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Zuhause in mir

Zuhause in mir · Romane

‚Zuhause in mir‘ handelt von Philippa, deren Leben aufgrund eines lange ungeklärten Missverständnisses seine gewöhnliche Struktur verliert.

Was möchtest du mit dem Buch bewirken?

Wie weit darf man gehen, um seine Wünsche zu verwirklichen? Wie viel Wahrheit verträgt der Mensch? Und was ist am Ende wirklich wichtig?

Über den/die Autor:in

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Vera Kerick wurde 1979 im Rheinland geboren. Nach dem mit der Promotion abgeschlossenen Studium der Kunstgeschichte an der Universität Münster und einem MBA an der TU Chemnitz war sie zunächst im Bere...

Zu dritt auf der Treppe wirkt alles wieder so beengt und klein, immerhin gehen wir aufwärts. Wenngleich die Treppe vermutlich ganz normale Maße hat, kommt mir seit Kurzem das ganze Haus vor wie eine Puppenstube. Ich finde die Räume winzig, die Decken niedrig, Bad und Küche eng und altmodisch. Auch die dunkle Holzvertäfelung verstärkt den gedrungenen Eindruck. Die Stufen ächzen knarzend unter unseren Schritten. Die beiden Herren reden miteinander, ich verstehe nicht alles, versuche aber, ihnen zu folgen. Mutter bleibt unten. Sie vertraut mir, das hat sie schon immer getan.

Wir bleiben in dem Zimmer stehen, in dem Mutter schläft, es geht zur Straße. Ich sehe mich um und staune über die Veränderungen der letzten Tage. Hier stehen sogar schon Umzugskisten, ein Altkleidersack liegt halbvoll davor. Mutter hat sich sofort an die Arbeit gemacht. Die Pläne für den Umbau des Hauses reifen jeden Tag ein bisschen mehr, in unseren Köpfen viel schneller noch als auf dem Papier. Dabei bin ich erst seit so kurzer Zeit wieder hier. Wann bin ich gelandet, vor sieben Wochen, vielleicht acht?

„Da bekommen wir aber ein Problem mit der Höhe“, sagt der Statiker jetzt, und mir wird sofort heiß. Ich merke, wie sich jeder Muskel anspannt, denn Missverständnisse erkenne ich momentan noch bevor sie passieren. Wenn ich derzeit für eines im Leben sensibilisiert bin, dann für das: Ein Missverständnis, so unglücklich es auch zustande gekommen sein mag, kann alles zerstören. Und Missverständnisse sind immer ein Unglück. Vor einigen Tagen habe ich mich sogar in ein zufällig mitgehörtes Gespräch im Supermarkt eingemischt, obwohl das Missverständnis, dass sich dort anbahnte, sicher auch ohne meine Mithilfe geklärt worden wäre.

Eigentlich ist das gar nicht meine Art. Ich mische mich nicht gerne ungefragt ein. Überhaupt sage ich sehr selten meine Meinung, womöglich viel zu selten. Seit ein paar Wochen denke ich oft darüber nach, ob mir einiges im Leben erspart geblieben wäre, wenn ich mehr über die Dinge gesprochen hätte. Was hätte vermieden, was viel früher gesagt werden können, vielleicht müssen? Und warum fällt es oft so schwer, zur rechten Zeit die passenden Worte zu finden? Ist das Leben der Menschen, die ständig und über alles reden, einfacher? Wie leicht wären insbesondere Missverständnisse vermeidbar, immer wieder stelle ich mir diese Frage. Wäre man doch nur aufmerksamer, hörte man genau hin.

Ein aufrichtiges, klärendes Wort zum richtigen Zeitpunkt, so einfach wäre es gewesen.

„Sie wissen, dass wir die Dachgaube verbreitern möchten?“, frage ich also den Statiker, der gerade dabei ist, sich mit dem Architekten misszuverstehen.

„Ach so, nein, das war mir jetzt gerade nicht bewusst.“, gibt dieser zurück und blättert geschäftig in seinen Unterlagen, den ersten Skizzen. Zugegeben, die Pläne sind druckfrisch, er kann sie noch nicht allzu lange studiert haben.

Die Herren verstehen sich nun wieder, beugen sich gemeinsam über die großen Zettel und diskutieren. Ich atme erleichtert auf.

„Wir könnten den Dachboden entfernen, dann gewinnen sie im Obergeschoss massiv an Höhe, würde ihnen das gefallen?“, der Architekt blickt kurz zu mir.

Er zieht an der alten, klappbaren Holztreppe, die in das winzige Dachgeschoss führt. Einen Architekten hätte ich mir irgendwie anders vorgestellt, stattlich und förmlich vielleicht. Dieser ist klein und stämmig, eine gemütliche Frohnatur mit rundem Gesicht. Er spricht einen derben Dialekt, der nach geselligem Beisammensein in einer Bierkneipe klingt. Ich würde mich nicht wundern, wenn er uns gleich das Du anböte. Trotz der gedrungenen Räume muss er sich enorm strecken, um an die Klappleiter heranzureichen.

„Das klingt gut, ja, einen Dachboden brauchen wir ohnehin nicht.“, gebe ich zurück.

Mir wird etwas mulmig bei dem Gedanken an die verstaubten Dinge, die dort oben liegen. Meine Kindheit und Jugend in Pappkartons verpackt. Sämtliche Erinnerungen, die immer das gleiche auslösen: eine Mischung aus den seligmachenden Verklärungen der guten, alten Zeit und dem überlegenen Wissen, dass man nun klüger, reifer ist. Ein Trauern über das schöne Vergangene gepaart mit der Erleichterung, dass vieles vorüber ist.

Der Architekt fängt an, mit dem Statiker ein paar Optionen durchzuspielen, und ich schalte wieder ab. Ich kann dem Gespräch mit all dem Fachvokabular nicht mehr ganz folgen, aber es klingt in meinen Ohren kompliziert, teuer, aufwändig. Viel zu groß. Plötzlich schwindet mein Optimismus, der mich die letzten Tage getragen hat. Übernehmen wir uns mit dem Projekt? Finanziell und auch ideell? Mit Mutter wieder unter einem Dach, nach all der Zeit?

Nach allem, was passiert ist.

 

Wir gehen die Treppe wieder hinunter, die Herren möchten noch einen Blick ins Wohnzimmer werfen. Sie inspizieren eine leicht schimmelige Stelle an der Wand, indem sie einen Teil der alten Tapete ablösen. Mutter kommt dazu. Sie zieht ihre lange, hellblaue Strickjacke etwas fester um den Körper und verschränkt die Arme. Dann lehnt sie sich gegen den Türrahmen. Der amüsierte Ausdruck in ihren Augen und das Schmunzeln sind womöglich dem witzigen Dialekt des Architekten geschuldet, der gerade ausschweifend über die Vorteile des geplanten Anbaus spricht. Diesen Blick hatte sie schon immer, er lässt sie viel jünger wirken, als sie ist. Sie streicht sich eine inzwischen graue Strähne aus dem Gesicht und zwinkert mir zu.

Mir gelingt es immer noch nicht, das Wohnzimmer ohne ein ungutes, ein mulmiges Gefühl zu betreten. Jedes Mal überkommt es mich wieder, es lässt mich erschauern, selbst körperlich spüre ich die Verletzungen der Seele.

Hier geschah es.

Obwohl es so lange her ist, obwohl die Wunde geheilt, die Lage nun klar ist, wird es in diesem Raum besonders notwendig zu renovieren. Hier muss alles anders werden, etwas ganz Neues entstehen. Der hölzerne Sekretär steht harmlos an der Wand, als könne er kein Wässerchen trüben und kein Geheimnis bergen. In diesem Zimmer endete an einem trüben Tag im Januar vor vielen Jahren mein erstes Leben und es begann mein zweites. Warum soll das nicht noch einmal funktionieren? Vielleicht beginnt hier und jetzt mein Leben Nummer drei.

 

Lange Zeit dachte ich, dass ich meine beiden Leben voneinander trennen könnte.

Ich hatte mich damit abgefunden, dass mein altes Leben, das erste, was ich gelebt hatte, zu Ende war. Ich hatte es geliebt, mein erstes Leben. Und nie gewollt, dass es endet. Aber darüber hat man keine Macht. So sind die Regeln nicht, manche Dinge passieren einfach.

Auch das musste ich lernen, denn ich war einst der Auffassung, dass man selbst in der Hand hat, wie das Leben verläuft. Dass alles eine Aneinanderreihung von geplanten Dingen ist, dass man Entscheidungen trifft, Macht hat über das, was passiert. Aber das stimmt auch nicht.

Mein zweites Leben, mein Leben in Australien, mochte ich irgendwann auch. Es war ein langer Weg gewesen, ein Kampf gegen die Dämonen, ein Ringen mit der Identität, doch final fühlte ich mich wieder lebendig. Und als ich dachte, dass es nun gut sei, als ich endlich zufrieden war, änderte sich wieder alles. Und wiederum konnte ich nur zusehen.

Die Dinge geschehen.

Und nichts steht für sich allein.

So sehr ich mich mühte, von meinem alten Leben nichts in das neue hereinzulassen, es klappte nicht. Das Leben einer Person lässt sich nicht in Teile aufspalten, es besteht nicht aus eigenständigen Episoden. Immer bleibt etwas vom Vergangenen in einem. Alles durchdringt einander, es ist unmöglich, die Vergangenheit auszulöschen.

Und so wird es auch jetzt wieder sein. Die Altlasten wandern mit in mein drittes Leben. Der Unterschied ist nur, dass jetzt aufgeräumt ist, dass alle Unklarheiten, Ungewissheiten, dass alle Missverständnisse bereinigt sind. Ich bin bereit.

 

Der fröhliche Architekt und der Statiker verabschieden sich schließlich, nachdem wir über den groben Zeitplan gesprochen haben. Es gibt für alle viel zu tun, es müssen Gewerke angefragt und Entscheidungen gefällt werden. Ausräumen, aufräumen, umräumen. Mir schwirrt der Kopf. Ich begleite die Herren zur Tür, dann kehre ich ins Wohnzimmer zurück, in dem Mutter nun am Tisch sitzt. Wir schauen gemeinsam noch eine Weile auf die ausgebreiteten Pläne.

Wäre ich nicht zurückgekommen, hätte Mutter das Haus bestimmt bald verkauft. Doch wir beide hängen daran, mögen das kleine, unscheinbare Häuschen. Die Gründe dafür sind sicherlich verschieden. Wie sagte Mutter neulich?

„Alles, was Vater und ich im Leben wollten, das war dich, Philippa, und dieses Haus.“

Inzwischen weiß ich, was sie meint.

Meine Kindheit hier im Schwanenweg war glücklich. Meine frühen Erinnerungen sind geprägt von Spielen mit den Nachbarskindern auf der verkehrsberuhigten Straße, von Abenteuern im Garten, von behüteten Stunden mit meinen Eltern. Kurz sehe ich mich mit Antonius auf der Arbeitsplatte in der Küche sitzen, wir trinken Kakao und sehen Mutter dabei zu, wie sie den Plätzchen-Teig ausrollt. Es soll unser Haus bleiben.

Ich reiße mich aus den Gedanken, Mutter möchte, dass wir alles nochmal durchsprechen. Zwei Eingänge soll es künftig geben und zwei getrennte Wohneinheiten. So kann jede für sich sein, und doch sind wir zusammen. Ein Anbau ist geplant, der sich an das bisherige Wohnzimmer anschließen soll. Dadurch wird der Garten zwar kleiner, aber die größere Wohnfläche ist wichtiger. Umbauten im Dachstuhl sind geplant, neue Fenster, dazu die Erneuerung der Elektrik, der sanitären Anlagen.

Ob ein Neubau nicht die bessere Lösung sei, hatte ich anfangs den Architekten nur halb im Spaß gefragt, doch der hatte verneint. Es sei doch gerade reizvoll, aus altem Bestand etwas Neues zu schaffen, hatte er meine Bedenken zu zerstreuen versucht. Und seine Planungen klingen nun auch reizvoll und überzeugend. Mutter ist sowieso mit allem einverstanden. Sie sieht mich ständig lächelnd an, sie ist glücklich. Es scheint ihr egal zu sein, was auf uns zukommt, solange ich da bin.

„Vielleicht sollte ich zuerst einen Arbeitsvertrag unterschreiben, bevor wir uns hier an ein solches Umbauprojekt wagen“, versuche ich vorsichtig, meine Bedenken auszudrücken. Mein Blick schweift über die alten Möbel, bleibt kurz an der braunen Schrankwand hängen, dann am Sekretär. Das alles muss raus.

„Sagtest du nicht, dass es kein Problem sein wird, etwas zu finden?“, Mutter zieht die Lesebrille ein Stück herunter und schaut nun doch etwas ernster.

„Doch, ich hoffe es zumindest…“, gebe ich zögerlich zurück.

Es stimmt schon, es gab einige Ausschreibungen, die gut passen würden, gerade hier in der Gegend. Aber man weiß ja nie. In Australien habe ich die letzten Jahre in einem großen Kinderbuchverlag als Lektorin gearbeitet. Manchmal habe ich auch selbst Bilderbücher illustriert. Was als Spaß anfing, führte zum Gewinn zweier sehr renommierter, nationaler Preise für meine Illustrationen, in Australien wäre ein neuer Job kein Problem, aber hier?

„Du wirst sehen, wir schaffen das.“

Gewohnt resolut steht Mutter auf. Wenn es Probleme gibt, werden sie gelöst, für Mutter ist das klar und einfach. Sie legt die Brille beiseite und verschwindet in der kleinen Küche.

 

Vielleicht kann Antonius mir bei der Jobsuche helfen. Er kennt in jeder Branche irgendwen, der hilfreich ist, er hat überall Kontakte. Mich würde es sehr wundern, wenn es diesmal anders sein sollte.

Beim Gedanken an Antonius bessert sich meine Laune schlagartig. Ich freue mich so sehr auf unser Wiedersehen. Zwar habe ich ihn in den letzten Jahren öfter gesehen als Mutter, aber immer noch viel zu selten.

Antonius, mein bester Freund, mein Seelenverwandter.

Der einzige, der mich Pippa nennt. Seit Kindertagen.

Ich blicke auf die Uhr, es wird Zeit. Ich verabschiede mich von Mutter, trete an die kleine Kommode im Flur und nehme den Stapel großer Briefumschläge mit. Die ersten vier Bewerbungen sind immerhin schon fertig, ich werde sie unterwegs einwerfen.

Obwohl ich erst wenige Wochen zurück in der Heimat bin, ist alles so unendlich vertraut. Natürlich hat sich einiges verändert, doch so vieles fühlt sich bekannt an, an jeder Ecke lauern Erinnerungen an gute, alte Zeiten. Der kleine Kiosk in dem roten Backsteinhaus wurde nie renoviert. Sogar der Kaugummiautomat, der wie aus der Zeit gefallen scheint, ist noch in Betrieb. Auch der Briefkasten steht immer noch davor an gleicher Stelle, ich werfe rasch alles ein. Dann nehme ich die Straßenbahn, sie scheint zwar ein neueres Modell zu sein, hat aber die gleiche Nummer und fährt dieselben Stationen an wie früher.

Ich habe keine Ahnung, warum wir uns im Stadtpark treffen, aber ich habe auch nicht nachgefragt. Antonius ist der unkonventionellste Mensch, der mir je begegnet ist, schon lange frage ich nicht mehr nach seinen Beweggründen. Mich wundert auch nichts, das hat es noch nie getan. Ich kenne Antonius schon mehr als dreißig Jahre, mich bringt er nicht aus dem Konzept. Aber ich weiß auch, wie er auf andere Menschen wirkt.

Er ist das, was man eine Erscheinung nennt.

Gepflegt und hübsch ist er, aber auch extravagant, auffällig, besonders. Ein schillernder, bunter Vogel. Ich kenne niemanden, der das Leben so sehr liebt wie er. Er liebt Frauen, Männer, große Partys, lange Nächte, tiefe Gespräche. Vor zehn, fünfzehn Jahren hatte er eine kurze seriöse Phase. Er absolvierte sein Grafik-Studium mit einer Akribie und Ernsthaftigkeit, die ich nicht von ihm kannte. Amüsiert beobachtete ich es damals aus der Ferne und wunderte mich nicht, als sein wildes, unstetes Leben nach Beenden des Studiums wieder so richtig Fahrt aufnahm. Er arbeitete beim Fernsehen, in der Modebranche, designte ein Porzellanservice für eine hippe Firma. Mal hier, mal dort, am liebsten überall.

Seine beruflichen Aufgaben ändern sich nach wie vor so schnell wie seine Aufenthaltsorte, er fliegt durch die Welt, hat überall Freunde, Aufträge, ein Leben am Limit. Zuhause ist er eigentlich selten. Was für ein Glück, dass wir uns gleich sehen.

Die Ablehnung, die ihm seine konservativen Eltern entgegenbringen, ist seit jeher gespielt. Natürlich können sie seinen Lebensstil nicht verstehen, sich nicht erklären, wie er so anders sein kann als sie selbst. Schon als Kind passte er nicht in diese Familie. Der Vater, ein angesehener Notar, und die Mutter, eine reservierte, kühle Schönheit. Dazu die große Gründerzeitvilla, der exklusive Lebensstil, das viele Personal. Während sein Bruder Christian all die Erwartungen der Eltern erfüllte, schoss Antonius ständig quer. Das schräge Findelkind, das nicht ins Bild passte. Aber tief in ihren Herzen lieben sie ihn alle, niemand kann sich seiner warmen Art erwehren.

„Ich flippe aus, du bist zurück!“, schrie er vor einigen Wochen ins Telefon, als ich ihm von meiner spontanen Rückkehr aus Australien erzählte. Er sei unterwegs, hätte so viel zu tun, so schade, jetzt müsse unser Wiedersehen noch etwas warten, er melde sich.

Im Park nun also.

Ich finde mühelos die von ihm beschriebene Bank. Eigentlich bin ich pünktlich, aber von Antonius ist noch nichts zu sehen. Auch wieder typisch. Immer kommt er zu spät, wirbelt aufgedreht unter hastigen Entschuldigungen heran, und niemand ist ihm böse.

Ich blicke mich um, hier war ich wirklich lange nicht mehr. Die Sonne zeigt sich nur für kurze Momente hinter den schnell vorbeiziehenden Wolken, für einen Frühlingstag ist es noch viel zu kalt. In der Ferne sehe ich einen Spielplatz, der seine besten Tage hinter sich zu haben scheint. Auf der Wiese davor müht sich eine junge Frau mit zwei verspielten Hunden ab. Richtung Westen grenzt der Park an den Garten der Städtischen Kliniken. Ich sehe weit hinten einen Rollstuhlfahrer, der im Gras parkt und das Gesicht den wenigen Sonnenstrahlen entgegenstreckt. An mir vorbei fährt eine Frau mit einem breiten Kinderwagen, Zwillinge. Es ruft in mir das gleiche dumpfe Gefühl hervor wie immer. Es war schon schlimmer, denke ich kurz, doch ob es jemals vergeht? Die Mutter sieht genervt und müde aus, aus einer der Babywannen ertönt Geschrei.

Mir hilft das nicht, ich fühle mich trotzdem schlecht.

Wo bleibt Antonius?

Hoffentlich hat er den ganzen Abend für mich Zeit, es gibt so viel zu erzählen. Es ist Freitag, später Nachmittag, vielleicht gehen wir etwas essen oder in eine Bar? Ich habe keine Ahnung, wo man in dieser Stadt ausgeht in unserem Alter. Als ich fortging, war ich noch so jung.

Ein altes Ehepaar spaziert auf dem Gehweg zu einer anderen Bank und setzt sich. Sonst ist außer einem Jogger niemand zu sehen. Nur der Rollstuhlfahrer hat sich in Bewegung gesetzt und kommt näher. Er sieht bemitleidenswert aus, dünn, keine Haare, er kommt kaum vorwärts. Ich werde langsam ungeduldig und sehe wieder auf die Uhr.

Ausgerechnet vor meiner Bank kommt der Rollstuhlfahrer zum Stehen. Er dreht den Stuhl mit aller Kraft in meine Richtung und lächelt schief. Wie zum Hohn reißen die Wolken in dieser Sekunde auf, und die Sonne erleuchtet den gesamten Park, diese Bühne des Schreckens.

„Hallo, Pippa.“

„Scheiße.“, höre ich mich fast zeitgleich sagen.

Dann füllen sich meine Augen mit Tränen.

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