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Tristia - Ein Familienroman

Tristia - Ein Familienroman · Romane

Gedichte aus dem Jahr 1941 und ein düsteres Familiengeheimnis in Lemberg. Anne muss sich am Ende zwischen Wahrheit und Lüge entscheiden.

Was möchtest du mit dem Buch bewirken?

Ich erzähle in meinem Familienroman von einem Phänomen, das in jüngerer Zeit unter dem Begriff der "Kriegsenkel" einige Aufmerksamkeit erfahren hat. Noch immer mäandern Lebenslügen, Verschwiegenes und Verhaltensmuster wie das "Mit-sich-selbst-ausmachen" durch die Familien und die Konflikte verschieben sich immer weiter. Die Familiengeschichte "Tristia" ist sehr stark von solchen Lebenslügen geprägt. Es ist an Anne, der Enkelin, diese Lügen schmerzhaft aufzudecken, um eine Perspektive auf Heilung und Versöhnung zu eröffnen. Ich möchte mit diesem Roman auf die Problematik der Kriegsenkel aufmerksam machen und die Verstrickungen im Zweiten Weltkrieg erzählen. Die Schauplätze sind Frankfurt und Lemberg/Ukraine. Als studierte Slawistin habe ich ein besonderes Interesse an osteuropäischer Geschichte. In der Ukraine und in Polen habe ich viele Geschichten von Menschen gehört, die sich nun in dem Roman verdichten. Nach zwanzig Büchern, die im Krimi- und Thrillergenre angesiedelt sind, ist dies mein erster Familienroman. Neben Prosa schreibe ich Lyrik. Die im Roman vorkommenden Gedichte habe ich selbst geschrieben. Ich glaube, dass Geschichten von Zeitzeugen mehr über den Krieg erzählen als reine Fakten. Jetzt hat die Realität die fiktive Wirklichkeit eingeholt. Es herrscht Krieg in der Ukraine.

Über den/die Autor:in

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Krystyna Kuhn wurde 1960 in Würzburg geboren und lebt in Lohr am Main. Sie studierte Slawistik, Germanistik und Kunstgeschichte, zeitweise in Moskau und Krakau. Nach dem Studium arbeitete sie als Team...

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Die einäugige Katze stolzierte mit erhobenem Schwanz aus den Hortensien, die den gepflasterten Weg zu Gretas Haus säumten. Sie starrte mich mit dem verbliebenen linken Auge an – wie durch ein Monokel. Strich dann unaufhörlich um meine Beine. Schließlich bückte ich mich, um sie zu streicheln, da wurden die Augen ganz schmal. Fauchend zeigte das Tier mir die Krallen. Eine Warnung: Überlege dir gut, ob du das wirklich willst. Dann tauchte der schwarze Kater wieder ins Dickicht und als wäre er nichts als eine Fata Morgana, blieb er trotz meiner Rufe verschwunden.

Ich hatte den Schlüssel zur Villa nicht in eine Schublade gelegt, ihn nicht vergessen, nicht verloren. Er hing immer noch an meinem Schlüsselbund. So betrat ich also die große holzvertäfelte Diele und stellte die beiden Koffer ab.

Es war alles noch so, wie ich es in Erinnerung hatte.

Die Reihe abgetretener Pumps, alle schwarz, auf dem Schuhregal aus Messing.

Abgewetzte Mäntel an der Garderobe, geordnet nach Saison.

Der vertraute Spiegel, so blind, dass ich mich im Nebel wiederfand.

Und ­– jedes Haus riecht anders.

Jeder Mensch hat seinen eigenen Geruch.

Hier herrschte immer noch die vertraute Melange aus Zigaretten, einer Überdosis von Chanel No. 5. und Lavendel, den Hanne, die Haushälterin, im ständigen Kampf gegen die Motten in die Schränke gelegt hatte.

Greta war in diesem Haus auf die Welt gekommen, hatte vierundneunzig Jahre hier gelebt. Veränderung war ihr fremd gewesen. Ich stellte mir vor, wie Greta beschloss, die Erde zu verlassen; wie sie sich auf den Rücken legte; ich sah sie die Arme neben dem Körper ausstrecken; ich hörte sie flüstern: Ende.

Ja, ihre Lebensplanung war schon immer perfekt gewesen.

Doch ich, ich wartete nach der Trennung von Max immer noch auf den erlösenden Startschuss, den Absprung, den verdammten U-Turn, der ausblieb.

Let go, Anne! Lass los

Yana hatte es gestern Abend zum Abschied gesagt. Auf dem Logan Airport in Boston. Bei dem Espresso an der Bar. Siesagten sich so leicht, diese Selbstoptimierungsorakel.

Ich zog meine Schuhe aus und ging barfuß weiter. Wie vertraut mir dieser Flur war und zugleich erschien er mir vollkommen fremd – wegen der Stille und ohne Greta.

Durch das gekippte Fenster in der Küche drang ein Luftzug. Ich schloss es und plötzlich surrte der Kühlschrank, den niemand abgestellt hatte.

Verirrte Fliegen summten.

Die Standuhr im Wohnzimmer tickte.

Ich bog nach rechts in den Flur. Mäandernd zogen sich vollgestopfte Regale an den Wänden entlang, die längst nicht mehr weiß waren. Schallplatten, Zeitschriften, Bücher, die teilweise in zwei, drei Reihen standen. Im Salon und Esszimmer platzten die Schränke: Geschirr, Gläser, Silberbestecke. Bilder an den Wänden – Künstler, die längst vergessen waren.

Tische, Tischchen, Sideboards, Stühle, Sessel, das abgewetzte Biedermeiersofa, auf dem ich die Tage lesend verbracht hatte, so dass Hanne sich sorgte, meine Augen könnten vor Überanstrengung blind und ich aus Mangel an Sonnenlicht zu einem Geist werden.

In Gretas Arbeitszimmer blieb ich lange vor dem Tisch stehen. Ein weißes Blatt, leer, war in die Schreibmaschine gespannt – wie immer.

Daneben Behälter mit gespitzten Bleistiften.

Kästchen mit Büroklammern.

Die Chinavase mit Feuerzeugen.

Der Aschenbecher stank nach kaltem Rauch.

Alles wie immer.

Nach einem halben Jahr hatte das Nachlassgericht uns den Erbschein zugeschickt. Und das handschriftliche Testament. Sorgfältig verschlossen in einem Umschlag, auf den Greta mit ihrer klaren Schrift geschrieben hatte: TESTAMENT. Sie hatte es am ersten Januar dieses Jahres verfasst, ihrem Geburtstag. Ich bestimme meine Enkelin Anne Wyss, meinen literarischen Nachlass in ihrem Sinne zu verwalten.

In meinem Besitz waren also nicht nur ein Drittel der Villa, sondern ebenso zwei Gedichtbände, erschienen im Frankfurter Verlag Wunderbaum: Weltensehnsucht (1947), Eine Rose (1955). Sowie knapp dreißig Texte in verschiedenen Anthologien (1965 bis 1986).

Und die Verwaltung von Gretas Vermögen: Die Stiftung. Jedes Jahr ein Preis für herausragende Lyrikerinnen. Dotiert mit 5000 Euro.

Wir hatten an eben diesem ersten Januar, ihrem letzten Geburtstag und einen Monat vor ihrem Tod, telefoniert. Der Anruf war noch auf meinem Handy gespeichert. 9:17 Uhr in Boston, 15:17 in Frankfurt. Eine Stunde später hatte sie dann das Testament geschrieben. Dabei hatte sie wie immer geklungen. Mich mit ihrer tiefen, rauchverhangenen Stimme nach der Arbeit gefragt. Ich hatte gelogen. Ich würde den Roman einer amerikanischen Autorin ins Deutsche übersetzen. Yana Bekker. Den Namen hatte ich meiner Freundin in Boston gestohlen.

Durchs Telefon hatte ich gehört wie Greta zufrieden an der Zigarette zog, und spontan war mir ein Titel eingefallen: Kastanienblüten.

(In Wirklichkeit beschäftigte ich mich mit Gebrauchsanweisungen für Elektrogeräte.)

Du könntest Schriftstellerin werden, hatte sie daraufhin gesagt. Selbst ein Buch schreiben.

Ja, ich hatte es früher probiert. Ideen auf lose Blätter notiert, die ich in den Papierkorb warf. Exposés in den Computer getippt, die ich wieder löschte. Dann einen Kriminalroman begonnen, in dem Leichen von jungen Männern und Frauen auftauchten, denen Organe fehlten wie auch Gliedmaßen. Sie wurden in aller Welt als Reliquien von Heiligen verkauft. Also das volle Thrillerprogramm. Doch am nächsten Morgen kamen mir die Wörter abgeschmackt, die Sätze holprig und mein Versuch naiv vor.

Fakt war, ich hatte keine Geschichten, die ich erzählen konnte.

Warum Greta ausgerechnet mich im Testament als Haupterbin benannt hatte?

Keine Ahnung.

Aber es führte dazu, dass ich dieses Haus ausräumen musste.

Ich solle Listen für jeden Raum erstellen, so Charlotte. Gelbe Zettel auf Gegenstände kleben, die wir dem Antiquitätenhändler anbieten würden.

Ehrlich gesagt, ich bildete mir in diesem Moment noch ein, es wäre ein Kinderspiel. In meinem eigenen Leben waren zu dieser Zeit Dinge sowieso nur Ballast. Minimalismus der einzige Ausweg. Sechs Monate lebte ich nun schon aus den zwei Koffern, die ich im Flur der Villa deponiert hatte. Und so entschieden, wie ich meine Sachen in Max‘ Wohnung gepackt hatte, musste ich nur dieses Museum leerräumen.

„Besenrein“, hatte der übereifrige Makler am Telefon gesagt. „Am besten bis zum letzten Staubkorn.“

 

Die Entrümpelungsfirma trug den Namen Räumfuchs. Drei Männer und eine kräftig gebaute Frau trafen pünktlich ein. Der Laster fuhr rückwärts heran. Ein Arbeiter in Jeans und kariertem Hemd ließ die Ketten mit den Haken herunter, um den leeren Container auf die Einfahrt zu stellen. Schnell verschafften sie sich einen Überblick im Haus. Mein Vertrauen wuchs, dass ich in einer Woche wieder weg wäre.

Wir hatten diese Firma gewählt, weil zu ihrem Angebot die Reinigung von Tatorten gehörte. Niemand kauft gern ein Haus, in dem noch der Geruch des Todes hängt. Gretas Leiche hatte man erst eine Woche später im Bett entdeckt. Sie war in ihrem Nachthemd mit den grauen Nadelstreifen gestorben, bevor die Nachbarin – Regine Lichtenberg – Isolde benachrichtigte. Die sofort kam, die Leiche sah, Charlotte anrief. Mich nicht.

Kaum gedacht tauchte Mrs Lichtenberg jetzt tatsächlich auf der Straße auf. Mitte fünfzig. Blondiertes Haar zu einem akkuraten Pagenkopf geschnitten. In einem Twinset mit der Farbe von Gartenrosen. Und schon berichtete sie mir die Ereignisse wie eine Heldentat, ja, als hätte sie meiner Großmutter das Leben gerettet. Greta hat das Haus ja überhaupt nicht mehr verlassen. Einfach eingeschlafen. Ich habe den Schlüssel von ihr, wissen Sie. Habe mich gewundert, weil ich sie tagelang nicht gesehen habe. Bin natürlich ins Haus. Habe sie gerufen, aber keine Antwort. Und fand sie schließlich im Schlafzimmer. Unsere Familien sind ja seit Jahrzehnten Nachbarn. Schon seit dem Krieg. Sie war mit dem Großvater meines Mannes befreundet. Georg. Ich glaube sogar, sie war damals verliebt in ihn. Zumindest hat er das immer behauptet, der Georg.

Jemand rief. „Frau Wyss, wo anfangen?“

Ja, wo anfangen, um schnell zum Ende zu kommen? Ich schickte die Mitarbeiter in den Keller. Dort war alles voll von vergessenen Gegenständen, überzogen mit einer dicken Staubschicht, sporenverseucht und insofern leicht als Müll zu identifizieren. Die Männer und die Frau arbeiteten schnell und effizient. Der Container auf dem Vorplatz war bereits ein Drittel gefüllt.

Blieb der Raum unter der Küche.

Zu meiner Linken fiel das Sonnenlicht in einem schmalen Streifen durch das Kellerfenster. Der Schacht davor war mit dem toten Laub vergangener Winter verstopft.

Ich sah mich um im Chaos.

Kartons mit leeren Weinflaschen.

Schmutzige Plastikbehälter in gelben Säcken.

Ausgetretene Schuhe auf einem Regal.

Verstaubte Getränkekisten mit schmierigen Wasserflaschen. Dosen mit Schrauben und Nägeln.

Stapel von Altpapier.

Das Nachkriegsfahrrad, das Hanne früher benutzt hatte.

„Vorsicht“, mahnte der vermeintliche Chef der Entrümpelungstruppe. Er hatte sich lediglich mit dem Vornamen vorgestellt (Ich. Roman.) Vielleicht lag es an dem Dauerlächeln, dass sein blondes Haar sogar im Keller leuchtete. Jedenfalls deutete er auf ein riesiges Netz, das von einem der Abwasserrohre hing. Spinnweben verklebten mein Haar. Eine dicke schwarze Spinne krabbelte von der Schulter aus den linken Arm entlang. Ich fing sie mit der rechten Hand und setzte sie auf den Boden. Schnell verkroch sie sich unter einer ausgedienten Autobatterie.

Greta war stets Taxi gefahren.

Eine der Türen des Vorratsschrankes hatte sich aus dem obersten Scharnier gelöst. Ich. Roman öffnete sie und sie fiel ihm auf den Kopf. Er lachte. Ich nicht. Danach verschaffte er sich mit unendlicher Geduld einen Überblick über den Inhalt. Unmengen von Marmeladengläsern, eingemachte Gurken und Dosengemüse erinnerten mich an Hanne. Ihre ausschweifende Vorratshaltung war dem Hunger zu Kriegszeiten geschuldet. Sie hatte das Wirtschaftswunder einfach ignoriert.

 

Fliegen klebten auf den Regalbrettern, Nachtfalter hingen in den Ecken, Kellerasseln flüchteten durch Spalten und Risse.

„Alles weg?“

Wie sich herausstellen würde, war es eine Lieblingsfrage von Ich. Roman.

„Weg!“

Mit beiden Händen schob er die Dosen in den ersten blauen Müllsack. Sie schepperten laut.

„Gibt Menschen, die hungern“, kommentierte er beiläufig.

„Um Gottes willen. Das Zeug ist Gift.“

Er griff nach einer Dose Erbsen: „20. November 2020.“

„Längst abgelaufen.“

„Hält Ewigkeit“, widersprach er optimistisch.

Ich bezahlte ihn nicht für seine Kommentare. „Weg.“

Müllsack für Müllsack füllte sich, bis nur die toten Fliegen übrig waren, die Flügel der Nachtfalter, die Panzer der Kellerasseln.

„Als nächstes der Schrank“, befahl ich.

„Weg?“

„Weg.“

„Sicher?“

„Sicher.“

„Kann man noch brauchen.“ Er rüttelte daran. „Nur Tür reparieren und perfekt. Sperrmüll?“

„Mein Gott, machen Sie, was Sie wollen damit, aber schaffen Sie endlich den Keller leer.“

Er rückte den Schrank einen halben Meter nach vorne. Dahinter kam eine Mauer zum Vorschein. Schwarzer Schimmel wucherte auf der Wand wie Krebs in einer Raucherlunge. Ich wollte, dass Roman zum ersten Schlag mit einer Axt ausholte.

Einem Vorschlaghammer.

Einer Kettensäge, oder was immer er benötigte, um den Schrank hier und jetzt kurz und klein zu schlagen.

Etwas fiel zu Boden.

Er schob sich hinter die Rückwand und kehrte mit einem Gegenstand zurück.

Ich hatte zunächst Mühe, ihn zu identifizieren. Er war nicht groß, ein Kinderkoffer vielleicht.

Hier und da schimmerte es rot. Die reptilienhafte Oberfläche mit der bereits vertrauten Schicht von Staub, Spinnweben und Schimmel überzogen. Der Koffer musste Jahre, Jahrzehnte hinter dem Schrank gesteckt haben. Roman drückte ihn mir in die Hand. Am Griff hing ein Stück Karton – beschriftet – an einem rostigen Draht. Mich interessierte das zunächst kein bisschen. Nur ein weiterer Gegenstand für den Container. Zudem war der Koffer leicht. Also vermutlich leer. Einfach schnell entsorgen. Dennoch – da war Ich. Romans strenger Blick – so sah ich mich verpflichtet, ihn zu öffnen.

Das erste lederne Band löste sich nur schwer aus der Schnalle, das nächste ebenso. Keines der beiden Scharniere rührte sich.

Ich. Roman deutete auf das Etikett. „Steht Name.“

Winzige, verschnörkelte Buchstaben auf dem Karton. Sie waren kaum zu entziffern. Müll eben.

„Lemberg. Lwów. War polnisch. Fünfhundert Jahre. Jetzt Lwíw. Ukraina. Dort hat gelebt mein Urgroßvater Janusz Wywrot. Ist geflohen … nach Kraków … zu Fuß.“ Dann folgte eine weitere Erklärung: „Dreihundertdreiundzwanzig Kilometer. Juli 1941. Vor Deutschen.“

Sagte Ich. Roman.

Ich hatte keine Lust, Kriegskamellen auszugraben. Nur legte sich in diesem Moment ein Schalter um: Lemberg. Lemberg. Meine Urgroßeltern, Eduard und Luise, sowie Greta hatten eine Zeit lang dort gelebt. Und Eduard war im Krieg geblieben. Vermisst. Verschollen. Eben in dieser Stadt.

Vergeblich versuchte ich, ein zweites Mal die Scharniere zu lösen. Bis Roman eine Zange aus der Hosentasche zog. Der Koffer sprang auf.

Papier.

Handbeschriebene Zettel schwebten Richtung Kellerboden.

Wir starrten sie an.

Sprachen einige Sekunden kein einziges Wort.

Dann bückte sich Roman, griff nach einem Blatt, streckte es mir entgegen und wir lasen den Text jeder für sich.

 

kalt ist das feuer
geschlossen die vorhänge
leichentücher verhängen
die möbel aus kirschholz

wir liegen wie bilder im schrank -

und haben die sonne
in cellophan gehüllt

 

allein die katze schleicht sich
durch die dünnen wände -
wir teilen uns die blaue schüssel -
milch trinke ich wie
weiße farbe von papier
an das sich worte klammern und

wie fliegen summen sie durch die tage

 

so mache ich es mir bequem

auf leisen sohlen - es knirscht
wie im pulverschnee -
und auf ziegeln liege ich blind -

wenn das haus einstürzt
werde ich mir
am mondblauen himmel

die füße zertreten

lemberg 1. august 1941

 

Ein verblasstes Foto rutschte zu Boden. Links ein Mann mit Brille im dunklen Anzug, einen Hut auf dem Kopf, rechts eine Frau mit dichtem schwarzem Haar in einem karierten Kleid. Und in der Mitte ein Mädchen, das lächelte.

„Weg?“, fragte Ich. Roman.

Greta

Greta hielt einen Moment inne. Frieder hustete im Nebenzimmer. Klang es schlimmer?

Nein. Alles gut.

Sie packte das weiße Lackschränkchen, schob es nach vorne, bis die lose Bodendiele zum Vorschein kam. Darunter bewahrte sie ihre Schatzkiste auf. Darin das verschlossene Tagebuch und noch einige andere Dinge: Seiten aus dem Lexikon über den menschlichen Körper, wo man interessante Bilder aufklappen konnte – verboten!

Ein silberner Haarkamm, nach dem ihre Mutter schon eine Ewigkeit suchte. Verboten!

Das Heft mit den Gedichten – geheim!

Darin ausgeschnittene Zeilen aus Mamas Gedichtbänden – streng verboten!!!

Und das Allerallerheiligste: das Foto, auf dem Georg Lichtenberg abgebildet war. Er stand in der letzten Reihe, weil er zu den Größten seines Alters gehörte. Nur ein Grund, weshalb Greta sich für ihn entschieden hatte.

Sie packte das schwarze Heft in die Tasche, stieg aufs Fahrrad und raste zur Schule. Heute, heute war der große Tag, das hatte sie beschlossen. An seinem Geburtstag würde sie die Gedichte überreichen.

Eine Minute vor acht hängte sie den Ranzen an die Bank und setzte sich neben Käthe. Am Lehrerpult nahm die Eule ihren Platz ein. Sie hatte gottseidank so schwache Augen, dass sie das Buch immer ganz ganz nah ans Gesicht halten musste. Deshalb bekam sie nicht mit, wie Greta mit dem Bleistift ein Herz in das Holz ritzte und den Buchstaben G. Dann alles mit Tinte nachfuhr.
Georg. Georg. Georg.

Greta sah zu Käthe. Bis jetzt hatte sie das Geheimnis nur ihr anvertraut, und Käthe – großer Fingerschwur – hatte einen Eid geleistet, niemandem zu verraten, in wen Greta verliebt war. Das war wichtig, denn es machte Greta einen Heidenspaß so zu tun, als interessiere sie das ganze Thema Liebe überhaupt nicht.  Einfach nur Kinderkram.

Endlich beendete die Eule den Satz, blickte hoch und klopfte dreimal mit dem Stock auf das Pult. „Ihr sprecht mir jetzt alle nach.“

Greta zog die Strümpfe hoch und schob das Kleid bis über die Knie. So etwas tat ein anständiges Mädchen nicht, aber wollte sie das überhaupt sein: anständig? Ihr Blick ging wieder und wieder zur Schultasche. Die Gedichte. Sie waren besser als die Briefe, die Mädchen wie diese dumme Ella schrieben. Mit dem Namen des Jungen, in den sie jeweils verliebt war. Die Briefe warf sie dann mit viel Gekicher über die Mauer der Jungenschule. Ohne Unterschrift natürlich. Das war feige und Greta war nicht feige. Und sie hatte einen Plan. Beschlossen und besiegelt im Tagebuch an ihrem Geburtstag am 1. Januar 1941. Mit Unterschrift: Erstens, ich werde mich verlieben.

Zweitens, diese Liebe mit einem Kuss besiegeln.

Die Liebe ist so etwas Großes und Heiliges, dachte sie, und gäbe es sie nicht, würde man ganz irr werden. Wenn Menschen sich liebten, war die Welt doch nicht so schlecht, wie ihre Mutter in letzter Zeit immer öfter behauptete. Und weinte, weil Frieders Zustand sich nicht besserte. Und ihr Vater nicht helfen konnte.

Und dann der Tag, als Georgs Fußball direkt neben Greta am Pavillon war, wo sie gesessen und gelesen hatte. Sie hatte es vor Augen, als wäre es gestern gewesen: Er klingelte an der Haustür, sie gab ihm den Ball. Er bedankte sich nicht nur mit einer Verbeugung, sondern überreichte eine gelbe Tulpe. Ab diesem Moment gab es für Greta keinen anderen mehr. Ja, sie konnte sich sehr gut vorstellen, Georg zu küssen. Gerade weil sich die ersten Haare auf der Oberlippe zeigten. Das war wirklich männlich.

Wie wunderbar es wäre, wenn Georg sie ins Kino einladen würde! Ein Film mit Zara Leander oder besser Heinz Rühmann. Ja, etwas Lustiges. Dort würde er dann in der Dunkelheit den Arm um ihre Schultern legen – oder sie hielten sich an den Händen – und schließlich … der Kuss.

Würde nur die Zeit schneller vergehen. Da wuchsen einem ja Pickel im Gesicht.

Eine Heuschrecke hatte sich ins Klassenzimmer verirrt und balancierte am unteren Rand des Fensters entlang. Vielleicht ein Geschenk für Frieder. Greta stützte das Kinn auf die Hand und beobachtete, wie das Insekt die grün leuchtenden Flügel ausbreitete, auf der Suche nach Freiheit einen riesigen Satz machte und auf Hitlers Bild landete. Hin und her. Hin und her. Auf der Suche nach einem Ausweg.

Sie musste nur warten.

Geduldig sein wie Frieder.

Tatsächlich hüpfte Minuten später die Heuschrecke auf den Boden. Direkt neben Gretas und Käthes Bank. Greta bückte sich rasch, pickte sie auf und hüllte sie in ihre Hände. Spürte, wie die Flügel vibrierten. Sie würde sie in ihrer Brotbox verstecken.

Die Eule schob die Brille nach oben. Gläser so dick wie Aquariumscheiben. Sie vergrößerten die Augen wie mit einer Lupe. Bei jeder Betonung schlug sie wieder und wieder mit dem Stock auf das Pult.

Die Klasse wiederholte murmelnd die Worte. Greta suchte nach einem Reim für Frühling. Sing, Kling, Ding. Ach, gestern in der Deutschstunde war sie sehr gelobt worden wegen ihres Aufsatzes. Fräulein Hering hatte gesagt, er sei dichterisch. Dichterisch!

Ja, sie würde sehr gerne Dichterin werden. Oder Schauspielerin. Auf keinen Fall ein Beruf, in dem man nichts Großes werden konnte. Abends hatte sie dann vor dem Spiegel wieder einen dieser berühmten Monologe deklamiert. Iphigenie auf Tauris: Heraus in eure Schatten, rege Wipfel / Des alten, heil’gen, dichtbelaubten Haines …

Ja – sie war zweifellos begabt.

Und heute würde sie Georg dieses besondere Geburtstagsgeschenk machen. Ein lauter, sehr lauter hoffnungsvoller Seufzer folgte diesem Gedanken. Die ganze Klasse lachte. Käthe stieß ihr mit dem Ellbogen in die Seite.

Und wenn schon.

Mir doch egal.

Doch schon trat die Eule an ihre Bank und schlug mit dem Stock mehrfach auf ihr Lateinbuch. Es klang wie eine Peitsche.

„Greta Thalheim, wo sind wir?“

„Gallia est omnis divisa in partes tres, …“, sagte Greta und schielte auf das Buch.

Die Eule klappte es zu. „Falsch.“

Dann wandte sie sich der Klasse zu. „Es ist Krieg. Eure Aufgabe besteht darin, zur Schule zu gehen und zu lernen. Vergesst das nicht. Jeder muss seinen Beitrag leisten.“ Und nach einer kurzen Pause: „Gerade du, Greta.“

„Wir brauchen auch Ärzte an der Heimatfront“, erwiderte sie trotzig. Der Vater war doch unabkömmlich, forschte über Medikamente, die Leben retteten. War das etwa nicht kriegswichtig?

Die Augenbrauen der Eule schnellten nach oben, obwohl sie im Grunde nicht mehr vorhanden waren. Nur unverheiratete Frauen wurden Lehrerinnen. Frauen, die Froschaugen hatten und eine Brille trugen. Frauen, die hässlich waren wie die Eule. Greta atmete ein. Sie atmete aus. Die gefalteten Hände lagen auf dem Schoß.

Der Stock hob sich.

„Hände flach auf den Tisch.“

Die Heuschrecke zitterte unter ihren Fingern. Greta hob die Unterarme und breitete die Handflächen aus. Das Insekt sprang mit einem Satz in Richtung der Eule und klammerte sich an das Revers der weißen Seidenbluse. Wie eine grüne Brosche sah es aus. Unerwartet hübsch. Doch die Eule stieß einen Schrei aus. Sie wischte hektisch über ihre großen Brüste. Die ganze Klasse brach in Gelächter aus. So hörte niemand, dass es klopfte.

Direktor Haag stand in der Tür. Ein zu klein geratener Mann mit rundem Kopf, breiter Stirn und wenig Haaren. In den ersten Kriegstagen hatte er den halben rechten Arm verloren. Daher schnellte die Linke nach vorne. Vierunddreißig Mädchen sprangen auf und taten es ihm gleich, nur Gretas Hände verharrten auf dem Pult.

Ach, dieser Frühling könnte so schön sein. Wenn nicht immer noch dieser Krieg wäre. Schaudernd erinnerte sie sich an die Bomben. An das Feuer und diesen ohrenbetäubenden Lärm. Wie hatte der Himmel gesurrt und der Boden unter ihren Füßen vibriert.

Aber im Grunde genommen betraf der Krieg doch nur andere. Nicht sie. Nicht ihre Familie. Ja, manchmal fiel das Wort Tod, manchmal eine Zahl, und da waren Namen. Greta hörte dann einfach weg. Das konnte sie gut. Außerdem – so hieß es überall – war der Spuk sowieso bald vorbei. Und Frieder würde gesund werden, Mamas Migräne sich in Luft auflösen. Alles würde wie früher sein.

Aber auf dem Gesicht des Direktors lag dieser Ausdruck, den Greta längst kannte. In den letzten Monaten hatte er persönlich die Nachrichten an die Schülerinnen überbracht, deren Väter und Brüder fürs Vaterland gefallen waren. Greta wandte den Kopf. Wer würde die Nächste sein? Auf Käthes Gesicht las sie Angst. Nein, nicht, Käthe. Sie war so klein, zart und hatte Augen, die melancholisch waren. Greta liebte sie sehr. Sie waren einmal im Bethmannpark spazieren gegangen und die Freundin hatte gesagt: „Eine Trauerweide heißt so, weil die Blätter aussehen wie Tränen.“ Ach, Käthe konnte manchmal vor Aufregung kein Wort herausbringen.

Nein, Käthe weinte zu schnell. Nicht wie Greta.

Sie betete also, dass Dr. Haag einen anderen Namen nannte. Marianne vielleicht. Ihr Bruder Karli wollte unbedingt Soldat werden. Konnte es gar nicht abwarten. Oder die plumpe Ella, die immer lispelte. Sie war breit und fett wie ein Omlett. Und immer ihre Geheimnistuerei. Immer im Flüsterton: „Du, ich habe in der Pause was mit dir zu besprechen.“

Gott! Das strapazierte vielleicht Gretas Nerven. Ella war jeden Tag in einen andern verliebt. Ihr Geist war wirklich beschränkt.

Es wurde still.

Und dann … dann fiel ihr Name.  „Greta Thalheim, du musst sofort nach Hause.“

 

   

Kapitel 2

Unruhe und spürbare Ungeduld, die jeden Raum erfüllte, durch den ich ging. Erkennen konnte ich, was einen Wert besaß, was nicht, aber die Vorstellung, dass alles, was hinausgetragen wurde, eine Lücke hinterlassen würde, hinterließ plötzlich eine Leerstelle in mir.

Pling! Neue Nachricht!

Let’s talk, Max

Ein Gespräch mit Max war auf meiner Timeline nicht vorgesehen. Ich war entschlossen, ihn zu ignorieren. Er hatte mich verraten, aber damit saß ich in der Zwickmühle. Denn ich empfand gleichzeitig eine harte, körperliche Sehnsucht wie das Verlangen nach Luft bei einem asthmatischen Anfall.

Greta – Selbstmitleid hätte sie nie geduldet.

Ich antwortete Max nicht – auf die Gefahr zu ersticken.

Immer wieder schwere Schritte auf den Treppenstufen. Ein flehentliches matka boska gefolgt von einer Reihe Zischlauten wie Zungenbrecher. Stöhnen. Holz splitterte. Die Geräusche gingen mir durch und durch. Das Haus ächzte, als würde es protestieren. Ich floh in die Küche. Durchsuchte die Schränke. Fand im Kühlschrank eine Flasche Rosé und setzte mich an den Tisch. Auf die Holzbank. Hier hatte ich meine Kindheit verbracht. Greta? Sie hatte die Küche nie betreten – zumindest konnte ich mich nicht erinnern.

Ich schenkte mir ein großes Glas Wein ein. Er war kalt und schmeckte sauer. Der Alkohol war keine Lösung, aber vielleicht half er wenigstens vorübergehen.

Die Einrichtung stammte noch aus der Zeit, als der Krieg gerade zu Ende war. Nur der Kühlschrank und der Herd waren neu. Eine Spülmaschine existierte nicht. Die Wände waren immer in diesem verwaschenen Blau gestrichen. Ich fühlte mich wie unter Wasser. In Boston waren die Vergangenheit und Deutschland so weit weg gewesen. Nun öffnete sich ein Feld vergessener Erinnerungen. Details trieben an die Oberfläche wie diese chinesischen Papierkügelchen, die aufblühten, wenn man sie in ein Glas Wasser warf.

Die Küche war Hannes Reich und meines gewesen. Ihr Tod im letzten Jahr hatte mich traurig gemacht, ja, aber Frankfurt war weit weg. Ich kam nicht zur Beerdigung. Hier, an diesem zerschrammten Tisch, der wie verloren mitten im Raum stand, hatte ich mit vier Jahren Kakao getrunken; mit fünf der Geruch nach Pfannkuchen und Erdbeeren; gerade eingeschult hatte ich am Küchentisch endlich Lesen und Schreiben gelernt. Zur Blechmusik aus dem scheppernden Radio.

Damals hatten auf der Fensterbank Pflanzen gestanden – Usambaraveilchen, wächserne Begonien und Geranien. Jetzt lagen vor den Scheiben tote Fliegen. Mein Gott, wie hatte ich diesen Raum mit den schwarz-weißen Kacheln geliebt. Hanne bedeutete Heimat, nicht Greta. Eine Welt, die aus Kochtöpfen bestand; Geruch nach Schweinebraten; Marmorkuchen im Ofen; Butter, die auf dem Herd in der Pfanne zerfloss; Kekse, Rotkraut, Zitronencreme, Frankfurter Kranz und Eiscreme, die so fest war, dass darin fast der Löffel abbrach. Essen war die Liebe und Fürsorge, die Hanne mir gab.

Ihre Stapel von Zeitschriften, die sie vor Greta in der Holzbank verbarg, weil diese von Schundblättern sprach. Die Bunte. Das goldene Blatt. Frau im Spiegel. Nicht in meinem Haus, so Greta. Bei Hanne entdeckte ich zum ersten Mal, dass Könige und Prinzen nicht nur in Märchen existierten. Wie aufgeregt ich an jenem Abend in meinem Bett gelegen und mich in Welten geträumt hatte, deren Realität aus bunten Fotos bestand, und in denen ich Prinz William heiraten würde. In Anbetracht seines jetzt immer lichter werdenden Haares hatte es wohl seine Richtigkeit, dass nicht alle Träume in Erfüllung gingen.

Pling!

Yana: Are you okay?

Ich schickte ihr den Link zu Supergirl von Reamonn:

Pling!

Wieder Max: I miss you, Anne. Please call me.
Ich antwortete mit The End von den Doors.

Pling!

Charlotte: Antiquitätenhändler morgen 13:00 Uhr.

Da ich wusste, dass Charlotte einige Hoffnung in diesen Termin setzte, überlegte ich kurz ihr Money Money Money von ABBA zu senden. Ließ es bleiben.

 

Der Koffer. Er stand auf dem Küchentisch. Hatte eine weite Reise hinter sich. Durch Zeit und Raum. Die Kanten abgewetzt, die Schnallen verrostet. Aus dem Innern strömte strenger, modriger Geruch. Die ehemals edle Oberfläche war trotz meiner Säuberungsaktion mit einer matten Patina bedeckt und hatte ihn zu einem Gegenstand degradiert, den man mit ausgestrecktem Arm hochhielt und mit halb abgewandtem Kopf misstrauisch beäugte. Er war zu alt, um von Nutzen zu sein, doch das Geheimnisvolle, das Versteck im Keller verhinderte, dass ich ihn entsorgen würde. Auf dem Tisch lag die Lupe mit Beleuchtung. Damit untersuchte ich das Etikett am Griff des Koffers.

Zunächst schwungvoll zugespitzt: Adam. Der Nachname nicht zu entziffern. Die schwarze Tinte war verlaufen. Darunter die Straße – ich konnte keinen sinnvollen Namen erkennen – und dann Lemberg. Die Stadt, aus der mein Urgroßvater Eduard Thalheim nie zurückkehrte.

Im Flur hörte ich Schritte. Es klopfte.

„Ja.“

Stille.

Ich stand auf und öffnete die Tür. Roman machte eine fragende Kopfbewegung in Richtung des Kartons in seinen Händen, in dem sich ein Essservice stapelte. Mit Goldrand und in der Innenseite ein blaues Band, in das Rosen eingraviert waren. Edel, aber überflüssig. Ich nahm einen Teller und drehte ihn um. Nicht Hutschenreuther oder Meißner, sondern CMIELOW. Nie gehört.

„War auf Dachboden.“

„Weg.“

„Weltbekanntes Porzellan aus Polen.“

Es war der Job einer Entrümpelungsfirma wegzuwerfen, zu entsorgen, Müll zu beseitigen. Dennoch verstand dieser Ich. Roman es bestens, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Das Lächeln im Gesicht verlor er nicht.

„Ins Wohnzimmer.“

Er war zufrieden.

„Kommen Sie“, sagte ich und trat einen Schritt zur Seite.

Er betrat die Küche und sein Blick fiel auf die Weinflasche und das halbvolle Glas. Fast erwartete ich, dass er dies mit weg? kommentieren würde, doch er schwieg.

Ich reichte ihm das Etikett und deutete auf die Zeile mit dem Namen. Er legte es vorsichtig auf den Tisch, strich es glatt und beugte sich mit der Lupe darüber. Ließ sich lange Zeit. Dann wandte er sich mir zu:

„Adam. Nachnamen kann ich nicht lesen. Aber die Straße: „Kleparowskastraße 11. Lemberg.“

Auf dem verschnörkelten Vertiko in Gretas Arbeitszimmer stand, so lange ich denken konnte, immer dasselbe Foto. Darauf posierte Greta in einem grünen Kleid vor dem Opernhaus in Lemberg mit meinen Urgroßeltern, Eduard und Luise Thalheim. Eine hochaufgeschossene Fünfzehnjährige mit dicken langen Mädchenzöpfen. Über dem Portal war ein Banner gespannt: Richard Wagner – Tannhäuser. Ich erkannte Lichtkreise unter den Laternen auf dem Vorplatz, bevölkert mit Männern in Uniformen, die Frauen in eleganten Kleidern untergehakt ausführten. Greta schien glücklich. Obwohl glücklich kein Adjektiv war, das ich mit ihr in Verbindung brachte. Irgendwann hatte ich sie sagen hören – Glück ist die Währung der Armen.

Dennoch war mit dem Foto eine der wenigen persönlichen Gespräche verbunden, die ich mit Greta geführt hatte. Deshalb blieb es mir im Gedächtnis. Es war der Tag, nach dem ich verloren ging. Mein achter Geburtstag. Ich sollte mit Charlotte in den Frankfurter Zoo. Doch wir trennten uns an der Hauptwache. Sie wollte unbedingt Tobias treffen. Ihre erste Liebe. Und ich war glücklich, dass ich ihre Vertraute sein durfte. Zudem war ich alt genug, um alleine in den Tierpark zu gehen. Charlotte hätte sich nur gelangweilt. Ich stieg am Zoo aus. Betrat das Gelände. Genoss das Gefühl der totalen Freiheit. Spazierte durch den ganzen Park, vorbei an den Volieren, sah einem Pfau beim Räderschlagen zu, lief über die sonnengefluteten Wege Richtung Affengehege – bis hin zu den Elefanten. Wo ich auf einer Bank saß und jedes Zeitgefühl verlor. Mich in Abenteuer träumte. Später, wenn ich erwachsen wäre, würde ich reisen und darüber Bücher schreiben. Ich kam erst am Abend nach Hause, traf meinen Vater in heller Aufregung. „Wo warst du? Charlotte hat vor dem Tor auf dich gewartet und dich über eine Stunde auf dem Gelände gesucht.“

Natürlich – Charlotte erzählte nicht, wo sie geblieben war und auch ich sagte kein Wort. Die Vorwürfe, Isoldes eisernes Schweigen, ertrug ich. Eine Schwester verriet die andere nicht – das war eine Frage der Ehre.

Am folgenden Tag besuchte ich Greta, um mein Geschenk zu holen. Sie saß wie immer im Arbeitszimmer und rauchte. Neben ihr das übliche Glas Rosé.

Statt des gewohnten Zehnmarkscheins nur ein Fünfer aus der abgegriffenen roten Geldbörse. Ich bedankte mich höflich. Schließlich fragte Greta etwas unwirsch nach der Schule, dann nach den Büchern, die ich las. Wieder antwortete ich höflich. Wir hatten uns nicht viel zu sagen. Da fiel ihr Blick auf das Foto. Er blieb daran hängen. Erst redete sie über die Musik, dass Tannhäuser immer zu ihren Lieblingsopern gehörte, denn er war Dichter wie sie und das Kleid auf dem Foto das Schönste, das sie je besessen hatte. Mit einem Seitenblick auf meine Jeans schwärmte sie von dem grünen schweren Taft. Und Gott allein weiß, wie sie von dem Stoff auf ein anderes Thema kam. Jedenfalls erinnere ich mich genau, wie sie sagte: „Nach Lemberg zu gehen war die Strafe für deinen Urgroßvater.“

Daraufhin hatte sie wieder eine Zeit lang geschwiegen. Verzweifelt sehnte ich mich danach, zurück zu Hanne zu gehen, da fragte sie, ob ich Freundinnen hätte. Ich nickte.

Hatte sie bei dieser Gelegenheit gesagt, manchmal sei eine einzige beste Freundin wichtiger als tausend gute Bekannte? Und das Mädchen aus Lemberg erwähnt? Jedenfalls war ein Satz in mir hängengeblieben.  Nach dem Besuch in der Oper war sie plötzlich nicht mehr da. Ich habe sie nie wiedergesehen.

Das alles interessierte mich brennend, aber es war besser, keine Neugierde zu zeigen, sagte mir mein Instinkt. Ich hatte gelernt, in Anwesenheit von Greta nicht viel zu sagen. Und fürchtete ihre Sätze wie Das Leben ist eine Prüfung, vergiss das nicht. Ich habe meine Lektion gelernt. Spätestens als meine Mutter plötzlich starb.

Ich trat von einem Fuß auf den anderen. Musste dringend pinkeln.

Ich erinnerte mich, dass Greta mir bei einer anderen Gelegenheit sagte, ich würde Luise nicht nur ähnlichsehen, sondern überhaupt würden wir einander gleichen. Beide zu empfindlich, bemerkte sie streng. Auch damals stand ich im Arbeitszimmer von Greta und sie saß vor der Schreibmaschine, in der ein weißes Blatt eingespannt war, auf dem ein einziges Wort stand: Kastanien. Dann erzählte sie, meine Urgroßmutter sei klein und zierlich gewesen wie ich. Die dunklen Haare hatte ich von ihr. Eigentlich sind wir Thalheims blond.

Die Fotos von Luise, die ich kannte, zeigten eine Frau, die blass aussah und in deren Augen sich etwas Trauriges und Melancholisches spiegelte. Sie hatte offenbar die Prüfungen des Lebens nicht bestanden. Greta sagte noch etwas, einen Satz, den ich mir merkte. Jeder entscheidet selbst über sein eigenes Schicksal. Ich, beschloss ich, würde mein Leben selbst in die Hand nehmen.

Weitere Erinnerungen, Jahre vergessen, verdrängt, tauchten auf. Clips, die gleich wieder verschwanden.

Da war das leere Zimmer, das neben meinem lag, wenn ich bei Greta übernachtete. In meiner kindlichen Fantasie, die mir immer schreckliche Albträume brachte, hörte ich jemanden manchmal durch die Wand keuchen, bekam selbst keine Luft mehr. Und mein Atem rasselte, bis das Asthmaspray mich beruhigte.

Ich griff nach den Gedichten. Das Papier knisterte. Geschrieben am 3. Juli 1941. Und wieder ein Liebesgedicht.

1941.

Das Jahr, von dem später ihre Gedichte handelten, mit denen sie berühmt wurde. Das bedeutete, sie war fünfzehn.

Roman stand immer noch in der Tür. Sein Blick machte mich nervös. Hatte er mich die ganze Zeit beobachtet?

„Feierabend“, sagte er. „Morgen acht Uhr?“

Er wartete.

Ich nickte.

Wenig später fiel die Haustür ins Schloss und ich stellte fest, dass es eine Frage gewesen war, als hätte er gehofft, ich würde widersprechen.

 

In der Schwüle sammelte sich der Schweiß unter meinen Achseln. Ich trank weiter, bis die Flasche leer war. Im Nachbargarten wurde gegrillt. Ich roch verbrannte Steaks und hörte Gelächter. Gelangweilter Jazz wimmerte durch die alten Bäume, die den Blick versperrten.

Ich schaltete überall das Licht an und lief, den Koffer in der Hand, den langen Flur von der Küche bis ins Wohnzimmer, das ins Esszimmer überging. Das Parkett knarrte, als ich durch die offene Schiebetür Gretas Büro betrat. Nichts hatte sich verändert. Wollmäuse in den Fugen des kaputten, abgetretenen Parketts. Vergilbte Vorhänge. Alte Ansichten von Frankfurt, die aus der Zeit gefallen schienen. Der Schreibtisch am Fenster. Die Schreibmaschine, der Vorrat von Farbbändern in einer Schachtel. Der Stapel Papier – 120 gr. Greta hatte teures Papier geliebt. Nur das Beste. Reinweiß. Die Packung Lord Extra. Das Gefühl, es sei verboten, hier zu sein, verließ mich nicht.

Meine Augen scannten die Regale, bis ich neben einem Buch von Hermann Hesse von 1937 (Neue Gedichte), den schmalen Band Tristia von Greta entdeckte. Die Erstausgabe aus dem Jahr 1947. Ich holte die handbeschriebenen Blätter aus dem Koffer. Vertiefte mich darin. Die Gedichte waren auf den ersten Blick identisch, doch ein Text fehlte in Gretas Buch.

Darunter standen das Datum und der Name:

10.9.1941
für adam

Ein Gedankenblitz.

Ich prüfte wieder das Etikett und die Buchstaben, die nicht zu entziffern waren. Ja – Adam Mandelstam.

Immerhin, jetzt besaß ich eine vollständige Adresse.

Adam Mandelstam

Kleparowskastraße 11

Lemberg

Ich aktivierte auf meinem iPhone Google Maps und gab die Straße ein. Sie wurde sofort angezeigt. Ich verkleinerte den Ausschnitt. Im Zentrum des Stadtplans erschien der Hinweis Opera.

Ich tippte auf das Symbol neben dem Auto. Der Fußweg wurde berechnet. Die Oper lag nur fünfzehn Minuten zu Fuß von der Adresse entfernt. Dort war das Foto entstanden, das auf dem Vertiko stand.

Hatte das alles irgendeine Bedeutung?

Ich legte das Handy beiseite.

Nein. Das alles war vorbei. Mein Problem war die Gegenwart, hieß Max, Greta, Entrümpelung.

Die ersten Tropfen fielen. Die Grillfeier nebenan kam abrupt zum Ende. Ein Scharren und Poltern, dann das Klirren von Glas. Ich sah aus dem Fenster. Die Nachbarin mit dem Pagenkopf nahm die Sitzpolster von den Stühlen.

Mein Schlüsselbund lag auf der Kommode im Flur. Ich stand schon draußen auf der Treppe, als ein jaulender Ton aus dem Inneren mich aufschreckte. Der Feuermelder? Brannte es? Ich hatte Mühe das Schlüsselloch zu finden – der Wein zeigte seine Wirkung an der frischen Luft – da stand ich wieder im Flur. Einen halben Herzschlag lang starrte ich verwirrt auf das Telefon. Dann hob ich ab. Ein lautes Tuten verkündete mir, dass der Anrufer aufgelegt hatte.

Eine fremde Vorwahl. Ich rief zurück, aber niemand nahm ab. Offenbar verwählt, denn wer wollte um diese Uhrzeit eine Tote sprechen?


 

Kapitel 3

Pling!

Das Handy leuchtete auf.

Max.
Please call me.

Die Augen fielen mir wieder zu.

Nein! Ich hasse dich!  

Ich schlief weiter, bis das Handy mich mit dem Song Private Lily von Moriaty weckte. Das musste ich löschen. Max war vorbei. Die Nächte, in denen wir Arm in Arm bei diesem Lied eingeschlafen waren, waren nur noch Erinnerung.

Es dauerte, bis ich aus der Tiefe meines Traums zurück an die Oberfläche gelangte. Im ersten Moment begriff ich nicht, wo ich war. Der nächste brachte mich in die Realität zurück. Ich war im Haus meiner Mutter. In dem ich aufgewachsen war. Wo kamen die Orchideen auf der Fensterbank her? Früher standen dort Holzkisten mit meiner Kakteensammlung. Die nie gegossen werden mussten.

Sofort, nachdem ich Max in die USA gefolgt war, hatte Isolde alle Spuren von mir beseitigt und es nach den Prinzipien von Feng-Shui eingerichtet. Die Plakate an den Wänden hatte Isolde durch Bilder ersetzt von Bonsaibäumen. Der Kassettenrecorder mit meiner Lieblingsmusik. Weg. Lenny Krawitz. Shakira. Weg. Von der ursprünglichen Einrichtung des Zimmers war nur der uralte Opabär auf dem weißen Sessel übriggeblieben, dessen Herkunft nie aufgelöst wurde und den ich über alles liebte, obwohl ihm die Augen fehlten.

Wenngleich die schlimmste Hitze vorüber war, hatten sich die Wände des Hauses nicht abgekühlt. Die Schwüle stand im Zimmer. Ich war klatschnass. Lebhafte Bilder verwirrender Träume hatten Spuren in jeder Zelle meines Körpers hinterlassen. Die schweren Tasten der Schreibmaschine hämmerten immer noch in meinen Ohren. Ich hatte Liebesbriefe an Adam Mandelstam getippt, die Greta mir diktierte. Wir saßen in der Oper und die Musik betäubte meine Sinne. Das Mädchen auf dem Foto war die Königin der Nacht. Weiße leere Seiten (120 gr) fielen von der Decke, raschelten wie trockenes Laub. Durch das Zimmer schwebten Origamivögel. Gedichtzeilen im Schnabel.

du kommst nicht mehr

die nacht atmet aus

noch atme ich

Träume waren das Barometer der Emotionen, der Lügendetektor des Unbewussten. Das hatte ich von Yana gelernt. Das Leben ist fragil, sagte sie immer.  Ja, fragil wie Knochen, die mit dem Alter brüchig werden, fragil wie die Träume, die beim Aufwachen zerfallen.  

Am liebsten wäre ich den ganzen Tag mit der Decke über dem Kopf im Bett geblieben. Wie Marcel Proust, der ebenso an Asthma litt. Doch Isolde war schon früher nicht auf meine Simulationstechnik, wie sie meinte, reingefallen.

Ich stand auf, griff nach dem Lederkoffer und stieg zögernd die Treppe hinunter. Im Flur stolperte ich über einen anderen Koffer. Er war nagelneu und orange. Ach ja, Isolde würde wegfahren. Mallorca, Madeira, Menorca?

Ich trat durch die Glastür. Auf dem Tisch eine Tasse Tee. Ein Stapel Zeitschriften. Abenteuer Philosophie. Zeitschrift für Ideengeschichte. Ein Buch über Sören Kiergegaard: Der Philosoph des Herzens. Ich schlug es auf, las den Klappentext. Was bedeutet es ein Mensch zu sein?

Isoldes weiße Designerküche war clean und antisepeisch wie ihr früheres Sprechzimmer. Sie schien unberührt von der Gischt des Lebens wie es in einem der Songs von Max hieß. Bis tiefschwarz die Scherben erklingen.

Und sie hatte tiefschwarze Zeiten hinter sich. Mein Vater zog aus, als ich neun war, lebte in Hamburg zusammen mit Magdalena, die ich erst spät kennen lernte. Und dann, als ich schon in Boston war, Isoldes Operation. Bestrahlungen. Chemotherapie. Charlotte erzählte mir erst davon, als bereits alles vorbei war. Du hättest sowieso nichts tun können, sagte sie.

Nonsense.

Natürlich wäre ich nach Frankfurt gekommen. Hätte mich um Isolde gekümmert.

Und mein Vater? Als er ging und nicht mehr zurückkam, wartete ich sehr lange. Ihre Mutter wurde ungeduldig, wenn ich im Bett lag und weinte. Der Kontakt beschränkte sich auf wenige Anrufe im Jahr. Weihnachten, Ostern, Geburtstage. Er existierte, war aber ein abwesendes, nicht anerkanntes Mitglied der Familie. Eine Wahl hatte ich nicht. Er hatte meine Mutter im Stich gelassen. So übten sowohl Charlotte als auch ich Solidarität mit Isolde, ohne dass wir je ein Wort darüber verloren. Ich wurde nie gefragt, ob ich nicht lieber bei meinem Vater bleiben würde. Dabei hatte er mich immer besser verstanden.

Für Charlotte war es natürlich einfacher. Sie zog mit achtzehn aus. Studierte Pharmazie. Verlobte sich schnell. Die große Schwester, acht Jahre älter, in den Armen eines Radiologen, Justus, mit einer erfolgreichen Praxis im Westend, war plötzlich weg. Ich hatte sie beneidet, weil sie erwachsen war und machen konnte, was sie wollte. Ich blieb in diesem Haus zurück mit einer Mutter, die mit einem Teenager nichts anfangen konnte und wollte, ja, eine optimale Strategie entwickelte, alles Negative zu ignorieren. Und einer Großmutter, die in ihrem Arbeitszimmer saß und Worte tippte, die unsichtbar blieben auf dem weißen Papier – 120 gr. Andererseits hatte ich Hanne, die Haushälterin, die ihre Liebe zeigte, indem sie alle meine Lieblingsgerichte kochte, weil ich in ihren Augen unter Magersucht litt. Was nicht ausgeschlossen war. Immer hatte ich Probleme mit dem Essen. Wenn meine Mutter eine ihrer Reisen unternahm – die große Flucht vor der Einsamkeit antrat, sie verpackte in irgendeine Theorie von Selbstfindung – wurde ich zu Greta geschickt. 

Ich stellte den Koffer auf den Tisch neben die Zeitschriften. Dann öffnete ich eine Schranktür nach der anderen, bis ich endlich auf das Geschirr stieß. Zwischen die weißen Tassen hatte sich eine rote verirrt, die die Aufschrift zierte: Coffee please.

Ja, bitte, Kaffee!

Hinter mir öffnete sich die Tür.

„Was stehst du so herum?“, fragte Isolde.

„Ich habe nachgedacht.“

„Worüber?“

„Wie es früher war.“

„Früher ist vorbei“, sagte sie.

Ihr Blick fiel auf den Koffer. „Wo kommt der her?“

„Ich hoffe, du kannst es mir erklären. Er war im Haus.“

Ich hörte, dass meine Stimme irgendwie schrill klang und bemühte mich um einen normalen Tonfall.

„Und etwas ist seltsam …“

Meine Mutter nahm angewidert den Koffer vom Tisch und stellte ihn auf den Boden. Dann setzte sie sich. Nahm eine Zeitschrift vom Stapel und blätterte darin herum.

„Keine Ahnung, wovon du sprichst. Übrigens ist noch Tee in der Kanne.“

„Ich trinke nur Kaffee, weißt du doch.“

„Die Kaffeemaschine ist ein Geschenk von Charlotte. Sie ist die Einzige, die sie benutzt.“

Jedes Mal, bevor sie eine Seite umschlug, tippte sie sich mit dem Zeigefinger an die Zunge. Es war nicht mehr mein Zuhause. Es fühlte sich nicht richtig an. Nichts fühlte sich hier richtig an. Schon vorher, bevor ich mit achtzehn ausgezogen war. Nach Charlotte, nach meinem Vater, dessen Weggang sich nicht angekündigt hatte. Sie stritten nie, sie küssten sich nie. Der Krieg zwischen meinen Eltern war wie eine lange Belagerung gewesen. Bis er aufgab mit leeren Sprechblasen.

Isolde war mit fünfundsechzig das, was man eine „alternde Schönheit“ nennt. Feine Fältchen um Augen und Mund. Über dem malvenfarbenen Rock ein weißes Top, das den Blick auf den hellen BH und ihre Brüste freigab, die längst der Erdanziehung ausgeliefert waren. Und diese korrekt geschnittene Frisur, ein kurzer Bob, der knapp unter den Ohren endete.

Mein T-Shirt hatte Flecken und bei den Boxershorts, den Boxershorts von Max, waren Nähte geplatzt, als würde ich mich auflösen. Ich musste sie entsorgen wie mein altes Leben. Wann war ich zum letzten Mal beim Frisör gewesen? Die abgekauten Fingernägel sahen aus wie verwachsene Narben. Ohne in den Spiegel zu schauen – Reste von zerlaufenem Mascara, Rougeflecken und Lipgloss, die tagsüber meine Erschöpfung überspielen sollten. Ich war wie ein verwahrloster Avatar meines früheren Ichs. Und die große Enttäuschung in Isoldes Leben im Gegensatz zu Charlotte. Die Versuche, meine große Schwester zu imitieren, waren gescheitert.

Isolde hatte ihre Praxis nach ihrer Erkrankung verkauft. Ihr Leben völlig umgestellt. Hatte Yoga für sich entdeckt, war auf spirituelle Reisen gegangen, die großen Philosophen gelesen und ihr Leben wurde zu einem Konstrukt aus Sinnsprüchen und Weisheiten, die sie jederzeit bereit war einem mit auf den Weg zu geben. Derzeit ernährte sie sich ausschließlich ayurvedisch, war dünn und zerbrechlich, dass man fürchten musste, ihre Finger mit den rosafarbenen Nägeln würden brechen, wenn sie die nächste Seite der Zeitschrift umschlug.

Sie hatte nie wieder einen Mann – wie Greta nach dem Tod meines Großvaters. Sie war eine geschiedene Frau und ich war mir sicher, Witwe zu sein, wäre ihr lieber. Und das schien auch mein Schicksal zu sein. Dabei hatte ich mir geschworen, nie zu werden wie Isolde.

Pling!

Your arms, and lips and hair and voice and smile – just you! Forgive me! I need you. Max.

Eine Zeile aus einem Song, den er für mich geschrieben hatte. Ganz am Anfang. Es quälte mich und ich spielte kurz mit dem Gedanken zu antworten. Nur keine Chance verpassen. Nein, der Verrat war zu groß. Obwohl er mir fehlte. Yana fehlte mir. Ja, mir fehlte sogar der Starbucks in der Court Street, in dem ich täglich meinen Latte Macchiato getrunken und die Mails gecheckt hatte. Dazu der aufgeblähte, obligatorische Blaubeermuffin.

Jetzt stand ich vor der Kaffeemaschine, die ein großes Rätsel war. Aber alles war ein Rätsel. Ich fand mich wieder in einer verwirrenden Realität, in der meine Gedanken unkontrollierbar von der Gegenwart in die Vergangenheit sprangen und die Zukunft ausklammerten. Was zum Teufel war mit mir los? Wie konnten mich Gedichte in einem alten Koffer aus der Fassung bringen?

„Wie funktioniert dieses Monster?“ Ich deutete auf den Kaffeeautomaten.

Isolde hob nur kurz den Kopf. „Ich sag‘ doch, ich benutze sie nie.“

Ich drückte auf eine schwarze Taste. Der Automat gab ein lautes, erschrockenes Keuchen von sich. Lichter flammten rot auf wie beim Starten des Flugzeugs, in dem ich Boston verlassen hatte. Lufthansa LH423 – ohne Rückflug. Ansonsten tat sich nichts. Bis ein rotes Licht blinkte und die Anzeige erschien: Wasser.

Ich füllte den Wasserbehälter und brauchte eine Zeit, bis er endlich einrastete. Dann drückte ich auf die Knöpfe, von denen ich vermutete, dass sie die Richtigen waren. Die Maschine geriet erneut in heftige Turbulenzen.

„Hast du die Katze gefüttert?“, fragte Isolde und klappte die Zeitschrift zu.

„Katze?“ 

„Gretas.“

Der einäugige Kater. Ich musste Futter kaufen und ihn sobald wie möglich im Tierheim loswerden. Todesfall, verstehen Sie? Ich lebe in Amerika. Kann mich nicht kümmern.

„Hat sie einen Namen?“

„Greta hat sie Kischka genannt. Sie ist ihr zugelaufen.“

Langsam spuckte die Maschine eine braune Flüssigkeit in die Tasse. Schon bei dem Geruch nach Kaffee fühlte sich mein Kopf augenblicklich mehrere Kilo leichter an.

Ich schob mich auf einen Stuhl. „Ich habe keine Ahnung … Was soll ich wegwerfen? Behalten? Vielleicht auch spenden? Soll ich einen Flohmarkt veranstalten?“

„Einen Flohmarkt in Gretas Haus? Das hätte sie sicher nicht gewollt.“

„Da sind Hunderte von Briefen, tausend Bücher, zehntausend Fotos. Alles Erinnerungen.“

„Ach, der ganze alte Ballast. Es ist Zeit einen Schlussstrich zu ziehen. Sieh zu, dass du alles entsorgst. Woran ich mich erinnern will und muss, habe ich im Kopf. Ruf Charlotte an, sie weiß immer was zu tun ist.“

„Charlotte hat keine Zeit.“

„Ein Kind, schwanger, ein anspruchsvoller Mann, ihr Beruf. Was erwartest du?“

Charlottes Anrufe waren in letzter Zeit immer seltener geworden. Meinen Neffen Luis hatte ich bisher nur dreimal im Leben gesehen, zum letzten Mal auf Gretas Beisetzung im Friedwald. Das war sechs Monate her. Ein kleines Loch aus dem gefrorenen Boden gehackt, in dem die schwarze Urne verschwand. Greta wollte nicht in das Familiengrab auf dem Hauptfriedhof. Ihr Wunsch war es, verbrannt zu werden.

„Das Haus gehört mir nicht allein.“

„Aber der Inhalt. Die bewegliche Habe“, erklärte Isolde mit diesem Unterton, der mich schon früher zur Weißglut brachte. Weil sie etwas sagte, aber etwas anderes meinte. Und ich nie dahinterkam, welche Botschaft sie mir mitteilen wollte.

Warum hatte Greta ausgerechnet mir die Stiftung übertragen? Ich selbst hatte nicht mehr als fünftausend Dollar auf meinem Konto.

„Fünfhunderttausend Euro“, sagte ich. „Was hat sie sich nur dabei gedacht.“

„Du kannst es immer noch Charlotte überlassen, sich darum zu kümmern.“

Ich dachte tatsächlich kurz darüber nach. Aber Greta hatte mir offensichtlich vertraut. Ich wollte sie nicht enttäuschen. Tränen stiegen hoch. Der Wein vom Vorabend war offenbar ein Emotionscocktail gewesen, versetzt mit mentalen Bakterien, die meinen Gefühlshaushalt destabilisierten. Dann das Haus, die Gedichte … Lemberg, Adam Mandelstam.

Der erste Schluck Kaffee verschaffte mir den nötigen Energieschub.

„Aber es ist schwerer, als ich dachte“, sagte ich.

„Es ist nie schwerer, als man denkt“, entgegnete Isolde.

Es brauchte den Rest des Kaffees, um hinter diesem Satz keinen Sinn zu entdecken.

„Das Haus … die ganzen Erinnerungen. Ich kann sie doch nicht einfach entsorgen, sie in einen Müllcontainer werfen. Was bleibt dann noch von Greta?“

„Greta war nicht sentimental“

„Ihre Gedichte sagen das Gegenteil.“

„Sie hat sie geschrieben, als sie erst fünfzehn war. Da neigt man zur Rührseligkeit und Melancholie. Man nennt es Pubertät.“

„Hast du in dieser Zeit auch Gedichte geschrieben?“

„Mit einer Mutter wie Greta? Nein, da musste ich sehen, dass ich allein zurechtkam.“

„Es ist nur … wir haben diesen alten Koffer im Keller gefunden.“

Eine Zeit lang sagte sie nichts und dann:

„Wir?“

„Roman. Ein Pole. Er arbeitet für die Entrümpelungsfirma. Und in diesem Koffer …war ein handschriftliches Manuskript von Gretas ersten Gedichten. Ich dachte immer, sie hätte sie auf der alten schwarzen Schreibmaschine geschrieben, die in der Vitrine steht. Das letzte Geschenk von Eduard. So hat sie es jedenfalls erzählt.“

„Die Gedichte. Deine Großmutter hat sich darauf ausgeruht und nie im Leben einen Finger krumm gemacht. Ihr ganzes Geld hat sie von meinem Vater. Der sich zu Tode gearbeitet hat, um uns ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen.“

Ich erzählte ihr von dem Versteck hinter dem Schrank.

„Ich kann mich nicht erinnern, dass Greta je in den Keller gegangen wäre. Schon gar nicht, um einen Koffer mit Gedichten hinter einen Vorratsschrank zu schieben. Sie war vermutlich zum letzten Mal … bei den Bombenangriffen dort unten.“

 „Hat sie dir je von den Bombennächten erzählt?“

„Über so etwas haben wir nie geredet.“

„Nie?“

Isolde schüttelte den Kopf, trank ihre Tasse aus, erhob sich und ging zum Spülbecken. Stand jetzt mit dem Rücken zu mir.

 „Und sie hat auch nie den Namen Adam Mandelstam erwähnt?“

Sie drehte das Wasser auf. Sagte etwas. Ich verstand sie nicht.

„Was hast du gesagt?“

„Wer soll das sein …“

„Adam Mandelstam?“

„Nie gehört.“

„An dem Koffer hing ein Etikett mit seiner Adresse in Lemberg. Vielleicht gehört er ihm. Vielleicht hat Greta ihm die Gedichte gewidmet. Vielleicht war er ihre erste große Liebe.“

„Lemberg … ach Gott. Greta hat nie in der Gegenwart gelebt.“

Da war etwas Gequältes auf ihrer Stirn, eine Leidensfurche um ihren Mund. Sie wollte nicht über Greta sprechen, aber ich konnte nicht aufhören.

„Warum hatte Lemberg so eine Bedeutung für sie?“

Ich hoffte auf einen ausführlichen Bericht, doch ich bekam nur die Kurzfassung.

„Dein Urgroßvater Eduard war in Lemberg, bis die Russen kamen. Seitdem fehlt jede Nachricht von ihm. Luise, zumindest hat Greta das gesagt, hat bis zu ihrem … Tod …“ Eine kurze Pause folgte. „Gewartet.“

„Da gibt es doch dieses Foto vor der Oper in Lemberg. Es steht immer noch auf dem Vertiko in ihrem Arbeitszimmer.“

„Gott, da war ich seit Jahren nicht.“

„Erinnerst du dich an meinen achten Geburtstag? Als ich im Zoo verloren ging?“

Endlich drehte sie sich wieder zu mir.

„Du bist nicht verloren gegangen, du hast nicht auf Charlotte gewartet.“

Es wäre die Gelegenheit, zu erzählen wie es wirklich gewesen war, aber wozu?

„An diesem Abend, als Greta in Lemberg in der Oper war, ist da nicht dieses Mädchen verschwunden?“

 „Wovon sprichst du?“

Ich erhob mich, griff nach dem Koffer, öffnete ihn und zog das Foto heraus. „Hast du das Bild schon einmal gesehen? Könnte es dieses Mädchen sein?“

Sie warf nur einen flüchtigen Blick darauf: „Nein, das habe ich noch nie gesehen. Was sind das für Leute?“

Sie drehte den Wasserhahn zu, trocknete die Tasse ab und stellte sie zurück in den Schrank. „Am besten du benutzt die Spülmaschine nicht. Ich möchte nicht zurückkommen und dort schmutziges Geschirr finden.“

Als ob das in diesem Moment wichtig wäre.

„Wie lange waren Luise und Greta eigentlich in Lemberg?“

„Nur ein paar Monate. Luise hat das Leben dort nicht ertragen. Sie sind zurück nach Frankfurt.“

„Was hat Eduard in Lemberg gemacht?“

 „Was sollen diese Fragen. Du weißt es doch. Er war Arzt in einem Kriegslazarett.“

Ich musste die nächste Frage einfach stellen.

„War Eduard ein Nazi?“

„Warum fragst du so etwas?“

„Ich will es einfach wissen.“

„War er nicht. Wir Thalheims sind nicht so.“

Wir Thalheims sind nicht so?

„Der Krieg hat ihn das Leben gekostet“, sagte sie. „Vermutlich haben ihn die Russen erschossen, als sie in Lemberg einmarschiert sind. Er ist geblieben, weißt du. Die Deutschen waren auf dem Rückzug, aber er wollte seine Patienten nicht allein lassen.“ Sie schwieg und dann: „Warum das alles aufwühlen?

Ja, warum? Ich konnte es mir selbst nicht erklären. Es waren nur Gedichte.

„Das hat Greta dir erzählt?“

 „Nein, aber irgendwann habe ich einen Brief gefunden, den ein Arzt, der im selben Krankenhaus gearbeitet hat, Luise geschrieben hat.“

„Und dieser Brief, wo ist er?“

„Irgendwo unter Gretas Sachen. In irgendeiner Schublade, einem Schrank. Deine Großmutter war nicht gerade ein Ordnungsfanatiker. Aber wegwerfen konnte sie nichts.“

War sie wütend? In jedem Fall hatte ich es geschafft, sie aus der Reserve zu locken. Sie musste ihre Komfortzone verlassen, die daraus bestand, dass sie keine Verantwortung übernehmen wollte. Nicht für mich. Nicht für Greta. Nicht für die Vergangenheit, die mit Gretas Tod mit an diesem Tisch saß. Wie der Krieg und das Unaussprechliche, das damit verbunden war.

„Es sind Zeitdokumente. Beweise.“

„Beweise? Wofür?“

Ich sprach es nicht aus. Dass mein Urgroßvater doch ein … Nazi war? In der Partei? Teil des Systems? Stattdessen diese Handbewegung, die so viel bedeutete wie Hör auf, du hast ja keine Ahnung, du weißt ja gar nichts.

Ich hätte sagen können, ich will es verstehen, aber ich brachte es nicht über die Lippen.

„Willst du alles behalten? Mit nach Boston nehmen? Ich habe hier jedenfalls keinen Platz für Erinnerungen.“

Sie lebte allein in einem Haus mit zweihundert Quadratmetern. Auf dem Dachboden, im Keller, war genug Raum für Kisten mit Fotos und Briefen.

„Macht es dir gar nichts aus?“

„Was?“

„Dass wir die Villa verkaufen.“

Sie gab keine Antwort.

„Sie ist seit über hundert Jahren im Besitz unserer Familie. Du bist darin aufgewachsen.“

 „Greta zieht noch im Tod ihre Fäden. Sie wusste genau, du hättest Skrupel. Daher hat sie dir die Stiftung übertragen, nicht Charlotte, obwohl sie und Justus sich mit Finanzen auskennen. Im Gegensatz zu dir.“

„Skrupel? Ich meine nur, wir …“

„Das hört sich anders für mich an“, unterbrach sie den Satz. „Jedenfalls, eine Villa in dieser Lage in Frankfurt … weißt du eigentlich, was die wert ist? Wie viele Angebote wir bereits bekommen haben? Von Immobilienmaklern, Privatleuten? Dukannst das Geld doch sicher gut brauchen. Jetzt, wo die Aufträge ausbleiben.“ Sie hatte denselben Gesichtsausdruck wie damals, als ich entschied, Max nach Boston zu folgen. Eine Mischung aus Ungläubigkeit und Enttäuschung. Ich wappnete mich für die Flut an Vorwürfen, die allesamt darauf zielten, mir weiszumachen, welch ein gescheiterter Mensch ihre jüngste Tochter war. Ja, ich hatte es nicht weit gebracht. Übersetzerin von Gebrauchsanweisungen – das hieß meine Talente verschwenden an eine Sache, die kein Geld einbrachte. Fast war ich soweit ihr von der erfundenen Romanübersetzung zu erzählen. Yana Bekker. Kastanienblüten. Klang gut. Aber für Schriftsteller hatte sie ebenfalls nichts übrig. Ich hatte nur das Gefühl, ihr etwas entgegensetzen zu müssen. Suchte nach der Reset-Taste, um mich neu zu justieren.

„Aber Greta hat einmal gesagt, dass ihr Vater nach Lemberg ging, war seine Strafe. Was hat sie damit gemeint?“

 „Mein Gott, sie war immer so dramatisch. Es ist vorbei, verstehst du.“

„Und der Koffer?“

„Ist nur ein Koffer.“

„Greta hat ihn versteckt.“

„Sie war eine Geheimniskrämerin.“

 „Ich möchte einfach mehr wissen über die Familie. Über Greta.“

„Du hast sie doch gekannt.“

Gekannt? Nein! Sie war einfach immer da. Manche würden sagen, sie war ganz und gar sie selbst. Schön bis ins Alter. Mit den schulterlangen Haaren, in deren Grau immer noch ein Hauch von Blond durchschimmerte, die helle reine Haut nahezu faltenlos, hohe Wangenknochen und stechend blaue Augen. Sie war eine Erscheinung, die den ganzen Raum erfüllte: eine Kraft für sich.

„Hast du sie geliebt? Vermisst du sie?“

„Ihr Leben“, sagte Isolde, „war nicht leicht. Der Vater verschollen und Luise … Der frühe Tod meines Vaters.“

„Was ist mit Luise? Sie war noch jung, als sie starb.“

„Luise?“ Sie machte einen Schritt in meine Richtung, als wolle sie mir endlich ein Geheimnis anvertrauen – und schwieg dann doch. Dieses Spiel beherrschte sie perfekt. Ich weiß alles über das Leben – du nichts, Anne.

„Hat Greta nie über ihren Tod gesprochen?“

„So war das eben.“ Unter ihrer gespielten Gleichgültigkeit blitzte etwas anderes auf. Groll. Stummer Groll. Ja, sie war erfüllt davon. Doch ich ließ nicht locker. Wollte alles wissen. Jedes Detail.

„Aber, warum ist sie gestorben?!

 „Greta sagte immer, Frieders Tod hat Luise das Herz gebrochen.“

„Frieder?“

„Ja, Frieder. Gretas jüngerer Bruder. Das musst du doch wissen.“

Ja, da war ein Bruder gewesen. Er war früh gestorben. So viel wusste ich aus den Gesprächen der Erwachsenen. Ich konnte mich als Kind unsichtbar machen, indem ich unter den Tisch kroch, hinter dem Sofa saß, einfach nur still war.

„Woran ist er gestorben?“

„Er ist … erstickt. Das war für deinen Urgroßvater natürlich entsetzlich. Schließlich war er Lungenfacharzt. Frieder litt unter Asthma – wie du. Er starb im Mai 1941. Einen Monat später meldete sich Eduard zur Wehrmacht.“

„Die Gedichte“, sagte ich. „Sie handeln von diesem Sommer. Dem Sommer 1941.“

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