nicht ab, sondern rede einfach weiter. „In letzte Zeit hat er irgendwann angefangen sehr fordernd zu werden, er hat sich immer alles genommen was er wollte. Ich habe mich immer mehr, wie ein Objekt gefühlt, was nur dazu da ist, um ihm zu gefallen, seine Lust zu stillen und sonst am besten nur den Mund halten soll. Ständig durfte ich mir anhören, dass er dies nicht schön an mir findet, oder warum ich mich für ihn nicht hübsch gemacht habe, wenn wir einen entspannten Dvd-Abend machen wollen und ich die Jogginghose dem sexy engen Kleid vorziehe“, ich merke, dass ich all das viel zu lange in mir getragen habe und sich ein Freiheitsgefühl in meiner Brust breit macht. Es tut gut es einer fremden Person zu erzählen. Immerhin kennt er Alex nicht und ich muss nicht sofort die Befürchtung haben, dass mir jetzt wieder das Gefühl gegeben wird, dass ich falsch liege und überreagiere. Trotz dessen, dass es mir egal sein kann, was er von mir hält möchte ich doch, dass er mich nicht für verrückt, oder komisch hält, weshalb ich trotzdem ein kleines bisschen nervös bin, als er erstmal gar nichts sagt und nur tief Luft holt. „Wow…“, kommt es schließlich kaum hörbar aus seinem Mund geschossen, „was für ein Idiot. Also jetzt mal ganz ehrlich, was hält dich noch bei ihm? Du hattest jetzt die Möglichkeit alles Mögliche über ihn zu sagen, ich hätte es ja eh nicht nachvollziehen können, aber du hast dich dazu entschieden kein graues Haar an ihm zu lassen. Entweder wolltest du ihn bewusst schlecht darstellen, damit du besser wegkommst, was ich mir gerade irgendwie nicht wirklich vorstellen kann, oder du bist einfach gefangen in einer absolut beschissenen Beziehung, bei der du schleunigst den Notausgang wählen solltest“.

Ich muss kurz schlucken.. ich glaube ich habe noch nie so ehrliche und harte Worte bezüglich Alex gehört und bin kurz etwas davon erschlagen, ohne zu wissen, was ich darauf antworten soll. „Ähm..“,beginne ich zaghaft, „ich bin gerade kurz etwas sprachlos. Ich hab ja mit vielem gerechnet, aber das war dann doch etwas fernab meiner Vorstellung“. „Zu hart?“, fragt er. „Nein, einfach nur sehr direkt und ich habe so eine Aussage schon eine ganze Weile nicht mehr gehört und bin etwas überrannt gerade“, ich zögere kurz und füge dann hinzu „aber ehrlich gesagt hast du recht. Irgendwie auch mit beidem. Ich will definitiv, dass du gutes von mir denkst und das ist eigentlich total blöd, weil ich dich gerade erst kennengelernt habe, und ich kann es mir auch gar nicht erklären, aber so ist es nunmal. Aber ich muss auch ehrlich gestehen, dass ich einfach nicht möchte, dass du auf Markus Seite stehst“, bevor ich weiterreden kann unterbricht Marten mich und sieht mich dabei wieder mit dem prüfenden Blick an. „Also hast du es doch etwas aufgebauscht?“. „Nein eigentlich nicht, das ist es ja, aber ich konnte mich gedanklich trotzdem nicht von deinem „Vorwurf“ freisprechen, weil ich mir tief in meinem Herzen wirklich gewünscht habe, dass du Alex genau so sehr hasst, wie ich es manchmal tue.“ Anstatt einer Antwort auf meine fast schon wehleidig klingenden Worte, umarmt er mich einfach. Er zieht mich sanft, aber bestimmend in seine Arme und ich bin kurz so davon überrascht, dass ich mich instinktiv an seinen Armen festhalte. Trotz der dicken Jacke spüre ich seine muskulösen Arme und kann nicht anders, als mir vorzustellen, wie er wohl nackt aussieht. Bevor meine Gedanken zu weit in diese Richtung abdriften, zwinge ich mich wieder in die Gegenwart zurück und genieße einfach den leichten Druck seiner Arme um meinen Körper, die mir ein Gefühl von Sicherheit geben. „Geht das bei dir immer so schnell, dass dir die Frauen in den Armen liegen?“, sage ich scherzhaft und gucke ihn dabei fast schon herausfordernd in die Augen. Ein leichtes Zucken seiner Mundwinkel verraten mir, dass er schonmal nicht ganz abgeneigt gegenüber meinem Humor ist.

Ganz trocken und ohne auch nur den Hauch einer ablesbaren Emotion auf seinem Gesicht, sagt er in einem ruhigen Ton „Klar, wie sollten sich die Frauen auch meinem umwerfenden Charme entziehen können?“. Dabei schaut er mir so tief in die Augen, dass mir sein Blick ein Frösteln auf die Haut zaubert. Meine Güte, wie kann er so eine Wirkung auf meinen Körper haben? Auch ich versuche das Spiel weiterzuspielen, als ich entgegne, „Ach ist das so? Komisch, wieso ist es dann bei mir nicht so?“. Ich kann mir ein leichtes Grinsen am Ende meines Satzes nicht verkneifen, was ihm logischerweise nicht entgeht. Unwillkürlich merke ich, wie ich mir auf die Lippe beiße und sich ein Kribbeln in meinem Bauch breit macht, welches das Bedürfnis der Leidenschaft wieder aufkochen lässt. Marten scheint genau das gleiche zu denken, denn er zieht mich noch tiefer an sich, guckt mir ohne etwas zu sagen in die Augen und bewegt seinen Kopf ganz langsam in meine Richtung. Mein Herz beginnt wie wild zu pochen, ich mache mich schon gedanklich bereit dafür, dass er mich gleich küssen wird, bin mir jedoch gar nicht sicher, ob das so eine gute Idee wäre. Als er dann aber an meinem Mund vorbei zu meinem rechten Ohr wandert, bin ich fast schon enttäuscht. Die Enttäuschung schwindet jedoch sofort wieder, als er mir mit ruhiger tiefer Stimme ins Ohr flüstert, „Du hast ja keine Ahnung, mit wem du dich anlegst. Auch wenn mir deine taffe Art imponiert, so weiß ich doch ganz genau, wie ich dich um den kleinen Finger wickeln könnte.“ Seine Stimme vibriert regelrecht, als er das sagt und ich kann nicht anders, als nur da zu stehen und ihn wie ein kleines ungläubiges Kind anzustarren. Vorbei ist es mit meiner selbstbewussten, taffen Art. Wie macht er das nur?

Als er dann wieder einen Schritt auf mich zugeht, ist die aufgeladene Spannung zwischen uns regelrecht greifbar. Mir ist bewusst, dass ich diese Situation quasi provoziert habe, aber sollte ich das wirklich tun? Ja klar, ich bin unglücklich mit Alex, aber hat er es deswegen verdient, dass ich mich hinter seinem Rücken einer spannenden Stimmung im dunklen Park hingebe? Meine Gewissensbisse geraten durch seine Hand an meiner Hüfte ins Wanken. Ein Stromschlag durchzuckt meinen Körper und ich merke ein wohliges Kribbeln vom Bauch bis in meinen Unterleib zieht. Ich atme laut hörbar aus und versuche alle meine Sinne zu sammeln und wieder klar im Kopf zu werden.

Bevor ich etwas sagen kann, ergreift Marten die Initiative, indem er mich ganz langsam zu sich ran zieht und mit seinem Finger mein Kinn so weit anhebt, dass ich mich schon leicht auf Zehenspitzen bewegen muss, damit es nicht unbequem ist. So stehe ich kurz da und schaue ihn einfach nur an, wie er da so steht, mit seinen wundervollen braunen Augen und seinen leicht verzottelten Haaren. Und dann noch dieser Geruch, der mich fast in den Wahnsinn treibt. Fast so, als hätte er meine Gedanken gehört, neigt sich sein Gesicht langsam zu mir herab, bis wir uns fast schon berühren. Ich kann bereits seinen heißen Atem auf meiner leicht geöffneten Lippe spüren. Oh wie gerne würde ich jetzt einfach all meine Bedenken und Gewissensbisse über Bord werfen und ihn ungehalten und leidenschaftlich küssen. Aber so sehr ich auch dieses feurige Verlangen in mir spüre und mein Körper mich regelrecht anbrüllt diesem Verlangen nachzugeben, so kann ich es doch nicht zulassen. „Ich kann nicht“, bringe ich mehr stoßweise als halbwegs normal heraus. Meine Hand wandert fast automatisch zu seinem Gesicht und legt sich ganz sanft, auf seine Wange, die mit kleinen feinen Bartstoppeln überzogen ist. Oh Mist, wie soll man diesem Mann nur widerstehen können? Im ungebundenen Zustand hätte ich kein Halten mehr gekannt. Dieser Mann, der gerade vor mir steht, ist in jeder Facette das, was ich als klares Beuteschema meinerseits beschreiben würde: groß, dunkle Haare, gut gebaut, wundervolles Lächeln, was einen alles vergessen lässt und dieser Bart, der ihn wie ein Mann wirken lässt, der auch mal hart zupacken kann. Ja, in jeder anderen Situation wäre die Sache klar, aber ich bin nunmal gerade hier mit ihm und die Sachlage ist mehr als deutlich - es wäre ein großer Fehler dieser Lust nachzugeben.

Ich blicke ihm tief in die Augen, als ich mit sanfter liebevoller Stimme sage, „Du merkst, dass mir das gerade alles andere, als leichtfällt. Es ist glaube sehr eindeutig, dass hier etwas in der Luft liegt, was ich auf jeden Fall schwer definieren kann. Ich weiß nur, dass du mich komplett aus dem Konzept bringst und ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll. Nur eine Sache ist mir eben auch klar – wenn ich dem nachgebe, was ich definitiv will, dann werde ich zu einer Person, deren Verhalten ich verabscheue und das will ich nicht. Wenn ich es schon nicht für Alex machen sollte, dann wenigstens, um mir treu zu bleiben.“ Mit diesen Worten beende ich die Spannung und trete einen Schritt von ihm weg, um nicht sofort wieder einzuknicken und meine Entscheidung zu bereuen.

Kapitel 4

Ich sehe es an seinem Blick, dass er meine Reaktion nicht erwartet hat. Seine Augen gucken mich skeptisch an. Diese Stille, die auf einmal unerträglich zu werden scheint, lässt die Zeit wie stillstehen. Vergehen gerade Sekunden, Minuten? Eine weitere gefühlte Ewigkeit vergeht, bis er mich endlich, aus diesem Gefängnis der Erwartung befreit. „Vielleicht habe ich meine provokante Art gerade etwas zu weit getrieben, ich weiß auch nicht, warum mir das hier gerade so eine große Freude bereitet…. Deine Art ist einfach sehr anziehend auf mich und ich konnte mich glaube gerade einfach nicht zügeln, tut mir leid.“

„Nein, kein Problem, also, naja … so ganz nur von dir ging die Sache ja nun auch nicht aus. Leugnen kann ich es auch nicht, dass ich dich absichtlich so angestachelt habe, dass es fast schon eine Beleidigung gewesen wäre, wenn du nicht drauf eingestiegen wärst. Da geht es mir wohl wie dir, du hast irgendwie eine starke Wirkung auf mich. Ich kann‘s mir nicht erklären, will ich auch lieber gar nicht, weil ich mich dann mit den Folgen auseinandersetzen muss, die dieser Abend möglicherweise mit sich bringt.“

Er schaut mich ungläubig an. „Von was für einer Zukunft redest du?“. „NEEEIN, oh man, ich meine, wenn ein fremder Mann in mir etwas auslöst, was ich seit Monaten in meiner Beziehung vermisse, dass ich dann meine ganze jetzige Situation mit Alex überdenken muss und ich das einfach nicht will. Deswegen möchte ich mir über das ‚Warum‘ gerade einfach keine Gedanken machen“. „Also hast du dir jetzt noch keine Gedanken über unsere Zukunft gemacht?“. Seine heruntergezogenen Mundwinkel und die Andeutung einer Träne bringen mich sofort zum Lachen. „Sorry my dear, diese Perle ist schon jemand anderem versprochen, da hättest du wirklich schneller sein müssen.“ Ich tue so, als würde ich mich hochnäsig mit abfällig abwinkender Hand wegdrehen. Jetzt können wir beide nicht mehr und stehen dumm grinsend voreinander und machen uns gegenseitig übereinander lustig.

Als wir uns wieder beruhigt haben und uns tief in die Augen schauen, ist da sofort wieder die Spannung zwischen uns. Schnell schaue ich weg und ergreife das Wort, ohne ihm dabei weiter in die Augen zu schauen. „Vielleicht sollte ich so langsam mal wieder nach Hause gehen. Nicht dass Alex noch aufwacht und ich ihm diese Situation hier erklären muss. Keine Ahnung, wie ich das tun sollte, dass ich…“ ich schaue auf meine Uhr, um zu sehen, wie lange wir hier schon miteinander reden.

Erschrocken stelle ich fest, dass ich bereits 2 Stunden in der Kälte unterwegs bin. Jetzt, als mir das bewusst wird, merke ich auch, wie durchgefroren ich bin. Ein Zeichen, dass ich wirklich wieder zu Alex sollte, auch wenn mein Unterbewusstsein sicher ganz andere Pläne hätte. „… bereits 2 Stunden „alleine“ im Stockdunklen unterwegs bin“, beende ich meinen Satz. Ich will mich schon langsam in Bewegung setzen, als mich Marten davon abhält. „Soll das jetzt eine einmalige zufällige Begegnung bleiben, oder was fangen wir damit an? Ich meine du spürst die Harmonie zwischen uns zweien doch auch, da können wir doch nicht einfach ohne weiteres nach Hause gehen. Kann ich wenigstens deine Nummer haben? Ich weiß, du bist treu, du würdest deinen Freund nie hintergehen und das finde ich, nach all dem, was du mir über ihn erzählt hast, auch wirklich bewundernswert. Aber ich kann nicht gehen, ohne wenigstens den Funken einer Hoffnung zu haben, dass ich dich eines Tages wiedersehe. Was meinst du?“

Für einen kurzen Augenblick weiß ich nicht, was ich antworten soll. Ich weiß doch selbst nicht, was richtig und was falsch ist. Aber würde ich es gut finden, wenn Alex das gleiche mit mir abziehen würde? Schlimm genug, dass es überhaupt zu dieser Situation gekommen ist, aber wenn ich ihm jetzt meine Nummer geben würde, dann wäre es offiziell. Die 3 Jahre wären gedanklich schon begraben. Ich strenge mich immer so an, dass ich über mich selbst sagen kann, dass ich ein guter Mensch bin und andere Menschen nicht verletzte… würde ich aber nicht genau das vorsätzlich tun? Was ist, wenn Alex die Nummer in meinem Handy findet, gibt es eine vernünftige Erklärung, warum ich Martens Nummer habe, die nicht darauf hinausläuft, dass auch ich nicht mit der Gewissheit leben kann, dass ich diesen Mann vielleicht nie wieder sehe?

„Es tut mir leid,“ fange ich leise, fast schon flüsternd an zu reden, „das kann ich nicht machen. Das wäre Alex gegenüber nicht fair.“ „Aber er behandelt dich doch so schlecht, bist du ihm da wirklich diesen Gefallen noch schuldig?“ „Mag sein, aber ich kann‘s trotzdem nicht. Es wäre einfach nicht richtig .. glaube ich.“ „Sei ehrlich. Liegt es an Alex, oder möchtest du es einfach nicht? Lüg mich nicht an, ich bin erwachsen, ich kann eine Abfuhr schon ertragen. Es würde mich zwar traurig machen, aber das ist nichts, was ich nicht irgendwie abschütteln könnte“, sagt er, während er ernst, fast schon hart an mir vorbei, in die dunkle Leere des Parks guckt. Liebevoll nehme ich seine Hände und halte sie in meinen geschlossen. „Hör zu, wenn Alex nicht wäre, dann würde ich nicht nur deine Nummer wollen. Ich würde mich mit einem Abschied nicht zufriedengeben und würde dich definitiv so schnell es geht wiedersehen wollen. Ich bin aber nunmal vorerst in dieser Situation gefangen. Es wäre einfach moralisch nicht richtig deine Nummer zu nehmen. Jetzt stell dir mal vor du bist in einer Beziehung und findest so heraus, dass die Person die du liebst, nicht mehr das gleiche für dich empfindet. Vielleicht empfinde ich auch noch etwas, ich weiß es einfach nicht. Genau das ist das Problem, ich muss mir darüber erst meine Gedanken machen. Nenn mich naiv, aber ich glaube, dass wenn es sein soll, dass wir uns wiedersehen werden. So groß ist Erfurt doch auch nicht, dass das so unwahrscheinlich ist. Lass uns einfach darauf vertrauen, dass wir uns wiedersehen. Macht doch auch einen gewissen Reiz aus, oder nicht?“. Neckisch gucke ich ihn von unten nach oben an und entlocke ihm so ein leichtes Grinsen. „Na gut, ich steh zwar normalerweise echt so gar nicht aufs Schicksal, aber was solls, kann ich wohl gerade nicht ändern. Na dann los, lass mich dich wenigstens noch heim bringen.“ „Du kannst mich noch aus dem Park raus begleiten, aber ab da schaff ich das auch alleine.“

So laufen wir schweigend nebeneinanderher Richtung Ausgang, während ich mich ununterbrochen frage, ob ich gerade einen Riesenfehler begehe. Mir bleibt keine Zeit diesen Gedanken weiter auszuführen, denn schon sind wir an der Straße angekommen, die mich in ein paar Minuten wieder in meine Wohnung und zurück zu Alex bringen wird. Ein Gefühl von schmerzhaftem Abschied macht sich in meiner Brust breit und sorgt dafür, dass sich meine Kehle zuschnürt und ich kein Wort rausbringe. Marten scheint zu merken, dass mir das gerade mindestens genauso merkwürdig vorkommt, wie ihm auch, deswegen zieht er mich einfach in eine Umarmung und flüstert mir ins Ohr wie sehr er dieses Gespräch genossen hat und dass er hofft, dass wir uns bald wiedersehen. Etwas zögerlich entziehe ich mich seiner Umarmung. „Wir werden uns bestimmt wiedersehen“. Mit diesen Worten drehe ich mich um und lasse ihn einfach so stehen, Abschiede waren noch nie mein Ding. Ich renne regelrecht und spüre, wie sich in meinen Augen Tränen sammeln, die sich durch mein Blinzeln nun auf den Weg über meine Wangen machen, bevor ich sie schnell mit meiner rechten Hand wegwische. Auch wenn ich es nicht will, so drehe ich mich doch noch einmal um. Als sich unsere Blicke treffen hebst du nur kurz die Hand und willst mir zuwinken, doch ich drehe mich wieder schnell um und laufe weiter. Noch länger kann ich mich nicht zusammenreißen. Schnell biege ich in die nächstgelegene Straße ein. Eigentlich geht mein Weg ganz wo anders lang, aber ich kann den Blick von Marten einfach nicht länger auf mir ruhen spüren.

Kaum bin ich um die Ecke gebogen, da laufen mir auch schon die Tränen über mein Gesicht. Auf einmal fühle ich mich richtig verloren und einsam. Für eine ganze Weile stehe ich einfach nur da und lasse meinen Emotionen freien Lauf. Irgendwann merke ich, wie ich mich langsam wieder beruhige, sich mein Herzschlag verlangsamt und ich endlich ruhiger atmen kann. Kurz bleibe ich noch einen Moment stehen, atme tief ein und aus, bevor ich mir meine Tränen wegwische und mich wieder in Richtung meiner Wohnung bewege. Auch wenn ich weiß, dass Marten wahrscheinlich schon längst weg ist, nehme ich einen kleinen Umweg in Kauf. Ich könnte es nicht ertragen ihn jetzt noch einmal zu sehen.

Endlich bin ich vor meiner Wohnungstür angekommen. Ich verharre kurz einen Moment, bevor ich den Schlüssel ins Loch stecke und die Treppen zu meiner Wohnung hinauf gehe. So leise wie nur irgendwie möglich stecke ich den Schlüssel in das Schloss und betrete meine Wohnung. Kein Geräusch, außer das leise Klimpern meines Schlüsselbundes ist zu hören. Schnell gehe ich ins Badezimmer, entledige mich meiner Klamotten, schlüpfe in meinen Pyjama und mache mich bettfertig. Als ich mir meine Zähne putze, blicke ich kurz in den Spiegel, wo mich 2 rote, verquollene Augen angucken. Meine Güte siehst du aber heute toll aus Chiara, denke ich mir und spucke die Zahnpasta in das Waschbecken. Auf dem Weg ins Schlafzimmer merke ich, dass das Wohnzimmer leer ist. Alex scheint wach geworden und ins Bett gegangen zu sein. Mist, vorbei ist es mit meinem Plan, mich für meinen kleinen Ausflug nicht rechtfertigen zu müssen. Hoffentlich muss ich mich dem Ganzen wenigstens erst morgen stellen und er schläft bereits.  

Meine Hoffnung bestätigt sich, als ich ins Schlafzimmer komme und seinen ruhigen gleichmäßigen Atem höre. Bei jedem Schritt, jedem rascheln meiner Pyjamahose oder jedem Knacken des Parkettbodens halte ich inne und hoffe, dass Alex ruhig weiterschläft. Als ich endlich im Bett neben ihm liege, atme ich tief aus. Ich habe gar nicht gemerkt, wie ich wohl automatisch die Luft angehalten habe. Erst jetzt bemerke ich, wie erschöpft ich eigentlich bin. Auch wenn eigentlich viel zu viele Gedanken in meinem Kopf kreisen, gleite ich schnell und ohne Probleme in einen tiefen und festen Schlaf.

Kapitel 5

Als ich am nächsten Morgen aufwache ist das Bett neben mir leer. Ein Aufkeimen von Erleichterung durchströmt meinen Körper, da ich mich nicht sofort mit Alex auseinandersetzen muss. Ich weiß nicht, wie ich ihm nach der letzten Nacht gegenübertreten soll. Ändert das nächtliche Zusammentreffen mit Marten etwas, oder geht alles weiter wie bisher? Fragen über Fragen, auf die ich nicht mal annähernd eine Antwort parat habe. Nach einer Weile beschließe ich mich der Situation einfach zu stellen und steige aus dem warmen Bett. Mit tapsigen leisen Schritten gehe ich in den Flur, während ich aus dem Wohnzimmer schon die Stimmen des Fernsehers schallen höre.

Ich öffne die Tür und sehe, wie Alex auf der Couch sitzt, vor ihm ein Teller mit Avocadotoast, Rührei und aufgeschnittenen Tomaten. „Das sieht gut aus, kann ich auch etwas haben?“, frage ich ihn, in der Hoffnung, wenigstens eine halbwegs nette Antwort zu bekommen. Meine Hoffnung wird sofort zerstört, als er mir fast schon pampig entgegnet, „Das reicht nicht für uns beide, mach dir doch was Eigenes und wenn du eh einmal in der Küche bist, kannst du mir da gleich noch ‘nen Kaffee machen?“. Mit einer Selbstverständlichkeit wartet er nicht mal meine Antwort ab, sondern wendet sich sofort wieder dem Fernseher zu. Kein guten Morgen, kein Kuss, nur pure Ignoranz, ich habe die Schnauze sowas von voll. Ich drehe mich sofort um und gehe, sonst würde ich ihm auf der Stelle eine feuern, so wütend macht mich seine Art mit mir umzugehen. Wäre es so schlimm gewesen sein scheiß Frühstück mit mir zu teilen?

Eigentlich wollte ich mich beruhigen, aber ich merke, wie die Wut in mir immer schlimmer wird und sie kurz davor ist unsanft aus mir rauszuplatzen. Ich weiß genau, dass es jetzt definitiv keine gute Idee ist das Gespräch zu suchen, aber ich kann nicht anders. Mit einem lauten Ruck reiße ich die Tür wieder auf, so heftig, dass sie scheppernd gegen die Wand knallt. Sofort habe ich Alex’ Aufmerksamkeit, denn er starrt mich mit erschrockenen großen Augen verdutzt an. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich jetzt wahrscheinlich schmunzeln müssen, wie unfassbar dusselig er dabei immer aussieht, aber ich koche viel zu sehr, als dass mich irgendwas an ihm und seinem eigentlich echt niedlichen Gesicht, in positive Stimmung versetzen könnte.

„Sag mal findest du es eigentlich toll, wie du mich gerade behandelst?“, sage ich in einem Ton, der selbst mich kurz irritiert. Ich wusste gar nicht, dass ich so bedrohlich und wütend klingen kann. Auch Alex entgeht das nicht und ich sehe kurz etwas Verwunderung in seinen Augen aufblitzen. Das legt sich aber schnell wieder und der gewohnt aufbrausende, zu Emotionsausbrüchen neigende Mann ist wieder da. Er guckt mich mit diesem Blick an, der das Blut in meinen Adern gefrieren lässt und mich schlagartig an meiner eben so standhaften Entschlossenheit zweifeln lässt. Mit fast schon ruhiger Stimme beginnt er zu sprechen, „Was willst du denn jetzt von mir, mach jetzt mal nicht so einen Aufstand, nur weil du auch mal deinen Arsch bewegen musst“, er steht auf und kommt zu mir rüber gelaufen. Als er seine Hand hebt, zucke ich automatisch zusammen, doch er legt sie nur sanft auf meine Wange und schaut mir tief in die Augen. „Babe, du weißt doch, dass du morgens immer etwas grumpy bist, du wirst doch jetzt deswegen keinen Streit anfangen und uns den Morgen versauen oder?“. Er sagt das so liebevoll, dass mir erst gar nicht bewusst wird, wie verletzend seine Worte eigentlich schon wieder sind. Sanft zieht er mich in seinen Arm und streicht mir langsam und sinnlich über den Rücken. Alex weiß genau welche Knöpfe er drücken muss, damit ich runterkomme, ist ja eigentlich auch ganz süß und zeigt das nicht, dass er mich doch kennt und liebt? Ich ertappe mich bei dem Gedanken, doch vielleicht etwas überreagiert zu haben, ich meine… NEIN HALT, er macht es schon wieder. Immer manipuliert er mich, wenn ich gerade nicht das mache, was er will und ich lass es einfach so geschehen. Sofort muss ich an den letzten Tag denken, wie er mich behandelt hat. Das muss aufhören. Und da ist sie wieder die unaufhaltsame Wut, wie sie in mir brennt und droht mich von innen bei lebendigem Leibe verglühen zu lassen. Ich kann nicht mehr tatenlos dabei zusehen, wie ich mich immer weiter unterbuttern lasse, verdammt nochmal ich bin eine starke Frau, die sich immer für sich selbst und andere einsetzen konnte. Es wird Zeit, dass ich diese Person wieder mal raushole.

Ich befreie mich aus seiner Umarmung und drücke ihn mit beiden Armen schwungvoll von mir weg. „Nein mein Freund, nicht ICH ruiniere uns den Morgen, sondern DU. Du kannst nicht mehr nur so tun, als wärst du ein liebevoller Freund, wenn ich deiner Meinung nach gerade verrückt spiele und du mich beruhigen willst. Ich kann das so nicht mehr. Weißt du eigentlich, wie ich mich seit ‚ner ganzen Weile fühle? Du erdrückst mich manchmal damit, dass du mir das Gefühl gibst nicht auszureichen“,mir fangen an Tränen über die Wangen zu kullern und ich höre auf zu sprechen. Anstatt mich in den Arm zu nehmen, höre ich nur ein verächtliches Schnauben aus seiner Richtung und schaue in sein grinsendes Gesicht, als ich vom Boden aufblicke. Er verrollt die Augen und will gerade aus der Tür gehen, als es aus mir herausplatzt. „Ich war gestern mit einem anderen zusammen“, er bleibt sofort mit dem Rücken zu mir stehen. Auch wenn ich nicht weiß, wie dieses Gespräch positiv ausgehen soll, so kann ich einfach nicht aufhören. „Gestern Abend war ich draußen und habe einen anderen Mann kennengelernt“.

Er dreht sich langsam um und ich erkenne ihn kaum wieder. Noch nie habe ich so einen Blick auf seinem Gesicht gesehen. Man kann seine Wut förmlich vom Gesicht ablesen. Er macht einen Schritt auf mich zu, wodurch ich automatisch versuche nach hinten auszuweichen. Sein ganzer Körper wirkt angespannt und ich suche in meinem Kopf verzweifelt nach einem Ausweg aus dieser Situation. Sollte ich doch lieber nachgeben und sagen, dass ich das nur so gesagt habe? Meine Vernunft wirkt wie ausgeschaltet, denn obwohl jede Faser meines Körpers vor Angst zu beben scheint, so schreit die kleine Stimme in meinem Kopf trotzdem ‚Mach diesen Scheißkerl fertig, verletz ihn genauso, wie er dich verletzt hat‘. Ich nehme all meinen Mut zusammen und will gerade auf ihn zugehen und ihm alles genau erklären, da spüre ich schon seine Hand an meinem Hals. Mit voller Kraft packt er mit beiden Händen zu und drückt mich gewaltvoll nach hinten, sodass mein Kopf mit einem lauten Geräusch an die Wand knallt. Ich brauche ein paar Sekunden, um zu kapieren, was hier gerade passiert. Mit aller Kraft versuche ich mich aus seinem Griff zu befreien, aber seine Hände sind zu stark um meinen Hals gelegt und drücken mir fast schon die Luft weg. So langsam bekomme ich Panik und strampel mit voller Kraft gegen seine Beine. Meine Arme versuchen seinen Körper wegzudrücken, doch das führt nur dazu, dass er den Druck um meinen Hals noch verstärkt.

„Ich kriege keine Luft mehr“, bringe ich nur krächzend raus, woraufhin er seinen Griff lockert und kurz darauf seine Hände sogar ganz von meinem Hals wegnimmt, fast so, als wäre er aus einem Schockzustand wieder aufgewacht. Ich will gerade etwas sagen, schon holt er mit voller Kraft aus und verpasst mir eine Ohrfeige. Wieder landet mein Kopf mit voller Wucht an der Wand. Benommen lande ich in seinen Armen, die mich wieder nach oben ziehen, um gleich darauf nochmal zuzuschlagen. Diesmal fangen mich seine Arme nicht auf, sondern ich sacke kraftlos auf dem Boden zusammen. Mein Kopf dröhnt, ich höre meine Ohren klingeln und mein Herz pocht mir bis zum Anschlag. „Womit habe ich das verdient“, denke ich mir, als er wieder auf mich zuläuft und mit voller Wucht gegen meinen Bauch tritt. Ich versuche mich noch wegzudrehen, doch das führt nur dazu, dass er meine Rippe erwischt und ich laut aufschreie. „Hör auf…,“ bringe ich atemlos heraus, in der Hoffnung, dass er nun endlich von mir ablässt. Ich rolle mich langsam auf den Rücken und versuche Luft zu kriegen. Der Tritt in die Rippe hat mich ganz schön hart getroffen und ich merke, wie ich erst nach einigen Sekunden wieder normal atmen kann. Mir schießen die Tränen in die Augen, aber ich versuche sie zurückzuhalten, aus Angst, dass sie ihn noch mehr anstacheln könnten.

Erst jetzt bemerke ich, dass mir Blut von der Schläfe herunterläuft, gleich von der Stelle, an der mein Kopf unsanft an die Wohnzimmerwand geknallt ist. Unwillkürlich fasse ich an die blutende Stelle und zucke zusammen, als mich ein stechender pochender Schmerz durchströmt. Verdammt, tut das weh“,denke ich mir und versuche mich aufzurichten. Mein Blick schweift durchs Zimmer und findet Alex auf dem Sofa sitzend wieder. Er guckt mich an, eindringlich, abschätzend, aber nicht mehr wütend. Erleichterung macht sich breit, als mir bewusstwird, dass erstmal kein weiterer Schlag droht. Als ich mich versuche weiter aufzusetzen spüre ich einen Schmerz in meiner Seite, der mir schlagartig den Atem raubt und sich bis in meine Brust ausweitet. Ich lasse mich langsam zurück auf den Boden sinken und versuche mich über die Seite nach oben aufzurollen. Da auch das nicht ohne schmerzvolles Stöhnen klappt, hat Alex wohl die Schnauze voll und kommt schnell auf mich zugelaufen, packt mich an den Armen und zieht mich trotz meiner lauten Schreie „er solle mich loslassen“ nach oben. Er zieht mich zur Couch rüber, wo er mich fast schon sanft absetzt.

Er setzt sich neben mich und streichelt mir über die Wange. All die Gesten wirken so unwirklich nach dem, was er mir gerade angetan hat. Aus Angst sonst wieder seinen Zorn zu spüren lasse ich seine Berührungen zu, während sich meine Hände zu Fäusten verkrampfen und sich meine Fingernägel tief in meine Handflächen bohren. „Siehst du was du mit mir machst Liebling?“, sagt er und guckt mich dabei mir dunklen Augen an. WAS? Gibt er allen Ernstes mir die Schuld dafür, dass er mich gerade zusammengeschlagen hat? Am liebsten würde ich ihn aus dem Haus jagen, aber die Angst, dass ich das nicht überleben würde, lähmt jeden Teil meines Körpers.

Als sich Alex’ Gesicht langsam dem meinen nähert und mich küssen will kann ich jedoch nicht anders und ziehe mein Gesicht zurück, um seinen Lippen auszuweichen. Unbekümmert von meinem klaren Zeichen kommt er mir erneut näher und drückt mir seine Lippen gewaltsam auf den Mund. Ich wehre mich nicht weiter, zu sehr schmerzt sein an mich gelehnter Körper an meiner Rippe. Solange ich ihn einfach machen lasse, lässt er mich bestimmt gleich in Ruhe, doch Alex hat alles andere als Aufgeben im Sinn. Seine rechte Hand wandert langsam an meinen Oberschenkel und fährt schließlich unter meinem T-shirt an meiner nackten Haut hinauf zu meinem Rücken, während sich seine Zunge mit Nachdruck einen Weg in meinen Mund sucht. Wie versteinert sitze ich da und lasse alles über mich ergehen. Ich bemerke erst jetzt, dass sich die andere Hand bereits an meiner Schlafanzughose zu schaffen macht und sie mit einem Ruck runterzieht. Mein ganzer Körper schreit und will ihn wegdrücken, doch meine Arme und Beine scheint dies nicht zu erreichen. Ich liege einfach nur da, lasse ihn meine Hose und meinen Slip herunterziehen und kann einfach nicht dagegen ankämpfen. Als er kurz von mir ablässt, um sich auch seiner Hose zu entledigen, finde ich endlich die Kontrolle über meinen Körper wieder und versuche geschickt und schnell aufzustehen. Doch das durchschaut er sofort und drückt mich mit einer Hand zurück nach unten, um sofort danach ohne Vorwarnung in mich einzudringen. Ich möchte laut aufschreien, doch seine andere Hand liegt jetzt auf meinem Mund und hindert mich daran auch nur ein Wort herauszubringen. Trotz der Schmerzen versuche ich mich zu wehren, doch als er sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf mich legt und zudem noch seine Hand mit Nachdruck an meinen Rippen platziert, bricht mein Widerstand in einer Mischung aus Angst und den qualvollen Schmerzen, die ich spüre… innerlich und äußerlich.

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