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Feilkode 418

Kildean - Fluch der Aura

Kildean - Fluch der Aura · Romane

Der 17-jährige Kildean kämpft gegen einen Auretiker, der Natur und Menschen ihrer Aura beraubt. Kann er sein Land vor der Verwüstung retten?

Hva vil du med boka?

Der Roman soll die Leser vor allem spannend unterhalten und in eine fantastische Welt entführen. Mit der fehlenden Naturverbundenheit, der Aggressivität und dem Egoismus werden aktuelle Themen unserer Gesellschaft angesprochen und können ein wenig zum Nachdenken anregen.

Om forfatteren

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Bücher habe ich schon immer gelesen, ein Leben ohne Bücher kann ich mir nicht vorstellen. Mit dem Schreiben hab ich dagegen recht spät angefangen. Zuerst absolvierte ich zwei Kurse bei der Schule des ...

Kapitel 1

Kildean schloss die Tür des Hauses hinter sich. Einmal noch schlafen, dann begann ein neuer Abschnitt in seinem Leben, sein Bündel war gepackt. Beim Gedanken daran durchfuhr ihn ein freudiges Kribbeln.

So früh am Morgen streichelte die Sonne sein Gesicht nur, ihr fehlte die Kraft. Tagsüber strahlte sie schon eine Wärme wie im Sommer aus. Auf dem Weg zum Brunnen grüßten ihn einige Dorfbewohner und gratulierten zum Erreichen des Mannesalters. Er winkte ihnen zu und lächelte. Duft von frischgebackenem Brot stieg ihm in die Nase, als er an der Backstube vorbeiging. Er warf einen Blick hinein und fragte nach einem Laib.

„Bring mir einen Sandhasen, dann kriegst du zwei“, brummte Pakon, der Bäcker.

Kildean schaute ihn enttäuscht an. Jagen war die Arbeit seines Zwillingsbruders. Zusammen mit ihrem Vater sorgte Nekon für die Familie. Er selbst konnte es nicht, alles in ihm sträubte sich dagegen. Das Einzige, was er vermochte, war, Kräuter zu sammeln für Tees und Arzneien der Heilerin. Das brachte ihm das ein oder andere Kupferstück ein. Davon konnten sie von vorbeifahrenden Händlern Öl und Kleidung kaufen. Nekon steuerte wesentlich mehr zum Haushalt bei. Und bald würde er seine eigene Familie gründen, sobald er eine passende Frau gefunden hatte, während er selbst noch lange nicht daran denken konnte. Resigniert stapfte er zum Brunnen, um seine Flasche zu füllen.

Als er den Eimer hinunterlassen wollte, erblickte er auf seinem Boden einen Käfer, der sich vergebens bemühte zu entkommen. An den Wänden fand er keinen Halt. Er paddelte in der verbliebenen Wasserlache und versuchte abzuheben. Einmal gelang es ihm, aber der Weg zur Freiheit war zu weit. Schließlich fiel er erschöpft auf das Wasser zurück. Kildean empfand Mitleid, ließ ihn auf seinen Finger krabbeln und hob ihn heraus. Mit seiner Aura spendete er ihm Kraft und lächelte, als das Tierchen munter wurde.

„Flieg, kleiner Käfer, flieg“, flüsterte er und blickte ihm voll Freude hinterher, bis er verschwand.

Dann schöpfte er Wasser aus dem Brunnen und trank ein paar Schlucke. Eiskalt rann es seine Kehle hinab und ließ ihn frösteln. Es wurde Zeit, dass die warme Jahreszeit begann. Er schaute sich um. Die Brennholzstapel neben den Häusern waren geschrumpft, auch die Nahrungsvorräte gingen zur Neige. Nur in wenigen Wohnungen lagen Äpfel vom Vorjahr auf dem Schrank, manch einer besaß noch Rotwurzeln, die sie auf den kargen Feldern hinter dem Dorf gepflanzt hatten. Äcker, die nicht viel hergaben, durchsetzt mit Steinen und kaum lockerer Erde. Und im Herbst war die Beute der Jäger spärlich gewesen, von Jahr zu Jahr wurde es weniger.

Trotzdem fand am Nachmittag eine Feier zu Ehren seines und Nekons Geburtstag statt, zugleich sein Abschiedsfest.

Kurz schnürte ihm seine Beklemmung den Hals zu und legte einen Schatten über das Dorf. Kildean atmete mehrmals tief durch, kniff die Augen zusammen und blinzelte die Dunkelheit fort. Mit neuer Kraft machte er sich auf den Weg zum Treffen mit Marja, um mit ihr die letzten Stunden unbeschwert zu genießen.

Während er den steinigen Weg auf die Hochfläche des kleinen Hügels erklomm, streifte Kildean die Bedenken vor dem nächsten Tag ab. An manchen Stellen war der Aufstieg rutschig durch das Geröll und die Kiesel, die den Weg bedeckten. Doch die letzten Meter glitt er voller Vorfreude wie von selbst über den Pfad.

Oben hatten sich die Blüten der Sträucher geöffnet und verströmten einen würzigen Duft. Bienen summten, Käfer und vereinzelte Schmetterlinge flatterten umher und kündeten vom Ende des harschen Winters.

Und inmitten der erwachten Natur stand Marja. Sie schaute erwartungsvoll zu ihm und eilte auf ihn zu, ihre langen blonden Haare hatte sie geflochten und zu einem Kranz hochgesteckt. Sein Herz fing an zu hüpfen. Sie hatte ihr schönstes Kleid angezogen. Er schämte sich, dass er sich nicht bereits für das Fest gekleidet hatte. Sein Wams wies den ein oder anderen Flecken auf, seine grobe Hose hatte ein Loch am Knie. Und seine Haare standen vermutlich wirr um den Kopf.

„Ich wünsche dir alles Liebe zum Geburtstag!“ Sie lächelte und umarmte ihn.

„Danke dir, Marja.“ Er sog ihren Duft ein, sie roch nach dem jungen frischen Gras, das bereits an einigen Stellen die Erde durchbrach. Nach den Kräutern, die ihre Knospen geöffnet hatten und zwischen deren Blüten die Bienen emsig hin- und herflogen. Aber da war auch ein anderer Geruch. Bitter wie Wermut lag er auf der Zunge. Es war der unangenehme Beigeschmack des nahenden Abschieds. Beim Gedanken daran wurde Kildean wieder schwer ums Herz und nur ungern löste er sich von Marja.

„Komm“, sagte er und umschloss ihre Hand. Zusammen liefen sie ein paar Schritte zum Rand des Plateaus. Kurz nahm er das Bild der Steppe in sich auf, überall durchbrachen Farbtupfer der Blüten das Grau und Braun der Steine und Sträucher. Bald würde alles über und über bedeckt sein mit einem Teppich von Frühjahrsblühern.

Dann zeigte er mit der Hand nach Norden. „Siehst du die schneebedeckten Bergspitzen in der Ferne? Das ist das Tambucán-Gebirge. Man sagt, es habe noch niemand durchquert. Es zieht sich bis zur großen Öde im Westen. Dahinter lebt Xantheros, bei dem ich die Lehre antreten soll.“ Er stockte, als er daran dachte. Marja warf ihm einen raschen Blick zu, und er fing sich wieder. „Morgen geht es los. Meine Mutter begleitet mich. Wir reisen erst nach Osten, in Richtung der Hauptstadt, Arudikár.“

Er runzelte die Stirn, als er die dunkle Wolkenfront betrachtete, die sich dort seit Tagen erstreckte. Ein Unwetter? So lange schon? Es schien nähergerückt zu sein. Er schüttelte seine Bedenken ab und erzählte weiter.

„Von Arudikár aus geht es dann um das Tambucán-Gebirge herum zu Xantheros. Wir werden wochenlang unterwegs sein.“ Er wollte es noch eine Weile genießen, wie sie dort standen, Hand in Hand, und ließ seine Gedanken schweifen.

Da drang vom Fuß des Hügels geschäftiger Lärm herauf. Unter ihnen erstreckte sich sein Heimatdorf Kuéde. Die Bewohner eilten durch die Straßen und waren in die Vorbereitungen für das anstehende Fest vertieft. Männer riefen sich lautstark etwas zu, eine Frau schimpfte hinter johlenden Kindern her. Kildean schmunzelte.

Unversehens tauchten Erinnerungen aus seiner Kindheit auf. Wie er sich mit seinem Bruder und dessen Freunden einen Ball zugeworfen hatte und sie im Eifer des Gefechts gegen Jonsta gestoßen waren, der Kisten voller Obst schleppte. Die Äpfel kullerten in alle Richtungen. Er schimpfte und schrie sie an, so wütend hatte Kildean ihn nie erlebt. Sie sammelten kleinlaut die Äpfel ein und verdrückten sich mit gesenkten Blicken. Oder wie sie Yattasch einen Streich gespielt haben und das Brennholz, das er links neben dem Haus gestapelt hatte, heimlich rechts aufgesetzt haben. Sie mussten über sein Gesicht lachen, als er verwirrt davor stand und nur noch den Kopf schüttelte.

Und nun halfen sie alle mit. Die einen bereiteten vielerlei Speisen vor, jeder steuerte seine letzten Vorräte an Essen und Trinken bei. Die anderen schleppten Tische und Bänke zum zentralen Platz und schmückten ihn festlich. Trotz der Entbehrungen des harten Winters herrschte eine ausgelassene Stimmung in dem normalerweise stillen Dorf. Wehmütig betrachtete Kildean das vertraute Bild, das 17 Jahre seine Welt gewesen war. Er sog die Atmosphäre in sich auf. Das Stück Heimat würde er immer mit sich herumtragen, egal wohin es ihn verschlug.

Marja drückte seine Hand, sie schien seine Traurigkeit zu spüren. Sie zog ihn zu den Felsen, wo sie sich auf seinen Umhang setzten.

Kildean begann kleine Steinchen neben sich aufzusammeln und in die Büsche zu werfen. Ein leichtes Unwohlsein stieg in ihm auf, als er an morgen dachte. Er wandte sich Marja zu und schaute sie unsicher an. Sollte er ihr seine Bedenken anvertrauen? Strahlend blauen Augen, die so ungetrübt waren wie der Himmel an einem Sommertag, blickten ihn zuversichtlich an. Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, und er schob seine Zweifel beiseite und begann zu reden.

„Marja, ich freue mich sehr auf morgen, aber es gibt so vieles, was misslingen kann“, fing er an und schaute zu Boden. „Allein die weite Reise, der Weg ist lang und voller Gefahren. Und wenn ich bei Xantheros bin, werde ich die Kraft besitzen, die meine Aufgabe erfordert? Was passiert, falls ich die Ausbildung nicht schaffe? Ich würde alle im Dorf enttäuschen, insbesondere meine Eltern.“ Er sah todunglücklich zu Marja. „Warum kann Nekon nicht gehen?“

Marja strich über seinen Rücken. „Deine Mutter wird einen Grund haben, dass sie dich und nicht deinen Bruder gewählt hat. Furchtlosigkeit ist nicht alles, was zählt. Liebe zur Natur ist für einen Auretiker viel wichtiger.“

„Aber es ist eine der höchsten Aufgaben im Land. Diese Verantwortung tragen zu müssen macht mir Angst.“

„Du wirst das schaffen, ich glaube an dich. Wenn es dir hilft, ich werde manchmal auf den Hügel steigen, in deine Richtung sehen und an dich denken. Und ich werde auf deine Rückkehr warten.“ Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und legte ihren Kopf auf seine Schulter.

„Oh, störe ich euch etwa?“, tönte es vom Pfad her. Eine kräftige Gestalt mit dunklen Haaren bog die Büsche auseinander und stapfte die letzten Meter zur Hochfläche. Es war Nekon. Natürlich musste sein Zwillingsbruder unversehens auftauchen. Er baute sich vor ihnen auf und stemmte die Hände in die Hüften. Hinter seinem Rücken ragten ein Jagdbogen und ein Köcher voller Pfeile hervor. Mit zusammengepressten Lippen starrte er die beiden an, sein Gesicht war blass. Sein Begleiter, ein furchterregendes Tier mit schwarzem Fell, das entfernt an einen riesigen Wolfshund erinnerte, wich nicht von seiner Seite. Es schien Kildean mit seinen feurigen Augen zu durchbohren.

Marja und Kildean lösten sich hastig voneinander und sprangen auf. Kildean spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. „Es ... Es ist nicht so, wie du denkst. Es ist wegen morgen.“ Er senkte den Blick.

„Ach, hast du etwa Angst?“, spöttelte Nekon. Der Kuru knurrte, die Lefzen hochgezogen, die Reißzähne gebleckt. Schon jetzt reichte er ihm bis zur Hüfte, und er wuchs immer weiter. Kildean wich ein Stück zurück.

„Du bist unerträglich,“ schimpfte Marja.

„Ich an seiner Stelle wäre froh, hier wegzukommen. Fremde Gegenden sehen, Abenteuer erleben“, entgegnete Nekon und warf seinem Bruder einen verächtlichen Blick zu. Er drehte sich um und streichelte den Kuru, der vor Freude winselte und mit dem Schwanz wedelte.

„Brav, Rapak, du bist der Beste!“

Plötzlich hielt er kurz inne. Vorsichtig spähte er durch die Akazienbüsche, nahm langsam seinen Ebenholzbogen in die Hand und legte einen Pfeil ein. Voller Konzentration fixierte er einen Punkt und spannte die Sehne des Bogens.

„Was machst du?“ Ein Schauer kroch Kildeans Rücken hoch.

„Pscht“, fauchte Nekon. Der Pfeil zischte davon, es knackte und raschelte im Gebüsch, dann war es still. „Getroffen“, stieß er stolz hervor, reckte seine geballte Faust und stapfte los, um seine Beute einzusammeln.

Kildean spürte das Erlöschen einer kleinen Aura, ihm schnürte es die Kehle zusammen vor Überraschung und Schmerz. „Warum hast du das getan?“, rief er ihm entsetzt nach. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Nekon schien es zu genießen, er hatte gewollt, dass Kildean den Tod des Tieres miterleben musste. Weshalb? War er neidisch? Auf Marja, auf seine Ausbildung? Er runzelte die Stirn. Früher waren sie ein Herz und eine Seele gewesen, hatten alles zusammen unternommen. Wann hatte das aufgehört?

Nekon kehrte zurück, den toten Sandhasen hatte er über die Schulter geworfen. Er baute sich vor Kildean auf und schaute ihn verbittert an: „Einer muss den Festbraten für deine Abschiedsfeier schießen. Du weigerst dich doch.“

Plötzlich drang ein unbestimmtes Gefühl auf Kildean ein. Etwas war anders, irgendwie falsch. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen. Die Vogelrufe waren verstummt, keine Biene summte mehr. Es war, als hätte die Natur den Atem angehalten. Er sah sich um.

„Was ist los?“, fragte Marja.

„Irgendetwas stimmt nicht. Merkt ihr nicht, wie ruhig es geworden ist?“ Kildean schirmte seinen Blick gegen die Sonne ab. Da, im Nordosten entwickelte sich inmitten der dunklen Wolkenfront ein heller Fleck. Er kniff die Augen zusammen, konnte aber auf diese Entfernung nichts erkennen. Doch das flaue Gefühl, das ihn befallen hatte, wollte nicht weichen. Er rief den anderen zu: „Wir sollten ins Dorf laufen, ich spüre Gefahr.“

„Was denn, jagt dir nun schon das Wetter Angst ein?“ Nekon sah ihn verächtlich an.

Kildean ignorierte ihn, schnappte sich Marja, und beide hetzten hinunter zu den Häusern.

Kapitel 2

Atemlos erreichte Kildean mit Marja das Dorf. Seine Mutter stand auf dem zentralen Platz und starrte konzentriert in die Richtung der dunklen Wolkenfront.

"Mutter", rief Kildean, „was kommt da auf uns zu?“

„Es scheint eine Horde Reiter zu sein, die herangaloppiert. Wir müssen vorsichtig sein, wer weiß, was sie im Schilde führen.“ Sie wandte sich zu Kildean um und sagte: „Sollte mir etwas zustoßen“, sie schaute ihn eindringlich an, „musst du allein zu Xantheros reisen. Zeig ihm die Schriftrolle, darauf steht alles geschrieben. Sie liegt unter den Dielen, mitsamt dem gesparten Gold. Nimm es an dich. Und jetzt geh hinter unser Haus und versteck dich!“

„Mutter!“, rief er. Doch sie reagierte nicht mehr auf ihn.

Etliche Dorfbewohner gesellten sich zu ihr, bewaffnet mit Stöcken und Äxten, auch sein Vater fand sich ein. Nekon stellte sich neben ihn.

„Kildean“, Marja berührte ihn am Arm. „Ich muss Sonia aus der Schule holen.“ Sie eilte davon.

„Marja!“ Kildean schaute zu ihr, zu seiner Mutter und wieder zu ihr. Er setzte an, um ihr nachzugehen.

„Kildean verschwinde auf der Stelle!“, befahl seine Mutter noch einmal. „Und du, Nekon, folgst ihm!“

Verblüfft über den strengen Ton rannte Kildean los und verbarg sich hinter einem nahe gelegenen Haus. Sein Bruder war in der Menge untergetaucht, die feurigen Augen seines Kurus blitzten ab und zu zwischen den Dorfbewohnern auf.

Nach einiger Zeit hörte Kildean Pferdegetrappel, die Horde erreichte das Dorf. Sein Herz pochte, als er um die Ecke schaute. Ein schwarz gekleideter Mann galoppierte in die Dorfmitte zu den versammelten Bewohnern und riss an den Zügeln seines Rappen. Das Pferd scheute und stieg. Hinter ihm drängte die restliche Meute auf den Platz. Es mochten etwa zehn Reiter sein. Ihre Gäule zertrampelten die Kisten, die am Rande gestapelt waren. Zwei Pferdekarren rollten heran und blieben in einiger Entfernung stehen. Ein weiterer Mann in einem langen weißen Gewand lenkte seinen Hengst in die Mitte. Seine imposante Gestalt flößte Kildean Grauen ein.

Der Schwarzgekleidete schrie den Dorfbewohnern etwas zu und wies auf seinen Kumpan neben ihm. Als ob sie es unterstreichen wollten, fingen alle an zu brüllen: „Woktar, Woktar!“, und schlugen mit ihren Waffen auf die Schilde. Das schien der Name des Anführers zu sein. Der streckte sein Schwert in die Höhe. Abrupt herrschte Stille.

Kildean erstarrte, seine Hände schwitzten.

Nun richtete Woktar mit kräftiger Stimme einige Worte an die Leute: „Ich suche den Auretiker, der unter euch weilt. Gebt ihn heraus und es wird nichts geschehen. Solltet ihr euch weigern, nun, so wird Theron hier“, er deutete auf den Schwarzgekleideten, „meinen Willen notfalls mit Gewalt durchsetzen.“ Das Gesicht des Anführers sah unerbittlich aus.

Um seine Worte zu unterstreichen, zückte Theron sein Schwert und kitzelte dem Nächstbesten die Kehle damit. Doch die Bewohner schwiegen eisern.

„Nun, ich warte.“ Woktar musterte die Leute mit einem durchdringenden Blick. Er dirigierte sein Pferd zu einem Mann in vorderster Reihe. „Wer ist es? Sagst du es mir?“

Der erstarrte vor Schreck und brachte keinen Ton heraus. Der Anführer trat ihn mit seinem Stiefel, er stolperte, fiel und kroch schnell davon.

Theron schwang sein Schwert einige Male hin und her. Eingeschüchtert wichen die Dorfbewohner ein paar Schritte zurück, nur der Dorfälteste Gothla stapfte erzürnt auf Woktar zu und baute sich vor ihm auf. Der nahm die Zügel seines Pferdes in eine Hand und stützte die andere auf den Knauf des Sattels. Nervös tänzelte sein Hengst auf der Stelle. Er fixierte Gothla, der ihn anherrschte, mit seinen Augen und hocherhobenem Kopf. Dann nickte er Theron zu, der lenkte seinen Rappen vor ihn und drohte dem Dorfältesten. Ein Wortwechsel entbrannte, immer lauter schrien die beiden sich an. Gothla fuchtelte mit seinem Stab herum. Theron sprang herab, riss ihm den Stock aus den Händen und warf ihn in hohem Boden zur Seite. Plötzlich zog er sein Schwert und drückte ihm die Spitze an die Kehle. Da schnellte Kildeans Vater hervor. Er stieß die Klinge beiseite und stellte sich schützend vor den alten Mann. Wild gestikulierend brüllte er Theron an.

Gebannt verfolgte Kildean das Geschehen. Er verstand nur Wortfetzen: „... kein Auretiker hier ... abziehen, sonst ...“

Der Vater wandte sich seinen Leuten zu und beschwor sie: „... lassen ... nicht einschüchtern ... verteidigen ...“

Die Dorfbewohner rückten wieder näher, die Stöcke und Äxte erhoben.

Theron schnippte mit den Fingern, seine Gefährten ritten auf sie zu. Diese drängten sich jedoch eng zusammen und bildeten eine Mauer. „...letzte Warnung ... gebt Auretiker heraus ..., sonst ... alle gefangen“, schnappte Kildean auf.

Sein Vater rief seinen Leuten etwas zu, ihre Gesichter waren entschlossen, die Stöcke und Äxte hielten sie vor sich. Die Bande ritt auf sie zu und die Pferde trampelten in die Menge. Schließlich stürzte sich sein Vater wütend auf Theron. Der verlor die Geduld und stieß ihm das Schwert in den Leib. Er sank auf den Boden, die Hand auf die Wunde gepresst. Ein roter Fleck breitete sich auf seinem Wams aus. Ungläubig starrte er auf das herausströmende Blut, dann erschlaffte er und lag reglos da.

Kildean zuckte zusammen, ein erstickter Schrei entwich seiner Kehle. Er war wie gelähmt, konnte den Blick nicht vom Geschehen abwenden. In den Mienen der Dorfbewohner flackerte die Angst. Sie rannten davon, einige sanken auf die Knie und baten um Gnade.

Da kämpfte sich seine Mutter aus der Menge und stürzte zu ihrem Mann hin. Sie kniete nieder, redete auf ihn ein, schüttelte ihn, aber er reagierte nicht. Als sie erkannte, dass er tot war, stieß sie einen klagenden Schrei aus. Sie erhob sich, drehte sich zu Theron und stürmte immer noch schreiend, nun mit wutverzerrtem Gesicht, auf ihn zu. Wie eine Furie trommelten sie mit ihren Fäusten auf seinen Lederharnisch. Doch er lachte nur. Auf ein Fingerschnippen hin stiegen zwei Kumpane vom Pferd und zerrten sie von ihm weg. Sie wand sich in deren Armen und verteilte Fußtritte. Vor Schmerz krümmte sich der eine zusammen. Wütend versetzte ihr daraufhin der andere eine heftige Ohrfeige. Sie stürzte mit dem Kopf auf eine Kiste und regte sich nicht mehr.

„Das haben sie nun davon. Es ist eure Schuld, dass sie tot sind. Hättet ihr den Auretiker herausgegeben, wäre das nicht geschehen. Nun, dann werdet ihr uns eben allesamt begleiten“, sagte Theron.

Kildean zog sich zurück, seine Knie zitterten, er lehnte sich an die Hausmauer. Er konnte nicht klar denken, sein Herzschlag hämmerte in den Ohren. Seine Beine gaben nach und er sank auf den Boden. Eiseskälte umfing ihn, seine Zähne klapperten. Schwärze machte sich vor seinen Augen breit. Fast wollte er nachgeben, doch dann hörte er in seinen Gedanken die Stimme seiner Mutter, die ihn beschwor, Xantheros aufzusuchen. Nein, er durfte nicht in Ohnmacht fallen. Er hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen. Er wimmerte, wie sollte er alles ohne sie bewältigen?

Er zwang sich, einen Blick um die Ecke zu werfen, wo Theron nun den Dorfbewohnern befahl, Vorräte zusammenzutragen. Hektisch rannten sie umher und holten die letzten Lebensmittel aus ihren Wohnungen. Einige Männer von der Bande machten es sich auf dem Platz bequem und durchwühlten die herbeigeschleppte Nahrung, andere fingen an, die Häuser zu durchkämmen. Theron überwachte alles auf seinem Pferd. Woktar hatte sich in den Hintergrund zurückgezogen.

Etwas an Kildeans Mutter hatte die Aufmerksamkeit eines Kerls angezogen. Er drehte den leblosen Körper auf die Seite und fingerte an ihrem Hals herum. Bevor er die Kette einstecken konnte, war Theron bei ihm und schnappte sie sich. Er betrachtete sie kurz und stopfte sie in die Hosentasche.

Kildean unterdrückte einen Aufschrei. Nicht den Anhänger! Wie sollte er Xantheros unter die Augen treten ohne das Amulett?

Aus einer Hütte schleiften die Männer Stühle und Regalbretter herbei. Sie entzündeten johlend ein Lagerfeuer damit. Plötzlich ertönte in einem der Häuser in der Nähe ein Jubelschrei. Mit zwei Flaschen Branntwein in der Hand schoss einer der Schurken aus der Tür. Die anderen stürmten hinein. Danach gab es kein Halten mehr. Jede Wohnung stellten sie auf den Kopf. Schreiend liefen die Frauen heraus, die rohen Kerle hetzten hinter ihnen her und fingen sie ab. Die Dorfbewohner rannten panisch umher. Kildean bangte um Marja und Nekon, sie waren nirgendwo zu sehen.

Da tauchte direkt vor ihm ein rothaariger älterer Mann auf und blickte ihm in die Augen. „Verschwinde auf der Stelle, so weit du kannst“, zischte er ihm zu und drehte sich um. „Hier ist niemand mehr“, rief er den anderen zu.

Kildean zuckte zurück. Verwirrt, zitternd, die Beine schwer wie Blei, kroch er im Schutz der Sträucher auf allen Vieren dem nahen Wäldchen entgegen. Hinter einem Baum richtete er sich auf und schaute, ob ihm jemand folgte. Kein Mensch war zu sehen. Er hastete tiefer in den Wald hinein, stolperte, fiel, stand wieder auf, nur weiter, immer weiter. Dornen stachen in seine Haut, Äste peitschten ihm ins Gesicht, Blut rann die Wange herab, doch er spürte nichts.

Erst als er in das Zentrum des kleinen Wäldchens gelangt war, wurde er langsamer und schnaufte durch. Hinter einem Baum ließ er sich er sich ins Moos fallen. Er verbarg sein Gesicht in den Händen und wimmerte leise. Vor seinem inneren Auge wiederholten sich die Szenen, wie sein Vater zu Boden sackte, wie seine Mutter nach dem Sturz nicht mehr aufstand. Er hörte immer wieder ihre Schreie. Schließlich dachte er an Nekon, Marja und Sonia, Furcht kroch ihm den Rücken hoch. Wo waren sie nur? Hatten sie sich in Sicherheit bringen können? Hoffentlich geschah ihnen nichts. Bitte Ardanna, hilf ihnen. Tränen rannen von Kildeans Fingern hinab auf sein Wams. Mit der Zeit bildete sich ein großer dunkler Fleck auf seiner Brust.

Es dauerte eine ganze Weile, bis der Schleier vor seinen Augen verschwand. Sein Kopf war leer, er starrte ins Nichts. Da drängte sich ein Gedanke in sein Bewusstsein, warum hatte der Fremde ihn verschont? Er wusste keine Antwort.

Einige Zeit noch drangen das Gejohle der Männer und die Schreie der Frauen durch das Unterholz. Schließlich wurde es still. Der Schein des riesigen Lagerfeuers schuf eine gespenstische Atmosphäre im Wald. Die flackernden Schatten der kahlen Bäume und Äste gaukelten Kildean Kerle vor, die ihn ergreifen wollten. Bei jedem Knacken schreckte er hoch. Es dämmerte schon fast, als er endlich erschöpft einschlief.

Nekon wartete mit seinem Kuru im Versteck, bis die Horde am nächsten Morgen abgezogen war. Dann wagte er sich heraus und näherte sich der Dorfmitte. Auf dem Platz zeugten die Überreste vom Gelage, leere Flaschen lagen herum, das Feuer glimmte noch. In der Nähe eines Hauses fand er die Leichen seiner Eltern, notdürftig beiseitegeschafft. Ein Stich durchzog seine Brust, als er sie dort liegen sah. Im Dorf schien kein Mensch mehr zu sein, er rief ein paarmal, niemand antwortete ihm. Offensichtlich hatte das Pack sämtliche Dorfbewohner mitgenommen. Aber wozu?

Er versuchte, hochsteigendes Unbehagen auszublenden, und suchte nach einer Schaufel. Mithilfe von Rapak schleppte er die Körper seiner Eltern an den Rand des Dorfes zu einem ehemaligen Beet. Hier war die Erde weich und er fing an zu graben.

Währenddessen stiegen bittere Gedanken in ihm hoch. Warum hatte seine Mutter nicht ihn als Schüler bestimmt? Zwar kam Kildean nicht einmal eine halbe Kerze später zur Welt, aber er, Nekon, war der Erstgeborene, er hatte das Recht auf die Ausbildung. Und er besaß wie sein Zwillingsbruder die Fähigkeit, Aura zu spenden. Mit jeder Schaufel Erde, die er aus dem Loch beförderte, steigerte sich seine Wut. Und Marja, sie hatte sich für Kildean entschieden, hatte ihn abgewiesen. Was fesselte sie nur an ihm? Er war ein Feigling, konnte nicht mit ansehen, wie Tiere leiden. Alles Ausreden, um nicht jagen zu müssen und für die Familie zu sorgen. Seine Freunde machten sich lustig über ihn, nannten ihn eine Memme. Und so jemand würde das Schicksal des Landes bestimmen? Sollte die Welt im Gleichgewicht halten? Lachhaft. Jetzt bot sich ihm, Nekon, die Gelegenheit. Er war der einzige Überlebende. Xantheros würde, nein müsste ihn ausbilden. Mutter war tot, nun fehlte ein Auretiker. Und Kildean war verschwunden, bestimmt hatten sie ihn geschnappt.

Er legte die Schaufel am Rand der Grube ab und kletterte hinaus. Dann nahm er seinen toten Vater und bettete ihn vorsichtig hinein. Liebevoll kreuzte er die Arme auf seinem Körper und betrachtete ihn ein letztes Mal, prägte sich sein Bild ein. Schließlich gab er sich einen Ruck, stieg aus dem Grab und schnappte sich den Spaten. Mit jeder Schippe Erde, die er hinabwarf, tropfte auch eine Träne hinunter. Er schniefte und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Gut, dass ihn niemand sah. Am Schluss stampfte er den Boden fest, damit kein wildes Tier den Körper ausgraben konnte. Nach einer kurzen Verschnaufpause widmete er sich der Grube für seine Mutter.

Als er anfangen wollte, ihr Grab zuzuschütten, hörte er die verhasste Stimme seines Bruders.

„Du lebst. Ardanna sei Dank.“

Nekon schloss die Augen, wie eine riesige Welle stieg die Wut in ihm hoch.

„Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe.“ Kildean stürmte zu ihm hin und umarmte ihn heftig.

Der stieß ihn von sich. „Ach, bist du auch endlich da? Es ist schon fast Mittag, ich habe inzwischen zwei Gruben ausgehoben. Hast dich wieder mal erfolgreich gedrückt.“ Er schmiss ihm die Schaufel vor die Füße. „Du kannst das letzte Grab auffüllen, ich geh meine Sachen packen.“

Kildean stand wie erstarrt da. Schließlich sank er nieder, sein Blick fiel auf das Antlitz seiner Mutter. Gib mir Kraft, das durchzustehen, flüsterte er. Nekon drehte sich mit einem bösen Lächeln um und lief zu ihrem Haus. Drinnen lagen herausgezogene Schubladen herum, der Inhalt auf dem Boden verstreut. Möbel waren umgestürzt, offensichtlich hatte die Bande alles durchsucht auf der Suche nach wertvollen Dingen. Er suchte Sachen für die Reise zusammen, Kleider, eine Decke und packte, was er finden konnte, in sein Bündel. Seinen Bogen für die Jagd und den Köcher mit den Pfeilen schwang er auf den Rücken. Mit einem Messer hebelte er eine Diele vom Fußboden hoch. Das Säckchen lag noch darin, es war ihnen entgangen. Nekon schüttete die Gold- und Kupfermünzen in seine Hand, sie würden ihm auf seiner Reise gute Dienste leisten. Und da lag eine Schriftrolle, neugierig las er sie. Bei Rodark, sie wies Kildean als Nachfolger der Mutter aus. Wütend zerknüllte er sie. Doch dann hielt er inne, glättete sie wieder und steckte sie ein. Mit einem Grinsen im Gesicht trat er hinaus und lief zu seinem Bruder.

Der war inzwischen fast fertig mit dem Zuschütten des Grabes. Nekon trat zu ihm und sagte: „Ich werde zu Xantheros aufbrechen. Warum solltest du die Ausbildung antreten? Ich bin der Erstgeborene und habe die gleichen Aurafähigkeiten.“

Kildean flüsterte: „Das kannst du nicht tun. Mutter hat mich ausgewählt.“

„Sie ist tot. Niemand kann mich hindern. Ach ja, ich habe mir das Gold aus dem Versteck genommen. Sie hätte es sicher gewollt, jetzt, wo ich die Reise antrete. Aber ich lasse dir etwas da, ich bin kein Unmensch.“ Er schnippte ihm ein Goldstück zu.

Kildean stürmte mit wutverzerrter Miene auf ihn zu, ergriff mit beiden Händen sein Hemd und zischte ihm zu: „Du elender Verräter.“

Da fing Rapak an zu knurren. Kildean ließ von seinem Bruder ab und sank zu Boden. „Verlass mich nicht, bitte“, jammerte er. „Wir können zusammen reisen.“ Er klammerte sich an Nekons Bein, doch der schüttelte ihn ab. Verzweifelt nahm er die Hände vor das Gesicht und wimmerte.

Zufrieden befestigte Nekon sein Gepäck mit einem Seil am Kuru und legte ihm ein Geschirr zum Reiten um, das er selbst gefertigt hatte. Er wollte sich auf Rapak schwingen, da drehte er sich noch einmal um. „Wo ist eigentlich das Amulett? Mutter hatte es nicht um, und sie trug es doch Tag und Nacht.“

Mit tränenüberströmtem Gesicht wandte sich Kildean ihm zu und sagte tonlos: „Theron hat es gestohlen.“

Kildean sah Nekon davonreiten. Wann hatte sich sein Zwillingsbruder so verändert? Es hatte vor einem halben Jahr begonnen, als ihre Mutter Kildean zu ihrem Nachfolger bestimmt hatte. Danach war ein tiefer Graben zwischen Nekon und ihm entstanden und er hatte es nicht wahrhaben wollen. Zu sehr war er von seinen Ängsten und Erwartungen gefangen gewesen. Er fühlte sich schuldig gegenüber seinem Bruder.

Nekon machte seitdem oft allein Streifzüge, manchmal kam er tagelang nicht nach Hause. Von einem dieser Ausflüge kehrte er aus vielen Wunden blutend heim, seine Kleidung war zerfleddert, und in seinen Armen trug er ein verletztes kleines Tier. Mutter erklärte ihm, es sei ein Kuru. Damals schien Nekon so glücklich gewesen zu sein. Nie hatte er darüber gesprochen, was geschehen war. Er pflegte den Kuru, und seitdem folgte dieser ihm überall hin.

Kildean fühlte sich entsetzlich verlassen, allein, ganz auf sich gestellt. Schmerz um seine Eltern erfasste ihn, Mutlosigkeit, wenn er an Nekon dachte. Er hockte erstarrt vor Leid an den Gräbern. Sein Bruder wollte ihm das Letzte wegnehmen, das ihm etwas bedeutete, die Ausbildung zum Auretiker. Kurz spielt er mit dem Gedanken, ihn gewähren zu lassen, er war zu gelähmt, darum zu kämpfen. Doch dann fiel ihm Marja ein, die sagte, seine Mutter hatte nicht ohne Grund ihn ausgesucht und nicht Nekon. Der war, wie er merkte, zerfressen von Neid. Mutters Leitspruch kam ihm in den Sinn: „Folge immer deinem Herzen. Dein Innerstes weiß, was du tun musst.“ Und sein Herz gehörte der Natur.

Er griff sich das Goldstück und stand mit bleiernen Beinen auf. Jetzt könnte er seine beste Freundin, Marja, gebrauchen. Doch was mit den Dorfbewohnern, mit Marja passiert war, daran durfte er nicht denken. Sicher hatte die Horde dafür gesorgt, dass niemand fliehen konnte. Nun ging es erst einmal um sein Überleben. Dann musste er überlegen, wie er alle retten konnte. Und wie er sich das Amulett verschaffen konnte und zu Xantheros kam. Er stöhnte. Es war zu viel für ihn allein. Das konnte er nie schaffen. Ach, Mutter, was soll ich nur tun?

Er beschloss, Schritt für Schritt vorzugehen. Selbstmitleid half ihm nicht weiter. Erst einmal musste er den Spuren folgen. Vermutlich schafften sie die Gefangenen zur Stadt. Für den Weg brauchte er Proviant. Die Bande hatte sicher nicht nur alle Bewohner mitgeschleppt, sondern auch ihre spärlichen Vorräte. Vielleicht entdeckte er hier und da Essbares, was sie übersehen hatten. Mit neuer Energie lief er zu seinem Haus und holte sein Bündel. Wie erwartet, war das Versteck unter der Diele leer. Kein Gold, keine Schriftrolle. Was hatte Nekon mit dem Pergament angestellt? Er suchte in der ganzen Wohnung danach, fand aber nichts. Im Kamin hing noch eine kleine Sandhasenkeule zum Räuchern, die steckte er ein. Sein Blick fiel auf seinen Bogen, der seit Jahren unbenutzt in der Ecke stand. Wenn er unterwegs nicht genug Beeren oder Pilze sammeln konnte, würde er ihm gute Dienste leisten. Mit gemischten Gefühlen hängte er ihn und den Köcher voller Pfeile um.

Am Brunnen füllte er seine Wasserflasche und lief weiter. Die Tür zur Backstube klaffte auf. Wie erwartet, waren die Regale leer. Aber als er den erkalteten Ofen öffnete, stieß er ein Jauchzen aus. Ein angekohlter Laib lag darin. Er schabte etwas von der Kruste ab, es schmeckte tadellos. Eine Keule und ein Brot, das half ihm über die ersten Tage.

Am Grab seiner Eltern beteuerte er, dass er sie nicht enttäuschen würde. Er würde das Erbe seiner Mutter antreten. Und Nekon drohte er in seinen Gedanken: Du Mistkerl, auch wenn du mein Bruder bist und schneller vorankommst als ich, glaube nicht, dass ich aufgebe. Bei Ardanna, das schwöre ich. Wütend wischte er sich über die Augen und drängte aufkommende Tränen zurück. Er warf noch einen traurigen Blick auf das, was viele Jahre seine Heimat gewesen war, und stapfte los, nach Nordosten, Richtung Stadt. Auf den Spuren der Horde.

Kapitel 3

Drei Tage marschierte Kildean auf dem Handelsweg durch die Steppe. Die Sonne schien mit jedem Tag an Kraft zu gewinnen, und die Gegend bot wenig Schutz vor den erbarmungslosen Strahlen. Schweiß rann ihm in Bächen herunter, sein Hemd klebte am Körper. Erst am dritten Tag tauchte in der Ferne ein Dorf auf, doch er konnte kein Leben ausmachen. Gegen Abend erreichte er den Menarja-Wald, der Weg führte am Rand entlang. Bisher hatte er nur ein paar Kräuter entdeckt, willkommene Ergänzung für seinen dürftigen Proviant. Im Waldesinneren erspähte er einige Pilze und Beeren von letztem Jahr. Und einen Bach. Wenigstens an Wasser mangelte es ihm nicht.

Er gönnte sich eine kurze Rast am schattigen Ufer. Das Brot war inzwischen recht trocken, er tunkte es in die Flüssigkeit und aß ein paar Bissen. Viel war nicht mehr übrig. Es reichte zwei Tage, wenn er sparsam war. Die kleine Keule hatte er auch zum größten Teil verzehrt. Aber er wollte nicht jagen, das war nur der letzte Ausweg. Alles in ihm sträubte sich dagegen, Leben zu nehmen.

Er schloss die Augen und genoss die Kühle des Waldes nach dem anstrengenden Marsch durch die Steppe, sog den Frühjahrsduft der aus dem Winterschlaf erwachten Natur ein. Sein knurrender Magen holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Er raffte sich auf und stapfte weiter den Weg am Waldrand entlang.

Erst als die Sonne ihre letzten Strahlen durch den spärlich belaubten Wald schickte, machte er sich auf die Suche nach einem Nachtlager im Schutz der Bäume. Am Fuß einer mächtigen Eiche fand er eine Mulde zwischen den Wurzeln und polsterte sie mit Moos aus. Sein Bündel unter dem Kopf, den Bogen dicht am Körper und zugedeckt mit seinem Umhang schlief er bald ein, erschöpft wie er war.

Am nächsten Morgen schreckte er auf, ihm war, als hätte er etwas gehört. Hektisch schaute er um sich. In zehn Schritt Entfernung stand ein Mann in mittlerem Alter, gebeugt über eine tote Streifenkatze. Kildean griff seinen Bogen und sprang auf, schussbereit.

„Hoho, immer langsam, ich will dir nichts tun“, sagte der Fremde und hob abwehrend seine Hände. „Ich habe nur dieses Biest von dir ferngehalten.“ Er zog einen Pfeil aus dem Kadaver und packte das Tier auf seine Schulter. „Ich war auf der Suche nach Beute, als ich sah, wie es sich an dich anschlich.“

Kildean ließ den Bogen sinken. Der Mann schien in mittlerem Alter zu sein, ein leichtes Grau durchzog seine schwarzen schulterlangen Haare. Gefährlich sah er nicht aus, er lächelte ihn an.

„Mein Name ist Sharón. Wie heißt du?“

„Kildean.“ Er beschloss, auf der Hut zu sein.

„Was machst du hier so ganz allein?“ Sharón kam näher und setzte sich, die tote Katze warf er neben sich. „Du siehst nicht aus wie jemand, der freiwillig durch die Lande streift.“

Er strahlte er eine Offenherzigkeit aus, die Kildeans Schutzmauer durchbrach. Konnte er ihm glauben? Oder war alles gespielt, damit er ihn auszurauben konnte? Er hätte ihn im Schlaf töten können, stattdessen hatte er sein Leben gerettet. Er warf einen Blick auf die Streifenkatze. Sie war zwar nicht groß, aber galt als gefährlich. Kildean war hin und her gerissen. Er wollte so gern jemandem vertrauen, seine Ängste mit ihm teilen. Seit Tagen hatte er mit niemanden mehr geredet, musste sich stets vorsehen. Mit einem mulmigen Gefühl beschloss er, es zu wagen. Und er setzte sich neben Sharón und fing an zu berichten. Anfangs stockend, später sprudelte es nur so aus ihm heraus.

„Das tut mir leid, Junge. Du machst eine schwere Zeit durch. Es ist hart, seine Eltern und Freunde zu verlieren. Niemand sollte das erleben. Du wirst lange brauchen, um damit zurechtzukommen. Weißt du was? Warum kommst du nicht mit uns? Meine Tochter und ich wollen auch in die Stadt, da können wir zusammen weiterziehen.“

Kildean sah auf zu Sharón. Zum ersten Mal nach dem Überfall keimte ein Pflänzchen der Hoffnung in ihm. „Ich danke Euch, ich danke Euch vielmals. Mir fällt eine Last von der Seele.“ Mit wässrigen Augen ergriff er Sharóns Arm und schüttelte ihn heftig.

„Langsam, Junge. Du reißt mir noch den Arm ab.“

Kildean lächelte und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Er fing an, Sharón zu mögen.

Sharón und Kildean erreichten das Lager, es befand sich weit abseits des Weges. „Leyana, ich hab jemanden mitgebracht“, rief Sharón.

Eine dunkelhäutige junge Frau, etwa in Kildeans Alter, näherte sich ihnen. Ein Band hielt die schwarzen glatten hüftlangen Haare zusammen. Gekleidet war sie in eine dunkelgrüne Tunika über einer braunen Hose. Um den Hals hatte sie einen Schal geschlungen. Sie sah aus wie eine Kriegerin.

„Leyana, das ist Kildean. Kildean, meine Ziehtochter Leyana.“

„Apa yang dia mahukan? Kenapa awak membawanya ke sini?“, stieß sie hervor und musterte Kildean, die Nase hochgehoben und die Augen zu Schlitzen verengt.

„Leyana, es ist unhöflich, Zerkisch zu sprechen, wenn wir einen Gast haben! Begrüße ihn anständig.“

Leyana presste die Lippen zusammen und stieß ein „Hallo“ hervor.

Kildean erwiderte es und versank in ihren Augen. Dunkelbraune tiefgründige Augen, sie zogen ihn in ihren Bann.

„Was ist, hab ich etwas an mir, einen Fleck? Oder warum starrst du mich so an?“ Sie zog ihren Schal fester um den Hals.

„Entschuldige.“ Kildeans Ohren glühten, all sein Blut schoss hinein.

„Ich mag ihn nicht.“ Leyana drehte sich um. „Tikus.“ Sie spie das Wort aus.

„Beleidige ihn nicht! Wir werden eine Zeit lang zusammen reisen.“

Leyana wandte sich Sharón zu. „Terkutuk, wozu? Noch einen Mund stopfen? Wo wir so schon kaum Nahrung haben?“

Sharón griff nach ihrem Arm, zog sie beiseite und unterhielt sich in strengem Ton mit ihr in der unbekannten Sprache. Sie hämmerte mit der anderen Hand gegen seine Brust, aber er hielt sie fest. Sie ereiferte sich immer mehr, schaute ab und zu wütend zu Kildean hinüber, doch Sharón ließ sich nicht beirren und redete weiter auf sie ein.

Schließlich hatten die zwei ihren Wortwechsel beendet. Leyana beruhigte sich, schlug die Augen nieder und fügte sich. Sharón deutete auf den Kessel mit brodelndem Wasser, der über dem Lagerfeuer hing. Sie ging zur Mitte des Lagers und maß ein paar Kräuter ab, die sie in ein Gefäß gab. Dann griff sie sich den Topf mit einem Lappen und goss den Tee auf.

Sharón wandte sich Kildean zu. „Ich muss mich für sie entschuldigen, sie ist Gesellschaft nicht gewohnt. Die meisten Tage des Jahres leben wir in den Wäldern. Gib ihr Zeit, sich an dich zu gewöhnen. Und nun nimm Platz, das Frühstück ist gleich fertig.“ Sharón holte einen Kanten Brot und ein Stück Fleisch und schnitt für jeden etwas ab.

Leyana kehrte mit drei Trinkbechern zu ihnen zurück und goss Tee ein. Kildeans Becher schob sie wortlos vor ihn hin. Sie vermied jeglichen Augenkontakt zu ihm. Der musterte sie dagegen verstohlen. Leyana hockte sich schräg gegenüber. Sie schnappte sich ihre Portion, riss mit ihren Zähnen Stücke ab und zerkaute sie, während sie die Flammen beobachtete.

Sharón setzte sie kurz in Kenntnis, was Kildean durchlebt hatte. Sie verzog keine Miene. Dann unterhielt er sich mit Kildean über den Überfall, über Nekon und das Amulett.

„Was wirst du jetzt tun?“, fragte ihn Sharón.

Kildean seufzte. „Meine Mutter hat gewollt, dass ich die Ausbildung zum Auretiker absolviere. Das ist mein Ziel, und vor allem muss es schnell geschehen, weil sie als erfahrene Auretikerin fehlt, und es gibt insgesamt nur vier.“ Mit Mühe unterdrückte er die aufkommenden Tränen. Nicht hier, nicht vor Leyana. Er schluckte schwer.

Sharón legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Hmm, Auretiker. Gehört habe ich davon schon. Aber was genau ist seine Aufgabe?“

Kildean sammelte sich und wischte mit seinem Hemdsärmel über sein Gesicht. „Er kümmert sich um das Gleichgewicht in der Natur. Die Aura eines Lebewesens ist eng verknüpft mit der Lebenskraft. Besitzt es zu wenig Aura, kränkelt es. Ein Auretiker spendet ihm die fehlende Aura. Meine Mutter war immer wieder tagelang unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen.“

„Oh, und du sollst ihre Nachfolge antreten. Beeindruckend.“ Sharón zog die Augenbrauen hoch und nickte. „Das ist eine wichtige Aufgabe.“

Kildean fühlte sich beobachtet. Er blickte zu Leyana, die wandte sich sofort wieder ihrem Tee zu. Er musste innerlich ein klein wenig lächeln.

„Aber was soll ich Xantheros sagen, wenn er nach dem Amulett fragt? Ich kenne nicht einmal seine Bedeutung. Meine Mutter wollte es mir übergeben, sobald ich die Prüfung abgelegt und ihre Nachfolge angetreten hätte.“ Er ritzte gedankenverloren mit einem Ästchen den dreieckigen Umriss des Anhängers in die Erde.

„Dann musst du auf jeden Fall das Amulett zurückholen, es ist sicher unerlässlich für deine Aufgabe“, meinte Sharón.

„Das ist mir klar, aber wie stelle ich das an? Nekon reitet dem Trupp hinterher, er ist schneller als ich und wird es sich bei der ersten Gelegenheit schnappen.“

„Leicht wird das nicht für ihn, er ist allein gegen wie viel gestandene Männer, zehn?“

„Es ist nicht nur das Amulett, sondern ich mache mir außerdem große Sorgen um die Dorfbewohner. Meine Freundin Marja haben sie auch verschleppt. Ich verstehe den Grund nicht, warum tun sie das? Was ist das für eine Bande?“ Kildean schmiss den Ast ins Feuer. „Ich muss sie befreien.“

„Ach, und wie willst du das anstellen? Kannst du überhaupt kämpfen?“, warf Leyana verächtlich ein.

„Es wird schwierig, aber wir können dir vielleicht helfen“, sagte Sharón.

„Das ist doch verrückt, es ist zu gefährlich. Wir wissen nicht, mit wem wir es zu tun haben. Die sind bewaffnet und dreimal so viel Leute. Und sie schrecken vor nichts zurück, wenn sie harmlose Bewohner ohne Grund entführen und töten.“ Leyana stellte sich vor sie und verschränkte die Arme. „Nein, ich mach da nicht mit.“

„Immer langsam, Leyana. Lass uns erst einmal zusammen zur Stadt reisen. Wir wollten sowieso dorthin, denn wir sind in diesem Frühjahr noch keinem Händler begegnet. Und wir brauchen dringend ein paar Kleider und Lebensmittel. Dort können wir nach deinen Leuten und dem Amulett forschen. Danach entscheiden wir weiter. Einverstanden?“ Sharón blickte mehr Leyana als Kildean an.

„Vielen, vielen Dank. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich bin so froh, dass ihr mich begleiten wollt.“ Kildean strahlte.

Leyana kräuselte die Lippen und murmelte: „Wenns sein muss.“

Den nächsten Tag marschierten sie durch den Wald und näherten sich dem zentralen Gebirge. Sharón versuchte immer wieder, ein Gespräch aufzubauen, aber Leyana war stur und antwortete nur das Nötigste. Kildean freute sich trotzdem über seine Reisebegleitung. Am späten Nachmittag schlugen sie ihr Lager auf.

„Wie steht es um deine Kampfkünste, Kildean? In der Wildnis und für deine Mission ist es lebensnotwendig, wenn du eine Waffe führen kannst“, sagte Sharón.

„Ich habe mit zwölf Jahren Bogenschießen gelernt, aber es nach kurzer Zeit wieder aufgegeben.“ Kildean schaute gedankenverloren in die Ferne. Zwiespältige Gefühle drängten an die Oberfläche.

„Dann sollten wir das auffrischen, Leyana kann dich unterrichten. Nicht wahr, Leyana?“, sagte Sharón betont und blickte sie unmissverständlich an.

Sie schnaufte und gab nach. „Komm mit.“ Sie lief voraus zu einer jungen Buche, zählte dreissig Schritte und markierte die Stelle. Sie spannte ihren Bogen und schoss kurz hintereinander fünf Pfeile ab. Alle steckten in einer Geraden im Stamm, jeder eine Handbreit unter dem anderen. „Jetzt du. Lass mich sehen, was du kannst!“ Sie stellte sich ein Stück entfernt von ihm hin, die Arme verschränkt, den Kopf erhoben.

Kildean nahm Position ein und griff sich einen Pfeil aus dem Köcher. Er spannte seinen Bogen und konzentrierte sich auf das Ziel. Schließlich ließ er die Sehne los und der Pfeil sauste auf den Baum zu. Vorbei. Er legte einen Weiteren ein, sammelte sich, diesmal länger. Der Pfeil schnellte davon und streifte den Baumstamm.

Leyana schüttelte den Kopf. „Lass die Schulter locker, nicht so verkrampft.“

Kildean löste seine Muskeln, kniff die Lippen zusammen und spannte den dritten, den vierten und den letzten Pfeil. Keiner traf. Er wagte nicht, sich zu Leyana zu drehen.

„Bist wohl etwas aus der Übung“, spöttelte sie.

Blut schoss Kildean in den Kopf, seine Ohren glühten wieder einmal.

„Terkutuk, bei einem solchen Anfänger ist eher die halbe Entfernung angebracht,“ murmelte sie und zählte 15 Schritte ab. „Pass auf. Du musst eins werden mit deinem Bogen. Atme tief ein und aus, mit dem Bauch, nicht mit der Brust. Halte den Rücken gerade und gespannt. Konzentriere dich auf das Ziel, lass alle Gedanken fallen. Und dann schieße.“

Sie stand vor ihm wie eine geborene Kriegerin, entschlossen, ruhig, gefährlich. Kildean versuchte, ihre Haltung nachzuahmen. Seine Nervosität wuchs, der Bogen lag unruhig in seiner Hand. Er wurde immer schwerer. Unter seinem Wams wurde ihm heiß, Schweiß rann von seiner Stirn. Er spannte die Sehne, seine Arme zitterten, dann setzte er den Bogen wieder ab. Erneut machte er einen Versuch. Vergeblich. „Soll mich doch Rodark holen!“, fluchte er.

„Das wird nichts. Du bist viel zu ungeduldig. Wir müssen erst mit Konzentrationsübungen anfangen,“ sagte Leyana genervt. „Ich wusste es. Du kannst nicht mal mit dem Bogen umgehen, du bist nur ein unnützer Esser mehr.“

„Ich will es nochmals versuchen, diesmal schaffe ich es. Bitte.“

Kildean hob seinen Bogen wieder an, doch Sharón unterbrach ihn. „Lass gut sein, Junge.“

Mit einem Fußtritt kickte Kildean wütend einen Stein beiseite. „Ich muss schießen lernen, nicht meditieren,“ schimpfte er.

„Wenn du so hitzköpfig in den Kampf gehst, bist du leichte Beute für den Gegner,“ sagte Sharón. „Versuche es mal hier mit.“

Er gab ihm ein Schwert und nahm Stellung ein. Kildean stürmte auf ihn los, Sharón trat einen Schritt beiseite, er lief ins Leere und stolperte.

„Du bist viel zu aufgebracht. Halte deine Gefühle unter Kontrolle“, sagte Sharón.

Kildean griff wieder an, rasend durch sein Unvermögen, aber Sharón parierte seinen Schwerthieb mit einem Stock und schlug ihm das Schwert aus der Hand.

Kildean schnappte sich seine Sachen und stürmte in den Wald, in ihm kochte die Wut. Hinter einem Baum verharrte er, schrie seine Verbitterung hinaus. „Nicht so verkrampft, haha, Training ist wohl schon zu lange her. Blöde Kuh.“ Außer sich vor Zorn riss er an den Sträuchern die frischgrünen Blätter ab, zog und zerrte an Ästen, bis sie abknickten, und schleuderte alles umher.

Resigniert sank er zusammen, schlug die Hände vor das Gesicht und wimmerte. Warum war er so unfähig? Nekon hatte recht, er war zu nichts zu gebrauchen.

Kapitel 4

Kildean saß lange Zeit da, in Selbstmitleid versunken. Seine Wut verrauchte allmählich. Sicher, er musste dringend das Kämpfen lernen, das Amulett holen und Marja befreien. Aber nun hatte er Sharón und Leyana verärgert. Dabei wollten sie ihm nur helfen. Was sollte er tun? Schließlich reifte in ihm ein Gedanke, er würde etwas versuchen. Er war es Sharón schuldig, seiner Freundlichkeit.

Viel ruhiger rappelte er sich auf und griff seinen Bogen. Konzentriert stand er da und öffnete sein Gehirn, auf der Suche nach der Aura eines Lebewesens. Inmitten eines Dickichts wurde er fündig, er schlich sich näher und erspähte ein Zwergreh. Seine gedanklichen Fühler streckten sich zu dem Tier aus und er strahlte eine Woge von Verzeihung aus. Das Zwergreh schaute in seine Richtung. Die Augen schienen so traurig zu sein, er empfand Mitleid. Sofort versuchte er, das Gefühl zu unterdrücken. Doch die Bilder in seinem Kopf verschwanden nicht mehr. Entmutigt senkte er den Bogen, er konnte es nicht tun. Das Reh sprang leichtfüßig weg, mit einem erleichterten Lächeln verfolgte er seine Flucht. Sein Blick fiel auf einen Rotbeerenbusch, an dem die reifen Früchte in Tauben herunterhingen. Auf dem Boden lagen aufgeplatzte Beeren herum, die einen süßlichen Duft verströmten. Kildean steckte sich einige in den Mund und genoss den aromatischen Geschmack und das leichte Prickeln auf der Zunge. Es erinnerte ihn an frühere Ausflüge mit Nekon. Er erstarrte, schnaufte tief durch und versuchte, das Bild wieder zu verdrängen. Aus seiner Hosentasche zog er ein Tuch, das er zu einem Beutel verknüpfte, und sammelte dorthinein die Beeren. Wenigstens das konnte er an Nahrung beisteuern.

Entschlossener kehrte er zum Lager zurück. Sharón und Leyana beachteten ihn nicht, sie widmeten sich der Pflege ihrer Waffen. Er holte eine kleine Schüssel aus dem Gepäck und schüttete die gesammelten Beeren hinein. Dann setzte er sich zu den beiden und fing an zu reden. „Es tut mir leid, dass ich durchgedreht bin. Ich bin im Augenblick nicht mehr ich selbst. Alles wächst mir über den Kopf.“

Sharón klopfte ihm begütigend auf den Rücken.

Erleichtert fuhr er fort: „Ich habe einige Waldfrüchte mitgebracht. Viel ist es leider nicht. Eigentlich wollte ich euch mit Beute überraschen, ich wollte auch zum Proviant beitragen. Aber ich konnte nicht schießen, als ich das Zwergreh sah. Alles in mir sträubte sich dagegen. Aus dem gleichen Grund habe ich als Zwölfjähriger den Bogen in die Ecke gestellt und nie wieder angerührt. Ich kann keine Tiere töten, ich leide mit ihnen.“ Kildean sah beide schüchtern an. Würde sich Leyana über ihn lustig machen? Er sprach weiter: „Als Auretiker muss ich dafür sorgen, dass sämtliche Lebewesen gedeihen. Diese Verantwortung habe ich schon immer in mir gespürt.“

Sharón erwiderte: „Das wusste ich nicht. Aber es ist gut, dass du Grundsätze hast. Sie dienen dir zur Stütze. Sieh dein Bewusstsein für die Natur nicht als Schwäche, sondern als besondere Gabe. Eines ist jedoch auch klar“, er grinste, „Kämpfen lernen solltest du trotzdem. Du musst dich verteidigen können, wenn du angegriffen wirst.“

Leyana sah ihn mit einer undurchschaubaren Miene an. Kildeans Herz klopfte, würde sie ihm vergeben? Er schämte sich nicht für seine Liebe zur Natur, aber wegen seiner Wut und Ungeduld, und fühlte, wie das heiße Blut in seine Ohren floss. Nein, bitte nicht jetzt. Er senkte rasch den Blick.

„Wir versuchen es noch einmal, komm.“

Kildean blickte erleichtert auf. Leyana winkte ihm einladend mit dem Kopf.

Am Tag darauf liefen sie früh los, um Zeit aufzuholen. Sie erreichten den Handelsweg in Richtung Stadt. Gegen Mittag trafen sie auf einen kleinen Fluss, der vom Gebirge ins Flachland strömte. Nach der Schneeschmelze führte er viel Wasser, das über die Felsen im Flussbett sprang. An tieferen Stellen hatten sich Wirbel gebildet, die auf der Oberfläche treibende Blätter verschlangen. Ursprünglich verband eine Hängebrücke die beiden Ufer, aber auf der gegenüberliegenden Seite hatte sie sich losgerissen. Bestürzt blieben sie stehen.

„Es ist sinnlos, bis zur nächsten Furt oder Brücke entlang zu laufen, dadurch verlieren wir zu viel Zeit“, sagte Sharón. „Uns bleibt nur die Möglichkeit, hindurchzuwaten. Das Wasser reicht, Ardanna sei Dank, höchstens bis zum Gürtel. Aber es wird ein wenig kalt werden. Was mir Sorge macht, letzten Herbst war der Fluss nicht so reißend. Wir sollten uns vorsehen.“

Leyana schnaufte.

„Ihr könnt mir euer Gepäck geben, ich trage es rüber.“ Sharón inspizierte den Wasserlauf nach einer problemlosen Durchquerung. Leyana klammerte sich an seinen Arm, aber ihr Gesicht war kühl und reglos wie immer. „Alles wird gut, es ist nicht schwer. Wir schaffen es.“ Sharón tätschelte ihre Hand. Er lief ein paar Schritte am Ufer entlang. „Hier müsste er zu bewältigen sein. Passt auf, dass ihr stets einen guten Stand habt. Dann mal los.“ Mit dem Gepäck auf den Schultern tauchte er ein in die Fluten und stapfte los.

„Leyana, jetzt du“, sagte Kildean. „Ich bleibe gleich hinter dir.“

Sie näherte sich zögerlich dem Einstieg. Starr blickte sie auf ihre Füße und setzte vorsichtig Schritt für Schritt. Das Wasser stieg ihr allmählich bis zur Hüfte. Sie blieb kurz stehen und riskierte einen Blick auf Sharón, der fast am anderen Ufer angelangt war. Doch beim nächsten Tritt verlor sie das Gleichgewicht und tauchte unter. Sie fuchtelte mit den Armen, schnappte nach Luft und schrie. Der Strom riss sie mit.

„Leyana!“ Kildean zögerte keinen Moment und kämpfte sich durch die Fluten hinter ihr her. Er packte sie am Arm, doch sie ruderte panisch herum und entschlüpfte seinem Griff. Die Strömung drückte ihren Kopf unter Wasser. Er tauchte, um sie hochzuziehen. Fast hätte sie sich wieder losgerissen, aber er hielt sie fest umklammert. „Bleib ruhig, Leyana. Zappel nicht so.“

„Hast du sie?“, schrie Sharón und rannte ihnen am anderen Ufer hinterher und lief ins Wasser, Kildean entgegen.

„Ich hab sie.“ Er zog sie entschlossen durch die Strömung zu Sharón, der sie ihm auf den letzten Metern abnahm. An Land fiel Kildean schwer atmend ermattet neben sie.

„Danke“, flüsterte sie. „Terkutuk, das war heftig.“

Sharón bückte sich zu Leyana, nahm sie in den Arm und drückte sie kräftig. „Was machst du nur für Sachen.“ Er stand wieder auf. „Du zitterst ja furchtbar. Ihr braucht ein Lagerfeuer, an dem ihr euch wärmen und eure Kleider trocknen könnt. Ruh dich erst einmal aus.“ Er fing an, in dem Waldstreifen entlang des Ufers Holz zu sammeln. Kildean rappelte sich auf und half ihm. Nach kurzer Zeit brannte ein wohliges Feuer.

Leyana holte neue Kleider aus ihrem Gepäck und ging zum Rand des Lagers. „Ich ziehe mich um. Kildean, dreh dich weg. Wenn du mich auch nur mit einem Auge anschaust, Terkutuk, dann wirst du mein Messer spüren.“

Kildean erstarrte bei den harschen Worten. Hatte sie ihm dabei kurz zugezwinkert oder war es ein Hirngespinst? Kopfschüttelnd schaute er in die entgegengesetzte Richtung, zog seine Kleider aus und hüllte sich in seinen Umhang. Vor Kälte zitternd legte er die Arme um sich.

„Du kannst dich wieder umdrehen, ich bin fertig.“ Leyanas Stimme klang wieder weich.

Kildean runzelte die Stirn. Leyana blieb ihm ein Rätsel. Aber ein tiefgründiges und viel versprechendes Rätsel, das danach schrie, es zu lösen. Und er fühlte sich von Tag zu Tag mehr in ihren Bann gezogen.

Er breitete seine Überkleider zum Trocknen aus und setzte sich zu den beiden ans Feuer. Nach einiger Zeit war ihm mollig warm, aber Leyana hörte nicht auf zu zittern. Er holte eine Decke aus dem Gepäck und wickelte sie ein. Sharón füllte Wasser in einen Kupferkessel und gab Kräuter hinein. Kurz darauf sprudelte der Tee. Kildean goss den Kräutersud in Becher und drückte Leyana einen in die Hand.

„Hier, trink.“

Sie nahm dankbar die Tasse und schluckte die heiße Flüssigkeit. Nach und nach hörte das Zittern auf. „Terkutuk. Das war übel.“ Sie schüttelte den Kopf. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass so viel Kraft in dir steckt“, meinte sie und schaute grinsend zu ihm hoch.

„Ehrlich gesagt, ich auch nicht. Und ich kann nicht mal schwimmen.“ Sie brachen beide in Gelächter aus.

Als sie sich wieder beruhigt hatten, sagte Sharón: „Ich wusste nicht, dass du auf Wasser so panisch reagierst. Tut mir leid. Warum hast mich nicht gewarnt?“

„Ist schon gut, ich lebe noch. Es war nur ein Unfall. Ich habe mich erschrocken.“

Kildean musterte ihr Gesicht, doch das gab keine Gefühlsregung preis.

Nachdem ihre Kleider wieder trocken waren und sie sich gestärkt hatten, liefen sie zurück zum Weg. Sharón warf einen Blick auf die Befestigung der Hängebrücke. „Da hat jemand die Seile mit einem Messer durchtrennt. Der Schnitt ist noch nicht alt. Die Enden sind hell gefärbt.“

„Wer tut denn so etwas?“, fragte Leyana.

Kildean runzelte die Stirn. „Vielleicht mein Bruder. Ich werde den Verdacht nicht los, dass er es war.“

„Hmm, glaubst du, er würde das wirklich tun? Obwohl, nach dem, was du erzählt hast, kann ich es mir vorstellen.“

„Nekon will mir Steine in den Weg legen. Erst das Gold und die Schriftrolle, die er gestohlen hat, jetzt die Brücke. Aber da hat er sich getäuscht, ich werde nicht aufgeben, das bin ich meiner Mutter schuldig.“

„Gut so. Kämpfe um dein Erbe.“ Sharón klopfte ihm auf die Schulter.

Leyana nickte. „Wir helfen dir dabei.“

Ein Lächeln stahl sich auf Kildeans Gesicht.

Die Landschaft wandelte sich langsam, als sie weiterliefen. Zwar bedeckte noch viel frisches Gras den Boden und die Büsche blühten zum größten Teil, doch je weiter sie vorankamen, desto mehr war verdorrt. Und am Himmel wichen die finsteren Wolken nicht, nur ab und zu schickte die Sonne ihre Strahlen hindurch. Längst hatten sie die dunkle Front erreicht, die Kildean vom Hügel aus erspäht hatte.

Zwei Tage später gegen Nachmittag entdeckten sie am Rande der Straße einen Menschen. Eingehüllt in seinen Umhang lag er zusammengekauert und unbeweglich da. Sharón stupste ihn mit dem Fuß, ein Stöhnen entwich ihm. Sie schoben den Mantel beiseite.

„Jonsta?“

„Du kennst ihn?“, fragte Sharón.

„Er stammt aus meinem Dorf.“ Kildean liefen die Tränen herunter. Er kniete sich neben ihn und hob seinen Oberkörper.

Jonsta schlug mühsam die Augen auf, sein fiebriges Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. „Kildean.“ Ein Hustenanfall überwältigte ihn.

„Was ist passiert? Warum liegst du hier? Und wo sind die anderen?“

Stockend berichtete Jonsta, was ihnen seit dem Überfall geschehen war. „Sie pferchten uns auf zwei Pferdewagen zusammen. Einige der hübschen jungen Frauen, auch Marja, durften sich hinter die Typen aufs Pferd setzen. Mit einer mörderischen Geschwindigkeit ritten sie Richtung Stadt zurück, sie hatten es eilig. Die Leute in den Wägen wurden furchtbar durchgeschüttelt. Wenn sie sich nicht festgehalten hätten, wäre manch einer hinuntergeflogen.“

Er schnaufte einige Male durch und fuhr leiser fort: „Als die Anführer eines Abends weiter entfernt etwas beredeten, konnte ich den Gesprächen der restlichen Bande lauschen. Sie besprachen, wie viel wir wohl einbringen würden. Und dass es ein einträgliches Geschäft sei. Sie könnten sich nun jeden Tag eine Hure leisten. Aber einer meinte, der Süden ist so gut wie leer gefegt, es bliebe nur noch der Westen, um Gefangene zu heranzuschaffen.“ Jonsta hustete wieder und schnappte nach Luft.

„Haben sie erwähnt, was mit den Geiseln geschieht?“, fragte Sharón.

„Nein, nur dass der Fürst ständig Nachschub braucht. Vermutlich hätten sie sowieso alle Dorfbewohner mitgenommen, auch wenn wir Kildeans Mutter an die Kerle herausgegeben hätten, wie Woktar verlangt hatte. Was wir sicher nie getan hätten, Ardanna behüte uns. Habt ihr Wasser für mich?“ Jonsta krächzte bloß noch. Kildean gab ihm seine Flasche. Gierig trank er etliche Schlucke. „Danke, das tut gut.“

„Was ist nun mit dir passiert? Warum haben sie dich zurückgelassen?“

Zur Antwort zog Jonsta den Umhang von seinen Beinen. Jonstas rechter Unterschenkel war verfault, schwarz bis zum Knie, der Oberschenkel dick geschwollen und rot.

„Terkutuk.“ Leyana wich zurück.

Kildean erschrak und hielt die Luft an.

„Mich hat etwas gestochen. Anfangs dachte ich, es ist nicht schlimm. Aber es breitete sich schnell aus. Das Vieh muss das Gift aus der Umgebung in sich getragen haben. Unsere Leute begehrten auf, sie wollten, dass die Wunde versorgt wird. Doch die Männer warfen mich einfach vom Wagen und sagten, wer noch einmal die Stimme erhebt, endet genauso. Dann fuhren sie weiter. Seitdem liege ich hier und habe mit dem Leben abgeschlossen.“ Ein Hustenanfall erschütterte ihn, erschöpft schloss er die Augen. Nach einer Weile schaute er sie wieder an. „Ich flehe euch an, tötet mich. Ich will hier nicht länger auf mein Ende warten müssen.“

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