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Es ist besser, nichts zu wissen

Es ist besser, nichts zu wissen · Romane

Anna Schneider, früher BND-Agentin, heute beim Verfassungsschutz, erhält ein Foto von ihrem ermordeten Vater. Vergangenheit trifft Gegenwart

Was möchtest du mit dem Buch bewirken?

Ich heiße Julia und bin 31 Jahre alt. Ich schreibe schon sehr lange, habe aber immer damit gehadert, es anderen zu erzählen. Allerdings hat die Reaktion meiner Familie dafür gesorgt, dass ich alles überdacht habe. Ich will mein Buch veröffentlichen. An diesem Buch arbeite ich bereits seit 2014, einfach weil ich Spionage-Geschichten liebe. Jedoch sind immer noch meistens Männer die Hauptakteure, weshalb ich das ändern möchte.

Über den/die Autor:in

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Ich liebe es zu schreiben. Und jetzt will ich meine Geschichten auch veröffentlichen.

23. November 2019. Berlin, Deutschland.

Die Musik hämmerte ohrenbetäubend aus den Boxen. Die Menschen rieben ihre Körper in rhythmischen Bewegungen aneinander. Sie erinnerten Jonah dabei eher an einen Haufen Karnickel während der Paarungszeit. Er überblickte die Menge. Die Tanzfläche lag unter der Empore, auf der sich eine kleinere Bar, einige Sitzgelegenheiten und der VIP-Bereich befanden.

„Das ist schon ein irrer Club“, stieß Drake amüsiert aus, bevor er einen Schluck von seinem Bourbon nahm. „Jetzt lebe ich schon zwei Jahre in dieser Stadt und war noch nie hier, obwohl ich ständig hiervon gehört habe.“

Achselzuckend lehnte sich Jonah gegen den Tresen und schweifte mit den Augen durch den Club. Er konnte sich diese einschätzenden Blicke nicht mehr abgewöhnen. Man hatte schnell ein Messer im Rücken, wenn man unvorsichtig wurde. Der DJ wechselte auf den Song ‚Blame‘ und John Newmans Stimme schalte aus der Anlage. Da sah er sie.

Ihr braunes Haar fiel in lockeren Wellen über ihre zarten Schultern. Die grünen Augen waren schwarz umrandet. Ihre Wangenknochen wurden durch das Rouge hervorgehoben. Die gerade Nase hatte sie leicht in die Höhe gehoben. Ihr sündig voller Mund wurde von der roten Farbe noch stärker betont. Auf ihren Lippen lag ein leichtes Lächeln, das sowohl lasziv als auch herausfordernd wirkte. Das schwarze Kleid schmiegte sich an jede ihrer perfekten Rundungen, die sowohl ihre Gene als auch hartes Training ermöglichten.

Er wusste noch genau, wie sich die Haut darunter anfühlte. Wie sich ihre sehnigen Muskeln bei jeder Berührung anspannten. Wie ihre Hüften fordern konnten. Überrascht registrierte Jonah, dass sie fast die gesamte Länge ihrer trainierten Beine zur Schau stellte. Ihre kleinen Füße steckten in hohen Riemchensandalen. Selbstbewusst und äußerst sexy. Sein Blick wanderte wieder zu ihrem Gesicht. Keine Frau auf dieser Welt hatte so eine Macht über ihn wie sie. Anna Schneider.

Anscheinend wirkte er nach all der Zeit genauso auf sie, denn sie blieb unvermittelt stehen. Mit ihren ausdrucksstarken Augen musterte sie ihn. Ihre Lippen pressten sich aufeinander, wie immer, wenn sie sich einem Problem stellen musste. Nachdem sie sich gegenseitig abschätzende Blicke zugeworfen hatten, stolzierte sie in eine andere Richtung davon.

„Uh, wo kommt denn plötzlich diese sibirische Kälte her?“ Jemand lachte hinter ihm auf. Jonah kannte diese Stimme nur zu gut. Er drehte sich um und schlug mit dem riesigen Russen freundschaftlich ein.

„Du hattest mich vorgewarnt, Vlad!“

„Und du wolltest es trotzdem wagen. Vielleicht solltest du dir irgendwo einen Schlagbohrer besorgen, um durch ihre Mauern zu gelangen!“ Der Clubbesitzer beugte sich zu Jonahs Ohr hinab und raunte ihm auf Russisch zu: „Wenn du diesmal so eine Scheiße baust wie in Moskau, wird Anna dein kleinstes Problem sein!“

Der Amerikaner verstand diese Warnung. Er würde nicht nochmal die gleichen Fehler begehen. Nickend gab er dem Russen zu verstehen, dass er kein Interesse daran hatte, mit seinen anderen Fähigkeiten Bekanntschaft zu machen. Jonah drehte sich danach um und stellte seinen Freund vor: „Vlad, das ist Drake Halloway. Wir arbeiten beide in der Botschaft.“

„Ah, verstehe“, murmelte Vlad, während er Drake seine Hand reichte, „Ich wusste nicht, dass du heute mit deinem Partner auftauchen würdest.“

„Ich bin eher sein Babysitter!“, erwiderte Drake belustigt. „Er ist auf Bewährung.“

„Auf Bewährung? Wieso das?“

Schulterzuckend versuchte Jonah die Sache abzutun, doch Vlad sandte Drake einen Blick zu, der ihn bat, zu verschwinden, sodass die beiden ungestört darüber sprechen konnten. Drake erhob sich und meinte, dass er besser seine Freundin suchen sollte, bevor sie ihm noch davonlief.

Vlad ließ sich auf den freien Hocker fallen. Er starrte seinen Freund schweigend nieder. Jonah hasste es, wenn er dies tat. „Sie haben mich nur widerwillig wieder in den Außendienst gelassen, weil es nach meinem psychologischen Test einige Bedenken gab.“

„Wegen Moskau?“

„Nein. Wegen allem, was nach Moskau passiert war.“

Vlad betrachtete Jonah weiter schweigend. Als er immer noch nichts sagte, änderte er seine Taktik: „Anna hat daran geknabbert, dass du ohne ein Wort des Abschieds gegangen bist. Aber danach kämpfte sie mit ganz anderen Problemen.“

Als er Jonahs fragenden Blick bemerkte, erklärte er: „Sie wurde enttarnt. Ich habe sie aus dem Land geschmuggelt. War nicht gerade einfach, weil sie buchstäblich eine Zielscheibe auf dem Rücken hatte.“

„Ich habe damit nichts zu tun gehabt!“

„Das habe ich keine einzige Sekunde gedacht. So wie du Anna immer angesehen hast, wärst du lieber selbst gestorben, als sie zu verraten. Nein, es war jemand von ihren eigenen Leuten, der etwas durchsickern gelassen hat.“

„Warum sollte jemand vom BND so etwas tun?!“

„Sie ist ein paar sehr mächtigen Männern auf den Schlips getreten“, erläuterte Vlad ihm, „Und da sie diesen unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn hat, waren alle Versuche, sie auf andere Art zum Schweigen zu bringen, zwecklos.“

Über Interna hatte Anna niemals mit ihm gesprochen, doch Jonah hatte ihr immer wieder angesehen, wie sehr ihr manche Dinge gegen den Strich gingen. „Du weißt aber, für wen sie jetzt arbeitet?“

„Natürlich“, sagte Vlad und grinste. „Dieser Job ist der Grund dafür, dass ich überhaupt noch lebe. Sie wollten mich ausliefern, wenn Anna nicht zu ihrer Informantin wird. Am Anfang hatten sie wirklich keine Ahnung, wer sie ist und welche Fähigkeiten sie hat. Aber dann muss ihr Boss ihre Akte in die Hand bekommen haben, weshalb sie schneller wieder im Staatsdienst landete, als ihr lieb war.“

Nickend wanderten Jonahs Augen durch den Raum. Einige Leute erweckten kurz seine Aufmerksamkeit. Wahrscheinlich Annas Team. Plötzlich sah er sie abermals. Alles andere rückte sogleich in den Hintergrund. Sie stieg die Wendeltreppe zum VIP-Bereich hinauf. Ihr Blick fixierte ihn dabei unumwunden.

Amüsiert verabschiedete sich Vlad eilig von ihm, denn das die beiden etwas miteinander zu klären hatten, sah selbst ein Blinder. Genauso wie man die Anziehungskraft zwischen ihnen spürte.

Anna hielt Vlad an seinem Arm fest, bevor er verschwinden konnte. Leise sagte sie ihm: „Mikhail wartet im Büro auf dich.“

„Ich kümmere mich darum“, raunte er ihr zu. „Vernasche ihn nicht gleich auf dem Klo, ja? Das ist stillos.“

Kopfschüttelnd verdrehte sie ihre Augen. „Arschloch!“

Schallend lachte er daraufhin los und begab sich hinunter auf die untere Ebene.

Jonah rückte den freien Hocker neben sich zurecht. Sie folgte seiner wortlosen Aufforderung. Ihr kurzes Kleid rutschte dabei ihren wohlgeformten Oberschenkel hinauf. Jonahs Mund wurde trocken. Er erinnerte sich noch genau daran, wie sehr es ihr immer gefallen hatte, wenn er mit seinen Lippen über ihren Innenschenkel gefahren war, um sich danach ihrer feuchten Pussy zu widmen. Bei dem Gedanken, wie laut sie manchmal seinen Namen geschrien hatte, während er ihr einen Orgasmus nach dem anderen verschafft hatte, wurde er hart.

Das Schnippen vor seinem Gesicht holte ihn in die Realität zurück.

„Augen geradeaus, Jonathan!“ Die Verspannung in seiner Hose verschlimmerte sich noch mehr. Er war echt am Arsch. Besonders, als er das Zucken ihrer Mundwinkel sah. Sie wusste ganz genau, welche Qualen er in diesem Moment erlitt. Und sie genoss jede einzelne Sekunde davon.

Da er sich denken konnte, dass sie verkabelt war, nahm er kurz ihre Hand und schrieb mit seinem Finger das Wort ‚off‘ in ihre Handfläche. Er hatte kein Interesse daran, dass dieses Gespräch in irgendeinem Bericht auftauchte.

Doch sie schüttelte kaum merklich mit ihrem Kopf, wobei sie ihrerseits etwas in seine Innenseite schrieb. Sie arbeitete und hatte keine Zeit für eine private Unterhaltung.

Jonah schmunzelte. Er war also ein Teil ihrer Tarnung. Grinsend zog er sie zurück auf ihre Füße und deutete mit seinem Kopf auf die Tanzfläche. Ihre skeptische Miene offenbarte ihm, dass sie nur widerwillig mitspielte, als er sie an der Hand nahm und hinunterführte. Er postierte sie in der Mitte der Menge, sodass sie trotzdem alles im Blick behalten konnte. Sie versteifte sich kurz, als er ihren Körper an seinen zog, um eng mit ihr zu tanzen. Da es unglaublich voll war, war er sich sicher, dass niemand bemerkte, dass er seine Hände auf ihren Hintern legte. Ihm wäre beinahe ein Stöhnen entrungen, als sie ihm bereitwillig entgegenkam und ein hungriger Ausdruck ihre Augen erfüllte. Auch wenn er wusste, dass es eine ganz schlechte Idee war, wanderte seine linke Hand in ihr Haar, sodass sie seinen Kuss nicht abblocken konnte. Überrascht spürte er, wie sie seine Berührungen leidenschaftlich erwiderte. Offensichtlich konnten sie beide dem einfach nicht widerstehen, denn sie schafften es kaum sich voneinander zu lösen.

Nach einer Weile beendete Jonah allerdings ihre Liebkosungen, um sie ernst zu betrachten. Sie war alles, was er wollte. Deswegen formte er mit seinen Lippen tonlos die Worte ‚I Love You‘. Sie versteifte sich sofort. Energisch schüttelte sie ihren Kopf und versuchte, sich von ihm zu trennen, doch er verstärkte seinen Griff sofort. Er war es einfach leid, sich einzureden, dass er nicht so für sie empfand. Darum wiederholte er die Worte ein zweites Mal.

Ihre grüne Iris begann auffällig zu schimmern und ein verletzter Ausdruck beherrschte sogleich ihre Züge. Mit aller Kraft riss sie sich von ihm los. Sie rannte förmlich von der Tanzfläche. Jonah folgte ihr eilig. Ein breitschultriger Türsteher stellte sich ihm in den Weg, als sie durch eine graue Metalltür verschwand.

„Zutritt nur für das Personal.“

„Ey, Mann, ich will nur kurz mit ihr reden!“

„Na, offensichtlich will sie ja nicht mit dir reden!“, wies ihn der andere zurecht und würzte das Ganze mit einer deftigen Beleidigung.

Da Jonah immer noch sehr gut russisch sprach, verstand er ihn. Die Abneigung des Mannes kam ihm irgendwie seltsam vor, doch dann schoss ein Gedanken durch seinen Kopf. Dieser erhärtete sich, als der Typ besorgt über seine Schulter zu der Tür schaute. Langsam näherte Jonathan sich dem Türsteher und murmelte ihm auf seiner Muttersprache zu: „Zumindest habe ich schon mehr von ihr bekommen, als sie dir jemals geben wird.“

Zuerst spannte sich der Kiefer des Russen an, bevor er zum Schlag ausholen wollte.

Doch jemand trat zwischen die beiden. „Ich schmeiße dich raus, wenn du Ärger machst, Jonah!“, ermahnte Vlad ihn.

Stumm bohrte sich Jonahs Blick in die Augen des Türstehers. Er nickte seinem Freund zu und wandte sich von den beiden Russen ab. Nachdem er Drake gefunden hatte, verabschiedete er sich und verließ kurz darauf den Club.

Sie wollte ihn gerade nicht sehen. Es war zwecklos, auf sie zu warten. Wenn sie bereit dafür war, würde sie zu ihm kommen. Und dann würden sie hoffentlich ihre gemeinsame Vergangenheit aufarbeiten, um sich der Zukunft zu widmen. Denn nach all dieser Zeit, in der sie voneinander getrennt gewesen waren, hatte sich nichts zwischen ihnen geändert.

Anna trat in die dunkle Gasse und vergewisserte sich, dass sie allein war. Erleichtert sackte sie an die Backsteinmauer des Clubs.

Wieso haute sie dieser Mann nur so um? Sie hatte sich innerlich darauf vorbereitet, nachdem Vlad ihr erzählt hatte, wer heute Abend in den Club kommen würde. Trotzdem kam sie sich wie bei ihrem ersten Treffen in Moskau vor.

Anna schloss ihre Augen. Er war so einschüchternd und gleichzeitig so anziehend. Sein hellbraunes Haar war kürzer geschnitten. Doch sie erinnerte sich noch dran, wie es sich, sobald es nass wurde, leicht lockte. Diese braunen Augen umrahmt von schwarzen Wimpern strahlten immer noch geheimnisvoll. In manchen Momenten hatten sie einen stählernen Ausdruck, den er nur für seine engsten Feinde übrighatte, oder sie verschleierten sich vor Verlangen und brachten sein Lustobjekt damit zur Verzweiflung. So wie vor einigen Minuten. Ihre Reaktion war so stark gewesen, als hätte es das letzte Jahr nicht gegeben. Aber was war schon ein Jahr? Nichts, wenn sie bedachte, was alles Geschehen war.

Sie hätte vor anderthalb Jahren beinahe ihr Leben verloren und war den Männern, die sie gejagt haben, nur entkommen, weil Vlad alle seine Verbindungen genutzt hatte, um sie aus Russland rauszuschmuggeln. Leider hatte sich ihr Freund dadurch selbst eine Zielscheibe auf den Rücken gemalt. Das Einzige, was ihn gerade beschützte, war sein enormes Wissen. Er kannte die Geheimnisse von Menschen, deren Existenz der Öffentlichkeit nicht einmal bekannt war. Und diese Leute wussten, dass ihre Namen mit den ganzen schmutzigen Details in der Presse landen würden, wenn Vlad etwas passieren würde. Er hatte sich in all den Jahren genug abgesichert, um sein Leben unbehelligt führen zu können.

Das bewunderte sie an ihm. Er hatte sich selbst aus dem Dreck gezogen, in den er hineingeboren wurde. Mit dem Club hatte Vlad etwas jenseits der Unterwelt aufgebaut. Wobei er seine Wurzeln allerdings nicht vollkommen herausreißen konnte. Es würde immer ein kleiner Teil der Bratwa in ihm weiterleben.

„Anna?“, erklang es aus ihrem Ohrstecker.

„Ja, Tom?“

„Bist du in Ordnung?“

„Klar.“, sie verstellte ihre Stimme gekonnt und hörte sich nun vollkommen entspannt an. „Ist Mikhail weg?“

„Nein. Unser Leckerbissen ist noch im Club. Er hat schon nach dir gefragt.“

„Dann erscheine ich mal wieder auf der Bildfläche.“

Schwungvoll öffnete sie die schwere Metalltür. Mit schnellen Schritten durchquerte sie die verschiedenen Gänge, bis sie wieder neben der überfüllten Tanzfläche stand.

Suchend wanderten ihre Augen durch den Saal. Anscheinend war Jonah gegangen, was sie eigentlich erleichtern sollte, doch stattdessen machte sich Enttäuschung in ihr breit. Das war kein gutes Zeichen. Jetzt, da er hier in Deutschland eingesetzt wurde, würden sie sich wohl häufiger begegnen. Vor allem beruflich.

Sie hatte genug über ihn in Erfahrung gebracht, um zu wissen, dass er ebenfalls hinter dem Kravikow-Clan her war. Beatrix‘ Tod trieb ihn an, was sie ihm nicht verdenken konnte. Schließlich hatten sie nicht einmal ihre Leiche gefunden. Doch auch sie besaß egoistische Gründe, den Brüdern Mikhail und Alexej Kravikow das Handwerk zu legen.

Rache war so ein starkes Wort. Aber es ließ sich nicht leugnen. Sie war in den Staatsdienst zurückgekehrt, um endlich die Vergeltung zu bekommen, auf die sie seit zwei Jahren wartete. Außer Jonah wusste natürlich niemand davon.

Würde er sich ihr in den Weg stellen, wenn sie Alexej heimzahlen würde, was er ihrem Freund angetan hatte? Oder würde er sie machen lassen?

Anna schlenderte kurz zur Bar und erhielt dort von einem der Barkeeper einen Drink. Sie blieb einen Moment an der Theke stehen. Es fiel ihr schwer, alle Gedanken an den Amerikaner zu vertreiben. Er war ihre Achillessehne. Und sie hasste es. Dieser offensichtliche Angriffspunkt schwächte sie.

„Na, worüber zerbrichst du dir dein hübsches Köpfchen?“, holte sie eine tiefe Stimme in die Realität zurück.

„Das ist nicht wichtig, Mikhail.“, versuchte Anna ihn abzuwimmeln. Der riesige Russe verkörperte die Dunkelheit, in der er taktierte. Und sie wollte verhindern, dass er Jonah als Bedrohung ansah. Denn das könnte gefährlich für diesen werden.

„Ach, kleines Vögelchen.“, seufzte er auf. Er legte eine seiner Pranken auf ihr Kreuz, während er sich an den Tresen lehnte. „Ich erkenne ein gebrochenes Herz, wenn ich es sehe. Und dieser Amerikaner hat deines offensichtlich in Stücke gerissen. Sonst hättest du ihm vorhin deine Faust in die Fresse gerammt, anstatt vor ihm davonzulaufen.“

„Was weißt du schon über gebrochene Herzen, Mikhail? Du bist doch derjenige, dessen Weg damit gepflastert ist.“

Schmunzelnd beugte er sich ein Stück zu ihr herunter. „Ich versichere dir, selbst mein Herz wurde schon einmal gebrochen. Eigentlich sogar mehr als einmal. Von der gleichen Person.“

Interessiert drehte sich Anna ihm leicht zu. „Sie muss eine außergewöhnliche Frau sein, wenn du dies mehrmals zugelassen hast.“

„Das ist diese Sache mit der Liebe. Sie ist das Schlimmste und gleichzeitig auch das Schönste auf dieser Welt. Und was soll ich sagen? Sie muss nur mit ihren Fingern schnippen und ich komme angerannt wie ein kleiner Hund.“

Die Vorstellung belustigte die Deutsche so sehr, dass sie lachen musste. „Ich glaube, dass ich dir helfen sollte. Ich kann nicht zulassen, dass du weiterhin so ein dressierter Hund bist.“, verschwörerisch winkte sie ihn mit ihrem Finger näher an sich heran, „Widerstehe diesem Drang. Nur ein einziges Mal. Und sie wird merken, dass sie dieses Spiel nicht ewig mit dir treiben kann. Für Frauen gibt es nämlich nichts Schlimmeres, als wenn ihr Mann plötzlich kein Interesse mehr an ihnen hat. Sie wird dann wissen wollen, was los sei. Und das musst du ausnutzen. Werfe in einem Nebensatz ein, dass es da diese andere gibt. Und dann, Mikhail, wirst du derjenige sein, der sie an der Angel hat!“

„Was für ein teuflischer Plan!“, prustete er los.

„Ich versichere dir, dass es funktioniert!“

Grinsend betrachtete der Russe sie. „Der arme Amerikaner.“, schlussfolgerte er daraus und amüsierte sich deswegen köstlich.

„Er war derjenige, der zuerst seine Fühler ausgestreckt hat.“, erwiderte Anna kichernd, „Also brauchte ich praktisch nur zuzugreifen.“

„Hast du heute deshalb auch dieses Outfit an?“

„Ich wollte ihm nur zeigen, was er verloren hat.“

„Oh, ich bin mir sicher, dass du das vorhattest. Allerdings scheint es nicht wirklich funktioniert zu haben. Ihr wart nämlich kurz davor, in der Horizontalen zu landen. Und das mitten auf der Tanzfläche.“, neckte er sie.

Missmutig verzog sie ihr Gesicht. „Er ist der einzige Mann, dem ich einfach nicht widerstehen kann.“

„Und dein gebrochenes Herz möchte, dass er es wieder heilt?“

Schulterzuckend blickte sie zu ihm auf. „Schwer zu sagen, ob es jemals heilen wird. Oder ob er es nur noch schlimmer macht.“

„Weißt du, was dagegen helfen würde?“

„Sex mit einem anderen Mann?“, durchschaute sie seine Taktik.

„Natürlich! Es würde dich ablenken und deinem Typen mächtig ans Bein pissen.“

Gackernd schüttelte Anna ihren Kopf. „Oh, Mikhail, ich will dein Leben nicht riskieren. Denn er ist leider sehr besitzergreifend und kann es überhaupt nicht ausstehen, wenn jemand auch nur interessiert in meine Richtung schaut.“

„Das habe ich mitbekommen.“, brüllte er schallend los, „Anton und er hätten sich beinahe geprügelt, wenn Vlad nicht dazwischen gegangen wäre. Dein Amerikaner scheint eine schnelle Auffassungsgabe zu haben, wenn er so schnell hinter Antons Beweggründe gekommen war.“

Augenrollend stöhnte sie auf. „Männer! Immer müsst ihr alles mit den Fäusten regeln! Das ist doch lächerlich!“

„Insgeheim gefällt es euch Frauen doch, wenn wir das Alphatier raushängen lassen.“, stichelte er sie.

„Nicht alle Frauen sind so gestrickt, Mikhail.“

Seine Mundwinkel zuckten auffällig. „Ja, du bist definitiv nicht so. Dich macht es sogar regelrecht an, das Sagen zu haben. Mich würde es reizen, herauszufinden, ob du in jeder Lebenslage so bist. Oder ob du dich auch mal fallen lassen kannst.“

Lächelnd entgegnete sie ihm. „Das wirst du heute definitiv nicht herausfinden.“, danach wandte sie sich von ihm ab und verschwand in der Menge. Anna wusste, dass sie ihre Angel gerade sehr weit ausgeworfen hatte, aber sie hatte das Gefühl, dass der Kopf des Kravikow-Clans darauf anspringen würde. Und dank ihres Gesprächs hatte sie einen Hinweis auf seine Schwachstelle erhalten.

Als sie sich in einer sicheren Entfernung von ihm befand, bewegte sie kaum merklich ihre Lippen. „Sucht nach dieser Frau! Ich brauche mehr Informationen über sie.“

„Und wenn es sie nicht gibt? Bisher haben wir schließlich auch nichts über eine Beziehung gefunden. Vielleicht war das nur eine Masche von ihm!“, erklang Doros Stimme skeptisch.

„Vertrau mir, es gibt sie!“, betonte Anna. Sie erteilte ihrem Team noch einige Anweisungen, bevor sie alle in den Feierabend schickte.

Sie selbst blieb zwei weitere Stunden, um ihre Tarnung aufrecht zu erhalten. Die Angestellten glaubten nämlich, dass sie zusammen mit Vlad den Club managte. Was eine dieser Halbwahrheiten war, die ihr Leben ausmachte.

Sie hatte diesen Club mit Vlad aufgebaut, nachdem sie beim BND gekündigt hatte. Etwa drei Monate bevor der Verfassungsschutz an ihre Tür geklopft hatte. Um ihren Freund vor einer Abschiebung zu bewahren, war sie widerwillig zur Informantin geworden.

Als Mikhail das erste Mal in Berlin aufgetaucht war, hatte sie begonnen seine Fährte aufzunehmen / gegen ihn zu ermitteln. Allerdings war sie schnell an ihre Grenzen gekommen. Aus diesem Grund war sie in den Staatsdienst zurückgekehrt.

Es überraschte sie immer noch, dass ihr Chef ihr solche Freiheiten erlaubte. Doch solange die Ergebnisse stimmten, ließ er ihr vieles durchgehen. Und dass Vlad ebenfalls mitspielte, machte diese Maskerade um einiges einfacher.

Bisher gab es nur eine Handvoll von Leuten, die wussten, für wen sie wirklich arbeitete. Vlad und ihre Schwester waren die Einzigen aus ihrem privaten Umfeld. Selbst ihren Eltern hatte sie noch nichts davon erzählt. Und das mit gutem Grund.

Im Gegensatz zu ihrem Stiefvater würde ihre Mutter keine Freudensprünge machen. Sie war die Einzige gewesen, die sie in ihrem Entschluss, dem BND den Rücken zuzukehren, unterstützt hatte. Ihre Mutter hatte sich sogar gegen ihren eigenen Mann durchgesetzt und Vlad nach ihrer Flucht bereitwillig aufgenommen.

„Du solltest endlich nach Hause gehen!“, forderte Vlad sie auf.

„Ich bin gleich fertig.“ Anna blickte nicht einmal von ihrem Bildschirm auf, während sie die Umsätze der letzten Tage in eine Tabelle eintrug. „Wir haben schon wieder Gewinn erzielt. Das würde rechtfertigen nochmal den Lohn anzuheben.“

„Ich schaue mir morgen die Zahlen an.“, meinte er und ließ sich auf die breite Couch gegenüber ihres Arbeitsplatzes fallen. Der Russe beobachtete sie einen Augenblick, bis er ihr unauffällig ein Zeichen gab.

„Wir sind off. Du kannst also sagen, was du sagen willst! Auch wenn ich es sicherlich nicht hören will!“

Die erheiterten Laute, die er von sich gab, zeigten ihr, dass ihre Vermutung richtig war. „Ich liebe deine Art, mich zum Teufel zu schicken!“

„Ich will nicht über ihn reden.“

„Das willst du schon seit über einem Jahr nicht! Und trotzdem müssen wir es tun!“

„Wegen Mikhail?“

„Nein, Anna! Wegen dir!“

Sie wendete sich von ihrem Bildschirm ab. „Das wird nicht noch mal passieren!“

Lachend lehnte sich Vlad zurück. „Oh, Anna! Red dir das nur weiter ein! Denn es wird definitiv mehr als nur das passieren!“ Da er ihre abwehrende Haltung erkannte, fügte er ruhiger hinzu: „Ihr seid wie zwei Magneten, die sich gegenseitig anziehen. Ihr könnt nicht ohneeinander. Du kannst gerne versuchen, vor ihm wegzulaufen, doch Jonah wird dich immer wieder einfangen.“

Plötzlich tauchte vor ihren Augen sein Gesicht auf. Seine Lippen formten diese Worte, die sie letztes Jahr nur zu gern geglaubt hatte. Doch nun wollte sie ihm einfach nicht glauben. Um die Bilder zu vertreiben, schüttelte sie entschieden ihren Kopf.

„Weißt du, dass ich dich noch nie weglaufen gesehen habe? Selbst als wir auf der Flucht waren, hast du lieber gekämpft. Aber vorhin, da wusste ich, dass du am liebsten bis ans andere Ende der Welt gerannt wärst, nur um nicht mehr in seiner Nähe zu sein.“ Langsam beugte er sich über seine Knie, sodass er sie mit einem intensiven Blick mustern konnte. „Er muss also etwas gesagt haben, was du nicht hören wolltest.“

Anna zuckte nur kurz mit ihren Achseln und widmete sich wieder dem Bildschirm.

Nach einer langen Pause entwich Vlad: „Er liebt dich also immer noch?“

„Das geht dir nichts an!“

Grinsend ließ er sich wieder an die Lehne fallen. „Ihr seid schon ein Paar!“

„Wir sind nichts dergleichen!“

„Anna, muss ich dich daran erinnern, was ich über euch weiß? Außerdem ich habe genau gesehen, was ihr da auf der Tanzfläche gemacht habt. Und so, wie ihr euch geküsst habt, wirst du deiner Familie wohl bald von deinem Geheimnis erzählen müssen!“ Er griff in seine Hosentasche und schmiss ihr eine Visitenkarte zu. „Das hier hat er übrigens für dich an der Garderobe hinterlegt. Ich verstehe zwar nicht, was das bedeutet, aber es muss wichtig sein, wenn er einen Code verwendet.“

Anna nahm das rechteckige Papier und flüsterte: „Ich kann es erklären.“

„Was kannst du erklären?“

„Das steht hier.“, erwiderte sie ihm. Dass darunter auch noch die Adresse des Amerikaners stand, erwähnte sie allerdings nicht. Er wollte sicherlich nicht, dass jeder davon erfuhr. Sonst hätte er nicht den Code benutzt, den sie zusammen entwickelt hatten.

„Und willst du seine Erklärung hören?“

Sie schaute von der Karte auf. „Irgendwie schon. Aber ich muss zuerst über ein paar Dinge nachdenken, bevor ich mich dem stelle.“

Einen Moment betrachtete Vlad die Frau, die inzwischen wie eine Schwester für ihn war. Er räusperte sich, um endlich das anzusprechen, was er schon seit Wochen mit sich herumtrug. „Äh, Anna, ich muss dir etwas sagen.“

Schmunzelnd entgegnete sie ihm: „Willst du sie nach einem Date fragen und bittest mich jetzt um meinen Segen?“ Als er sie daraufhin nur überrascht anstarrte, verriet sie ihm: „Gott, Vladimir! Ich habe Augen im Kopf! Und seit ihr aufgehört habt, euch wie Hund und Katze ständig anzufauchen, ist es sogar noch viel offensichtlicher! Meine Mutter nörgelt mir seit Monaten die Ohren voll, dass ich dir doch mal einen Schubs in die richtige Richtung verpassen soll!“

„Wie bitte?!“

„Warum denkst du wohl, hat Stella ihren Freund abgeschossen?!“

„Hat sie dir das so gesagt?!“

„Nein!“, betonte Anna energisch. „Aber ich kenne meine Schwester! Stella hat sich in den letzten Wochen doch sehr auffällig verhalten! Vor allem, weil sie plötzlich Russisch lernen wollte!“

Ein Lächeln erfüllte die Miene des Mannes, bevor er nochmals ernst wurde. „Es ist also okay für dich?“

„Boah, Vladimir! Ich sollte dabei überhaupt keine Rolle spielen! Es ist eure Sache!“

„Trotzdem ist Stella deine Schwester!“

„Und? Du bist wie ein Bruder für mich!“

„Dann werde ich dich beim Wort nehmen.“, meinte er und erhob sich wieder. In der Tür drehte er sich abermals um. „Fahr einfach zu ihm, hör dir seine Erklärung an und dann kannst du immer noch über alles nachdenken.“

Misstrauisch bohrte sie nach: „Du weißt doch irgendetwas.“

„Jonah war heute mit einem Drake hier. Er soll so eine Art Babysitter sein. Jedenfalls erzählte Jonah mir vorhin, dass er auf Bewährung sei, weil es nach seinem Psychotest wohl Bedenken über seine Dienstfähigkeit gab.“

Anna brauchte einen Augenblick, um die Bedeutung dahinter zu verstehen, doch dann schaltete sie schnell ihren Computer aus und schnappte sich eilig ihre Jacke. „Ich muss sofort gehen!“

Energisch hielt Vlad sie am Arm fest. „Was ist los?“

„Es gibt nicht viele Fälle, in denen man ein solches Gespräch führen muss. Deswegen verstehe ich jetzt auch, warum er einfach verschwunden ist. Seinen Eltern muss etwas passiert sein.“

„Wieso bist du dir da so sicher?“

„Sobald irgendetwas mit deinen Angehörigen ist, wirst du zurückgepfiffen. Egal, ob du im Innen- oder Außendienst bist. Du wirst umgehend beurlaubt. Allerdings musst du einen Psychotest nur bestehen, wenn es sich um einen Sterbefall handelte. Ich hatte schon mit Menschen zu tun, die in ihrer Trauer vollkommen freigedreht sind. Darum ist er auf Bewährung. Sie wollen nicht, dass er im Außeneinsatz plötzlich überreagiert.“

„Glaubst du, dass dies passieren könnte?“, hakte der Russe nach.

„Ich weiß es nicht. Jeder verarbeitet seine Trauer anders.“

Da sie sich von ihm befreien wollte, verstärkte er seinen Griff. „Du weißt es schon, aber du willst es mir nicht sagen!“

Anna schaute unumwunden zu ihm auf. „Ich glaube, dass es nur noch eine Person gibt, die ihm wirklich wichtig ist. Also wird er alles tun, was nötig ist.“

„Um dich zu beschützen.“

Nickend stimmte sie ihm zu, bevor sie sich endgültig von ihrem Freund löste. Zügig verließ sie den Club. Auf dem überwachten Parkplatz, wo sie ihr Auto immer abstellte, blickte sie sich intensiv um. Schon seit einiger Zeit hatte sie die Befürchtung observiert zu werden. Doch sie erkannte nie den gleichen Wagen in ihrer Umgebung. Allerdings verschwand dieses unbestimmte Gefühl auch nicht. Da sie wusste, wie sensibel die Information über Jonahs Wohnung war, nahm sie sich vor, einen besonders großen Umweg zu fahren. Nachdem sie den Zündschlüssel gedreht hatte, erwachte der Motor zum Leben. Sam Smith sang kurz darauf ‚Writing’s On The Wall‘.

Sie liebte die James-Bond-Filmreihe. Schmunzelnd erinnerte sie sich daran, wie sich Jonah oft über sie lustig gemacht hatte. Als wenn die Realität nicht schon spannend und actiongeladen genug gewesen wäre. Trotzdem hatte er sich nie lange bitten lassen, sobald sie einen Filmabend vorgeschlagen hatte. Wahrscheinlich hatte er aber auch nur immer zugestimmt, damit sie diesen winzigen Funken Normalität miteinander genießen konnten.

Sie überquerte die Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Mitte, als ihr ein Fahrzeug im Rückspiegel auffiel. Ihr Bauchgefühl riet ihr, einen anderen Weg einzuschlagen. Deswegen setzte sie ihren Blinker und wendete sich nach Osten.

Ihre Wohnung lag in der Simon-Dach-Straße, weshalb sie vorerst in diese Richtung fuhr. Mehrere Straßenzüge folgte ihr der Wagen. Doch als sie ihr Auto weiter nach Lichtenberg lenkte, bog das andere Fahrzeug irgendwann ab.

Anna wusste nicht, ob sie langsam paranoid wurde. Oder ob man sie tatsächlich observierte. Nach einer weiteren Runde parkte sie vor ihrem Haus. Misstrauisch schaute sie sich um. Es schien alles wie immer zu sein. Allerdings musste dies nichts heißen. Während sie sich auf den Weg zur Warschauer Straße machte, behielt sie ihre Umgebung weiterhin im Auge.

Auf dem Bahnsteig der U1 musterte Anna unauffällig die anderen Menschen. Die meisten von ihnen waren Feierwütige, die aus irgendeinem der umliegenden Clubs kamen. Trotzdem wechselte noch mehrmals an verschiedenen Haltestellen die Züge. Erst als sie sich zu hundert Prozent sicher war, dass ihr niemand folgte, steckte sie ihre Kopfhörer in ihre Ohren. Leise erklang ‚She will to be loved‘, was sie unweigerlich zu dem Moment zurückversetzte, als ihr Jonah zum ersten Mal aufgefallen war.

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