Noe gikk galt

Du kan forsøke å laste inn siden på nytt. Om feilen vedvarer kan du ta kontakt med oss på post@boldbooks.no.

Feilkode 418

DER KYNIKER  oder DAS DIOGENES-SYNDROM

DER KYNIKER oder DAS DIOGENES-SYNDROM · Sachbücher

Diogenes, der antike "Philosoph aus der Tonne" ist wieder auferstanden, um mit unserer modernen Zivilisation radikal aufzuräumen

Hva vil du med boka?

Es ist die unerschrockene Unternehmung, die Geschichte der Kyniker zu erzählen und zu aktualisieren, bevor sie in Vergessenheit gerät. Der Autor blickt in die zynische Fratze des modernen Menschen, die beklemmend mahnt, dass der Mensch sich selbst verfehlt. Während seines apokalyptischen Rittes durch die gegenwärtigen Verhältnisse, wird gründlich mit der vermeintlichen Zivilisation aufgeräumt. Der moderne „homo sapiens“ wird eindringlich durchleuchtet, um zu vermitteln, wonach jemand Ausschau hält, der auf seiner Suche nach einem wahrhaftigen Menschen keinen einzigen mehr findet. Zur Absicht gehört, die Menschen zum Widerstand gegen alle inhumanen Tendenzen der menschlichen Evolution zu inspirieren, so wie es schon immer zentrales Anliegen aller Philosophie war. Der Text nimmt dem Leser an der Hand und führt ihn durch die Spirale der Entwicklung von einem Zyniker hin zu einem Kyniker. Der neumodische Mensch macht sich gerne vor, er hätte mit der antiken Philosophie längst abgeschlossen; ganz im Gegenteil sind die damals gestellten Fragen ewig menschliche und darüber hinaus sogar aktueller als je zuvor, denn die vergangenen Jahrtausende hat die Menschheit zu wenig mehr genutzt, als der Wahrheit über sich selbst immer raffinierter und weiträumiger aus dem Weg zu gehen. Jemand ist gefallen, fühlt sich unglücklich und braucht jemanden, der ihm den richtigen Weg zeigt und wieder ans Licht führt, zur Menschennatur, wie sie wirklich ist, eben dies ist die Aufgabe dieses Textes

Om forfatteren

undefined undefined

Cave Carnem - Kynismus aus Berlin. Achtung vor dem Hund!

Von den Kynikern - einer Gruppe von Philosophen, die seit dem vierten Jahrhundert vor Christus ihr Unwesen treibt - wird behauptet, dass einzelne von ihnen ohne weiteres auf dem Marktplatz von Athen anzutreffen waren, wahlweise öffentlich masturbierend, kopulierend, kotend oder kotzend! Die ersten Chaostage fanden gar nicht erst 1983 in Hannover statt - Mit der offensichtlichen Zurschaustellung, natürlichster Bedürfnisse in gröbster Ausprägung, versuchten die Kyniker schon zweieinhalb Jahrtausende zuvor die allgemeinen Vorstellungen von Sitte und Anstand bloßzustellen. Das war bereits als eine Form der freien Meinungsäußerung gemeint, die als Demonstration gegen die Unnatürlichkeit der Menschen gerichtet war. In der Bezeichnung „Demonstration“ steckt hier wohlweislich bereits der „Dämon“, der als Monster die sauberstachelquadrahtige Ordnung der Kleinbürger herausfordert und wo immer möglich auch versucht, zu zerstören. Die Leute konnten bereits vor mehr als zwei tausend Jahren mit natürlichen und unverfälschten Bedürfnissen überhaupt gar nichts mehr anfangen. Die Kyniker benahmen sich deshalb wie wilde Tiere, um zu verdeutlichen, worum es sich beim Menschsein wirklich handelt, was sein tiefstes Naturell und innerstes Wesen ist: der Mensch gehört als Ganzes der Natur - sie meinen damit die wahre menschliche Natur - die Liebe, die Vernunft und den Menschen jenseits der Domestikation, abseits jeder Zivilisationsmaske und den künstlichen Anstandsregeln, die für sie höchstens Anstaltsregeln sind. Den Menschen also, wie er wirklich ist. Alles andere ist für einen Kyniker nur ein lächerliches Lügentheater. Zu einem Menschen wird man nicht automatisch dadurch, dass man sich nach der Scheißerei den Hintern mit dreilagigem Klopapier abwischt; Krokodillederhandschuhe, Intimrasur, Einparfümieren und Fönfrisur sind überhaupt keine geeigneten Maßstäbe oder Gradmesser dafür, ob irgendetwas als menschlich bezeichnet werden kann oder besonders intelligent ist. Kyniker sind stattdessen der Überzeugung, dass ein Leben in Übereinstimmung mit der menschlichen Natur schon viel eher zu gesunden, unabhängigen und glücklichen Menschen führen würde.

Wenn man wahrhaftig ein natürliches Mitglied der menschlichen Spezies ist, mit all seiner Notdurft und Empfindsamkeit – warum sollte das verboten sein oder Ekel auslösen!? Manche Leute beschimpfen sie deshalb auch als infantil oder undomestiziert, aber solche Bezeichnungen gelten unter Kynikern höchstens als Auszeichnung und gar nicht als Verleumdung. Denn ein Dreh- und Angelpunkt der kynischen Praxis ist die körperliche und geistige „Autarkie“, also die größtmögliche Unabhängigkeit von allem menschlichen - das bedeutet: psychologischen Wahnsinn. Die Methode der Kyniker stützt sich dabei auf ein philosophisches System, welches den Menschen seine Würde und sein Glück in sich selbst finden lehrt. Schon mit wenig zufrieden zu sein, ist dabei eine der Grundübungen. Dazu ist jedoch eine Bedürfnislosigkeit auf dem niedrigsten Grad an Bedürftigkeit notwendig, eben genauso, wie es sämtliche Heiligen und Weisen aller Zeitalter der Menschheit als Tugend immer schon wärmstens empfohlen haben. Der Kyniker ist ein Aussteiger – einer von denen jedoch, die durch das Aussteigen die hinter sich gelassene Ordnung zum Einsturz bringen.

Als bezeichnend für ihr Weltbild ist, dass erstmals auch Frauen in einer Gruppe von Philosophen akzeptiert wurden; Hipparchia zum Beispiel war eine radikale Streiterin für das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung und Bildung in einer Gesellschaft, in der Frauen sonst eigentlich nichts zu sagen und schon gar nichts zu denken oder philosophieren hatten, denn weibliche Philosophinnen sucht man anderenorts vergebens zu einer Zeit, in der böswillige Zyniker wie Aristoteles oder Platon noch der Meinung waren, dass Frauen unfertige Männer seien, und diesen höchstens als Sklaven zu dienen hätten.

Der Kynismus ist eine scherzhaft-traurige und dabei aber auch immer fröhliche Maskierung der Verzweiflung - welches im Echo der Gegensätze zwischen Möglichem und Tatsächlichem zerbrochen ist. Man betrachtet dabei den Menschen aus einer Nähe, in der sich sein Anblick immer mehr und mehr zu seiner wahren Fratze verzerrt. Man lässt die Oberfläche der Täuschung zerfließen und aus dem Bild ein durchsichtiges Aquarell entstehen, durch das Tieferes, oft schamhaft-Entblößendes hindurchscheint.

„Die anderen Hunde beißen ihre Feinde, ich aber meine Freunde, um sie zu retten“, erläuterte Diogenes seine Methodik. Der Menschen kommt nur zur Selbsterkenntnis, wenn man ihn immer wieder mit sich selbst foltert. Er tut sonst genau das Gegenteil davon, was man ihm rät. Wenn man ihm zum Beispiel ein nett gemeintes Lied wie „All you need is love“ vorsingt - und damit ist wohlgemerkt im Grunde und im Wesentlichen schon alles gesagt und alle Weisheit der Welt verkündet - dann massakriert er augenblicklich fünfhundert vietnamesische Frauen und Kinder, ermordet danach jemanden wie Martin Luther King und sechs Monate später liegt auch einer wie Rudi Dutschke blutend auf der Straße, mit einem Projektil im Gehirn, weil er den Kapitalismuss als eine menschenverachtende Ideologie anklagte, welche die Liebe zwischen den Menschen zerstört. Der Kyniker hasste es, sich unter diese Menschen zu begeben, und ging ihnen nach Möglichkeit ebenso weit aus dem Weg, wie wilde Tiere es instinktiv tun. Und wenn er sich doch unter sie mischte, um seiner ärztlichen Pflicht nachzukommen, diesen Geisteskranken zu helfen, dann fühlte er sich unter diesen verhärteten Gehirnsklerotikern, als würde er nur äffisch gestikulieren, Grimassen schneiden und sich auf dem Boden wälzen.

Wer zu viel weiß, kann nicht mehr leben, denn zu unwohl wird es so einem unweigerlich in seiner zurechtdomestizierten Haut. Doch die meisten Leute sind unheilbar lebendig und dabei auch noch bestens gelaunt. Denn sie weigern sich schlichtweg, auch nur annähernd zu ahnen, in welch hoffnungsloser Lage sie sich eigentlich befinden. Für diejenigen, die es dennoch tun, wird diese Existenz zu einem Gefängnis für angeblich Geisteskranke. Und es gerät zwangsläufig und unabwendbar zur brutalen Konfrontation zwischen den Insassen und den Anstaltsregeln. Wer einen freien Geist sein eigen nennen kann, wird früher oder später Probleme bekommen mit den geistigen Hygienevorschriften. Zu sehr beruht alles unter den Menschen auf der Vereinbarung, sich möglichst der Norm entsprechend zu verhalten, und Erwartungen zu erfüllen. Freiheit ist zwar das Gegenteil von Norm - aber Pünktlichkeit, Gehorsam, Sauberkeit, Disziplin und Ordnung sind nun mal die typisch menschlich-mechanischen Primärtugenden, die für den störungsfreien Betrieb einer kaputten Form von Gesellschaft unabkömmlich sind. Mechanik wie im Uhrwerk einer Zeitbombe. Wer den Automatismen und Dressuren entgehen möchte und stattdessen Solidarität, Selbstverwirklichung, Menschlichkeit und Kreativität fordert, soll dagegen wie ein Geisteskranker wirken.

„Vielleicht ziehe ich bald die Schlussfolgerung daraus“, dachte der Kyniker, „und gehe ins Kloster, um Manitu zu beschwören und Bier zu brauen – „denn wie sollte ich nicht an Götter glauben, wo ich doch sehe, wie die Menschen den Göttern zuwider sind!“ Der Wissenschaft zumindest glaubt ja auch niemand mehr – lieber nicht, sonst endet man noch als kleines, zänkisches Säugetier, das auf einem winzigen Planeten lebt, mitten in der Unendlichkeit des Universums und seine Existenz nur genetischen Mutationen zu verdanken hat - das sind zufällige und vollkommen unabsichtliche Veränderungen im Erbgut, ohne Zweck, Sinn oder Ziel. Da trifft ein Neutrino aus Versehen in einer Eizelle eines Rot-Arsch-Makaken auf eine Nukleinsäure und zack, schon ist es passiert und das Psychopathen-Gen ist aktiv! Wie zynisch ist das denn?! Da existieren Begriffe wie „Seele“, „Sinn“ oder „Ethik“ gar nicht. Da macht sich Ernüchterung breit. Und das stellt auch die Wichtigkeit der menschlichen Aufgeblasenheit mehr als nur in Frage. „Das Gen mit der Bezeichnung ARHGAP11B liegt in den Mitochondrien. Eine einzige, winzige Punktmutation in dieser Erbanlage hat beim Menschen offenbar dazu geführt, dass die Stammzellen, die das Zellmaterial für die Hirnrinde lieferten, überaktiv sind. Das führt dazu, dass der Mensch zwei- bis dreimal so viele Nervenzellen im Kortex ausbildet wie etwa Gorillas“. Und die so genannte „Philosophie“? Die hat die Standhaftigkeit einer Eintagsfliege, behauptet mal dieses, mal jenes und kommt nicht selten auf vollkommen paradoxe Schlussfolgerungen: „Ich bin also denke ich, dass ich bin, denke ich also bin ich!“, sagt sie - Ohne jedoch in diesem „Sein“ irgendetwas anzutreffen, außer bizarre Einbildungen, während sich die verletzliche Psyche in der entferntesten Nische des Unterbewusstseins einbunkert, so dass selbst ein erfahrender Psychoanalytiker mehrere Jahrzehnte benötigt, um sich ihr auch nur ansatzweise zu nähern. Und wenn man sie doch einmal zu fassen bekommt, dann flieht sie wie ein in Panik geratener Zitteraal wieder aus der Umklammerung: „Nur raus hier! Schnell weg von hier, so weit, wie es nur geht! Ich will nichts wissen von dieser Realität! Das Dasein soll sich lohnen, in sich gerechtfertigt und auch nicht vergebens gewesen sein! Hinein in das fernste und schönste Märchen!“ Aber die Tore nach Nimmerland, in dem Kinder niemals erwachsen werden, sind verriegelt. Kein Fluchtweg führt aus dieser Existenz, und zwar nirgendwo. Und die alte Angst bleibt, die Angst, dass der nächste Selbstbetrug der letzte sein könnte, der letzte Ast, die letzte Illusion und die letzte Lüge, die einen noch vor dem Ertrinken in der Wahrheit hätte retten können.

Der Mensch begann, sich vor etwa vier Millionen Jahren durch die Erfindung des aufrechten Ganges und damit Schritt für Schritt, von dem Rest der Tiere zu entfernen. Er ist nun ein auf zwei Beinen wandelndes Lebewesen - sein ganzes Menschsein hängt von diesem Aufrechtspazieren ab, denn das soll so sehr viel schlauer sein, als auf allen vier Pfoten herumzulaufen, so wie alle anderen Tiere es machen – das Auf-die-Schnauze-Fallen wird dadurch zwar nur umso wahrscheinlicher, weil es eine vergleichsweise vollkommen unsichere Art der Fortbewegung ist, aber was soll´s! In der Tat, erfand er seine Hochnäsigkeit wohl, auf dass er das Hinterteil seiner Artgenossen nicht mehr riechen müsse.

Nehmen wir einen konkreten Fall: Eine Tierart zerstört in Höchstgeschwindigkeit den Planeten und behauptet, das sei ganz besonders intelligent. Was ist von solcher Asozialität zu halten, wenn sie auch noch als besonders schlau behauptet wird? Absurd auch, wie er dasteht nach all der Zeit des menschlichen Aufrechtgehens: wie ein in den Raum zusammengesacktes Fragezeichen! Der Statiker hat das Maximalgewicht, welches die Struktur tragen kann, falsch berechnet - der schwere Kopf ist viel zu groß geraten. Dafür kein Rückgrat! Stattdessen chronische Kreuzschmerzen als besorgniserregende Begleiterscheinung der größenwahnsinnigen Konstruktion.

Dabei bildet er sich wer weiß was drauf ein, wie er so pseudoaufrecht daherstolziert mit seiner Wirbelsäulenskoliose. Das Menschgotttier, der Tiermenschgott, das Gottmenschtier, der Tiergottmensch. Warum ist das etwas so großartiges, dass man sich erlauben darf, so dermaßen egozentriert zu sein?!

Das Ganze ist von Anfang an recht kurvig angelegt und dadurch krankheitsanfällig, dieses kurvige Rückgrat, könnte man meinen. Sollbruchstellen sind vorprogrammiert. Minderwertigkeiten der Konstruktion werden jedoch gerne durch die Betonung eines gradlinigen, starren Ganges zu kompensieren versucht. Starke Beine, die im Stechschritt immer geradeaus gehen, sind hierfür genauso unentbehrlich wie die obligatorischen Scheuklappen für den Tunnelblick. Natürlich bilden sie sich auch noch Großes auf etwas ein, das sie zu bestimmten Handlungen berechtigt, nur in ihren Köpfen und nicht bei anderen Tieren zu finden sei und das sie „Vernunft“ nennen. Das scheint jedoch etwas so Kostbares, Wertvolles und Vergängliches zu sein, dass sie nur sehr selten davon Gebrauch machen - dann jedoch immer mit grandioser Eitelkeit - da verleiht sich die Menschheit, in ihrer arroganter Selbstgefälligkeit, selbst Nobelpreise und Goldmedaillen für alles Mögliche, um sich selbst abzufeiern. - Von der Tierwelt würde dieser Mensch für seine fragwürdigen Leistungen allerdings höchstens den Goldenen Windbeutel oder die Gurke des Jahres verliehen bekommen.

Diesem knickrigen Rückgrat entsprechend, hat der Entwickler auch die Seele des Menschen mit Sollbruchstellen versehen. Man kann von einer psychologischen Immunschwäche sprechen, wenn man betrachtet, mit welcher Leichtigkeit es Feinden wie der Neurose oder dem Gehorsam gelingt, in die kindliche Psyche einzubrechen. Vom Menschen wissen wir bereits, dass er überhaupt nicht durch die Anpassung an die Gesellschaft der Pünktlichkommer gehen kann, ohne tief sitzende seelische Konflikte davonzutragen. Gewissermaßen trägt jeder einzelne ein unumgängliches Maß an Verrücktheit und Entfremdung davon.

Der eigentliche Kampf gegen die Knechtschaft der Menschheit fängt ja überhaupt erst an, wenn man sich den geistigen Monstern entgegenstellt, also den wahren Herrschern über Krankheit, Tod und Leben und nicht irgendwelchen menschlichen Tyrannen, Selbstüberschätzern und Möchtegerndiktatoren. Diese sind nur der kleine Beifang, der ohne Mühe in einem kynischen Mühlstein zerrieben werden kann. Die wahren und übermächtigen Sklavenhalter der Menschheit aber heißen: Lüge, Egomanie, Fixiertheit, Phobie, Neurose und Depression.

Der Kyniker ist nicht feige und versteckt sich nicht. „Auch der Arzt, dessen Aufgabe es ist, die Gesundheit herbeizuführen, hält sich nicht bei den Gesunden auf“, meinte Diogenes, sondern er mischt sich unter die Kranken, die er heilen möchte. So stellt sich der Kyniker mutig seinem größten Feind: der in die Irre gelaufenen Gesellschaft. Er folgt ihrer Gravitation, der ungeheuren Ansammlung von Scham, Ekel, Lüge, Dummheit und Irrsinn direkt in ihr Epizentrum, namentlich der Großstadt und stellt sich in ihre Mitte, um die Philosophie an sich gegen eine Welt zu verteidigen, die Männer wie Sokrates ermorden lässt und Kyniker als Verrückte in ihre Irrenhäuser sperrt, weil dieser Gesellschaft alles Philosophieren an sich schon zur Gefahr geworden ist. Da ist man als „Sokratiker“ von vornherein schon Mitglied einer terroristischen Vereinigung. Fundierte Herrschaftskritik ist für gebieterische Systeme sogar die gefährlichste Form des Terrors!

Sokrates versuchte die Richter zu zwingen, die irrationalen Gesetze ihrer Bürokratie selbst als absurd zu erkennen und stattdessen ihren gesunden Menschenverstand zu benutzen - Demnach wäre er nämlich komplett unschuldig gewesen! Doch die Bürokraten hielten an ihrem Blödsinn fest. Sie erkannten an dem lächerlichen Prozess gegen Sokrates keine formaljuristischen Mängel. „Sokrates handelt erstens gesetzwidrig, da er nicht an die Götter glaubt, die der Staat anerkennt, sondern andere, neue Gottheiten einführt; er handelt zweitens gesetzwidrig, da er die Jünglinge verdirbt.“ : so lautete ernsthaft das Urteil dieser aristokratischen Götterstaat-„Demokraten“. Einer Volksherrschaft also, in der man gelyncht wurde, wenn man nicht an die, vom Ministerium für Religion vorgeschriebenen Standartgötter glaubt - komische Demokratie, möchte man meinen, in der nicht das Volk sondern Götter herrschen, und zwar ausgerechnet auch noch in Form von reichen Vollblutbürgern, die voreingenommene Todesstrafen verhängen dürfen und sich dabei allesamt von Sklaven bedienen und den Hintern abwischen ließen!

Welches schändliche Verbrechen soll Sokrates denn begangen haben? Hat er etwa wie Rosa Luxemburg 1915 dazu aufgerufen, den Kriegsdienst zu verweigern oder wie Giordano Bruno vermutet, dass es im Universum selbstverständlich auch noch auf anderen Planeten Lebewesen existieren?! - So was soll in einem Staat voll mit anständigen und gottesfürchtigen Spießbürgern ja schon ausreichen, um jemanden zum Abschuss frei zu geben oder ihn wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen brennen zu lassen! Oder wurde er dafür angeklagt, dass er den Kindern der reichen Bonzen riet, den Gehorsam und die Hörigkeit zu verweigern, sowie die Sklaverei und den Gottesstaat als Institutionen zu hinterfragen?! - Jedenfalls verhängte man das Urteilt, obwohl seine weisen Lektionen unentbehrlich in das Informations-Programm gemäß Jugendschutzgesetz gehören sollten. Er selbst hielt es übrigens für mehr als angemessen, ihn für seinen Dienst an der Gesellschaft zum Ehrenbürger zu ernennen und ihm wenigstens im feinsten Regierungsgebäude Athens dafür ein leckeres Festmahl zu servieren. Denn er hatte sich ja wohl mehr als in herausragender Weise um das Allgemeinwohl der Bürger verdient gemacht, indem er sie dazu animierte, selbst zu denken. Stattdessen wurde er aber von der Gesellschaft hingerichtet, denn er hatte Verwirrung gebracht und ihre unumstößliche Normalität in Frage gestellt. Und sie ließen ihn hinrichten, obwohl er in ihren Augen ein Geisteskranker war und ihm wurde darüber hinaus die Verantwortung für alles angehängt, was zu dieser Zeit an freigeistlicher Kritik im Volk garte und so bezahlte er, wie so viele vor und nach ihm, allein für das Aussprechen der kritischen Wahrheit mit seinem Leben.

Aber über der Justiz des allmächtigen Staates, zumal einer Bürokratie in Namen von Göttern, steht ja nun mal kein höheres Gewissen, gegenüber dem sie Rechenschaft abzulegen hätte. Vor allem nicht, wenn sie meint, dass es mal wieder an der Zeit wäre, ein klärendes Exempel zu statuieren, um anschaulich darzustellen, welche Machtverhältnisse im Staate so herrschen. Der Prozess gehen Sokrates war ein politischer!

Es war vollkommen offensichtlich, wer in dieser neuen so genannten „Demokratie“ Athens immer noch am Drücker saß, nämlich die gleiche, mächtige und reiche Inzestclique wie schon immer! Die attischen „Demokraten“, die dort auf der Anklagebank saßen, waren Sklavenhalter, die ihre Bediensteten nicht als Menschen, sondern als Dinge begriffen. Und auch für die feinen Herren Berufs-„Philosophen“ waren die Knechte und Dienstburschen, die ihnen den Wein ins Maul pimperten selbstverständlich. Aber nicht so für die Kyniker, die Störer dieses faulen Friedens. Denn sie forderten die Abschaffung aller Sklaverei. Der Kynismus ist der Beweis dafür, dass wahre Demokratie schon gefordert wurde, als die blaublütige High Society von Athen erst damit anfing, das Konzept Demokratie mit einer gottesfürchtigen Pseudovolksherrschaft einer Herrenkaste zu verwechseln. Und es wären aus diesem Grunde auch überhaupt keine zweitausendfünfhundert Jahre an Sklavenaufständen, Revolutionen, Arbeitskämpfen und Emanzipationsbewegungen samt hunderte Millionen von Leichen nötig gewesen, hätte man damals gleich anstatt auf die bestechliche Lobbyistenfraktion der Vier-Sterne-Philosophie nur auf Diogenes den Köter gehört. Stattdessen liefen die Sklaven aber immer nur den Demagogen ihrer Herren hinterher. Und was sie dafür als Belohnung erhielten, kann man in den Geschichtsbüchern lesen, die mit ihrem Blut geschrieben wurden. Hatte nach der Diktatur, der „Tyrannei der Dreißig“ in Griechenland überhaupt eine „Entnazifizierung“ stattgefunden oder saßen nur dieselben Bonzen, Wichtigtuer und das übliche Gesindel aus dem Geldadel wieder auf den Abgeordnetenrängen dieser so genannten ersten Schein-„Demokratie“?

Müßig danach zu fragen, hat sich doch bis heute daran nichts geändert. Und überflüssig ist ebenfalls, noch danach zu fragen, wer seine schützende Hände über diesen Platon und die anderen Herrschaftstreuen gehalten, eine Generalamnestie für das Pack erwirkt und den Sokrates stattdessen dem Henker ausgeliefert hat: Es waren die gleichen Leute, denen das Herrenmenschengequassel, das Gerede von der auserwählten Eliterasse, das Menschenzucht- und Eugenikgelabere und der ganze andere platonische Spuckwerk so aus der Seele gesprochen war und so gut in den Kram passte. Nein, kein Haar wurde dem Platon gekrümmt und kein Taler genommen, dafür war er viel zu gut befreundet mit den Meistern der Puppen. Und seine Traurigkeit kann ihm auch keiner abkaufen, denn er hat die Hinrichtung des Sokrates seelenruhig ausgesessen und danach hat er sich erstmal aus dem Staub gemacht. Denn in einer Volksdemokratie wollte er nun wirklich nicht leben. Stattdessen ist er unter den Rock seines Freundes, dem Diktator von Syrakus gekrochen, weil ihm die Lage zu brenzlig wurde und er befürchten musste, dass vielleicht doch noch rachsüchtige Rebellen herumvagabundierten, die mit ihm das gleiche machen wollten wie mit seinem Onkel, dem Tyrannen Kritias, nämlich ein Hühnchen mit ihm rupfen und ihn totschlagen. Und erst als er sich vollkommen sicher war, dass die alten Verhältnisse von oben und unten, von Herr und Sklave, von Ruhe und Ordnung wieder hergestellt waren, ist er zurückgekehrt, hat ein schön-herrschaftliches Baugrundstück in Athen gekauft und dort seine Eliteakademie für Managerphilosophen eröffnet, um dann Gedankenklone wie diesen Aristoteles von sich zu züchten und so Studiengänge wie: Master of Management, Unternehmensleitung, sowie die Vermittlung von Führerqualitäten anzubieten. Und Diogenes sollte sich dort als Erstsemester bewerben, sich in die Pflichtseminare einschreiben, die Einführungsveranstaltung in die Wirtschaftsphilosophie belegen und die Philosophie aus der Ferne, als antiquierte Wissenschaft betrachten lernen. Das alles natürlich nur unter der Voraussetzung, dass er in der Lage war, die Studiengebühren zu berappen?! Das ist ja nun wirklich lachhaft!

Platon bezeichnete Diogenes einmal herablassend als einen „verrückten Sokrates“, woraufhin dieser ihm einen Spiegel vorhielt, indem er ihn ebenso nannte; denn er hielt Platon für noch viel verrückter als sich selbst, aber meinte damit nicht harmlos-verrückt im Sinne von skurril oder absonderlich, sondern verrückt von einer ganz anderen, geisteskranken und gemeingefährlichen Sorte!

Für diese Art von Leuten wurde Sokrates stellvertretend ermordet und damit wurde symbolisch und ganz plakativ die Philosophie an sich hingerichtet. Es handelt sich dabei um den offiziellen Ursündenfall der Menschheit in Bezug auf die Philosophie, denn Sokrates war „der erste Philosoph, der gerichtlich verurteilt das Leben einbüßte“! Ein Kritiker wird im Namen von Religion, Wirtschaft und Politik demonstrativ ermordet, um klar zu stellen, wer im Staat das Sagen hat und in den nächsten Jahrhunderten die Befehle gibt. Man unterschied in der Folge nur noch zwischen den wenigen, bezahlten Profi-Philosophen mit ihren unantastbar-komplizierten Lehren, die behaupten die Wahrheit bereits gefunden zu haben und dem Rest des Volkes der Nichtphilosophen, die gefälligst ihr Maul halten und was Nützliches arbeiten sollen, da sie zum Denken nun mal einfach viel zu doof sind. Nach getaner Arbeit konnten sich diese Leute wieder neu ans Werk machen und langsam aber sicher die platonische Wende einläuten. Das heißt, Sokrates abservieren, Gras über die Sache wachsen lassen und dann neu anfangen, mit sich selbst als Erben und Gralshüter der Wahrheit. Von dem subversivem Geist Sokrates gereinigt, konnte man dann lupenrein-demokratische Überlegungen darüber anstellen, dass es geborene Herren und geborene Sklaven geben muss und eine Elitekaste aus Herrenmenschen, die über den minderwertigen Rest hinwegbestimmt und so weiter. Und jetzt konnte Platon endlich auch seine Bestseller schreiben: die Lehren des Sokrates, wortgetreu und unverfälscht! Und so Freiheit-versprechende Titel wie: „der Staat“ und: „die Gesetze“ nachliefern. Einen verfälschten Sokrates fünfzehn Jahre nach dessen Ermordung, in den eigenen Büchern von den Toten auferstehen lassen und ihm einfach die platonische Staatstheorie unterschieben. Vorher noch eine einigermaßen authentische „Verteidigung des Sokrates“ schreiben, damit alles nahtlos ineinander übergeht, ihn im Anschluss jedoch nur noch instrumentalisieren, verwässern und verfälschen. Schlussendlich nahm Sokrates dann angeblich freiwillig den Giftbecher in die Hand, während seine Jünger um ihn herum standen und heulten. - Ja! bestimmt! So ist es gewesen. Weil er an dem Tage wohl gerade nichts Besseres zu tun hatte, als sich zwingen zu lassen, sich selbst umzubringen?! Garantiert so ist es gewesen! Und am Ende war es dann seine eigene Idee, sich zu vergiften?! Platon ist zwar nicht dabei gewesen, wie er auch bei der Gerichtsverhandlung nur zugesehen hat, anstatt sich selbst zu melden, um Sokrates aus der Schusslinie zu boxen, indem er ganz klar hätte darstellen können, was an der menschenverachtenden Gesinnung der Tyrannen von ihm selbst und wie wenig davon von Sokrates stammte. Aber er ließ sich nicht blicken und tat nicht sein Mäulchen auf. Aber Diogenes kennt Antisthenes und dieser kannte Sokrates und daher weiß er, was wahr ist über Sokrates und das davon im Grunde gar nichts in Platons Fantasy-Romanen steht! Schlägt man eines seiner Büchlein auf, dann steht dort eben nicht: der Mensch ist frei und bedarf keines Herren, sondern man liest: „Kein Mensch darf ohne Führer sein“!

Sokrates war vielleicht nicht wütend darüber, sein Leben beenden zu müssen, nein, dafür war er, was die Zwangsläufigkeit des Sterbens anging, viel zu einsichtig. Auch kam ihm wohl nicht ungelegen, dass einen der Tod wenigstens von der lebenslangen Lügerei erlöst. Schlussendlich muss man jedoch eingestehen, dass es doch leider sein Stolz war, dem er zu verdanken hatte, in diese unangenehmste aller Lagen geraten zu sein und der ihn blind machte für die Folgen, denn er hatte schlussendlich nicht weniger Angst und Frucht wie jeder andere Mensch auch, als er schließlich dem Tod ins Angesicht blicken musste. Darin gleichen wir allesamt verlorenen Kleinkindern, die sich in finsteren Kellern verlaufen haben und in panischer Angst versuchen, die Rolltreppe in entgegengesetzter Richtung wieder hinaufzulaufen, verfolgt von den schrecklichsten Monstern hinter sich in der Dunkelheit. - Der Schierlingsbecher wirkt alles andere als augenblicklich: der Vergiftete erstickt bei vollem Bewusstsein!

Hätte Sokrates noch sprechen können, hätte man ihn auch darüber fluchen hören, wie es ihn reute, nicht geflohen zu sein und stattdessen dieses ganze, lächerlich-makabre Theater mitgespielt und das verdammte Gift getrunken zu haben, nur um irgendwelchen unbelehrbaren Idioten irgendetwas dummes damit zu beweisen. Aber Sterben tut nun mal jeder für sich allein und was auch immer man damit beweisen wollte, geht einen dann überhaupt gar nichts mehr an und wird belanglos. Auch der Kyniker Peregrinus Proteus sollte diese bittere Lektion noch lernen, als er freiwillig und ebenso mutig wie idiotisch in einen brennenden Scheiterhaufen sprang, nur um den Zuschauern damit zu beweisen, wie gleichgültig ihm sein Ego war, denn nicht ohne Grund wurde im Mittelalter das Erwürgen der verurteilten Hexe vor der Verbrennung als Akt der Gnade angesehen. Wer tatsächlich glaubt, es stirbt sich mal eben so, ohne Reue, Kummer und Schmerz, der hat überhaupt keine Vorstellung davon, was das eigentlich bedeutet: zu sterben.

Einige Jahre später wäre Sokrates vielleicht abends, ganz friedlich zu Bett gegangen und morgens einfach nicht wieder aufgewacht. Stattdessen starrten seine zitternden Augen minutenlang hilflos ins Nichts, bis der Atemstillstand schließlich zur Erstickung führte. Seine Dickköpfigkeit dürfte sich wenig gelohnt haben, denn was wollte er so großartig damit beweisen?! Dass man der beste Redner aller Zeiten und noch dazu vollkommen offensichtlich unschuldig sein kann und es selbst so einem nicht gelingt, zu verhindern, dass er wegen irgendeinem Schwachsinn zum Tode verurteilt wird?! Dass also keine Rechtsprechung möglich ist, schon gar nicht per aristokratischer Vollblutsbürger-Abstimmung in Namen von Göttern. Denn die Urteile der Leute sind immer gefangen, in der grade gültigen Version der herrschenden Kultur?! - Der tollste Beamtenapparat, in dem alles seine Richtigkeit hat, nützt nun mal wenig, wenn das Gesetz grad befiehlt, auf Hexenjagd zu gehen.

Antisthenes hat Sokrates sowohl bei seiner Verurteilung als auch bei der Hinrichtung beigestanden und anschließend mit dem Gymnasium des „weißen Hundes“, am Rande von Athen ein Rückzugsort geschaffen, an dem man die sokratische Praxis der Philosophie fortsetzen konnte. Sokrates Erbe wurde deshalb auch durch niemand anderen als den Kynikern angetreten. Platon dagegen war noch nicht einmal anwesend als Sokrates starb. Er erwähnt in seinem Roman „Phaidon“ beiläufig, dass er wohl „glaubt“, am Hinrichtungstag gar nicht unter den Anwesenden gewesen zu sein, sondern unentschuldigt fehlte und deshalb auch kaum eine Ahnung davon gehabt haben konnte, wovon er eigentlich schrieb. Und danach hat es auch noch eine ganze Weile gedauert, bis seine Bemühungen, sich anderswo als Politiker an die Macht zu intrigieren schlussendlich gescheitert waren und er nach Athen zurückkehrte, um seine ganz unsokratische Akademie für Politikwissenschaftler, Finanzmathematiker und Wirtschaftsphilosophen zu gründen. Antisthenes war als vertrauenswürdigster Nachfolger des Sokrates und prominentester Sokratiker zu jener Zeit längst bekannt und geschätzt, während Platon erst künstlich, durch die Propaganda und Reklame reicher Gönner bedeutend, berühmt und wichtig gemacht werden musste. Doch trotz aller Werbung und Lobbyarbeit für das platonische Kastenwesen blieb der Einfluss der Kyniker über die Stoa bis in die Neuzeit lebendig und das, obwohl aus der Wirtschaftsaristokratie nie Millionenbeiträge als Spenden für den Kynismus flossen.

Merkwürdig ist auch, dass Xenophon nie einen Platon erwähnt hat. Doch hatte Sokrates seine Weltanschauung nicht in Dialogen weitergegeben? Warum hat dann gar niemand je einen Dialog mitgeschrieben zwischen ihm und einem gewissen Herrn Platon? Xenophon war ein treuer Begleiter des Sokrates und er schrieb zum Beispiel eine Mitschrift namens „Gastmahl“; und in dieser erwähnt er natürlich den Kyniker Antisthenes, als des Sokrates eifrigsten Freund und Gesprächspartner; nie aber einen Herrn Junior-Professor Doktor Platon!

Dieser Platon rät seinen Philosophen-Reichskanzlern und Philosophie-Diktatoren übrigens, dass sie zu Propagandazwecken gerne so viel sie nur wollen, lügen und betrügen dürfen, wo sie es für nötig halten. Er empfiehlt diesen Leuten sogar ausdrücklich, zu lügen! - So weit hat dieser so genannte „Philosoph“ es mit der Liebe zur Wahrheit!

Diogenes dagegen konnte auch, ohne zu lügen, überzeugend sein: „Wunderbar war die Überredungsgabe, die dem Manne innewohnte“, sagte man über ihn und: „wer es auch sein mochte, es war ihm ein leichtes, ihn für sich zu gewinnen.“ - Das ist auch keine so große Kunst, wenn man bedenkt, dass man, indem man einfach nur die Wahrheit sagt, doch im Grunde immer nur durch bereits geöffnete Türen gehen muss, denn es kann wohl kaum etwas einleuchtender und überzeugender sein, als die Wahrheit!?

Sein Talent benutzte Diogenes aber nicht dazu, anderen zu schmeicheln, um sich bis in das Amt des geschäftsleitenden Gesäßkriechers hoch zu schleimen, nein, nein, das überließ er gerne so Leuten wie Platon oder Demosthenes, sondern: „Besonders stark war er darin, anderen seine Verachtung kundzutun“, und ihnen dreiste Vorträge über ihre Dummheit zu halten! Das ist nämlich auch viel schwerer und dringlicher, als sich einfach nur bei einem der Meinungsforschungsinstitute zu erkundigen, was denn die Mehrheit der Leute so denkt, um den Zuhörern dann schöne Reden um den Mund zu schmieren, damit sie einem zu ihrem Obermeinungsstellvertreter wählen, weil sie denken, dass man wirklich exakt den gleichen Dünnpfiff glaubt und vertritt wie sie selbst.

Der Herr Demosthenes war zum Beispiel so ein Gerne-groß-Redner im Politikerkabinett Alexanders, dem es gelang, sich mit den tollsten Tricks vom klammen Stotterer zum eingebildeten Vortragskünstler hochzuarbeiten. Um nach dem Tode seines Vaters an den umkämpften Reichtum aus dessen Waffengeschäften zu gelangen, studierte er Überredungskunst bei den Sophisten, um unter allen Umständen vor Gericht Recht zu behalten. Danach ist er wegen Mangel an philosophischen Talent und anderen, niederen Beweggründen in die Politik abgerutscht, um in erster Linie noch mehr Geld, Bewunderung und Ansehen so viel er nur konnte anzuhamstern. Die Kunst der Überredung, die er von den Rhetorikern abgekupfert hatte, missbrauchte er vor allem dazu, schleimige Festreden auf Bestellung zu halten oder als spitzfindiger Winkeladvokat vor Gericht zu vertreten, wer auch immer sich seine exquisiten Dienste leisten konnte - oder musste - also in erster Linie schuldige Verbrecher aus dem Feudaladel, denen er mit einer mitleiderweckenden Rede zu einem Freispruch verhelfen sollte. Demosthenes war ein Sophist von der ganz üblen Sorte. Ihm war nichts langweiliger, als die Wahrheit zu verteidigen. So richtig in Plapperlaune kam er erst, wenn ihm jemand ein üppiges Honorar dafür anbot, eine eigennützige Forderung unabhängig von dessen Richtigkeit und zum Schaden der Allgemeinheit durchzuboxen. Also die komplette Entkopplung von Rede und Wahrheit. Als Demagoge war er ein Volksverführer und politischer Hetzer ohne Skrupel. Das Ganze natürlich nur aus rein finanziellem Interesse, denn er hatte ja schließlich die Waffenfabrik seines Vaters beerbt, so dass er kaum Anlass dazu hatte, müde darin zu werden, phantasievolle Argumente dafür zu improvisieren, warum all die Angriffskriege und Eroberungszüge nun dringend bereits heute und nicht erst morgen stattfinden mussten. Als Stadtbekannter Verführer von Lustknaben verdiente er sich nebenher außerdem noch einen fragwürdigen Ruf als pädophiler Perversling. Heutzutage wird dieser bestechliche Päderast hingegen als Vorkämpfer für die Demokratie und als Ur-Opa aller Advokaten von der Anwaltsgilde recht scheinheilig verehrt.

Tatsächlich war er ein Alles-Schön-Redner und ein Meister der Verstellung, der sich beliebig inszenieren und seine Zuhörer wohin-auch-immer-hin manipulieren konnte. In erster Line war das dem schwungvoll-wortgewaltigen Redeschmuck zu verdanken, den er bei seinen Umgarnungen so lange meisterlich auszuteilen verstand, bis die meisten Zuhörer davon vollkommen besoffen waren. Auf der Karriereleiter im Zirkus der Politik hüpfte er deshalb auch wie eine Stabhochspringer-Heuschrecke die Sprossen in die Höhe. Seine schmeichlerischen Vorträge über das attische Gutmenschentum waren eine Zeit lang dermaßen beliebt, dass man sich selbst von weit über die Stadtgrenzen hinaus genötigt fühlte, als Tourist nach Athen zu reisen, um neben den üblichen Attraktionen, wie mordlustigen Gladiatorenkämpfen und halsbrecherischen Wagenrennen, auch noch Demosthenes rechtspopulistschen Vorträgen darüber zu lauschen, wie selbstzufrieden und hochnäsig man sich in dem Gesinnungskitsch einer Sklavenhalter- und Gottesstaat-, Pseudo-„Demokratie“ einrichten kann, in der noch zum Tode verurteilt und zum Suizid gezwungen wurde, wer nicht daran glaubte, dass Zeus in der Bibliotheke zuerst Kampe erschlagen musste, um die Kyklopen zu befreien oder wer Zweifel daran hatte, dass Aphrodite wirklich aus dem Schaum entstanden sei, der sich um die abgeschnittenen Genitalien des Uranos im Meer vor Kythera gebildet hatte. Dass er auch nur eine einzige seiner wertvollen Silben verschwendete, um sich für Arme oder Sklaven einzusetzen oder gegen den Geldadel zu argumentieren, musste man bei Demosthenes jedenfalls nie befürchten.

Eines schönen Morgens hatte sich eine Gruppe von Touristen auf ihrer Sightseeing-Tour durch Athen, auf dem Weg zur Akropolis im Stadtzentrum verlaufen und stieß auf dem Marktplatz frontal mit dem schon genannten Diogenes zusammen, der gerade eifrig damit beschäftigt war, vollkommen sinnlos sein Fass von einem Ende des Platzes zum anderen und wieder zurück zu rollen, weil er erforschen wollte, was denn an so blödsinnig Herumarbeiten eigentlich so toll war, dass die Leute ihr gesamtes Leben lang gar nichts anderes mehr machen wollten.

Die Urlauber standen, wie Falschparker in seiner Fahrspur herum, weil sie nicht recht wussten, in welche Richtung der Ausflug nun eigentlich weiter gehen sollte. Diogenes versuchte sie zwar, mit einem deutlichen „Platz da!“ zum Weitergehen zu animieren, um pflichtbewusst seine „Arbeit“ fortzusetzen, musste aber dennoch scharf abbremsen, weil die Urlauber ganz gelähmt waren, in ihrer mitleiderregenden Verlorenheit und nicht mal dazu fähig, ihre Hintern auch nur einen Meter zur Seite zu bewegen. Sie verlangten stattdessen von Diogenes, dass er für sie auch noch den Reiseführer spielt: „Wir wollen Demosthenes sehen!“, verlangten sie gebieterisch nach Auskunft, als müsste selbstverständlich wohl jeder wissen, wer dieser Typ eigentlich war und noch dazu, wo er sich gerade so rum trieb. Da streckte Diogenes seinen schamlosen, mittleren Stinkefinger in die Höhe und antwortete: „Da habt ihr den Demagogen der Athener!“ Denn er hielt Demosthenes für einen aufgeblasenen Fäkalienquatscher und geilen Bock, der um diese Tageszeit wohl noch am ehesten in einer der Kneipen in der Nähe des Kinderstrichs zu finden war, und zwar lautstark, da er sich, um seine Stotterneurose zu therapieren, am liebsten selber reden hörte. Im Grunde hätte Diogenes aber auch gleich die Hose herunterlassen und damit anfangen können, sich zu masturbieren - dann hätten sich die Touristen die Suche nach Demosthenes nämlich komplett sparen können, denn schließlich tat dieser am Rednerpult auch nichts anderes.

Diogenes hatte damit den Stinke-Finger erfunden und das war eine ganz nützliche Innovation, denn nun hatte man zu jeder Gelegenheit eine aussagekräftige Geste zur Hand, mit der man Spinnern und Aufschneidern gegenüber, nicht nur seine Respektlosigkeit mit einfachsten Mitteln ausdrücklich mitteilen, sondern auch die angestaute Wut ablassen konnte.

Ein Kyniker hat nun mal absolut kein Interesse daran, in seinen Reden auf Gemeinsamkeiten mit dem Publikum herumzukauen, um auch ja niemanden zu verärgern und sich danach den Applaus als Bestätigung seiner Großartigkeit abzuholen. Er lässt auch nicht den Hut rumgehen, um Spenden für seine Auftritte einzusammeln und schon gar nicht, hält er als Lobbyist hochbezahlte Vorträge, um die versammelten Wirtschaftsminister davon zu überzeugen, dass es zur Zahlung von Milliarden, zur Rettung der Banken keine Alternative mehr gibt. Für so etwas war Demosthenes zum Beispiel die erstbeste Wahl. Stattdessen spricht ein Kyniker radikal die Wahrheit aus, die, wenn die Gesellschaft nun mal krank und pervers ist, wohl kaum etwas anderes als provokant, anstößig und extrem sein darf.

„Zu was ist so ein Philosoph eigentlich nützlich, der, obwohl er schon lange „Philosophie“ betreibt, noch nie jemanden damit gestört hat?!“, soll Diogenes einmal in Platons Richtung gefragt haben. Also, wozu ist so jemand eigentlich hilfreich, wenn er sich nicht traut, etwas unbequemes auszusprechen und der Erkenntnis der Menschen über sich selbst auch nichts weiter hinzufügt, außer, dass sie sich auf dem richtigen Weg befinden, super chic aussehen und nur so wie bisher weiter machen brauchen, um bald in der besten aller Gesellschaften zu leben, ganz genau so, wie sie es gerne hören wollen!? Als Antisthenes einmal darauf hingewiesen wurde, dass die Zuhörer auf seine Schmährede gegen den Kapitalismus teilweise sogar mit Lob und Zustimmung reagierten, kratzte er sich sofort nachdenklich am Kopf und fragte sich überrascht: „Na nu? Was hab ich denn jetzt falsch gemacht!?“ , denn relativ häufig passierte es, dass die Leute seine Ironie nicht verstanden und es für bare Münze nahmen, wenn er die Herren Senatoren „ehrenwerte Männer“ und „beste Wahl“ nannte oder dass sie ganz vergaßen auch sich selbst angesprochen zu fühlen, wenn er Menschen, die im Überfluss lebten und lieber Sklaven für sich arbeiten ließen, als „fiese Speckmaden“ bezeichnete.

Wer da als so ein begnadeter Redner gepriesen wurde, war tatsächlich nicht mehr als ein talentierter Marktschreier, der die Chance genutzt hatte, anstatt stinkenden Fisch, nun auch nicht minder übel riechende Politik zu verkaufen. An Demosthenes Stelle hätte man deshalb auch gerne den Kyniker Hegesias als einen wahrlich überzeugenden Redner in Erinnerung halten und ehren können - wenn man denn gewollt hätte - immerhin hatte der im Gegensatz zu Demosthenes auch wegweisende Erkenntnisse über das Wesen des Menschen vorzutragen und nicht nur ausnahmslos tagespolitische Kleinkrämereien wie dieser. Ihm wurde sogar der Spitzname „der Selbstmordprediger“ verpasst, denn er konnte, wenn er wollte - natürlich nicht ohne dafür auch eine wasserdichte Beweisführung vorzulegen, die Leuten davon überzeugen, dass nicht gelebt zu haben ja wohl sehr viel besser gewesen wäre, als den kranken Schwachsinn durchzuziehen, den sie so als „Leben“ bezeichnen. Die Leute hatten sowieso schon keine Lust mehr, auf ihr Leben in der Plastikwelt oder sogar noch mal 30 Jahre lang den Wecker morgens um halb sechs. Stattdessen sollen die Menschen jedoch mit Betäubungsmitteln in Form von Märchen und Lügen eingeschläfert und abgelenkt werden. Die Narkose der chloroformierenden Zerstreuung. Es ist nun aber die klassische Zauberkunst von Trickbetrügern, vordergründig mit Effekthascherei sensationelle Vorgänge vorzutäuschen, wobei durch gezielte Ablenkung die Aufmerksamkeit der Zuschauer vom eigentlichen Geschehen weg, auf etwas vollkommen Nebensächliches gelenkt wird. Mit den Folgen der gesellschaftlich organisierten Verdrängung des Todes ins Negativland der Tabus hatte Hegesias deshalb tagtäglich als Seelsorger zu kämpfen, denn er musste sich auch um die Alten und Kranken kümmern und bei ihnen diese ganzen verhärteten Strukturen des psychotischen Menschen wieder auflösen, um sie auf den Tod vorzubereiten. Kyniker betreuen die Menschen bei ihrer Geburt, indem sie dafür Sorge tragen, dass die Unmündigen ihre Reise in den Zustand der Selbstständigkeit sicher abschließen; Sie begleiten aber ebenso die Kranken und Alten beim Sterben, indem sie ihre Ängste auflösen und damit dem Tod seinen Schrecken nehmen. Ansonsten lautete Hegesias Rezept, körperliche und seelische Leiden zu vermeiden wie ein tapferer Zen-Buddhist, indem überhaupt nicht mehr in der herkömmlichen Weise an der Konsumgesellschaft teilgenommen wird. Denn er hielt es prinzipiell für unmöglich, dass Menschen den Zustand der Glückseligkeit erreichen können und mit Kreditfinanzierung auf Ratenzahlung schon mal erst recht nicht. Sämtliche Vorstellungen hielt er für fragile Einbildungen, die jeder Zeit zerplatzen können.

Kyniker sind überhaupt dafür bekannt, sich durch nichts beeindrucken zu lassen. Schon gar nicht ließen sie sich dazu verführen, den Reichtum oder die Angeberei anderer Leute zu bewundern. – Und wer nicht anfällig dafür ist, gleich in ganz großes Staunen zu verfallen, wenn einer mit seiner Luxuskutsche vorfährt, um seine püppige Freundin mit frisch aufgespritzten Schlauchbootlippen vom Schönheitschirurgen abzuholen, wird eben auch kaum für Gier oder Neid empfänglich sein. Damals wurde diese Einstellung „Athaumasie“ genannt - die „Abwesenheit des Bewunderns“ - heutzutage sagt man dazu „Coolness“. Denn „cool“ bleiben war auch so eine nützliche Erfindung der Kyniker. Man blieb eben kühl gegenüber jeglicher Großtuerei. Sei jemand auch der reichste, schönste und gesundeste Mensch der Welt – selbst dem stünden immer noch zu viele körperliche und seelische Leiden, sowie Zufälle und Schicksalsschläge zu übermächtig im Weg herum, um hier auf Erden völlig ungestört einen auf Adonis oder Aphrodite im Paradies machen zu können.

Hegesias glaubte auch nicht daran, dass von Natur aus irgendetwas gut oder schlecht sei, sondern hatte bereits erkannt, dass dieses ganze bewerten, richten und urteilen eine relative und exklusiv menschliche Eigenschaft war. Man könnte ihn auch den „Sigmund Freud des Altertums“ nennen, aber im Grunde käme ihm das nicht gerecht und es wäre besser, Freud als einen „Hegesias der Moderne“ zu bezeichnen, will man die Reihenfolge der Entdecker nicht verdrehen. Denn Hegesias hatte schon zweieinhalb Jahrtausende vor Sigmund Freud nicht nur die Mechanismen des Lustprinzips und des Todestriebes verstanden, sondern auch erkannt, dass diese ganzen menschlichen Psychopathen vollkommen unzurechnungsfähig waren und „nicht aus freiem Willen, sondern nur unter dem Zwang irgendwelcher seelischen Erregungen“ handelten. Bei anderen sah er, dass sie wegen ihrer verkehrten Geistesverfassung krank waren und deshalb unfähig, ein glückliches Leben zu führen, wobei die geistigen Schmerzempfindungen auch in gar keinem Zusammenhang zu tatsächlich körperlichen Leiden zu stehen brauchen. Ihm war bewusst geworden, dass alles menschliche nur Einbildung ist.

Abgesehen davon war Hegesias aber auch ein kühner Hundefuchs und aus diesem Grunde verfasste er so amüsante Bücher wie zum Beispiel „Der Hungerselbstmörder“, welches davon handelte, dass ein Mann beschließt, sich zu Tode zu hungern, weil er das Leben als Mensch in dieser kranken Gesellschaft vollkommen lächerlich findet. Durch übereifrige Mildtäter, die Angst davor hatten, wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt zu werden, wird er jedoch mittels Einweisung in die Psychiatrie, Magensonde und Zwangsernährung von seinem Vorhaben abgehalten. Zur Strafe müssen sich danach alle Beteiligten laufend seine bitter-klarsichtigen Vorträge darüber anhören, wie absurd das Leben momentan ist und was es für Nachteile hat, unter diesen Umständen am Leben zu bleiben. Seine Schriften wurden deshalb ebenso wie Goethes „Leiden des jungen Werthers“ seinerzeit verboten, weil darin angeblich empfohlen wurde, sich lieber selbst zu ermorden, anstatt brav seinen Dienst als Sklave abzuleisten, sich danach in einem Altenheim wund zu liegen und dazu auch noch grinsend mit den dritten Zähnen zu klappern, um die Party-Jugend möglichst wenig mit seinem Elend zu deprimieren. - „Von Übeln also, nicht von Gütern führt uns der Tod hinweg, wenn wir nach der Wahrheit suchen. Und diese Ansicht wird in der Tat von Hegesias so wortreich dargelegt, daß ihm vom König Ptolemaios verboten worden sein soll, sie in den Schulen zu lehren, weil viele, nachdem sie sie gehört hatten, Selbstmord begingen.“

Für die Kyniker ist Philosophie, die Liebe zur Weisheit und damit die Suche nach Wahrheit. Diogenes wurde deshalb unterstellt, dass er nur so tun würde, als würde er philosophieren, denn er wisse ja gar nichts mit Gewissheit und wäre immer nur auf der Suche nach irgendetwas. Doch er betonte stattdessen, dass gerade nur derjenige philosophiere, der noch auf der Suche sei, um die Wahrheit erst noch zu finden. „Gerade wenn ich nach Weisheit strebe, so ist das Philosophieren!“ Deshalb ist die Philosophie für den Kyniker auch nichts Abgesondertes vom übrigen Leben, als hätte sie nichts damit zu tun - sondern Leben ist die Suche nach Wahrheit selbst! „Der Kynismus macht aus dem Leben eine Manifestation der Wahrheit.“ Und „alle Menschen sind Philosophen“! Warum der Kyniker damit Recht hat? - Das Maul hat man sich über ihn zerfetzt, ausgelacht, verachtet, Geschichten über ihn erfunden und getreten hat man ihn, während man dem Anderen am Hofe des Diktators von Syrakus den Griffel geleckt hat! Diogenes jedoch, wurde von den Herren Welteroberern und Bossen als Analring-Schlecker und Poporitzen-Schmeichler für vollkommen untauglich befunden. Das hat er vorzuweisen - das sind seine Beweise, Orden und Auszeichnungen, die ihm Glaubhaftigkeit verleihen!

Herr Platon unternahm unterdessen Geschäftsreisen auf Kreuzfahrtschiffen im Mittelmeer, um seine machtpolitisch wertvollen Kontakte zu pflegen und seinen Busenkumpel Dionysios zu besuchen. Seines Zeichens Diktator von Syrakus mit Befehlsgewalt über eine riesige Militärmacht, der mächtigste und am längsten regierende Tyrann seiner Zeit und ein Musterbeispiel eines imperialistischen Gewaltherrschers, dessen Karriere samt Machtergreifung später als Vorbild und Blaupause für Leute wie Franco, Hitler oder Mussolini diente. Sein Palast in Syrakus auf Sizilien war eine gewaltige Festung. Der elf Millionen Euro teure Zaun in Heiligendamm beim G8 Treffen 2007 war dagegen ein unscheinbares Gartenzäunchen. Und als Monarch verfügte er über eine so prunkvolle Hofhaltung, dass das vier Sterne Luxushotel in Heiligendamm mit seinem eitlen Geschlemme und Geprotze dagegen wie ein Armenhaus wirkt. Man hielt dort, gut abgeschirmt von der Außenwelt Plaudereien unter Freunden. Ein elitäres Stelldichein und ein Ideen-Gipfel der Top-Entscheider aus Wirtschaft, Politik und Finanzen.

Der Homo Platonicus nahm mit Sicherheit nicht nur Einfluss auf die Gespräche über die aktuelle Weltpolitik, hielt auch visionäre Reden über seine neue Weltordnung, als befände er sich auf einem Bilderberg-Meeting, sondern schmiedete zusammen mit anderen Lobbyisten auch selbst Intrigen und Pläne. Anstatt den Sohn von Dionysios, Dionysios den Zweiten, wollte er lieber einen anderen Vertreter der Königsclique an die Macht hieven. Der kürzeste Weg an die Macht zu gelangen ist: einen Staat einzunehmen, indem man die Gedanken eines Alleinherrschers erobert. „Ich aber beschloss nun, Politiker zu werden“: für dieses Vorhaben hatte auch Platon sich bereits in seiner Jugend entschieden. Und so begann er, die Rolle des Führers selbst zu übernehmen. Platons Führerprinzip. Sein Traum war es ja schließlich, mit Hilfe der Philosophie endlich selbst die Macht zu übernehmen und sich unter Dion, dem neuen Diktator, einen Posten als Superminister samt Managergehalt zu sichern und dann endlich sein drei Kasten System einzuführen, in dem es erstens Arbeiter gibt, die sich für die Sklaventreiber abrackern; zweitens Soldaten, die natürlich nicht faul rum dösen, sondern eifrig Granaten auf feindliche Schützengräben abfeuern sollen und drittens die Luxuskaste der stinkreichen Star-Philosophen, die nur ihre Mäuler auftun müssen, um abwechselnd Befehle zu erteilen oder Götterspeise zu futtern. Platon selbst gehörte selbst verständlich in die letzte Gruppe und dort natürlich ganz nach oben. Als nächstes wollte er wahrscheinlich zusammen mit den Kriegstreibern aus Sparta ganz Griechenland erobern und danach Mazedonien, um sich letztendlich zum Philosophenkaiser von ganz Groß-Platonien küren zu lassen. Und das alles im Namen der Philosophie, mit deren Hilfe er seine Schallblasen aufblähte, wie eine Körte zur Hauptpaarungszeit. Das hatte natürlich seine praktischen Gründe und Hintergedanken, warum er unbedingt darüber schreiben musste, wie man einen Staat organisiert.

Diogenes war ja für seine ironischen Wortspiele bekannt, weshalb man nicht vollkommen falsch liegen mag, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei seinen Schriften teilweise auch um Abhandlungen über das Herauspressen von Gasen unter Zuhilfenahme des Mundes bei der philosophischen Phrasendrescherei gehandelt hat. Dampf, der als Kohlendioxidabfall entsteht und dann über die Abgasdüse im Gesicht in Form von Heiße-Luft-Gerede abgesondert wird. Wer der Fixierung auf den After entgeht, kann sich immerhin noch entscheiden, ob er lieber ein oraler oder genitaler Zwangscharakter werden möchte, aber irgendeine Psychose bekommt auf jeden Fall jeder mit auf den Weg durch sein Leben, so viel ist sicher! Der Homo psychopathicus wird unausweichlich Opfer der Menschheitspsychose.

Da verkneift man sich etwas! Da ist was Pfui! Und: das macht man nicht! Denn auf der Suche nach arteigenen Geboten, überflüssigen Vorschriften, künstlichen Beschränkungen und anderem Werkzeug aus der psychologischen Folterkammer, das geeignet dazu ist, jemanden als artigen Menschen auszuweisen, haben die Anstandshüter und Sittenwächter der letzten Jahrhunderte so einiges gefunden, was man als Pflichtbestandteil in die Ausbildung eines Normalneurotikers mit einflechten musste. In erster Linie sind damit Maßnahmen des Triebverzichts und der Erregungskontrolle gemeint, worin man sich nicht nur von den Tieren, sondern vor allem von anderen Menschen abzusetzen versuchte, die sich weniger aufgesetzte Manieren erfunden hatten. Denn sollte sich ein Volk nicht in demselben völlig uferlosen Ausmaße schwachsinnige und absurde Verhaltensregeln ausgedacht haben wie man selbst, soll es den Tieren deshalb näher stehen als der vornehmen Erste-Klasse-Fraktion der Feinschmeckergilde am Hofe des Rokokokönigs. Als Manierismus wird eben auch ein Schwulst-Stil bezeichnet, der sogar absichtlich als gekünstelt, pathetisch und aufgeblasen wahrgenommen werden soll.

Wohlerzogene Menschen sollen ihre Glieder der Scham nicht entblößen, selbst wenn außer den Engeln gar niemand Zeuge davon ist. „Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren.“ Diese verklemmte Neurose kann man auch den „Feigenblatt-Effekt“ nennen. Über die Jahrhunderte wurden immer mehr gesellschaftliche Tabus als Schambarrieren eingeführt und derart hoch aufgetürmt, dass der Zwischenraum, der die Menschen voneinander trennt schließlich so weit anwuchs, dass sie sich untereinander überhaupt nicht mehr ohne Puder auf der Perücke, kreidegeweißtem Papierkragen oder frisch rasierten Beinen zu nähern wagten. Allmählich wurde insgesamt peinlich, sich natürlich zu verhalten, denn „Dis pflegt man nit zu thun!“ Der Einzelne wurde dazu gezwungen seine Affekte und Triebe immer umfangreicher zu unterdrücken, sodass ihm die Befriedigung seiner eigentlichen Bedürfnisse oder sogar mal ein Sich-gehen-lassen komplett verunmöglicht wurde. Aus dem Menschen wurde eine „zum guten Teil automatisch arbeitende Selbstkontrollapparatur“, so dass dem Einzelnen eine „furchtlose Äußerung der verwandelten Affekte“ oder „eine gradlinige Befriedigung der zurückgedrängten Triebe in keiner Form mehr möglich ist.“ Die Vorschriften der Sitte wurden schließlich zur „zweiten Natur“ des Menschen.

Solche Manierenvorschriften legt der Mensch natürlich gerne so kleinkariert fest, wie es nur geht, denn was ihn als Menschen ausmacht ist ja schließlich, dass er alles so weit wie es eben geht übertreiben muss. Das gipfelte ungefähr schon 1640 nur zeitweilig darin, dass jemand nicht mehr mit „syne Finger essen thut“. Und selbstverständlich trieben sie das ganze Spiel weiter ins Groteske, so dass schließlich für jeden Gang des Menüs nur ein ganz bestimmtes Besteck benutzt werden durfte und kleinste Details, wie einer nach unten zeigende Gabelspitze, gesonderte Bedeutungen zugeteilt wurden, während ein Geräusch, wie es bei der Berührung des Tellers mit dem Besteck entsteht, schon einen unakzeptablen Kontrollverlust darstellte, der von schlechter Erziehung zeugte, weil man sich nicht ganz haarklein an die geltenden Vorschriften das Benehmens hielt.

Ein derartiges Kardinaltabu ist ohne Zweifel auch das Ablassen von Verdauungsgasen, bei dem es naturgemäß auch schon mal, je nach Schließmuskelspannung und Geschwindigkeit des ausströmenden Gases passieren kann, dass die Analöffnung in Vibration gerät und einem ein hörbares Fürtzlein entweicht. Der Versuch, diese Notdurft notgedrungenerweise zu unterdrücken oder zumindest heimlich zu verbergen, ist zu einer schweren Kollektivneurose geworden, die nicht nur zur Spaltung zwischen den einzelnen Menschen untereinander, sondern auch zur Spaltung zwischen Körper und Geist und in der Psyche sogar zur Trennung von Über-Ich und Unbewusstsein beigetragen hat. Nach und nach wurden Empfindung von Ekel und Scham, anderen und auch sich selbst gegenüber in das Denken eingeschleust. Und mittlerweile sind wir in der Gegenwart und im Heute angekommen und damit schließlich in der Schizophrenie, dass einem zwangsläufig und ständig peinlich sein muss, nur ein Mensch zu sein.

Die Vertreter der antiflatulenten Front, in deren Därmen angeblich eine abgasfreie Idealvergärung ohne Abfallprodukte stattfindet, hatten irgendwann im 18. Jahrhundert zur Verachtung freigegeben, wem sein Wind einmal versehentlich entlang der Po-Ritze entfleuchte, so dass ein Pups zu vernehmen war. Sie waren der Meinung, dass es sich dabei um eine rein animalische Körperäußerung handelt, die man ohne viel Übung beherrschen und abstellen könne. Zeitweise war es sogar Sitte sich mit einem Holzzäpfchen zumindest solange den Ausgang zu vernageln, wie das Menschenäffchen an einem der vornehmen Höfchen vorzutäuschen hatte, ein Porzellan-Püppchen zu sein. Die Dampfmaschine steht unter Druck, aber der Schließmuskel kann nicht mit einem störungsfreien Verriegelungsventil nachgerüstet werden. So mehrt sich an der Perfektion der Konstruktion dieser Maschine nicht nur hier so einiges an Kritik. Die gemeinten Gase verschwinden nämlich auch nicht einfach auf ein nimmerwiederriechen, so wie die Saubermänner des Ordnungsamtes es gerne hätten, sondern sie diffundieren bei diesem verkrampften Zaubertrick höchstens durch die Darmwand in den Blutkreislauf und werden dann, auch nicht weniger übelriechend, über Lunge und Mund abgeatmet. Allem Arschbackenzusammenkneifen zum Trotz verbleibt aber selbst dann immer noch ein Gasüberschuss von mehr oder weniger als einem Liter am Tag, der erst den Grimmdarm schmerzhaft aufbläht, bevor er sich unaufhaltsam seinen Weg in Richtung Auspuff am Hinterausgang sucht, sodass man dazu gezwungen ist, ihn heimlich und in gequetschten Kleinstportionen unauffällig irgendwo in der Umgebung abzusetzen, immer in der Hoffnung, dass es niemand merkt, schon gar nicht die Schwiegermutter beim ersten Vorstellungstermin. Aber die Fenster sind geschlossen, es herrscht daraufhin ein ergriffenes Schweigen am Kaffeetisch, welches die Klaustrophobie der Verhältnisse körperlich spürbar macht. Insgesamt ist das Ganze also noch besser als das Popeln in der Nase dazu geeignet, für immer eine Neurose der Menschheit zu bleiben, solange sich diese, zu akzeptieren weigert, dass die Natur der Dinge und die Gesetze der Physik nun mal auch für sie selbst gelten.

Am nächsten Tag wollte der Zyniker seinen Kaffee lieber in lockerer Atmosphäre trinken gehen, nahm er sich vor. Die Zeitung lesen und sich mal mit normalen Menschen unterhalten. „Guten Tag“, „Wie geht´s“, „Danke, es geht gut!“ und Ende der Bequatschung. Szenenwechsel. Auf der Terrasse des Café Laika, an der Ecke zwischen Alexander-der-Große-Platz und Karl-Marx-Allee, saßen schon Zufallsbekanntschaften wie Dr. K., Herr Rossi, Oberst von Kropotkin und der Ekel am gedeckten Teetisch, als der Zyniker eintraf. Aufgrund ihrer statischen Lebensweisen waren sie bereits zur Gewohnheit geworden. Die Gruppe war eigentlich so spontan entstanden, wie es von Zeit zu Zeit Staubknäuel unter Schränken zu tun pflegen; aber wie tägliche Statisten folgten sie nun einer geheimen Gravitationskraft und Choreografie, die sie immer wieder dazu zwang, sich Nachmittags in demselben Café einzufinden. Während er näher trat, schauten acht Glubschaugen in seine tier-menschliche Fratze, wie es zuweilen Hunde tun, wenn sie nicht begreifen wollen, dass sie einem das Pfötchen geben sollen. Er nahm an dem Tisch Platz, obwohl eigentlich kein Stuhl frei war und er gehofft hatte, heute nur einfach mal in Ruhe und Einsamkeit die Zeitung lesen zu können, jedoch galten hier leider nicht dieselben Regeln wie im Londoner „Diogenes-Club“, wo den misanthropen Herren laut Satzung sogar verboten war, von den anderen Besuchern Notiz zu nehmen oder sie gar mit einem Gespräch zu belästigen…

Meld deg på vårt nyhetsbrev!

BoldBooks Logo
ALLi Partner Member
Ikon
Ikon
Ikon
Ikon
© BoldBooks 2024