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Feilkode 418

Lore-Ley – ein Märchen aus uralten Zeiten

Lore-Ley – ein Märchen aus uralten Zeiten · Romane

Während Graf Johann den wilden Rhein durch eine Brücke zähmen will, lockt oben auf dem Fels eine betörende Gestalt die Schiffer in den Tod.

Hva vil du med boka?

Schon immer galt meine große Leidenschaft den Büchern – nicht irgendwelchen, sondern vor allem dem Fantasygenre und Historienromanen. Kein Wunder also, dass die Romane, die ich heute schreibe, eine Kombination aus beidem darstellen. Ich denke, aus der Vergangenheit können wir viel lernen. Alte Legenden hatten ja schon früher den Zweck, Wissen an zukünftige Generationen weiterzugeben. Heute ist es wichtiger denn je, aus unserer Vergangenheit zu lernen, um gemeinsam mit der nächsten Generation die Probleme der Zukunft zu lösen. Die Natur, die dem Menschen wachsam, ja feindselig gegenübersteht, war nicht nur in der Romantik ein Thema der Kunst. Doch es wird Zeit, dass wir lernen, die Natur nicht zu unterwerfen, sondern mit ihr zusammenzuarbeiten. Sonst werden unsere Kinder vielleicht nicht mehr die Möglichkeit haben, diese Welt so zu erfahren wie die Generationen vor ihnen. Dazu kommt, dass ich es für meine Pflicht halte, das Leben in vergangenen Zeiten so darzustellen, wie sie wirklich war – und das ist weit bunter, als man sich es heute vielleicht vorstellen möchte. So hat sich die Überlegung wie von selbst angeboten, von den zwei Frauen, die in meinem Manuskript den Titel der Loreley annehmen, eine weiß und eine Schwarz sein zu lassen. So werden mit alten Geschichten neue Eindrücke verbunden und es entsteht ein Bild unserer Vergangenheit, das sehr viel näher an der historischen Wirklichkeit und auch an unserer Zukunft ist, als die Berichte so mancher Geschichtsbücher.

Om forfatteren

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Ann-Kathrin Wasle wurde 1987 geboren und wuchs in der Gegend um Heidelberg auf. Noch während ihres Mathematikstudiums begann sie, historische Romane zu schreiben – eine Aufgabe, der sie sich bald gänz...

1. Die Klippen über dem Rhein

Alles war still auf der Burg, nur der Gesang der Nachtigall drang lockend durch die Morgenluft. Auf nackten Füßen schlich Nella den Gang entlang, darauf bedacht, sich mit keinem unvorsichtigen Laut zu verraten. Es wäre einfacher gewesen, wenn sie eine Fackel dabeigehabt hätte, oder wenigstens einen Kienspan, um ihren Weg zu erhellen – doch mit solch einem flackernden Licht in der Hand hätte es nicht lange gedauert, ehe eine der Wachen das Mädchen aufgabelte. So fand sie ihren Weg im Schatten der Dämmerung, den fernen Fußstapfen folgend, die gerade drüben im Küchentrakt verschwanden. Nella wartete, während die Schritte über den Küchenboden klangen. Erst als sie hörte, wie sich die Pforte zum Burghof öffnete und wieder schloss, lief sie hinüber und durchquerte die dunkle Küche, ohne dabei den Küchenjungen auf seiner Bank zu wecken.

Ohne einen Laut öffnete Nella die Küchenpforte und schlüpfte in den Burghof, vorsichtig, damit die Wachen oben auf den Zinnen sie nicht bemerkten. Die kalten Kiesel klebten an ihren Fußsohlen, doch das Mädchen ließ sich nicht beirren; starr hielt sie den Blick auf die ferne Gestalt gerichtet, die sich bereits dem Burgtor näherte. Bei dem Anblick der schlanken Silhouette, die in einen brokatbesetzten Umhang gewickelt war, standen die Wachmänner neben dem Tor stramm und der dicke Hubert beeilte sich, das Tor zu öffnen, so dass die Edelfrau zwischen den Eichentoren hinausgehen konnte.

Nella biss sich auf die Lippe. Sie würde es nicht so einfach haben hinauszukommen; niemand machte sich die Mühe, ihr irgendwelche Pforten zu öffnen. Doch sie hatte nicht vor, sich davon abhalten zu lassen – was ihr an Statur und Einfluss fehlte, das musste sie eben durch Geschicklichkeit wettmachen. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass sie sich unbemerkt aus der Burg schlich. Sie nutzte die Ablenkung der Wachmänner und lief quer über den Burghof, ohne sich um die spitzen Kieselsteine zu kümmern. Dort drüben, nur wenige Schritte neben dem Tor, war ein Schatten in der Mauer zu sehen: der Abwasserkanal der Burg, der unter den festen Steinen hindurch nach draußen zum Hang führte. Die Gitterstäbe waren so eng, dass kein erwachsener Mensch hindurchschlüpfen konnte – aber Nella war erst fünf Jahre alt und zierlich für ihr Alter. Mit einem Ruck zwängte sie sich zwischen den Eisenstäben hindurch, dann holte sie tief Luft, ehe sie in der dunklen, feuchten Tunnelöffnung verschwand.

Es vergingen nur wenige Herzschläge, während sie durch das brackige Wasser des Tunnels watete, um auf der anderen Seite im Schatten der Mauer wieder aufzutauchen. Nella schüttelte sich und strich die Füße an dem hohen Farngras ab, dann atmete sie tief ein. Die Nachtluft war noch kühl, sie roch nach Kräutern und Morgentau. Auf einem nahen Baum trällerte die Nachtigall und von fern war das unermüdliche Rauschen des Rheins zu hören, der unten in der Tiefe um die Ley strömte. Von hier aus klang das Murmeln der Wellen beinahe wie Gesang; das schwermütige Liebeslied des breiten Stroms, der sich an den Felsen schmiegte – ein jahrhundertealter Tanz mit ewig gleicher Schrittfolge.

Das Geräusch leiser Tritte ließ Nella aufhorchen. Drüben auf dem Weg sah sie die Gestalt der Grafentochter durch das Gras wandern, eng in den Brokatumhang gehüllt, der sie vor Morgenkälte und Feuchtigkeit schützte. Vorsichtig warf Nella einen Blick zurück zu den Wachen oben auf der Mauer. Auch wenn sie mit ihrer dunklen Haut besser als jeder andere mit dem Schatten der Mauer verschmelzen konnte, war das doch kein Grund, unvorsichtig zu sein. Aber nein, keiner der Wachmänner hatte etwas bemerkt. Also wandte sie sich um und folgte der verhüllten Gestalt den Hang entlang, durch feuchten Farn und über steinigen Boden durch die Morgendämmerung.

Die Sterne über ihnen verblassten einer nach dem anderen. Langsam wandelte sich das Grau, das die Landschaft um sie herum eher verbarg, als dass es sie preisgab, zu einem schüchternen Erdbeerrot. Zu der einsamen Nachtigall gesellte sich erst eine Lerche, dann eine zweite und bald schon schallte die Landschaft wider vom Gesang der frühen Vögel. Stumm folgte Nella der verhüllten Gestalt hinauf auf die Felsen, zu ihrer Linken die Bäume, die nun erfüllt waren vom Gezwitscher der Vögel, und rechts die scharfen Klippen hinab zum Rhein. Nella kannte das Ziel ihrer Wanderung – oft genug war sie diesem Weg bereits gefolgt, im trüben Morgenlicht oder durch die Schatten der nahenden Nacht. Sie wusste, dass es das frühe Aufstehen und die aufgeschürften Füße am Ende wert sein würde. Der Pfad führte in einem weiten Bogen an den Klippen entlang, dann ging es durch eine dichtbewachsene Senke, sodass für ein paar Schritte der Rhein unter ihnen nicht mehr zu sehen war. Und endlich öffnete sich der Weg vor ihnen zu der nackten Felsklippe, mit freier Sicht über das Rheintal und die weiten Berge dahinter.

Ein Schauer fuhr Nella über die Schultern und schützend verschränkte sie die Arme vor der Brust. Sie hatte keine Höhenangst, wirklich nicht, doch dieser Anblick konnte auch den erfahrensten Kletterer erzittern lassen. Die Ley erhob sich so hoch über dem Tal, dass Nella das ungestüme Rauschen der Fluten hier oben kaum noch hören konnte. Vor ihren Füßen erstreckte sich ein weites Plateau über den Rhein – so weit hinaus, dass es nur ein Katzensprung bis zum anderen Ufer schien. Und dort draußen, am Rand der Felsen, saß eine blondgelockte Gestalt hoch über dem Abgrund, die Beine über dem Rand der Klippe hängend. Den brokatenen Umhang hatte die junge Frau unter sich auf den Felsen gebreitet, mit einer Sorglosigkeit, wie sie sich nur eine Grafentochter erlauben konnte.

Nella biss sich auf die Lippen, um sich nicht durch ein unbedachtes Geräusch zu verraten. Sie wusste nicht, wie die Frau reagieren würde, wenn sie ihre heimliche Verfolgerin bemerkte, und sie wollte es nicht darauf ankommen lassen. Tief unter ihnen konnte sie nun das Rauschen des Rheins hören, der mit spritzender Gischt gegen die Felsen der Ley schlug. Im Schutz der Bäume, die am Rand des Plateaus standen, schlich sich Nella zum Rand der Klippe hinüber, bis sie Eleonores Gesicht von der Seite sah. Die dunkelblauen Augen der Edelfrau waren gen Westen gerichtet, wie in ferne Zukunft gelenkt – oder in uralte Vergangenheit. Für einen endlosen Augenblick schien die Zeit stillzustehen. Schließlich warf Eleonore den Kopf zurück, so dass die offenen Haare in der Morgenbrise wehten und die frühen Strahlen der Morgensonne ihr Haupt mit einem goldenen Schein umrahmten. Nella sah, wie die Grafentochter tief einatmete – dann öffnete sie die Lippen und begann zu singen.

Wie eine Schwalbe erhob sich das Lied über die Felsen, hinauf in die Morgenluft. Die klaren Töne schwebten hoch auf, dann schwangen sie sich in einer perlenden Kaskade hinab, einem Wasserfall gleich, um auf die rauschenden Fluten des Rheins niederzugehen. Es war eine ungerichtete Melodie, klar und verspielt wie das jauchzende Lied der Nachtigall, doch zugleich voll und gewaltig. Nella spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, auch wenn sie nicht hätte sagen können, was der Grund dafür war. Mit bebenden Lippen lauschte sie dem wortlosen Lied, einer Melodie ohne Vergangenheit und Zukunft, die nur im Hier und Jetzt erklang. Lautlos formten ihre Lippen Worte, beinahe ohne dass sie es merkte – ein Text zu der sphärischen, unwirklichen Weise. Dabei ruhte ihr Blick weiter auf der Sängerin, die immer noch sorglos am Rand der Klippe saß, als würde sie die grausige Tiefe gar nicht wahrnehmen. Die Morgensonne hatte sich nun vollends erhoben und ließ Eleonores Haare golden glänzen, während das ferne Rauschen der Fluten mit ihrem Gesang zu wetteifern schien. Nein, nicht zu wetteifern – es klang, als würde der Fluss in das Lied mit einstimmen; als würden die Wellen, die durch die Stromschnellen brodelten, ihre Melodie begleiten.

Auf Händen und Knien kroch Nella hinüber zur Klippe, in sicherem Abstand zu der selbstvergessenen Sängerin. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie am ganzen Körper zitterte. Am Rand der Klippe hielt sie inne, die Finger um die nackten Steine geklammert. Wenn sie den Kopf etwas über die Felsen schob, konnte sie von hier aus den Rhein sehen, ein unstetes Band, das sich am Fuß der gewaltigen Felsklippe durchs Tal wand. Zu ihrer Linken war der Schatten eines Schiffs zu erkennen, ein Fischerkahn vielleicht, der sich trotz der frühen Stunde auf die Felsenge zubewegte – dorthin, wo das Wasser schäumend zu Strudeln sammelte, während sich die rauschende Gischt am Rand der Ley brach. Der tiefe Steilhang hatte etwas Treibendes, Lockendes. Wie hypnotisiert blickte Nella auf das Spiel der Wellen, die gegen den Felsen strömten, im altvertrauten Tanz. Das Lied des Wassers schien sie zu sich zu rufen, hinab in die Tiefe …

Mit einem Keuchen riss sie sich los und richtete sich auf. Ihr Herz hämmerte in der Brust, ihr Atem ging heftig und ihre Wangen waren schweißbedeckt. Hastig krabbelte sie zurück, nur fort von dem Abgrund. Immer noch erfüllte das Rauschen der Wogen ihre Ohren, nichts anderes war auf dem Felsplateau zu hören. Nichts … Nella wandte den Kopf und blickte in das erzürnte Gesicht Eleonores. Die Grafentochter hatte ihren Gesang unterbrochen und starrte ungläubig auf das kleine Mädchen, das da zitternd am Rand der Klippe hockte.

Langsam stand Eleonore auf, auf der Stirn eine steile Falte. »Was willst du hier?« Ihre Stimme, die eben noch vogelgleich durch die Luft gezogen war, klang nun scharf und befehlsgewohnt.

Unter dem drohenden Blick der Grafentochter sprang nun auch Nella auf. Vergebens bemühte sie sich, den Staub von ihrem schmutzigen Leinenkittel zu klopfen, dann wagte sie einen ungelenken Knicks. »Es … es tut mir schrecklich leid, Euer Erlaucht, ich wollte nicht …«

Mit einer ungeduldigen Geste schnitt Eleonore ihr das Wort ab. »Wie hast du mich gefunden?«, herrschte sie das Mädchen an. »Bist du mir gefolgt?« Ein plötzlicher Gedanke schien ihr durch den Kopf zu fahren. »Wer weiß noch, dass du hier bist?«, fragte sie leise.

»Niemand«, brachte Nella stotternd heraus. »Ich wollte nur …«

»Nur was? Zuhören, wie ich singe?« Die Worte waren sanft gesprochen, fast einschmeichelnd. In Eleonores Blick lag ein Funkeln, das Nella einen Schauer über den Rücken jagte. »Wolltest du meinem Gesang lauschen – ist es das? Wolltest du wissen, ob es stimmt, was sie über die Stimme der Komtess sagen; dass sie Menschen versteinern lässt und die Felsen zum Weinen bringt?« Drohend kam sie einen Schritt näher. »Und nun, was sagst du? Ist es das, was du dir erwartet hast?«

Bebend wich Nella vor der hohen Gestalt zurück, bis sie spürte, wie sich die Steine unter ihren Füßen zur Klippe hin senkten. Dann hob sie den Kopf. »Euer Gesang ist schön. Er ist wunderschön.« Sie sah das selbstgerechte Funkeln in Eleonores Blick und streckte das Kinn empor. »Aber ich frage mich, warum das Lied keine Worte hat.«

Reglos blickte Eleonore auf das Mädchen herab – für einen Moment schien es, als hätte ihr Nellas Dreistigkeit die Worte geraubt. Endlich stieß sie ein kurzes Schnauben aus. »Ich brauche keinen Text. Mein Gesang ist gut genug, so wie er ist.«

Nella trat einen winzigen Schritt nach vorne und verschränkte die Arme vor der Brust. »Meine Mutter sagt, die richtigen Worte, zur richtigen Zeit gesprochen, können Wunder bewirken.«

»Deine Mutter … Ich nehme an, das ist die Magd, die sich im Schloss um die Schlafkammern kümmert.« Eleonore musterte ihr Gegenüber von oben bis unten; die dunkle Haut, die einfache, sauber geflickte Kleidung. Ihre Lippen zuckten und für einen Moment schien sie unschlüssig, ob sie das vorlaute Kind nicht einfach zum Teufel schicken sollte. Dann öffnete sie die Hand. »Bitte. Was, meinst du, wären die richtigen Worte?«

Diese Wendung hatte Nella nicht erwartet. Sie biss sich auf die Lippe, während sie sich an die Musik erinnerte … die klaren Töne, den Klang des Lieds, das sich schwalbengleich in die Luft erhob.

»Es müsste etwas … etwas Besonderes sein«, sagte sie leise, den Blick zu Boden gerichtet, »etwas, das die Melodie noch weiter fliegen lässt.« Ohne das trockene Schnauben der anderen zu beachten, fuhr sie fort: »Wenn ich Euren Gesang höre, sehe ich Bilder … von den Wellen, in denen sich das Sonnenlicht bricht, und von den Steinen tief unten im Flussbett. Und von dem Berg, der den Strom aus der Höhe betrachtet, jahrein, jahraus … Aber es ist alles nur verschwommen.« Mit ihrem nackten Fuß schob Nella einen Kiesel von der Bergkante und sie lauschte auf das trockene Klackern, mit dem der Stein in die Tiefe fiel. Dann hob sie den Blick, um Eleonore anzuschauen.

Die Grafentochter stand reglos wie zuvor, die Lippen zu einem schmalen Strich verzogen, als hätte sie noch nicht entschieden, ob sie das vorlaute Kind nicht gleich hinterherwerfen sollte. Nur in ihren blauen Augen war ein neugieriger Funke zu sehen.

Nella räusperte sich. »Die Stelle, an der Eure Stimme hoch nach oben gegangen ist, die hat mich an etwas erinnert. Ich dachte nur, wenn man die richten Worte darunterlegt … Vielleicht so: Rauschen die Wellen, von Fesseln befreit … öffnet der Berg sich, zum letzten Geleit …«

»Soso«, murmelte Eleonore. »Wir haben hier also eine kleine Dichterin.« Dieses Mal war Nella sich sicher; im Mundwinkel des älteren Mädchens war ein spöttisches Lächeln zu sehen. »Setz dich zu mir.«

Jäh war alle Härte aus ihrer Haltung verschwunden. Mit einer fließenden Bewegung ließ sie sich auf ihrem Brokatmantel nieder, die blonden Haare von der Morgensonne beschienen, die nun über den Wäldern aufgegangen war. Nella zögerte, unwillig, mit ihren nackten Füßen auf den edlen Stoff zu treten – doch als keine weitere Einladung kam, setzte sie sich wortlos hin, so dass ihre dunkle Hand neben den weißen Fingern zu liegen kam.

»Nirgends kann ich so singen wie hier«, sagte Eleonore sinnend, während ihr Blick über die Berghänge westlich des Flusses glitt. »Der Berg füllt mich mit Gedanken, uralt und schwer, so als wären es nicht meine eigenen. Und der Fluss …« Sie hob ihre Hand, wie um die ziellosen Windungen des dunklen Bandes nachzuzeichnen. »Es ist, als wollte er den Felsen mit seinem Lied umgarnen. Wie eine Frau, die ihren Liebsten zu sich lockt, um ihn doch immer wieder unerfüllt zurückzulassen.«

Mit den Augen folgte Nella ihrer Geste den Rhein entlang, unsicher, was sie auf die sonderbare Rede erwidern sollte. Das Schiff dort unten hatte die Stromschnellen an der Ley nun beinahe erreicht. Jetzt erst erkannte sie, dass es mehr war als ein einfacher Fischerkahn; die Ränder waren mit farbigen Bändern geschmückt und eine buntflatternde Fahne wehte am Mast. Etwas an dem Anblick trieb dem Mädchen einen Kloß in den Hals. Mit einem Schauer wandte sie sich ab und sah Eleonore an.

»Der Fluss klingt hier oben anders als drüber auf der Burg … unnachgiebiger.«

Eleonore verzog die Lippen. »Beinahe so, als wollte er den Berg herausfordern, nicht wahr?« Mit einem tiefen Seufzer stieß sie die Luft aus. »Also dann, probieren wir es aus. Wie war das, Rauschen die Wellen …«

Dabei nahm sie eine aufrechte Haltung an, ihre Atmung wurde tiefer und die Stimme klang voller als zuvor. Nella schien es, als hätte sich etwas in der Luft selbst verändert; als wäre der Fels in dunkler Erwartung gefangen. Unwillkürlich rutschte sie zurück an den Rand des Umhangs. Mit offenem Mund lauschte sie, als Eleonore nun aufs Neue ihre Stimme erhob, um ihr Lied über die Felsen klingen zu lassen. Wieder schien die Welt den Atem anzuhalten, während die zarte Melodie in die Luft schwebte. Doch waren es nun nicht mehr die sphärischen, ungerichteten Klänge von zuvor – langsam und getragen brachte Eleonore die neugeschaffenen Zeilen heraus, als ob sie jede einzelne davon erst auf der Zunge fühlen müsste, um sich an den Geschmack zu gewöhnen.

Nella schluckte trocken. Die Worte änderten den Gesang, sie gaben ihm Richtung und beinahe einen eigenen Willen. Ihr Klang schien das Mädchen zu durchdringen, sie konnte die getragenen Silben in ihrem Kopf, in Händen und Armen und bis ins Herz hinein spüren. Ihre Finger suchten den Rand der Klippe, ob nun um sich daran festzuhalten oder um in der Tiefe zu versinken. Mit schwerem Atem sah sie hinab zu den drängenden Fluten des Rheins, tobend, stetig lockend. Noch nie hatte sie den Fluss so wahrgenommen wie in diesem Moment – wie ein wildes Tier, das nur auf irgendeine Unvorsichtigkeit wartete, um zuzupacken. Dabei fiel ihr Blick auf das buntgeschmückte Schiff, das unter dem Felsen durch die Stromschnellen glitt. Das Morgenlicht offenbarte, wie sich die Seeleute abmühten, das Gefährt an den Felswänden vorbeizumanövrieren; wie sie die Köpfe hoben, aufgeschreckt durch den fernen Gesang.

Der Kampf der Männer schnürte Nella die Kehle zu. »Schaut«, brachte sie heiser heraus und wies hinunter. »Der rote Löwe, unten auf der Fahne. Ist das nicht das Wappen von Katzenelnbogen?«

Schlagartig brach der Gesang ab. Eleonore runzelte die Augenbrauen, dann folgte sie dem Fingerzeig und sah hinunter zu der fernen Jolle. Augenblicklich wandelte sich ihre Miene. »Annas Schiff!«, stieß sie hervor und sprang auf. »Das ist ihre Flagge.«

»Eure Schwester?« Nella blickte zu der Frau empor, doch die hatte nur noch Augen für das Schiff auf dem Rhein.

»Ich wusste nicht, dass Anna herunterkommen wollte … Nicht vor Pfingsten jedenfalls. Oh, Vater wird sich freuen! Ich frage mich nur …« Die letzten Worte waren mehr zu sich selbst gesprochen als zu Nella. Das Mädchen sah, wie sich Eleonores Augenbrauen nachdenklich verzogen.

Gemeinsam beobachteten die beiden, wie die Seeleute das Gefährt durch die Stromschnellen führten. Jede Unsicherheit war nun verflogen; mit festem Griff lenkte der Steuermann das Ruder, während zwei Männer mit langen Staken halfen, die Wirbel zu umschiffen. Nun, da die Stromschnellen sicher überwunden waren, trat eine junge Frau in rotem Kleid an Deck, dicht gefolgt von einem Edelmann, der ihr die Hände besitzergreifend auf die Schultern legte.

Beim Anblick des breitschultrigen Mannes verzog Eleonore den Mund. »Und Johann begleitet sie, natürlich«, stieß sie verächtlich hervor. »Ich hätte es mir denken können.«

Sie schüttelte den Kopf und bückte sich nach ihrem Mantel. Nella konnte gerade noch aufspringen, da hatte Eleonore das Kleidungsstück schon hochgezogen und legte sich den schweren Stoff über die Schultern. Eilig lief sie zurück über den Pfad in Richtung der Burg, ohne dabei dem Mädchen noch einen Blick zuzuwerfen.

Mit einem Schnaufen richtete nun auch Nella sich auf, strich sich den Leinenkittel über die Knie und klopfte den Staub von den Händen. Ein wenig ärgerte sie sich über den abrupten Aufbruch der Grafentochter, doch wenn sie ehrlich war, war sie auch erleichtert. Es hatte doch zu seltsam geklungen, ihre Worte aus Eleonores Mund gesungen zu hören.

Noch einmal blickte sie hinab zu dem Schiff, das nun die nächste Flusswindung erreicht hatte und Kurs auf den Hafen unterhalb der Burg nahm. Das vornehme Paar stand vorne an der Reling, während die Seeleute Seile auswarfen, um die Jolle am Landungssteg zu vertäuen. Eilig wandte sich Nella von der Klippe ab und lief fort, um Eleonore zurück zur Burg zu folgen.

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