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Der vertikale Krieg

Der vertikale Krieg · Romane

DIESER MENSCH IST SCHLIMM! Den müsste man aus dem Verkehr ziehen, bevor noch mehr seinetwegen sterben müssen! --- Einer tut es!

Was möchtest du mit dem Buch bewirken?

Wenn viele den Gedanken hatten, DASS JEMAND AUS DEM VERKEHR ZU ZIEHEN IST, WEIL ER DEN MENSCHEN SCHADET, dann sollten wir uns alle dazu Gedanken machen. Ist das eine Lösung, "Unrecht + Unrecht = Gerechtigkeit"? Wie kommt es zu "schlimmen Menschen" (Eichmann, Stalin, Milošević, Putin)? Was hat wer falsch gemacht? Waren diese Apparatschiks womöglich einmal alle Kinder, die misshandelt, gemobbt, vergewaltigt oder zu rohen Lebewesen erzogen wurden? Können wir uns solche "Menschen" überhaupt noch leisten? Sind das "Menschen"? Diese Fragen stelle ich mir und eine zweite lautet "Können wir uns andere Menschen leisten, die nur indirekt töten, weil sie zu einer weltumspannenden 'Umverteilungsmaschinerie' gehören, die aus mäßig Wohlhabenden Mittelschichtler, aus Mittelschichtlern Prekäre und aus Prekären Todgeweihte macht?" Die Kommissarin Karin Kwiatkowski sucht einen, der aus Zorn über Ungerechtigkeiten zum Mörder geworden ist. Einer der nicht weiß, dass ihn die Repräsentanten der "Umverteilungsmaschinerie" so manipulieren, dass sie die Umverteilung weiter treiben können und ihm das als Kampf für Gerechtigkeit erscheint. Nach 20 Jahren Morden für die Gerechtigkeit fasst Karin ihn und stellt fest, dass es ihr Vater ist. Ich denke oft, dass Despoten "aus dem Verkehr gezogen" gehören. Aber auch "Was hat sie zu Despoten gemacht?" und "Hätte man das rechtzeitig legal verhindern können?". Vielleicht denken meine Leser und Leserinnen darüber nach und einige ihrer Ideen helfen!

Über den/die Autor:in

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Seit 2015, als ich in Rente ging, schreibe ich. Ich bin Jahrgang 1951 und habe ein gutes Gedächtnis. Da fällt einem oft ein Stoff vor die Füße, der mit Ereignissen zu tun hat, die man selbst erlebt od...

In Dortmund wird ein ehemaliger Oberbürgermeister tot aufgefunden. Die Umstände für seinen Tod sind unklar und er war mit einem Missklang aus seinem Amt geschieden. Karin Kwiatkowski, Leiterin der Dortmunder Mordkommission hat ein schweres Stück Arbeit vor sich. Sie freut sich, weil es sie von ihren privaten Sorgen ablenkt. Ihr Vater Bernd und sie sind allein, nachdem ihre Mutter gestorben ist und Bernd entlassen wurde, weil das letzte Stahlwerk in Dortmund abgewickelt wurde. Dafür und für den Tod seiner Frau macht er niemand Geringeren verantwortlich als Bernhard Dromme, der die Hoesch AG mit einem Handstreich feindlich übernommen hatte.

Bernd hält sich für sehr gerecht und jedes Mal, wenn er meint, dass er eine Ungerechtigkeit sieht, bekommt er große Lust, die Verursacher so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen. Dromme ist die N° 2 auf Bernds Liste.

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Marco Toccato ist ein Pseudonym. Der Mensch dahinter ist Jahrgang 1951 und man sollte ihn sich als in Italien geboren und in Deutschland aufgewachsen vorstellen. Sein Vater kam mit einer der ersten Gastarbeiterwellen ins boomende Westdeutschland, wo es Arbeit gab, aber wenig Verständnis für die neuen Bürger. Das Buch „Amor Amaro und die tote Nachbarin“ war sein erstes Buch.


 

© 2022 Marco Toccato

Umschlag, Illustration: Marco Toccato

Lektorat, Korrektorat: Marco Toccato

 

Verlag:

Druck:

Printed in Germany

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Alle Namen, alle Personen und die Handlung sind frei erfunden. Sollten Menschen ähnlich heißen oder Ähnliches erlebt haben, so ist das rein zufällig und unbeabsichtigt.


 


Marco Toccato

 

Der vertikale Krieg

 

- Karin Kwiatkowskis 2. Fall -


 



Entlassung

Ein Mann im Blaumann und mit weißem Helm auf dem Kopf biegt um eine Ecke. Der Lärmpegel, der auf diesem staubigen Gelände bei einer Stahlgießerei dauernd herrscht, schwillt sofort an. Man hört das hohe, laute Zirpen von Trennscheiben. Er geht in eine Halle, die mit Rauch, Staub und Fontänen von Sternschweifen gefüllt ist. In einer Reihe hintereinander sieht er riesige Balken von zehn Metern Länge und 30 mal 30 Zentimetern Stärke. An deren Enden sind Trennscheiben mit einem Durchmesser von 40 Zentimetern. Auf den Balken sitzen Männer, die den Balken wie ein Steckenpferd reiten und ihn an Handgriffen rauf und runter und mit den Beinen nach links und rechts bewegen.

Die Trennscheiben drücken sie immer wieder gegen riesige Gussteile wie Schiffsanker und Walzenständer. Sie schleifen Grate, scharfe Kanten und Reste der Gussform von den Teilen und jedes Mal, wenn sie wieder die Scheibe aufsetzen, sprühen die Funken in hohem Bogen wie Meteoritenschweife. Es ist eine sehr laute, staubige und beeindruckende Szenerie. Man sagt, sie putzen die Gussteile und wir sind in der Putzerei.

Der Mann mit dem Helm arbeitet schon fast dreißig Jahre hier. Er ist der Meister der Kolonne und hat früher selbst geputzt, aber dieses Bild begeistert ihn immer wieder. Er geht zum zweiten Balken und klopft dessen „Reiter“ auf die Schulter. Der stoppt seine Schleifscheibe, nimmt den Gehörschutz ab und dreht sich zu dem Mann um.

„Was ist?“

„Der Oberingenieuer will dich sprechen, Bernd.“

„Lass mich erst den Anker fertig machen, dann habe ich meine Stückzahl voll!“

„Nein, du sollst sofort kommen!“

Bernd Kwiatkowski steigt vom Balken runter. Er ist fast ein Meter neunzig groß, hat eine breite Brust und kräftige Schultern. Seine Haare sind kurz, dicht und rot und seine Augen hellblau. Wenn er nicht so helle Haut hätte, würde man sein Aussehen mit vierschrötig beschreiben.

Er geht mit dem Meister aus der Halle.

 

-:-

 

Auf dem Weg zum Betriebsbüro denkt Bernd an den gestrigen Abend zuhause. Sie haben im Hof hinterm Haus auf einem kleinen Stück Rasen gesessen, seine Tochter Karin, seine Maria und er. Sie haben dort oben einen guten Blick über das Stahlwerk und dahinter über Hörde. Die katholische Kirche läutete die Glocken. Es war ein schöner, ruhiger Abend. Die Fackel vom Blasstahlwerk sandte seine riesige Flamme in den Himmel. Die Sonne ging über Hörde als orangeroter Ball unter. Es duftete nach Bratwürsten und Bauchfleisch, die auf dem Grill lagen. Bier und Cola standen auf dem Tisch und Bernd fühlte sich angenehm müde. In seinen Gliedern spürte er ein wenig die Arbeit, die er heute verrichtet hatte.

„Wie geht‚s in der Schule, Karin? Alles gut?“

„Richtig gut, Papa! Ich habe ‚ne Mathearbeit zurückbekommen ... zwei!“

„Uih, toll! Wie macht sie das nur? Von mir kann sie das nicht haben!“, sagte er an seine Frau gewandt.

Die lachte nur und schüttelte den Kopf.

„Von mir auch nicht. Mathe war ein rotes Tuch für mich. Ich hole mir ein Würstchen, soll ich euch welche mitbringen?“

„Gerne! Ich will gar nicht mehr aufstehen. Ich sitze hier so gut und das Nichtstun ist wunderbar.“

„Ruhrpottromantik!“, sagte Karin und lachte.

Maria nahm ihren Teller und stand auf. Sie machte nur einen Schritt, da drohte sie zu fallen. Bernd war blitzschnell aufgesprungen und fing sie auf. Der Teller flog durch die Gegend und zersprang auf den Betonplatten des Wegs. Auch Karin kam hinzu. Beide stützten die Mutter und führten sie vorsichtig zu ihrem Stuhl zurück.

Die Stimmung war hin. Maria fragte sich, was ihr gerade passiert war. Karin machte sich Sorgen um die Mutter und Bernd grübelte, warum Maria fast gefallen wäre. Sie waren zwar noch immer zusammen am Tisch, aber jeder hing seinen Gedanken allein für sich nach.

 

„Sag mal, was war das denn?“, fragte Bernd.

„Ich weiß auch nicht. Plötzlich war mein Bein weg. Das hatte ich schon mal.“

„Du musst zum Arzt! Wer weiß, was du hast?“, sagte Bernd besorgt.

„Ach, wahrscheinlich war das Bein nur eingeschlafen. Das geht wieder weg.“, sagte sie vermeintlich leichthin, aber man hörte heraus, dass sie sich Gedanken machte.

Bernd wollte noch was sagen, aber er schluckte es herunter und ging nun mit seinem Teller, um für sie Würstchen zu holen. Karin fegte die Scherben zusammen und brachte sie zum Mülleimer. Der kleine Unfall schien schnell vergessen zu sein.

Die Luft war lau, die Würstchen schmeckten und auch das Bier. Mit einem kleinen Rülpser sagte Bernd, „Mann, ist das schön. Ich könnte hier ewig sitzen bleiben. Ich verstehe die Leute nicht, die dauernd dem Geld hinterher jagen. So einen Abend kann man für kein Geld der Welt kaufen. Meine zwei schönen Frauen und ich! Was kann man sich da noch wünschen?“

„Oh! Du Schmeichler!“, kicherte Karin und Maria sah glücklich zu ihm rüber. „Gut, dass du so schnell warst. Wer weiß, was ich mir getan hätte, wenn ich in die Scherben gefallen wäre. Du bist mal wieder mein Held gewesen.“ und nun schaute sie ihn verliebt an. Aber später, als sie glaubte, dass es keiner sehen würde, sah sie grübelnd und besorgt aus.

 

-:-

 

Spätabends im Schlafzimmer sagte Bernd eindringlich: „Du, ich wollte nicht vor Karin noch mal das Thema ansprechen, aber versprich mir, morgen zum Arzt zu gehen! Hast du gehört?“

Maria rastete aus und schrie ihn an: „Lass mich doch in Ruhe. Das ist mein Körper. Du immer mit deinen Sorgen. Ich gehe zum Arzt, wenn ich es will und nun Gute Nacht!“ Sie legte sich ins Bett und drehte ihm demonstrativ den Rücken zu.

„Aber Maria! Ich mache mir doch nur Gedanken.“, aber Maria antwortete nicht mehr.

 

-:-

 

Zurück in der Putzerei folgt Bernd widerwillig dem Meister. Er spürt seine Muskeln und es ist ein gutes Gefühl. Die Schwingungen der Schleifmaschine wirken nach, sie haben seine Knochen zum Vibrieren gebracht. Er fühlt sich, wie einer der nach einem harten Tag seine Arbeit getan hat und stolz darauf ist. Er liebt seine Arbeit.

„Du weißt genau, dass mich diese Unterbrechung eine Stunde auf dem Lohnzettel kostet. Ich kann mir das nicht leisten. Was meinst du, warum

ich manchmal zwei Schichten hintereinander schiebe?“

„Klar! Weiß ich alles, aber was soll ich machen. Lass uns schnell gehen, umso schneller hast du es hinter dir.“

 

Nun tritt er in das Werksbüro des Oberingenieurs, der hinter dem alten, hölzernen Schreibtisch in dem Glaskasten mit Blick auf die Tür sitzt. Der Oberingenieur Konrad Schmelzer schaut Bernd emotionslos entgegen. Er hat sich hochgedient, denn er ist Oberingenieuer durch betriebliche Ernennung.  Es ist ein spitzer, hagerer, kleiner Kerl mit dichtem, kurzgeschnittenem Haar und nervösen, fast ängstlichen Augen. Diese Kerle aus der Stahlgiesserei und Putzerei flößen ihm Angst ein. Er weiß genau, dass sie ihn für einen erbärmlichen Wicht halten und sich fragen, was er überhaupt tut, was der Meister nicht besser ohne ihn machen könnte. Wenn sie von Schmelzer reden, kommt immer wieder das Wort „Tintenpisser“ vor. Trotz seiner Furcht schaut Schmelzer Bernd mit emotionsloser Miene entgegen.

Heute ist er besonders nervös. Auf der Stirn und über der Oberlippe glitzern Schweißtropfen. Sein Job ist es heute, der Hälfte der Belegschaft klarzumachen, dass sie in drei Monaten keine Arbeit mehr haben werden.

Schon als Schmelzer beginnt, ist Bernd klar, dass es um die Entlassungen geht. Das Gerücht wabert schon seit Wochen durch den Betrieb. Hoesch steht am Scheideweg. Der Konkurrent Krupp hat den Augenblick der Schwäche genutzt und das Unternehmen feindlich übernommen. Ein Vorgang, den es so in der Firmengeschichte noch nie gegeben hat und der auch für die Bundesrepublik einzigartig und aufsehenerregend ist.

Dieser Mann, Dromme hatte schon Duisburg-Rheinhausen platt gemacht und nun Hoesch auch noch? Dabei hat der Rohwedder Hoesch schon heftig abgespeckt und viele „sozialverträglich freigesetzt“, wie es so schön heißt.

Schmelzer verspricht Bernd eine Abfindung und eine verminderte Lohnfortzahlung bis zur Rente, also für ungefähr noch fünfzehn Jahre. Es werden knappe Zeiten für Bernd und seine Frau Maria und ihre Tochter Karin, die noch aufs Gymnasium geht. Er weiß nicht, ob er über die Runden kommt. Er hat einen großen Hass auf den Schmelzer und vor allem auf Dromme, aber der ist weit weg. Mal sehen, wie es läuft. Vielleicht kommen sie ja knapp zurecht, ohne seinen vollen Lohn und die Zuschläge, die er sich für Zusatzschichten usw. verdient hat.

Damals, als sie in Duisburg gestreikt haben, hatte er noch argumentiert, dass die Kollegen dort sich damit abfinden müssten. Es wäre eben der Zug der Zeit. Jetzt ist er dran und sieht das anders, aber Streik ist für ihn kein Mittel. Er „kümmert“ sich lieber selbst um die, die ihm das Leben schwer machen. Das war schon immer so. Erst kommt Schmelzer dran. Der wird schon sehen, was er davon hat, immer dem Werksleiter in den Arsch zu kriechen.

Er wird sich wenigstens um Schmelzer „kümmern“ und wenn es geht, auch um Dromme, aber an den kommt er nicht ran.

Andererseits, wenn er dem die Fresse poliert und es kommt raus, kann es sein, dass er vor Gericht kommt und zu Gefängnis verurteilt wird.

Dann hängen Maria und Karin vollkommen in der Luft. Also wird er den Ball erst mal flach halten und schauen, wie sich seine Lage entwickelt. Er muss womöglich dazu verdienen. So zum Spaß hat er schon lange die Autos der Kollegen repariert. Wenn er es geschickt anstellt, kommt da vielleicht die eine oder andere Mark dazu.

Aber jetzt hat er ein anderes Problem. Wenn er zuhause ist, muss er Maria erzählen, dass in drei Monaten Zapfenstreich ist. Er sieht schon jetzt ihren verzweifelten Blick.


 

Es ist Krebs

Er geht nach Hause, ohne seine Arbeit nochmal aufzunehmen. Er könnte sich sowieso nicht konzentrieren mit den Rachegedanken in seinem Kopf.

Zuhause angekommen, stellt er fest, dass seine beiden Frauen nicht da sind. Er setzt sich ins Wohnzimmer und macht eine Flasche Bier auf. Mit jedem Schluck wird er wütender.

„Ich muss ganz ruhig und kühl sein. Auf meine Gelegenheit warten. Schmelzer kann was erleben.“ Doch dann kommen ihm wieder Bedenken. Wenn er auffliegt, wird alles noch schlimmer.

Als er gerade die dritte Flasche Bier öffnet, hört er die Wohnungstür. Maria kommt herein. Sie sieht unglücklich aus.

„Was machst du denn schon hier?“, fragt sie mit flacher, trauriger Stimme. Er traut sich nicht, ihr die Wahrheit zu sagen. „Ich habe mal ausnahmsweise früher Schluss gemacht.“ „Aha!“ sagt Maria so, als wäre sie mit den Gedanken ganz woanders.

„Was hast du? Du wirkst so niedergeschlagen?“

„Ach!“ und er sieht, dass sie bald weinen wird. Dann springt sie nach vorne, wirft sich an seine Brust und schluchzt laut los.

„Ich komme vom Arzt!“, sagt sie. Durch ihr Schluchzen kann er sie kaum verstehen. „Bernd, ich habe Krebs!“

Wie betäubt lässt er sie aus seinen Armen, dreht sich um und fällt auf das Sofa zurück. Sein Gehirn rast. Es wird eng. Maria wird womöglich sterben und bis dahin siecht sie dahin und braucht seine Pflege. Der Lohn von Marias Putzarbeit wird auch wegfallen. Wie werden sie das stemmen? Ihm reicht es und er denkt sich alle möglichen Szenarien aus, in denen er Schmelzer qualvoll sterben sieht.

Er hat lange versucht, Maria zu beruhigen. Da sagt man dann solche Sachen wie, „Du wirst sehen, alles wird gut!“ oder „Bist du sicher, dass die Ärzte sich nicht geirrt haben? Das ist bestimmt eine Fehldiagnose.“

Zuletzt lächelt Maria müde und er merkt, dass sie nur seinetwegen nicht widerspricht. Nun  liegt sie im Bett  und schläft ... hoffentlich.

‚Das ist nicht gerecht!‚ geht es ihm immer wieder durch den Kopf. ‚Die einen stopfen sich die Taschen voll und zeigen sich im Kreise ihrer großen, gesunden Familie und er, Maria und ihre Tochter Karin wissen nicht ein noch aus.‚

Immer wenn er neben ihrem Bett sitzt und zuhört, wie sie atmet, denkt er daran, wie er die, die schuld sind an ihrem Elend, zur Strecke bringen wird, Schmelzer, Dromme und alle, die an seinem Leid Geld verdienen. Er wird es ihnen zeigen.

Das Elend mit Marias Krankheit zieht sich Gott sei Dank nur vier, wenn auch lange Wochen hin. Bernd hält es fast nicht aus, ihren schnellen Verfall mitanzusehen. Sie liegt die ganze Zeit zu Hause. Karin und er wechseln sich an ihrem Bett ab.

Und dann geschieht das Wunder, Maria wird klar. Sie nimmt plötzlich ihre Umgebung wieder wahr und sieht auch viel besser aus. Hat sie den Krebs besiegt? Die drei machen Pläne für die nächste Zeit. Sie wollen mit ihrem alten Wohnwagen nach Italien ans Meer fahren, einen bescheidenen Urlaub machen. Mit Maria geht es weiter aufwärts. Sie isst wieder und an ihren Augen kann Bernd sehen, dass auch sie wieder Hoffnung hat. Zum Arzt gehen sie nicht mehr. Das ist alles dummes Zeug, was die Ärzte sagen.

Bernd werkelt wie verrückt an dem Wohnwagen rum. Der ist ziemlich mitgenommen und muss für die Reise vorbereitet werden. Außerdem will er noch die Reisekasse auffüllen. Er geht in die Kneipe, wo er und seine Kumpels früher oft nach der Schicht zusammengesessen haben. Er will etwas Werbung machen. Vielleicht muss ja das Auto von irgendeinem alten Kumpel repariert werden.

Nun ist ihm das Glück wieder hold, mit Maria geht es aufwärts, der Wohnwagen ist gereinigt und in Schuss und in der Kneipe hat er ausgerechnet Schmelzer getroffen, dessen Mercedes zum TÜV muss und ein Problem mit den Bremsen hat. Er muss zwar den Urlaub ein wenig verschieben, aber das macht ihm nichts aus, er und Maria sind ihre „eigenen Herren“ und Karin wird sicher ebenfalls alles deichseln können.

Auf dem Nachhauseweg von der Kneipe überlegt er, wie er den Schmelzer ordentlich schröpfen kann.

Als er in die Wohnung tritt, ist die so komisch ruhig. Irgendwas stimmt nicht.

„Maria? ... MARIA!“, ruft er lauter. „Ich bin wieder zurück. Stell dir vor, ausgerechnet der Schmelzer will sein Auto bringen. Dem werde ich ordentlich was abknüpfen, wirst sehen.“

Er geht zum Schlafzimmer öffnet die Tür und sieht, dass Maria neben dem Bett auf dem Boden in ihrem eigenen Erbrochenen liegt. Er achtet auf nichts, sondern springt zu ihr, kniet sich daneben und zieht ihren Kopf in seinen Schoß. Maria atmet nicht mehr.

Als eine Stunde später Karin nach Hause kommt, findet sie Bernd immer noch auf Knien wie er sich und Marias Kopf in seinem Schoß hin und her wiegt und dabei weint. Ihr fallen die Taschen aus der Hand. Eine Flasche fällt heraus und rollt über den Flurboden. Auf dem Nylon der Tragetasche breitet sich ein Fleck aus. Die Eier sind wohl kaputtgegangen.

Am Abend sitzen Karin und Bernd still im Wohnzimmer. Der Fernseher läuft und sie sagen nichts. Den Hausarzt wollen sie am nächsten Tag rufen, der muss den Totenschein ausstellen und dann müssen sie den Bestatter rufen.

Es ist soweit, er wird die Sache selbst in die Hand nehmen und erst Schmelzer und dann Dromme fertigmachen. Mittlerweile ist er innerlich eiskalt. Er wird es dem Pack zeigen. Sie sind schuld an allem. Sie sollen ihn kennenlernen. Bernd will Gerechtigkeit und die kann er sich nur selbst schaffen.

 

 

Schmelzers Ende

Es sind harte Tage bis und nach dem Begräbnis von Maria. Karin und Bernd gehen sich zuhause aus dem Weg. Sie trauern stumm und allein jeder für sich. Er ist froh, als endlich der Tag kommt, an dem Schmelzer sein Auto bringt, einen silbergrauen Mercedes, gerade mal fünf Jahre alt.

„Warum kommst du eigentlich? Das Auto ist doch fast neu!“

„Ich weiß nicht, immer wenn ich bremse, ist das so weich. Wenn ich damit zum TÜV fahre, kriege ich Ärger. Wird wohl Luft drin sein. Kannst du die Bremsen entlüften und mal alles durchsehen? Wenn was ist, ruf mich an!“, sagt Schmelzer, gibt ihm die Autoschlüssel und geht nach Hause.

Bernd bockt das Auto auf und löst die Räder, um an die Bremsscheiben und Bremszylinder zu kommen. Es sieht alles gut aus, bis er an die hintere linke Bremse kommt. Es ist sofort zu sehen. Da wo der Bremsschlauch am Bremszylinder angeschraubt ist, ist der Schlauch dunkel und feucht.

Bernd ruft Schmelzer an:

„Pass auf! Ich hab‚s schon gefunden. Einer deiner Bremsschläuche ist undicht. Ich muss den neu besorgen und austauschen. Deine Bremsscheiben vorne sind am Limit. Noch zweitausend Kilometer und die müssen raus. Ach und die Warnlampe vom Airbag leuchtet. Da muss ich nachgucken, woran es liegt. Was ich da machen kann, muss ich noch sehen. Ich an deiner Stelle würde alle vier Bremsschläuche und die vorderen Scheiben erneuern. Soll ich?“

„Nee, lass man. Das Auto kommt mich schon teuer genug. Und das mit dem Airbag, kann man da was machen, ohne viel Theater? Ich will den nur durch den TÜV bringen und fertig! Mach nur den einen Bremsschlauch und gut ist es.“

„Okay! Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Die Airbag-Warnung kann ich versuchen, mit dem Steuergerät zurückzusetzen. Kommt aber bestimmt irgendwann wieder. Ewig hält das nicht. Ich fahr jetzt zu Mercedes und hole den Schlauch. Ich schätze, heute Abend kannst du ihn abholen, wenn nichts mehr dazwischen kommt. Komm gegen sechs, in Ordnung?“

„Prima! Um sechs bin ich da. Was kriegst du? Muss ich extra Geld abheben?“

„Ich schätze, es wird höchstens zweihundert Euro kosten.“

„ZWEIHUNDERT! Sag mal, spinnst du?“

„Höchstens habe ich gesagt. Ich weiß noch nicht, was das Ersatzteil und die Bremsflüssigkeit kosten wird. Die Bremsflüssigkeit muss auf jeden Fall erneuert werden. Aber gut, wenn dir das zu teuer ist, mache ich die Räder wieder dran, du holst dein Auto ab und ich kriege dreißig Euro.“

„Nee, ist schon gut. Aber ich hab‚s grad nicht so dicke. Wenn es bei zweihundert bleibt, geht das klar, aber falls noch was ist, ruf mich an, ja?“

„Mach ich! Kannst froh sein, dass für zweihundert gemacht zu kriegen. Was meinst du, was du bei Mercedes zahlen müsstest?“

„Ja! Ist ja schon gut. Bis heute Abend. Tschüss Bernd!“

Punkt sechs Uhr kommt Schmelzer. Bernd hat das Auto fertig.

„Hier hast du das alte Teil!“, sagt er und gibt Schmelzer den defekten Schlauch. „Und hier ist die Rechnung von Mercedes. Schau dir an, was ich für den neuen Schlauch und die Bremsflüssigkeit gezahlt habe. Kannst du mitnehmen.“

„Was macht das jetzt insgesamt?“

„Zweihundert! Wie gesagt. Es sind eigentlich 213,57, aber gesagt ist gesagt.“

„Sagen wir hundertfuffzig?“

„Ej, Schmelzer! Hast du was mit den Ohren? Jetzt kriege ich 213,57 Euro und keinen Cent weniger. Du spinnst doch wohl!

 Bernd hat Schmelzer am Kragen und der beginnt zu schwitzen. Er greift in die hintere rechte Hosentasche und zieht sein Portemonnaie heraus.

„Ja! Is ja gut, is ja gut! Man kann‚s doch mal versuchen oder?“

„Oder nicht! Komm bloß nie wieder! Hast du gehört? Mit solchen Säcken wie dir mach ich keine Geschäfte mehr. Sieh zu, wo du demnächst ‚nen Dummen findest und jetzt hau bloß ab, bevor ich mich vergesse!“ Er lässt Schmelzer los und der beeilt sich ins Auto zu kommen.

 

-:-

 

An der Gefällestrecke den Remberg runter sieht man den schwitzenden, ängstlichen Schmelzer immer wieder die Bremse treten und hinter dem Auto Flecken von Bremsflüssigkeit. Der hagere Mann sitzt mit angstverzerrtem Gesicht in seinem Mercedes und kann nicht verhindern, dass er mit seinem Auto direkt vor einer Kindertagesstätte geradeaus statt nach rechts fährt.

 

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Am Samstag sitzen Karin und Bernd beim Frühstück. Karin studiert die Todesanzeigen.

„Sag mal, hast du nicht einen Arbeitskollegen Konrad Schmelzer?“

„Wieso?“ Bernd liest ‚Eine Seite für Borussia‚, wo es um das Spiel am Sonntag geht.

„Der ist tot! Jedenfalls ist hier eine Todesanzeige.“ und sie reicht ihm das Stück Zeitung über den Tisch.

 

 

‚Unerwartet und viel zu früh verstarb

Konrad Schmelzer

Oberingenieur

am 23. Juni 2022

 

mein geliebter Mann

Irmgard Schmelzer ....‚

 

steht da schwarz auf weiß. Bernd wird blass und hat eine Gänsehaut. Am 23. Juni hat er Schmelzer zuletzt gesehen, als er ihn vom Hof gejagt hat.

„Du Karin, ich muss nochmal weg!“, springt er vom Tisch auf, verlässt die Wohnung und geht zu seiner Stammkneipe. Die ist zwar zu, aber er hört drinnen jemanden rumoren. ‚Wird Karl-Heinz sein, der Wirt von der ‚Hörder Fackel‚„, denkt Bernd und klopft an die alten, braunen, hölzernen Rollladenlamellen.

„Iss noch zu!“, schallt es aus der Kneipe.

„Ich weiß. Mach auf, Karl-Heinz! Ich bin‚s, Bernd.“

„Komm hinten rum über ‚n Hof. Wenn ich die Rollladen hochziehe, habe ich gleich wieder die Kneipe voll.“

Bernd geht über den Hof. Der Schäferhund von Karl-Heinz tobt und bellt im Zwinger, als er daran vorbeigeht.

Karl-Heinz steht schon in der Tür und brüllt laut, „Aus, Axel! Sitz!“ und Axel gehorcht. Karl-Heinz geht hinein und Bernd folgt ihm.

„Sag mal, ich les‚ heute morgen, dass der Schmelzer tot ist. Was ist denn da passiert?“, Bernd ist käsig um die Nase.

„Klar! Letzten Montag ist der hier am Abend den Remberg runter gerast und unten in der Rechtskurve gegenüber der Weingartenschule vor eine Laterne gefahren. War nicht angeschnallt und der Airbag hat auch nicht funktioniert. Da ist er mit dem Kopf durch die Windschutzscheibe und vor die Laterne geknallt. War sofort tot, hat der Sanitäter gesagt. Polizei war da und groß Trara haben die gemacht. Ich habe den Klaus gefragt. Der ist doch unten in der Wache an der Burg. Er meinte, dass der Unfall untersucht wird. Sie hätten einen alten Bremsschlauch und ‚ne Mercedes-Rechnung über den Barverkauf eines neuen im Auto gefunden.“

Karl-Heinz sieht Bernd skeptisch an. „Hast du ihm die Karre repariert?“

„Ja, klar. Weißt du doch. Ich habe ihm gesagt, dass der Airbag einen weg hat und ihm geraten, die vorderen Bremsscheiben und alle Schläuche zu erneuern, aber das war ihm zu teuer.“

„Stimmt! Konrad hatte immer ‚nen Igel inner Tasche. Kannze ma sehn! So schnell kann‚s gehn.“ und nach einer Pause „Willst du ‚n Bier und ‚n Schnaps auf den Schrecken?“

„Nee, bloß nicht. Bin ja grade erst vom Frühstück aufgestanden. Ich geh mal nach Hause und erhole mich von dem Schock.“

„Du biss ganz schön blass umme Nase. Eigentlich dachte ich ja, du und der Konrad, ihr wärt nicht gerade dicke Freunde.“

„Sind wir auch nicht, aber wenn so was passiert ... Das ist doch was anderes!“

Als er nach Hause zurückkommt, ist Karin beim Spülen in der Küche.

„Mann, das ist ein Schrecken in der Morgenstunde. Der Schmelzer war an dem Tag, als er gestorben ist, bei mir und hat sein Auto reparieren lassen. Jetzt sagt mir der Karl-Heinz von der ‚Fackel‚, dass er ungebremst vor eine Laterne am Remberg gefahren ist. Ich mache mir Gedanken!“

„Papa, das habe ich jetzt nicht gehört oder willst du, dass ich losgehe und eine Aussage auf der Wache mache? Ich bin Polizistin, wie du weißt.“

„Stimmt! Aber das hat mit meiner Arbeit nichts zu tun. Ich habe dem Schmelzer sogar noch gesagt, das was am Airbag ist und ich an seiner Stelle alle Bremsschläuche und die vorderen Scheiben wechseln würde. Das war dem aber zu teuer.“

„Kann es sein, dass du was vergessen hast, als du alles wieder zusammengebaut hast?“

„Nein, auf keinen Fall! Ich hab hinten links den undichten Bremsschlauch gegen einen ganz neuen von Mercedes ausgewechselt. Ich hab sogar noch eine kurze Probefahrt gemacht. Vielleicht wär es mir ja passiert, wenn ich etwas länger gefahren wäre.“

„Sag so was nicht! Das fehlt auch noch. Ich werd mal rumhören, was die Unfallursache war. Sonst machst du dich nur noch verrückt. Wir haben schon Stress genug.“

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Zwei Wochen später kommt Karin nach Hause. Bernd ist auf dem Hof und putzt den Wohnwagen.

„Willst du immer noch nach Italien?“

„Nein, aber was soll ich denn den ganzen Tag tun? Autos reparieren traue ich mich nicht und dafür mich auf die Parkbank zu setzen, bin ich zu jung.“

„Ach Papa, komm mal langsam drüber weg. Du bist doch ein Mann in den besten Jahren, kräftig, gesund und kannst noch so viel machen. Geh doch mal abends raus! Treff dich mit Kollegen! Oder geh irgendwo tanzen. Du musst auf andere Gedanken kommen!“

„Du bist gut, ‚auf andere Gedanken‚ wie das denn? Aber ganz was anderes, weißt du was vom Unfall?“

„Ach ja, gut dass du fragst. Der linke vordere Bremsschlauch ist geplatzt, sagt der Sachverständige. War das der, den du gewechselt hast?“

„Nein, ich hab den hinteren linken ausgetauscht.“

„Du hast ihn ihm mitgegeben, nicht wahr? Die Kollegen haben einen ölverschmierten Bremsschlauch im Fußraum vor dem Beifahrersitz gefunden und die Mercedes-Rechnung für einen neuen.“

„Klar! Hab ich ihm alles mitgegeben. Der wollte noch handeln. Da hab ich ihm gezeigt, was allein die Teile gekostet haben.“

„Es ist alles gut. Erst wollten sie noch rauskriegen, wer den Schlauch ausgetauscht hat. Aber der Sachverständige sagte, das wäre Quatsch. Der neue Schlauch wäre nicht die Ursache gewesen und auch nicht die Reparatur. Die war mustergültig, meinte er. Kannst dich also beruhigen.“

„Boah! Danke! Mir fällt ein Stein vom Herzen. Die hier in der Ecke wissen alle, dass ich die Reparatur gemacht habe. Der Schmelzer hat ja laut genug in der ‚Fackel‚ nachgefragt, wer ihm das machen kann und da haben mehrere auf mich gezeigt. Hoffentlich kriegen die das alle mit, dass es nichts mit meiner Arbeit zu tun hat, sonst kann ich einpacken.“

Später grübelt Bernd nach: ‚Eigentlich ist das gut gelaufen. Ich wollte dem Schmelzer ja einen auswischen. Da hatte ich wohl da oben einen Freund. Aber der Dromme läuft immer noch rum und steckt sich weiter die Taschen voll, weil er überall Leute rausschmeißt. Den sollte ich mir nun aber doch vornehmen. Das mit Schmelzer war ein Wink des Schicksals.

Mal sehen, wie ich es anstelle, damit ich an ihn rankomme. Wäre doch gelacht!“

 

Glücksträhne!

Bernd hat sich Karins Ansprache zu Herzen genommen. In der ‚Hörder Fackel‚ findet ein Skat-Turnier statt, an dem er teilnimmt.

Er kommt bis ins Finale und gewinnt. Der erste Preis ist das, was man in Dortmund einen Fresskorb nennt. Das ist ein geflochtener Weidenkorb mit allerlei leckeren Sachen darin, Mettwürstchen, ein Stück lufttrockener Schinken, Salami und so weiter.

„Glückwunsch Bernd!“, sagt Karl-Heinz, als er ihm den Korb überreicht.

„Ja, Dankeschön. Ich weiß gar nicht wie Karin und ich das wegkriegen sollen. Da haben wir Wurst und Schinken bis zum Abwinken. Und jetzt im Sommer Dicke Bohnen, Linsensuppe oder Grünkohl zu machen, wo die Mettwürstchen reingehören, ist ja auch so ‚ne Sache.“, und nach einer Pause: „Aber es ging ja vor allem um die Ehre.“

Als er sich wieder an seinen Tisch zu den Anderen setzen will, kommt ihm einer entgegen, den er zu kennen meint, aber nicht mehr weiß, woher.

„Tach Bernd und Glückwunsch. Das hast du prima hingekriegt.“

„Oh, ich weiß grad nicht ...?“

„... wo du mich hinstecken sollst? Hans-Peter Schulze, ich hab noch vor fünf Jahren beim Werksschutz gearbeitet.“

„Genau! Mensch, Hans-Peter, wie geht es dir? Du siehst gut aus. Fast so, als würdest du hier gar nicht hingehören. Es läuft scheinbar gut bei dir! Was machst du?“

„Eigentlich immer noch das gleiche jetzt nur selbstständig. Ich habe eine kleine Firma für Wachdienst, Personenschutz und Alarm- und Überwachungsanlagen. Irgendwie hab ich damals ‚ne gute Nase gehabt. Ich hatte seit dem Desaster mit Hoogovens  das Gefühl, dass Hoesch nicht mehr so richtig auf die Beine kommen wird. Wie ist ‚s denn bei dir? Du warst doch in der Putzerei oder? Läuft das noch?“

Bernds Stirn zieht sich zu Falten zusammen und er sieht wütend aus.

„Ej, was ist? Hab ich das Falsche gesagt?“

„Ach hör mir bloß auf. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie uns da alle rausgejagt haben. Wenn es auf das Thema kommt, kriege ich immer ‚nen dicken Hals.“

„Na, jetzt feiere erst mal deinen Sieg und Montag kommst du morgens zu mir ins Büro. Ich hab da vielleicht was für dich.“

„Ehrlich? Hast du ‚nen Job für mich? Mensch, das wär was. Was muss ich denn machen?“

„Ganz ruhig! Montag reden wir drüber und heute trinken wir einen zusammen. Komm mit an die Theke!“

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Am folgenden Montag geht Bernd zu Hans-Peter. Er steht staunend vor einem mittelgroßen, brandneuen Bürohaus im Gewerbegebiet an der Pekingstraße. Auf dem Parkplatz davor stehen mehrere Autos verschiedener Größe mit der Aufschrift von Hans-Peters Betrieb, „Allround Security by Schulz“.

‚Na ja, auch hier geht es nicht ohne englische Worte.‚, denkt sich Bernd. Er geht zum Empfang und eine gutaussehende Dame in einem Kostüm mit engem Rock, das wie maßgeschneidert aussieht, kommt sofort auf ihn zu: „Sie müssen Herr Kwiatkowski sein. Mein Name ist Susanne Wolters. Hans-Peter hat mich gebeten, Sie zu ihm zu bringen. Bitte folgen Sie mir!“

Alles was Bernd sieht, sieht gut aus, vor allem Frau Wolters, die direkt vor ihm auf sehr hohen Pumps durch den Flur schreitet. Es ist nur ein ganz klein bisschen aufreizend, wie sich ihr Po bewegt, gerade so viel, dass es noch seriös, aber sehr anregend wirkt. Diese Frau ist Sekretärin und Empfangsdame von Geburt. So etwas kann man nicht lernen.

Es geht eigentlich zu schnell und sie öffnet nach kurzem Klopfen eine Tür an der Stirnseite des Ganges: „Hans-Peter? Herr Kwiatkowski ist da!“

„Oh, Susanne, Danke!  Bernd, komm doch rein. Du bist aber pünktlich.“, Hans-Peter ist aufgestanden und kommt Bernd mit ausgestreckten Händen entgegen.

„Donnerwetter!“ staunt Bernd. „Das ist also dein ‚kleines Unternehmen‚. Du hast stark untertrieben. Alles, was man so sieht, hat irgendwie Klasse!“ und dabei schaut er sich nochmal zu Frau Wolters um. Die lächelt und hat das Kompliment verstanden.

„Setz dich! Willst du was trinken? Kaffee, Tee, Wasser oder ein Bier?“

„Am liebsten ein Bier, aber das schiebe ich bis heute Abend auf. Kaffee wäre gut.“, antwortet Bernd und muss sich räuspern. Er ist immer noch Stahlwerker, Malocher und der altgewordene Junge vom Remberg.

„Ich mache Ihnen einen Cappuccino, Herr Kwiatkowski. Ist das recht?“, Susanne will ihm sein Kompliment heimzahlen.

„Oh ja, aber bitte mit einem doppelten Espresso und von der Milch nur den Schaum.“

„Ich dachte mir so was.“, flötet Frau Wolters, dreht sich um und schließt die Bürotür hinter sich.

„Also, Hans-Peter, was hast du für mich?“

„Genau! Lass uns nicht lange drum herum reden. Ich brauche jemanden, der keine Angst vor hohen Tieren hat, fit ist und wenn nötig auch mal schnell eine Situation intuitiv und geräuschlos klären kann.“

„Äh? Hohe Tiere? Geräuschlos?“, schaut Bernd ihn fragend an.

„Du kannst bei uns Personenschützer werden. Wir haben ein paar Manager und Politiker, die gerne einen kräftigen Mann an ihrer Seite hätten, der a) schon auf den ersten Blick ausstrahlt, dass man nur schwer an ihm vorbeikommt, b) sich keinen Kopf macht, wenn er im Kreise großer Namen ist und c) hundertprozentig verlässlich ist. Und ich ergänze im Sinne von Allround Security: Der auf Unvorhergesehenes schnell und richtig reagiert.“

„So und du meinst, ich könnte das?“

„Klar! Wir müssen nur ein bisschen an deiner Sprache arbeiten. Für manche wird deine Art zu reden, einen netten Hauch von Exotik in ihr geordnetes Leben bringen, aber nicht für alle. Kurz, du sprichst, so wie früher, als du noch in der Putzerei warst.“

„Mal ehrlich, ich finde das auch gut so. Warum sollte ich das ändern?“

„Ich werde dich mit Susanne hier und da für ‚ne Stunde zusammensetzen. Sie wird dir dabei helfen.“

„Oh ja, gerne. Wann soll es losgehen?“, sagt Bernd sehr eifrig.

„Ist klasse die Frau, wa?“, gibt Hans-Peter eine Probe seiner Jugendsprache.

„Kannze wohl sagen!“, ist Bernd nun von seiner neuen Arbeit überzeugt.

„Ja, aber Spaß beiseite, wann kannst du anfangen. Bei uns pressiert es ein wenig.“

„Jetzt! Welche Arbeitszeiten habe ich? Was verdiene ich? Auf wen soll ich aufpassen?“

„Siehste, genau das habe ich gemeint. Du fackelst nicht lange und kommst immer gleich auf den Punkt. Geh bitte durch die Tür da rechts. Ich schicke dir Susanne rein und ihr beginnt sofort.“, antwortet Hans-Peter. „Deine Arbeitszeit richtet sich nach deinem Klienten. Das wird nicht unbedingt immer 8:00-17:00 sein. Du schreibst die Stunden auf und bekommst sie bezahlt. Ich hatte an 18 € pro Stunde gedacht, ab 19.00 Uhr das Anderthalbfache und an Wochenenden und Feiertagen das Doppelte.“

„Mann! Das sind ja wenigstens vier-, fünftausend pro Monat!“

„Du musst leider von mehr ausgehen, weil es gerade die Wochenenden und Abende sein werden, wo du ran musst.“, grinst ihn Hans-Peter an.

„Ich hoffe, das geht klar?“

„Sicher! Auf mich wartet niemand, seitdem Karin auf der Polizeischule ist. Ich bin total flexibel. Also los. Ich begebe mich dann vertrauensvoll in die Hände deiner fantastischen Frau Wolters“, und steht auf in Richtung Tür.

„Na, das hast du doch schon perfekt formuliert. Susanne wird nicht lange mit dir brauchen.“

„Oh, warte es ab. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich in Slang-Ausdrücken rede.“, sagt Bernd, grinst und schließt die Tür zum Nachbarbüro hinter sich.

Ein überraschendes Treffen

Es ist ein bisschen wie bei „My fair Lady“ nur mit vertauschten Geschlechtern. Susanne Wolters ist beinhart. Jeder Flirtversuch von Bernd wird sofort abgeblockt und sie nimmt ihn richtig ran. Ab und zu baut sie Schrecksekunden, unvorhergesehene Ereignisse und peinliche Situationen ein, um zu sehen, wie schnell Bernd dann in sein altes Idiom verfällt. Ein paar Mal erwischt sie ihn, aber eines Tages sagt sie und manchmal gestattet sie ihm mittlerweile das Du: „Sag mal, Bernd, hast du heute Abend schon was vor? Ich habe da einen halboffiziellen Termin und du könntest mich begleiten. Aber du brauchst einen dunklen Anzug.“

„Klar! Ich habe Zeit und ‚nen dunklen Anzug habe ich auch. Wo geht‚s denn hin?“

„Wirst du merken, wenn wir da sind. Dein Anzug ist von der Stange oder? Wir gehen jetzt mal los und kaufen einen, der fast wie maßgeschneidert sein wird. Wirst schon sehen. Ich nehme an, deiner ist schon etwas älter?“

„Ja, ist er. Ich habe den bei C&A für das Begräbnis meiner Frau gekauft. Aber er sitzt tadellos, meint meine Tochter.“

„Nein, nein, da, wo wir hingehen, erkennen sie einen C&A-Anzug sofort. Das können wir uns nicht leisten. Sieh mich an. Bin ich wie von C&A

gekleidet?“ Bernd schüttelt den Kopf. „Siehst du! Allround Security und seine Mitarbeiter müssen rüberkommen, als wären sie reicher als ihre Kunden oder wenigstens genauso reich.“

Am Abend fahren sie in einem S-Klasse-Mercedes samt Chauffeur nach Vechta. Es ist ein größeres Anwesen, durch das sie von dem Außentor zum Wohnhaus hin fahren. Ein Bediensteter steht auf der Treppe und kommt nun zu ihrem Fahrzeug. Er öffnet die Tür auf Susannes Seite und hilft ihr beim Aussteigen. Bernd ist schon raus und steht nah daneben. Hätte der Helfer etwas gegen Susanne tun wollen, hätte er keine Chance gehabt.

„Bitte folgen Sie mir!“, spricht der dienstbare Geist.

Es geht ins Haus hinein, über dicke Teppiche und an alten, sehr gepflegten Möbeln vorbei bis zu einer großen, zweiflügeligen Tür, die sich vor ihnen öffnet und den Blick in einen Saal freigibt. Es sind so etwa sechzig Personen in dem Raum, die sich in Gruppen unterhalten und aus gediegenen Kristallgläsern Champagner, Whisky, Cherry und andere Getränke für einen Empfang trinken.

Als einer der Männer mit einer todschicken, teuer gekleideten Frau an seiner Seite sich aus einer der Gruppen löst und zur Tür kommt, drehen sich alle Augen zu Susanne und Bernd. Sie stehen im Mittelpunkt.

„Frau Wolters, Guten Abend. Schön dass Sie kommen konnten.“

„Lieber Herr Dromme, Guten Abend. Darf ich Ihnen meinen Begleiter, Herrn Kwiatkowski vorstellen?“, sagt sie und Bernd haut es fast um. Er steht vor Bernhard Dromme, die N° 2 auf seiner Liste.

Einen Moment lang befürchtet er, dass Susanne und er noch nicht lange genug geübt haben. Auf diese Überraschung war er nicht vorbereitet. Doch er fängt sich, nachdem ihn Susanne heftig in die Hand gezwickt hat.

„Bernd, das ist Herr Dromme, der Vorstandsvorsitzende von Thyssen-Krupp.“

„... und Hoesch.“, murmelt Bernd vor sich hin.

„Was sagten Sie, Herr Kwiatkowski?“

„Ach nur, dass in den Verbund auch Hoesch gehört, wo ich viele Jahre gearbeitet habe.“

„Interessant! In welcher Abteilung waren Sie?“, fragt nun Dromme.

„Bernd war bei den Liegenschaften und hat sich um die Werkswohnungen und so weiter gekümmert.“, fängt Susanne seine ehrliche Antwort ab.

„Jetzt ist Bernd Privatier.“

„Also gar kein richtiger Stahlwerker“, sagt Dromme und lacht. „Aber nun kommen Sie doch herein.“ Er schnippt und einer der Kellner kommt mit seinem Tablett. „Champagner, Frau Wolters? Und Sie, Herr Kwiatkowski?“

„Am liebsten wäre mir ein Bier, wenn es Dortmunder ist.“, antwortet Bernd wie immer ganz ehrlich.

„Klar haben wir ein Dortmunder Pils oder?“, fragt Dromme den Kellner, der rot wird.

„Ich gehe nachschauen, einen Moment bitte die Herrschaften.“

Es dauert nur wenige Minuten und auf den Tabletts aller Kellnerinnen und Kellner sind frischgezapfte Tulpen mit Schaumkrone. Es stellt sich heraus, dass der Champagnerkonsum von jetzt auf gleich gegen Null tendiert.

Susanne wollte Bernd schon beiseite nehmen, um ihm zu sagen, dass er seine Gastgeber nicht in Verlegenheit bringen sollte, aber das ist gar nicht nötig. Die Stimmung ist eine andere, lockerere geworden und die meisten Männer trinken nun Bier und manche Frau auch. Bernhard Dromme bemerkt das, erst irritiert, dann amüsiert und er kommt zu Susanne und Bernd zurück.

„Sie haben eine positiven Einfluss auf unseren Abend. Die Stimmung ist einmal endlich so, wie ich sie mir lange herbeigesehnt habe. Fehlt nur noch, dass die Herren ihre Jacketts ausziehen.“ und an seinem Lachen merkt man, dass er es ehrlich meint.

Susanne kann Bernd nur knapp daran hindern, seine Jacke auszuziehen. Dromme nimmt sie beide mit in die Gruppe, in der er sich gerade unterhalten hatte. Sie besteht aus bekannten Persönlichkeiten der deutschen Hochfinanz. Die Damen schauen sich und ihre Männer zum Teil irritiert an, aber als die Unterhaltung weitergeht und Bernd zwar diszipliniert und auf Hochdeutsch, aber sehr herzlich mit ihnen redet, schwinden alle Dünkel. Sie halten ihn alle für stinkreich, einflussreich, zwar etwas hemdsärmelig, aber vor allem für einen richtigen Selfmademan schon fast amerikanischen Zuschnitts. Bernd schwimmt wie ein kapitaler Hecht im Wasser der großen Fische mit. Susanne kann es nicht fassen und beobachtet ihn und seine One-Man-Show erstaunt.

Er hat seine Rolle gefunden innerhalb von wenigen Sekunden und Bernd arbeitet im Kopf an seinem Plan, wie er Bernhard Dromme die Schuld an seinem Unglück und an dem von vielen seiner Kumpel heimzahlen kann. Dromme ist ihm zwar sympathisch, aber das ist für Bernd eine andere Sache. Dromme ist der Abwickler des Ruhrgebiets und zwar hauptamtlich.

 

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Es ist halb eins, als Susanne und Bernd im Mercedes zurück nach Dortmund fahren.

„Jetzt sag mal, wie hast du das denn gemacht?“, fragt Susanne staunend.

„Was meinst du?“

„Du warst meistens Mittelpunkt. Immer wieder haben sich neue Leute um uns gruppiert, um sich mit dir zu unterhalten. Ich glaube fast, wenn ich dir nicht so viel von deinen sprachlichen Besonderheiten wegtrainiert hätte, wäre es womöglich noch besser gelaufen. Die Leute haben sich plötzlich wohlgefühlt auf dem steifen Empfang.“

„Ja, kann sein. Wenn ich mit meiner Maria mal aus war oder auch in der ‚Fackel‚, hatte ich immer schnell Kontakt mit allen, auch mit welchen, die ich noch gar nicht kannte. Das geht mir immer so.“

„Jetzt ist mir klar, warum Hans-Peter dich angeworben hat. Den Auftrag haben wir übrigens im Sack Dank deines Einsatzes heute. Denk daran, deine Stunden aufzuschreiben inklusive Hin- und Rückfahrt. Der Dromme ist total begeistert von dir. Ab morgen bist du sein Schatten.“

„Äh, ich soll auf Dromme aufpassen?“

„Ja, sicher. Deshalb waren wir heute da. Er wollte wissen, wie der Mensch funktioniert, den wir ihm als Schutzengel schicken wollten. Du hast bestanden.“

‚Scheiße! Ich kann Dromme nichts tun, wenn ich auf ihn aufpassen soll oder das war mein erster und letzter Job für Allround Security.‚, erörtert Bernd sein Problem mit sich selbst im Kopf. Wie immer will er die Arbeit, die er macht, gut machen.

Sie fahren gut zwei Stunden und es ist halb drei, als der Chauffeur vor Susannes Wohnhaus anhält. Sie hatten sich weiter unterhalten und dabei kamen alte, private Dinge ins Gespräch. Susanne erzählte ihm von ihrer Kindheit in der Ofenstraße und Bernd tat dasselbe mit seinen Erlebnissen ‚Am Remberg‚. Beide sind sie als Arbeiterkinder in Mietshäusern nahe von Werkstoren der Hoesch AG großgeworden. Sie sprachen leise, fast zärtlich miteinander und in den Augen von Susanne leuchtete ein Glitzerfunken, den Bernd vorher nie bemerkt hatte.

„Kommst du mit rauf? Ich mache uns noch einen Kaffee.“, fragt sie ihn nun so, dass ihm klar ist, dass er nicht ablehnen darf. Genau genommen will er auch nicht ablehnen. Den Chauffeur mit dem Mercedes schicken sie weg.


 

Gerechtigkeit mit Gewalt?

 T ags drauf nimmt Susanne ihn mit in die Pekingstraße. Er bietet ihr an, hundert Meter vorher auszusteigen, damit sie getrennt ankommen würden. Susanne lehnt das ab.

„Weißt du, wenn wir uns weiter treffen, dann kommt das sowieso raus. Ich stehe immer zu dem, was ich mache und lasse da nie irgendwelche Zweifel oder Gerüchte aufkommen.“, sagt sie und Bernd hält es eigentlich immer genauso.

Ein bisschen ein schlechtes Gewissen hat er Maria gegenüber, aber nur ein bisschen. Seit über einem Jahr ist er nun Witwer und die erste Frau, die ihm gefährlich geworden ist, ist Susanne und das soll so bleiben.

Es gibt denn doch ein bisschen Getuschel, als Bernd aussteigt in seinem schwarzen Brioni-Anzug und Susanne die Tür aufhält, in so einem Anzug, wie ihn einer unserer Kanzler trug. Es ist klar, woher sie kamen, er ihm Abendanzug und sie in einem ihrer üblichen Bürokostüme. Sie hatte jedenfalls am Morgen Zugriff auf ihren Kleiderschrank, er offensichtlich nicht.

Bernd schaut zu den Fenstern auf und an mehreren sieht er amüsierte Gesichter. Es ist ihm egal. Was da innerhalb weniger Tage passiert ist, ist der Wechsel in ein ganz anderes, ganz neues Leben. Ausgerechnet er bewegt sich ab jetzt in höheren Kreisen, hat eine Klassefrau an seiner Seite, trägt teure Anzüge, hat einen äußerst gut bezahlten Job und vor allem hat er nun direkten Zugriff auf den, den er wegen seines und seiner Familie Unglück hasst und umbringen will.

Sie erstatten Hans-Peter Bericht, der sich Susannes Ausführungen grinsend anhört. Als sie fertig ist, drückt er beiden die Hand und sieht dabei aus, als wollte er sagen: „Na siehste, habe ich doch gleich gesagt. Bernd ist der Mann für solche Jobs!“, aber er sagt: „Und ihr beide versteht euch gut?“

Susanne wird ein wenig rot und Bernds Gesicht strahlt eine Zufriedenheit und Glück aus, dass es zum Greifen ist.

„Wisst ihr was, nehmt euch den Rest des Tages frei. Es reicht, wenn ihr übermorgen wieder da seid.“

So kommt es, dass Susanne und Bernd auch diesen Tag bis zum frühen Abend miteinander verbringen. Sie gehen am Phoenix-See spazieren. Essen Eis, kehren mittags in das italienische Restaurant dort ein, fahren nachmittags in die Innenstadt, um Bernds Garderobe zu vervollständigen und als es Abend wird, lädt Bernd Susanne mit den Worten ein: „Kommst du mit zu mir? Ich muss aus diesen scheiß Klamotten raus?“, denn er läuft immer noch in dem schwarzen Brioni rum.

Als Karin nach Hause kommt, sitzen beide in dem Eck, wo Familie Kwiatkowski vor mehr als einem Jahr zum Grillen zusammengesessen hat. Die Fackel vom Blasstahlwerk tut pflichtschuldig ihren Dienst und der Blick ist einer voller Spezialromantik à la Ruhrgebiet.

„Was wird aus dem Stahlwerk, Bernd?“

„Der Dromme wird es plattmachen und abreis­sen lassen!“, sagt er etwas zu heftig. Susanne spürt den Hass, nimmt ihn aber nur unbewusst wahr. Bernd hat ein Transistorradio, ein altes Grundig Derby auf dem Tisch und sie hören Nachrichten.

Karin steht mit fragendem Blick am Tisch, aber sie weiß, dass Nachrichtenhören für Bernd sehr wichtig ist. Sie kann danach immer noch fragen, wer die attraktive Frau auf dem Platz ihrer Mutter am Tisch ist.

 

„Slobodan Milošević wurde an Den Haag ausgeliefert. Ihm wird der Prozess wegen seiner Kriegsverbrechen im zurückliegenden Jugoslawien-Krieg gemacht ...“.

 

Das ist ein Thema, bei dem der ansonsten ruhige Bernd sich nicht mehr beherrschen kann.

„So ‚n Blödsinn! Das kostet doch nur Geld. Den hätten sie damals schon abknipsen müssen, nachdem er zum ersten Mal sein wahres Gesicht gezeigt hatte und vor allem bevor er weiter töten konnte. Also ich hätte da einen Mann hingeschickt und ihn kaltmachen lassen oder wäre sogar selbst hingegangen.“

„Mensch Papa, fängst du wieder damit an. Lynchjustiz schafft keine Gerechtigkeit. Sieh das doch endlich mal ein!“ und zu Susanne gewandt:

„Ich bin übrigens die Tochter. Karin ist mein Name und wer sind Sie?“

„Susanne Wolters, eine Arbeitskollegin Ihres Vaters.“

„Wie Arbeitskollegin? Hast du Arbeit Papa? Erzähl mal!“

„Ach ja, du weißt es noch nicht. Es ging auch wirklich wahnsinnig schnell. Mein alter Arbeitskollege bei Hoesch, Hans-Peter Schulz hat ein Sicherheitsunternehmen und mir einen Job als Personenschützer angeboten. Susanne und ich waren gestern zusammen bei einem Kunden und ich werde wohl in Zukunft auf den aufpassen. Stell dir vor, es ist der Dromme!“ und dabei schaut er Karin warnend und eindringlich an.

Karin kennt Bernds Hass auf Dromme und sie hat verstanden: „Wie, du hechelst jetzt immer mit ‚ner Beule in der Jacke und ‚nem Knopf im Ohr um den Dromme rum? Wow! Mein Papa ist jetzt Bodyguard. Mann, wäre das gut, wenn es nicht der Dromme, sondern Whitney Houston wäre, was Papa?“

„Sehe ich anders, wer ist schon Whitney Houston, wenn man Susanne Wolters kennt?“, Susanne hüstelt gespielt vornehm und Bernd fährt fort:

„Nein, ehrlich. Whitney Houston ist doch mittlerweile ein abgedrehtes, armes Püppchen, das sich mit Drogen aufrecht hält. Ich würde ihr dauernd die Pillen wegnehmen müssen. Da ist mir der Dromme lieber.

Aber nochmal, wenn sie den Milošević frühzeitig - wie auch immer - aus dem Verkehr gezogen hätten, wären viele Menschenleben gerettet worden. Ich finde, dass alle diese Figuren er, Adolf Eichmann, Assad in Syrien, bestimmt auch der Putin in Russland, früher Stalin, Hitler und und und nicht Bestandteil der menschlichen Gesellschaft sind und dass ihnen  das Handwerk gelegt gehört, bevor sie ihre unmenschlichen ‚Werke vollbringen.“

„Frau Wolters ...“, Susanne unterbricht sie:

„Susanne und du bitte!“

„Also gut, Susanne, du musst wissen, dass ich den mittleren Dienst bei der Polizei ansteuere. Einer der Gründe dafür ist, dass ich Gerechtigkeit schaffen will, so ähnlich wie Papa, aber mit legalen Mitteln.

Wir bei der Polizei haben das Gewaltmonopol. Wir dürfen sogar töten, wenn es die Situation erfordert. Doch vor allem sollen wir dafür sorgen, dass Täter vor Gericht kommen und in einem fairen Verfahren für ihre Taten verurteilt werden.“. Sie schaut aufgebracht zu Bernd und schreit:

„SO GEHT GERECHTIGKEIT!“

„Kind, du hast ja eigentlich Recht, aber ihr fangt erst an, wenn die Täter bereits etwas gemacht haben. Ich will nur, dass sie schon daran gehindert werden, bevor was passiert ist. Ich sehe ein, dass sie straffällig geworden sein sollten, aber dann hat man die nächste Tat unbedingt zu vermeiden, indem man sie aus dem Verkehr zieht. Deine Gerichte betrachten doch die schlimme Jugend der Täter und schicken sie auf Bewährung wieder unter die Leute.“

„Na klar! Woher willst du wissen, dass sie nochmal was tun?“

„Toll! Und das sagen wir uns dann jedes Mal oder? Wie viele Male muss denn einer was getan haben, bevor man ihn wegsperrt?“, ist Bernd jetzt wirklich wütend. Susanne hat ihm eine Hand auf den Arm gelegt, um ihn zu beruhigen und es wirkt. Bernd fängt sich und es wird ein schöner Abend zu dritt, nachdem sie alle sein Reizthema aussparen.

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