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Feilkode 418

Ikara

Ikara · Romane

Ikara - gefeierter Held, Begründer einer neuen Weltordnung, gefallener Gott. Von den Toten auferstanden muss er wieder die Welt retten.

Hva vil du med boka?

Ikara ist ein Fantasyroman. Aber nicht irgendein Fantasyroman. Es ist ein Buch in mittelalterlich angelehntem Setting, das aus der Norm heraussticht mit einer einzigartigen Erzählstruktur, wobei das Leben des Protaginisten aus der Gegenwart geschildert wird, während seine Vergangenheit durch eingeflochtene Zeitzeugenberichte und einen Gründungsepos erzählt wird. Im Mittelpunkt stehen dabei die Kernthemen der Kriegskritik, dem Wunsch nach Frieden, Toleranz, Schuld und Vergebung, Liebe und Freundschaft, aber auch Tod und Verlust, Umgang mit Trauer. All das ist verpackt in einem witzigen, spannenden und unvergleichlichen Roman mit außergewöhnlichen Charakteren und ebenso einzigartiger Handlung über einen wiedergeborenen,ehemals gefallenen Helden, der seinen Platz in der neuen Weltordnung erst wieder finden muss. Ikara ist ein Herzblutprojekt - und ich mein größter Wunsch ist es, dieses mit euch zu teilen.

Om forfatteren

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Franziska Faber ist im Oktober 2000 in Frankfurt a.M. geboren und ist schon früh mit Büchern in Berührung gekommen. Schon im Kindergarten brachte sie sich das Lesen und Schreiben bei und hat seitdem i...

Leseprobe Ikara

Nenn mich nicht Meister

»Meister!«, grüßt mich Nico an diesem Morgen voller Vorfreude und ich verziehe unmerklich das Gesicht. Meister ist nicht gerade der Titel, den ich mir verdient habe.

»Nenn mich nicht Meister«, weise ich Nico daher vermutlich rüder zurecht als nötig gewesen wäre. »Ich bin kein Meister.«

»Aber Ihr seid Schwertmeister und versteht etwas vom Schmieden und werdet mich unterrichten und…«

»Ich bin kein Meister«, beharre ich und unterbreche somit seinen Redeschwall. Meine Kälte scheint Nico zu verunsichern, doch schließlich nickt er und beschließt, dass ein Themawechsel vermutlich eine weise Taktik wäre.

»Die Schmiede meines Vaters ist verlassen und liegt etwas außerhalb der Stadt. Dort können wir trainieren.« Etwas an seinem Blick sagt mir, dass ihm eine Frage auf der Zunge brennt, doch er scheint sie herunterzuschlucken und führt mich stattdessen zu besagtem Ort.

Die Schmiede liegt in der entgegengesetzten Richtung von Meister Silbrechts Schmiede, relativ genau an der gegenüberliegenden Stadtmauer. Sie wirkt heruntergekommener, grauer und trauriger. Und doch ist sie weitaus größer als die Schmiede Silbrechts und ich bin mir sicher, dass man in dieser Schmiede großartige Ergebnisse erzielen könnte, wenn man nur über das nötige Material verfügen und sich die benötigte Zeit nehmen würde.

Und Material, wie ich feststelle, als ich die Materialkammer finde, gibt es zu genüge, in feinster Qualität.

»War dein Vater ein guter Schmied?«, spreche ich nach einiger Zeit des Umsehens die Frage aus, die mir seit unserer Ankunft auf der Zunge brennt.

»Manch einer würde sagen, besser als Meister Silbrecht. Zeitweise hat er gar den König beliefert, abwechselnd mit Meister Silbrecht.« Ein trauriger Schleier schleicht sich auf sein Gesicht, jedoch nur kurz, ehe er beinahe unbemerkt wieder verschwindet. Meine Frage erahnend, führt er weiter aus: »Er hatte nur Pech.«

»Pech in wie fern?«

Er zögert einige Augenblicke und braucht mehrere Anläufe, ehe er endlich sprechen kann. »Er wurde in einige… unglückliche Geschäfte verwickelt, von Spionen Ethenars. Anfangs boten sie ihm beste Materialien für sehr geringe Preise. Schließlich erhielt er von ihnen Aufträge – es war nicht klar, dass sie aus Ethenar kamen. Seit einigen Jahren rasselt es an den Grenzen wieder – daher gibt es ein Verbot, Waffen nach Ethenar zu verkaufen. Sie haben ihn ausgenutzt. Als er bemerkt hat, dass er betrogen wurde, war es zu spät.« Nico seufzt schwer. »Zwar hat er vor dem König ein Geständnis abgelegt und seinen Irrtum kundgetan, woraufhin der König ihn begnadigt hat. Aber es ließ sich nicht vor der Öffentlichkeit geheim halten und seitdem wurde er gemieden. Die Aufträge blieben aus und auch der König wollte nicht mehr mit ihm handeln, trotz der Begnadigung. Als er dann erkrankte…«

Er muss nicht weitersprechen, denn den Rest der Geschichte kenne ich ohnehin bereits. »Und durch dieses… Unglück bist gefallen auch du in öffentliche Ungnade?«

Nico nickt betreten. Schließlich verzieht er die Mundwinkel zu einem gezwungenen Lächeln. »Ihr seht, es ist nicht nur die Qualität des Stahls, die meine Ware schwer verkäuflich macht.«

Obwohl ich über eine derart tragische Situation nicht lachen möchte, kann ich mir ein belustigtes Schnauben doch nicht verkneifen. »Glauben kannst du mir eines – des Stahls Eigenschaften sind der Grund nicht für fehlend Lohn. Es ist die Schmiedekunst allein.«

»Oder das.« Nico kratzt sich verlegen am Hinterkopf. »Ich war kein guter Schüler.«

»Aber das kann ich ändern.« Ein aufrichtiges Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. »Dafür bin ich hier.« Plötzlich voller Tatendrang klatsche ich in die Hände. »Also, an die Arbeit«, kommandiere ich und kurz darauf unterrichte ich ihn statt wie angedacht im Schwertkampf in der Schmiedekunst. Immerhin bin ich der festen Überzeugung, dass jemand, der sein Schwert richtig führen will, jedes Bestandteil der geführten Klinge auch wahrhaft und in voller Gänze begreifen muss. Wie sonst sollte dies besser gelingen, wenn nicht durch die Fähigkeit, ein Meisterschwert selbst herzustellen?

»Das wichtigste ist der Stahl«, erkläre ich. »Die Eigenschaften sind zu beachten, die verschiedenen Bestandteile. Die Härte, die Farbe, all dies sind Dinge, die genauestens du in Betracht ziehen musst.« Nach und nach referiere ich über die verschiedenen Stahleigenschaften, die Kohle, die zu verwenden ist, die Arbeitsschritte vom Paket, wobei drei verschiedene Stahlarten ineinander gearbeitet werden, bis hin zum Aushärten und Abschleifen der Klinge.

Anhand meines eigenen Schwertes frage ich zudem ab, inwieweit Nico die einzelnen Bestandteile eines Schwertes benennen kann – ein ernüchterndes Unterfangen, denn außer dem Heft und der Klinge kann er nichts benennen. Darum gehen wir zunächst jene Bestandteile durch – Heft, Parierstange, Knauf, vordere und hintere Schneide, Hohlkehle, Grat, Ort – ehe ich ihn über die beiden Schwingpunkte belehre, welche ausschlaggebend für die spätere Handhabung des Schwertes sind.

Nico zeigt sich dabei sehr aufmerksam und gelehrig, was er damit beweist, dass er am Ende meiner ersten Lehrstunde nahezu alles besprochene aus der Erinnerung rezitieren kann – sogar die beiläufige Erwähnung, dass die Stärke eines Schwertes dank geringerer Schartenbildung ideal zum Abfangen einer gegnerischen Klinge ist und dass der schwingungsfreie Punkt in der eigenen Klinge am besten dazu geeignet ist, mit aller Energie auf das Ziel zu schlagen.

Am Ende meiner Lehrstunde frage ich höchst interessiert: »Wenn jemand ist ein Schüler derart gelehrig, wie mag es sein, dass er hat nichts gelernt von seines Vaters Handwerk?«

»Meister, ich...«

»Ich bin kein Meister.«

»Entschuldigt…«

»Nun?«

»Ich…« Er stockt und sein Blick schweift hoch zum Opferberg, an dessen Spitze der Königspalast thront. »Ich hatte anderes im Kopf«, erwidert er schließlich ausweichend und leicht errötet.

»Und warum jetzt?«

»Bitte?«

»Warum bist du lernwillig so plötzlich?«

Schweigen. Eine Weile scheint Nico mit sich selbst zu ringen, so, als müsse er sich selbst davon überzeugen, sich endlich etwas einzugestehen. Dann endlich spricht er schlicht und monoton: »Ich muss aufwachen.«

Mit dieser Aussage lässt er mich allein und verschwindet im kleinen Haus neben der Schmiede. Ich nehme dies als Aufforderung zu gehen. Kopfschüttelnd über die Unbehaglichkeit, in der wir auseinandergehen, wende ich meinen Blick gen Himmel und stelle fest, dass die Sonne hoch im Zenit steht und ich noch reichlich Zeit habe. Meinen Blick durch die Schmiede gleiten lassend, beschließe ich, zunächst mein Schwert nach unzähligen Dutzendmonden endlich mal wieder auf Hochglanz zu bringen – immerhin ist es auch ein Stück Kunst, welches man nicht verkommen lassen sollte.

Und wer weiß? Wenn zwischen Ethenar und den ikareischen Landen die Klingen rasseln, wer sagt mir, dass ich nicht zwischen die Fronten gerate und froh sein werde, ein bestens gepflegtes Schwert bei mir zu tragen?

Meister, schallt mir während meiner Arbeit das verhasste Wort wieder in den Ohren. Als Narem anfing, mich so zu nennen, war es mir eine Ehre gewesen, hatte mich nahezu mit dem Stolz eines Vaters erfüllt. Schon damals hatte ich nicht das Gefühl, der Anrede würdig zu sein. Immerhin war ich schuld gewesen, dass er und sein Bruder die Eltern verloren hatten. Und nicht nur die, sondern auch ihre Heimat. Ich war der Grund gewesen, dass sie mit mir ins Ungewisse hatten ziehen müssen, auf der Flucht vor dem Hüter.

Der Götter Geheiß hin oder her, manchen Stamm, manch Familie hatte ich zweifelsohne in ihr Unglück gestürzt, ohne Hoffnung auf ein neues, besseres Leben nach dem Krieg. Und schuld war letzten Endes ich. Nicht die Götter, nicht die Krieger selbst, niemand wollte Schuld übernehmen. Denn ich bin es gewesen. Nicht selten hatte ich mich gefragt, ob ich genug dafür tat, den Platz als ihren Anführer zu verdienen. Nicht selten hatte sich mir die Frage gestellt, warum ich.

Narem aber war beharrlich gewesen, er hatte mich immer und immer wieder aufgebaut und hatte es geschafft, in mir in jeder Situation ein Vorbild zu sehen. Dies war für mich immer ein Ansporn gewesen, mein Bestes zu geben. Ich wollte ihn beschützen, wollte für ihn da sein, wollte sein Idealbild von mir erfüllen, wollte der Vater sein, den er sich gewünscht hatte – den er durch mich verloren hatte, den ich ersetzen musste und wollte. Aber letztendlich nicht konnte.

Meister. Nein, niemand würde mich mehr Meister nennen. Niemand darf mich mehr Meister nennen. Ich bin kein Vorbild. Bin nichts, was ein Meister sein muss. Bin weder mutig, noch stark, noch weise, noch reinen Herzens, noch reinen Gewissens, wie Narem mein idealisiertes Ebenbild beschreibt.

Ich bin alt, ich bin zynisch, ich bin Sünder. Ich war abtrünnig und besessen. Bin egoistisch und grausam gewesen. Und mein derzeitiges Dasein friste ich, weil ich es ertragen muss. Weil die Götter mich, wissen die Urgötter warum, hier ausgesetzt haben. Ich friste mein Dasein in der Erwartung, dass die Götter es mit Sinn erfüllen. Mir eine Mission erteilen und mich schlussendlich sterben lassen. Ob sie dazu dient, meine Seele zu retten oder nicht ist mir dabei relativ gleichgültig.

Was ich tue, tue ich, weil ich es tun muss. Alles andere ist mir einerlei. Das ist keine Haltung eines Meisters. Das ist die Haltung einer gebrochenen Seele. Einer Seele, der keiner vergeben kann. Die sich selbst nicht vergeben kann. Ohne Narem an meiner Seite hatte ich mir weitaus geringere Dinge nicht vergeben können. 

Wie also sollte ich mir je vergeben, dass er mich hatte töten müssen? Weil ich nicht stark genug gewesen war, der Versuchung durch die Flamme standzuhalten? Weil ich diese gottverdammte göttliche Flamme hatte ansehen müssen, weil ich nicht zufrieden mit dem Sieg gewesen war, weil ich verflucht noch eins mehr wollte, als der Gott zu sein, der ich war.

Der Aufbau einer Stadt war nicht genug gewesen, Narem, mein geliebter, sanftmütiger, liebevoller Narem, mein Sohn, mein zu Hause ist nicht genug gewesen. Was ich wollte, war eine Flamme, eine verfluchte, gottverdammte göttliche Flamme, die nicht für mich bestimmt gewesen ist, die nicht für mich bestimmt gewesen sein kann und schuld daran war… waren… die Götter allein.

Sie hatten mich zum neuen Hüter auserwählen wollen, hatten mich die Flamme erblicken lassen. Sie hätten wissen müssen, dass die Flamme meinen menschlichen Geist trotz aller Göttlichkeit, die sie mir hatten schenken wollen, verbrennen würde, hätten wissen müssen, dass sie sähen würde, was sie verbrennen soll, dass verwurzeln würde sie alles Bitterkraut in meiner Seele.

In diesem Moment will ich fluchen, schreien, alles um mich herum zerschlagen und zertrümmern, auf dass die Götter aus größter Höhe meine Wut und meinen Schmerz erkennen würden – sie scheinen mich ja sonst nicht mehr zu beachten.

Doch alles, was ich tun kann, ist bittere, stumme Tränen zu vergießen und unter diesen Tränen mein Schwert zu polieren – vermutlich etwas härter als notwendig.

»Meister?«

»Nenn mich nicht Meister!«, schreie ich Nico an, während ich wutentbrannt aufspringe, wobei ich das Schwert fallen lasse und dieses scheppernd zu Boden fällt. Tränen laufen noch immer über mein Gesicht und ich starre den Jungen zornig an, der sich von hinten angeschlichen hat. Mein Atem geht schnell und heftig und es dauert eine ganze Weile, ehe er sich normalisiert und ich mich wieder so weit unter Kontrolle habe, dass ich die Tränen fortwischen und eine blanke Maske vorschieben kann. »Nenn mich nicht Meister«, wiederhole ich ruhig und monoton, dann hebe ich mein Schwert auf und wende mich ab.

»Verzeiht, ich wollte nur fragen, was Ihr tut«, stammelt Nico hörbar verwirrt über meinen Ausbruch. »Verzeiht«, wiederholt er, doch ich höre ihm schon nicht mehr zu.

Stattdessen lasse ich mein Schwert wieder in den Tiefen meiner Roben verschwinden und marschiere davon, ohne Nico weiter zu beachten. Nach außen hin mag ich zwar ruhig wirken, doch mein Innerstes ist zu aufgewühlt, um einen klaren Gedanken zu fassen.

An diesem Tage laufe ich wie mechanisch durch die Straßen, ohne das rechts und links neben mir wirklich wahrzunehmen. Die Welt zieht an mir vorbei, die Stunden fliehen vor mir – nicht, dass es in meiner Unsterblichkeit in irgendeiner Weise von Belang wäre.

Unbewusst greife ich nach dem Stundenglas und betrachte den ewig rieselnden Sand darin. Ein Zeichen meiner Unsterblichkeit. Ein Zeichen dafür, dass ich allein das Stundenglas ohne Bedenken bedienen kann. Der Sand in meinem Stundenglas wird nicht weniger, meine Lebenszeit nicht einmal durch dieses Ding verkürzt.

Meister Langhand kommt mir in den Sinn und ich muss mich unwillkürlich fragen, wie viel Zeit seines Lebens das verfluchte, geliebte Instrument ihm wohl geraubt hat. Jemandem mit begrenzter Lebenszeit raubt das Glas bei Benutzung Minuten, Stunden, womöglich auch Tage. In seiner Hand würde der Sand nicht ewig rieseln.

Wie gern wäre ich ein solcher jemand. Ein jemand mit begrenzter Zeit. Nie wäre den eigenen Tod zu finden so einfach, so schmerzfrei wie mit diesem Objekt. Doch so scheint selbst das seelenlose Stundenglas in meiner Hand mich zu verhöhnen.

»Kann ich Euch helfen, mein Herr?« 

Irritiert blicke ich mich um und stelle fest, dass meine Füße mich in mein Zimmer im Goldenen Schwert getragen haben. Vor mir steht Meister Langhand – Milan – und blickt mich fragend an. 

»Ihr seid so schweigsam hereingetreten, dass ich mich fragte, ob alles in Ordnung ist.«

Mein Blick gleitet an dem dünnen, ärmlich gekleideten Jungen herab. Schließlich seufze ich und lasse mich mit einem Gefühl völliger Ausgelaugtheit auf mein Bett fallen. »Es sind die Schatten der Vergangenheit meiner, die jagen mich und die nicht ablassen wollen von mir«, gestehe ich schließlich und reibe mir müde die Schläfen.

Milan schnaubt belustigt. »Die Schatten Ikaras können einen Barden mit dessen Künstlernamen jagen?«, feixt er und schenkt mir einen ungläubigen Blick, welchem ich mit Verletztheit in den Augen begegne.

»Wenn du gekommen bist um zu spotten meiner, so bitte ich dich zu verlassen dies Zimmer. Von dem Hohn aller habe ich vernommen reichlich und obendrein reichlich genug.«

Seine Miene wird ernst. »Entschuldigt. Eure Geschichte ist schwer zu glauben.«

Dies wiederum entlockt mir ein bitteres Schnauben. Immerhin kann ich zu gut verstehen, dass man mir wenig Glauben schenken will. Manchmal kann ich meine Geschichte ja selbst nicht glauben. Will sie nicht glauben.

»Was möchtest du, Meister Langhand?« Meine Stimme ist rau, matt und müde. Hinter dem großen Fenster sinkt die Sonne langsam hinter den Horizont. Wie lang bin ich umher gewandert? Es war helllichter Tag gewesen, als ich meine Arbeit an meinem Schwert beendet hatte.

»Nur fragen, ob es Euch gut geht.«

»Tut es nicht.«

»Oh…« Unentschlossen steht er im Raum herum und eine angespannte Stille breitet sich aus. »Das tut mir leid«, spricht er schließlich mit einem Räuspern, um jene Stille zu durchbrechen, nur damit sie sogleich wiederkehrt und sich wie ein Schleier über den Raum breitet. 

»Hast du… Hast du je verloren jemanden, der dir gewesen ist teuer?«, frage ich nach einer Weile in die Stille. »Jemanden, der dir bedeutet hat die Welt und mehr?«

Milan schluckt und schüttelt den Kopf. »Nein, nie.«

»Deine Eltern?«

»Sind schuld daran, dass ich hier bin.«

Ich lege den Kopf schief und mustere ihn aus müden Augen. »Ein Leibeigener, meinst du?« Er nickt. »Aber Berend behandelt dich gut.« Er nickt erneut.

»Ich weiß.« Er seufzt und lässt sich neben mich fallen. »Meine Eltern waren sehr arm. Sie haben sich nie wirklich geliebt. Ich bin lediglich das Produkt jugendlicher Dummheit.« Er schnaubt und ich mustere ihn mitleidig. »Als meine Mutter schwanger war, waren sie gezwungen, sich um mich zu kümmern, was ihnen reichlich schlecht gelang.« Sein Blick findet den meinen und er schüttelt traurig den Kopf. »Man sollte meinen, dass Leibeigene immer dürr und schlecht gekleidet sind. Aber Ihr könnt mir glauben, dass ich zugenommen habe, seit ich dem Meister diene.«

»Wie bist du hier gelandet?«

»Vater hatte einen Hang für das Trinken entwickelt. Aber er konnte nicht zahlen und schließlich gab er mich als Preis her. Seither gehen er und Mutter wieder getrennte Wege und ich habe keine Ahnung, wo sie sind. Es ist mir auch egal.«

Ich schlucke und blicke nach draußen auf die noch immer wuseligen Straßen. Diese Stadt wirkt so lebendig, so perfekt, als gäbe es keine Probleme außer der Existenz des entfernten Ethenars. Und doch gibt es so viele traurige Einzelschicksale von Menschen, die auf sich allein gestellt sind.

›Urgötter‹, bete ich im Stillen, ›schenket diesen Menschen ein Licht, schenket ihnen Hoffnung und leitet sie auf ihrem Wege.‹

»Und Ihr? Wen habt Ihr verloren?«

»Narem.« Noch immer aus dem Fenster blickend kann ich mir den spöttischen Blick Milans beinahe ausmalen.

»Den Schwarzmagier?«

»Eben nicht.« Ich bin gar zu müde, um über diese Frage zornig zu sein. »Er ist gewesen Schwarzmagier nicht, ist gewesen böser Schattenspieler nicht. Er ist gewesen mein Sohn. Er hat gegründet diese Stadt, die Stadt aus Stein so blutrot, getränkt in Hütersblut und Blut der meinen Adern. Er. Nicht ich.« Mein Blick trifft den Milans. »Sie sollte Narem heißen. Narem, nicht Ikara. Nicht wie ich.«

»Hat Ikara nicht den Hüter besiegt?« Er scheint mir noch immer nicht zu glauben, doch ich bin dankbar dafür, dass er zumindest mitspielt und die richtigen Fragen stellt.

»Doch. Doch nicht allein, nicht ohne Narem. Und zu welchem Preis? Bezahlt habe ich mit der Seele meiner.«

»Dann hat Ikara ein hohes Opfer gebracht.«

Ich schüttle den Kopf. »Geopfert hat mich Narem. Das Opfer hat er gebracht allein.«

»Also war er doch böse? Er hat Ikara getötet?«

»Getötet hat er mich. Doch war er böse nicht.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Musst du nicht.« Ich seufze und mein Blick fällt auf meine in meinem Schoß verschränkten Hände, in welchen noch immer das Stundenglas ruht. »Ich weiß nicht, warum er hat erzählen lassen eine Geschichte so fern der Wahrheit.« Mein Blick fällt auf die Schublade, in welcher ich seinen Gründungsepos aufbewahre. »Aber sicher bin ich, dass ich herausfinden kann, was Intention seiner gewesen ist.«

Anscheinend spürt er, dass ich nicht gewillt bin, das Thema weiter auszuführen, weshalb er sich räuspert und schließlich von meinem Bett erhebt. »Ich wollte Euch noch einmal danken«, spricht er noch über seine Schulter und blickt mich noch einmal aufrichtig an. »Dafür, dass Ihr mich nicht an Meister Pytt ausgeliefert habt.«

Ich lächle matt. Ein ehrliches, wenn auch müdes Lächeln. »Gern geschehen.« Als er bereits in der Türe steht, halte ich ihn erneut auf. »Warum stiehlst du?«

Er zögert einen Moment, die Türklinke noch in der Hand haltend. »Weil mein Leben mir gehören soll«, gibt er schließlich als Antwort. »Möglichst, ehe ich es zu ende gelebt habe.«

Ich nicke bedächtig und lasse ihn gehen. Vermutlich braucht er das Geld, um sich freizukaufen. Es wäre logisch, wenn sein Vater bei Berend hoch verschuldet gewesen ist. Tief durchatmend lasse ich mich nach hinten aufs Bett fallen und starre an die hölzerne Decke. Ein wenig neidisch bin ich auf Milan schon. Er hat immerhin eine Chance, sein Leben je selbst bestimmen zu dürfen. 

Eine kleine Stimme in mir tadelt mich für meine düsteren Gedanken und dafür, dass ich mich derart gehen lasse. »Die Götter bestimmen dein Ziel«, hallt Narems Stimme in meinem Kopf wieder. »Deine Entscheidungen bestimmen den Weg.« Ich lächle mit Tränen in den Augen, während ich an diesen Moment zurückdenke. 

Es war kurz nach dem Tod von Narems Bruder. Es war das erste Mal gewesen, dass ich die Götter verflucht hatte, weil sie mir die Bürde einer Führungsperson auferlegt hatten. Im Zorn auf mich selbst hatte ich den Göttern die Schuld gegeben, dafür, dass sie solches Leid zuließen und mich als Sündenbock hinstellten.

Narem hatte, statt mich in Trauer und Zorn zu meiden, mir die Hand gereicht und mir vor Augen geführt, dass nicht die Götter verantwortlich für unser Handeln waren. Ja, er gab mir die Schuld daran, nicht an der Seite seines Bruders gestanden und ihn beschützt zu haben. Doch im selben Zug sprach er seine Vergebung aus und gab mir die Kraft und den Trost, die als Ansporn genügten, ein besseres Selbst zu werden.

Meister… So pflegte er mich bis zum Schluss zu nennen. In Wahrheit aber war er mein Meister gewesen.

Dunkelheit verschluckt bald das Zimmer, in dem ich liege. Mittlerweile ist die Sonne hinterm Horizont versunken und der Mond taucht die Welt in seichtes, mattes Licht. Ein einziger glitzernder Strahl kitzelt meine Nase und ich bilde mir ein, Narems Hand auf meiner Schulter zu spüren. »Meister«, höre ich den Wind säuseln, der meine Tränen trocknet, über meine Wangen wischt wie ein sanftes Tuch. Was würde Narem wohl sagen, wenn er mich so sähe?

Meine Gedanken schweifen zu Nico, während ich mit der unendlichen Müdigkeit kämpfe. Vielleicht ist es an der Zeit, wieder ein Meister zu werden. Es besser zu machen. Narem stolz zu machen. Ich spüre die Umarmung des Windes, der durch das offene Fenster fegt, höre das Wiegenlied der Nachtvögel, die mich sanft in den Schlaf singen. Ich träume von Narem und mir, in leichten, hoffnungsfrohen Momenten mitten im Krieg, träume von ihm, wie er meine Hand hält und davon, wie ich ihn halte, wenn er meinen Halt braucht. »Deine Entscheidungen bestimmen den Weg«, erklärt er mir im Traum. Noch während ich träume, beschließe ich, es Milan gleichzutun und mein Leben zu meinem zu machen.



Neue Hoffnung, neue Pflicht


Am nächsten Morgen fühle ich mich leicht und gut erholt. Nichts von meiner gestrigen Depression ist geblieben. Zwar bin ich mir sicher, dass dieser Zustand nicht ewig anhalten wird und noch immer verfolgt mich der Schatten eines Gedanken, einer Angst davor, dass Narem mir womöglich nie vergeben würde. Noch immer grolle ich den Göttern ein Stück weit dafür, dass sie mich im Stich gelassen haben und diese eine Nacht hat keinen neuen Menschen aus mir gemacht.

Doch die Gefühle rumoren nicht mehr in mir und der Sturm an Emotionen hat sich gelegt, sodass allein eine immerwährende Brise zurückgeblieben ist. Eine Brise, die mich wohl auf ewig begleiten wird, die immer mal wieder zu einem Orkan aufbrausen kann, die im Moment jedoch nicht mehr vermag, mein Schiff des Lebens zum Kentern zu bringen.

Frisch und erholt wasche ich mich mittels eines Lappens und eines Waschbottichs gefüllt mit kaltem Wasser, dann schlendere ich gemütlich die Treppen herunter, um die Speisekammer für ein kleines Frühstück anzusteuern. Lautes Poltern und Fluchen unterbricht mein Vorhaben.

»Wo bist du, Drecksvieh?!«, poltert Berends aufgebrachte Stimme durch die noch geschlossene Gaststube und kurz darauf verlässt er, bewaffnet mit einem weit nach oben gereckten Besen, die Speisekammer und blickt sich heftig schnaubend um. »Verfluchte Mäuse!«

Kurz darauf vernehme ich ein leises, aufgebrachtes Piepsen und eine kleine, verängstigte Maus kommt aus der Speisekammer gekrochen und blickt Meister Berend aus weit aufgerissenen Knopfaugen an, nur um kurz darauf wieder in der Speisekammer zu verschwinden und sich zu verstecken, kaum, dass Berend sie erblickt hat.

Wenig später höre ich erneut ein lautes Poltern und Berends giftiges geifern. Als ich das Innere der Speisekammer erreiche, spaziert ein kleines Mäuschen gerade heraus, weitaus weniger ängstlich und beinahe zufrieden dreinblickend, wie ich mir einbilde, und dazu ein Speckstückchen in die aufgeplusterten Bäckchen gestopft. Als es sich umdreht, quiekt es erheitert, als wolle es Berend auslachen. Ich sehe sogleich warum. Und breche ebenfalls in schallendes Gelächter aus.

Berend liegt in einem riesigen Berg von Nüssen, den er mitsamt der hölzernen Körbe mit einem kräftigen Schwung mit dem Besen von einem der obersten Regale gestoßen haben muss, in dessen Nähe auch die Schinkenstücke von der Decke hängen. Beim Klang meines Lachens wird auch Milan auf das Geschehen aufmerksam und kaum hat er den Grund für meine Belustigung erspäht, fällt auch er in das Gelächter ein.

Berend funkelt uns währenddessen mit seinen dunklen, braunen Augen finster an. Wenn Blicke töten könnten, wären wir nun vermutlich in Flammen aufgegangen. Zum Schweigen bringt es uns allerdings nicht, wenngleich wir uns in Bewegung setzen und ihn aus dem Haufen von Nüssen befreien. Als wir damit fertig sind und ihm aufgeholfen haben, knurrt er mit knallrotem Gesicht: »Hört auf zu lachen und fangt lieber dieses verfluchte Vieh. Und du, Milan, geh an deine Arbeit.«

Noch immer kichernd nickt Milan mit knapper Verneigung. »Ja Meister, verzeiht.« Mit dem Grinsen im Gesicht erscheint seine Entschuldigung nicht gerade ehrlich.

Wir verlassen die Speisekammer, und treten in den Flur wo das Mäuschen sich noch immer seiner Arbeit zu freuen scheint, während es genüsslich an dem erbeuteten Speckstückchen knabbert. Als es realisiert, dass es nun besser weglaufen sollte, ist es bereits zu spät für das arme kleine Tier und ich halte es kopfüber an seinem Schwänzchen fest.

Nun, da es in der Falle sitzt, blickt mich das Mäuschen mit panischen Augen an. Sein Atem geht hektisch und in der Aufregung hat es noch seinen Speck fallen lassen und quiekt erbärmlich. Auf einmal habe ich Mitleid mit dem armen, intelligenten Tierchen und setze es vorsichtig auf meine Hand. »Aber nicht beißen«, ermahne ich es, als es auf meiner Hand sitzt und nicht genau zu wissen scheint, was es nun tun sollte.

Sanft streiche ich mit dem Finger über den kleinen, zarten Körper des Mäuschens, ehe ich das Speckstück wieder aufhebe und der Maus zurückgebe. »Sicherlich warst hungrig du allein.«

»Was tut Ihr? Erledigt sie!«, schimpft Berend, doch ich schüttle den Kopf. Einem solch unschuldigen Tier, welches allein um sein Überleben kämpft, kann ich nichts antun. Das bringe ich einfach nicht über mich.

Wieder betrachte ich das Mäuschen bedächtig. »Aus siehst du wie ein Leopold«, stelle ich fest und lächle. »Ja, heißen sollst du Leopold.« Als hätte es verstanden, lässt das Mäuschen einen Augenblick lang von seinem Speck ab und blickt mich durchdringend an.

»Ich behalte ihn«, verkünde ich Berend mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet.

Verdutzt blickt Berend mir hinterher, als ich die Treppe zu meinem Zimmer erklimme. Von oben rufend versichere ich ihm allerdings, dass ich Sorge tragen werde, dass Leopold die Vorräte in Ruhe lässt. In meinem Zimmer angekommen, setze ich Leopold auf dem Schreibtisch ab. Gerade will ich von unten eine Schale mit Essen für meinen neuen kleinen Freund holen und stehe bereits an der Türe, als Leopold hinter mir entrüstet piepst und sich an meine Versen heftet.

Lachend schüttle ich den Kopf und hebe ihn wieder auf meine Hand. »Anhänglich bist du, kleiner Freund«, stelle ich schmunzelnd fest, ehe Leopold mit kitzelnden, kleinen Trippelschritten meinen Arm hinaufklettert und sich eine der Innentaschen meines Mantels als Bett aussucht. Erneut muss ich lachen und ich tätschle von außen vorsichtig die Stelle meines Mantels, an der Leopold es sich gemütlich gemacht hat. Ein Blick aus dem Fenster verrät mir schließlich, dass ich längst bei Phineas Pytt sein sollte, weshalb ich eilig die Treppen nach unten haste und meinen Weg zur alltäglichen Arbeit bestreite.

Leopold weicht mir währenddessen nicht mehr von der Seite und ist auch sonst sehr anhänglich. Dass wir uns bestens verstehen, beweist er, als ich ihn Meister Pytt vorstelle und Leopold diesem in den Finger beißt, als er ihn streicheln möchte. »Ungezogen wie sein Herrchen«, knurrt Phytt daraufhin pikiert. Als er sich jedoch zum Gehen wendet, um mich meiner Arbeit zu überlassen, schleicht sich doch ein belustigtes Grinsen auf seine bemüht ernsten Züge.

Die nächsten Tage und Wochen vergehen wie im Fluge. Immer wieder holen mich der Zorn auf die Götter und auf mich selbst ein, immer wieder habe ich Mühe, sie zu bekämpfen. Doch irgendwie fühle ich mich, wenn in diesen Momenten der Wind auffrischt und mir um die Nase weht und säuselt, als würde er meinen Namen rufen, geborgen und fühle mich Narem nah. Beinahe, als wäre sein Geist noch bei mir, beinahe, als wollte er höchstpersönlich mir die Hand reichen und mir aufhelfen, wenn meine Emotionen mich in tausend Stücke zu zerreißen drohen.

Dadurch, dass ich zusätzlich zu meinen üblichen Arbeiten nun auch Nico zu unterrichten habe, welcher sich im Übrigen als sehr fleißig und dankbar entpuppt, schwindet die Zeit, die ich habe, um im Selbstmitleid zu versinken allerdings auf ein Minimum.

An einem regnerischen Tag, Wochen nach Unterrichtsbeginn ist es endlich so weit – Nico schleift die Klinge seines ersten, richtig geschmiedeten Schwertes und verpasst ihr letzte Kniffe. Es ist ein schönes Schwert, schlicht, doch wirkungsvoll. Da sich in unseren Übungsstunden herausgestellt hat, dass Nico ein beinahe natürliches Verständnis für das Führen eines Langschwertes hat, haben wir uns darauf geeinigt, auch ein solches zu schmieden. Während der Junge ihm den letzten Schliff verpasst, kann ich den Stolz in seinen Augen förmlich ablesen.

»Fertig«, verkündet er schließlich und überreicht mir mit leuchtenden Augen das Schwert. Prüfend wiege ich den Stahl in meiner Hand, mustere die Klinge mit kritischem Blick und schwinge es probehalber. Der Schwerpunkt ist gut gewählt, die Handhabe ist griffig und liegt für den ersten, richtigen Versuch ziemlich gut in der Hand. Ein Meisterwerk ist dieses Schwert gewiss nicht, dennoch ist es ein ordentlich gearbeitetes Stück und für die Praxis gut zu gebrauchen – und ein Schwert, das von meiner Klinge nicht direkt zerteilt werden dürfte.

»Nicht übel«, lobe ich meinen Schüler, welcher wohl erkennt, dass im Zusammenhang mit Schwertern ein Nicht übel aus meinem Mund ein großes Kompliment ist. Glücklich fällt er mir um den Hals. »Danke, Mei… Ikara.« Auf mein Räuspern hin löst er sich von mir und tritt leicht verlegen zurück. »Entschuldigt«, stammelt er. »Es ist nur… Das habe ich alles Euch zu verdanken und…«

»Schon gut«, wehre ich ab und ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Indessen krabbelt Leopold empört quiekend aus meiner Manteltasche und geht auf sicheren Abstand. Von überschwänglichen Zuneigungsbekundungen wie stürmischen Umarmungen hält er offensichtlich ebenso wenig, wie ich, wenngleich es bei ihm wohl an dem unweigerlich daraus resultierenden Platzmangel in meiner Tasche liegen mag, weniger an der Schwierigkeit, zuzulassen, dass eine gewisse Distanz überwunden wird.

Die Reaktion der anhänglichen kleinen Maus entlockt uns beiden ein amüsiertes Schnauben, ehe wir einander schweigend gegenüberstehen, ohne zu wissen, was wir sagen sollten.

»Wie wäre es mit einem Test der neuen Klinge deiner?«, frage ich schließlich, um die peinliche Stille wieder zu durchbrechen und Nico nickt dankbar für den Themenwechsel.

Kurze Zeit später schwingen wir bereits unsere Schwerter, während ich immer wieder seine Haltung und seine Reaktionen beurteile und korrigiere.

»Blocken!«, weise ich ihn an. »Niemals deine Deckung vergessen! Warum drehst du dich? Dies ist nicht des Tänzers Bühne, allerhöchstens mag es sein ein Tanz der Klingen! Niemals wende einem Gegner ungedeckt den Rücken zu!«

»Verstanden.« Lautes Klirren verkündet den nächsten Schlagabtausch. 

»Versuche zu stehen auf festen Füßen«, tadle ich wieder, als er aus dem Gleichgewicht gerät und lobe ihn nach Korrektur seines Standes. »Besser.«

Mittlerweile sind seine Bewegungen recht fließend geworden, jedoch wählt er seine Aktionen nicht immer mit dem nötigen Bedacht. »Zu vorhersehbar, zu unkontrollierbar. Hol so weit nicht aus  – du hältst ein Schwert, kein Holzhackebeil!«

»Verzeihung.« Inzwischen atmet Nico schwer und Schweißperlen stehen auf seiner Stirn.

»Gut so.« Donnergrollen ertönt in der Ferne und leichte Regentropfen beginnen, sich ihren Weg auf die Erde zu bahnen. Als der Regen heftiger wird, unterbrechen wir unser Training und flüchten uns in die Schmiede, wo wir uns an den Tisch setzen, um eine kleine Mahlzeit einzunehmen. Gerade schwärmt Nico ungebremst mit vollem Mund von seinem neuen Schwert und wie leicht es zu handhaben sei und ich will ihn schon zurechtweisen, dass man nicht mit vollem Mund spricht, als es an der Türe klopft.

»Ich gehe«, verkündet Nico nuschelnd, schluckt den letzten Bissen Brot herunter und erhebt sich, um besagte Türe zu öffnen.

»Ist Ikara zugegen?«, erklingt kurz darauf eine laute, durchdringende Stimme und ich sehe, wie ein grauhaariger, stämmiger Mann in Rüstung mit stolzer Haltung und hochgerecktem Kinn den Raum betritt. »Seine Majestät, König Cornelius Adeer, schickt mich, ihn zu holen.«

Ich erhebe mich und deute eine Verneigung an. »Der bin ich. Mit wem, wenn ich darf fragen, habe ich die Ehre?«

»Schwertmeister Arne Düberg, im Auftrag unseres gnädigsten Königs«, erwidert er forsch und durchdringt mich mit seinem Blick aus wässrig grauen Augen, während er die rechte Augenbraue prüfend nach oben zieht. Seine spitzen Wangenknochen und das breite, kantige Kinn verleihen seinem Gesicht ein überaus autoritäres Antlitz. Die leichte, eng anliegende lederne Rüstung, welche unter einem schweren, regennassen Umhang hervorlugt, lässt außerdem erahnen, dass sich unter der Kleidung durchaus gestählte Muskeln befinden, die bereits den einen oder anderen Kampf miterlebt und mitentschieden haben. »Ihr seid groß – doch seht Ihr nicht sonderlich kräftig aus«, stellt er misstrauisch fest. »Seid Ihr sicher, dass  ausgerechnet Ihr der sagenumwobene Ikara sein wollt?«

Ich lache kopfschüttelnd. »Euer Ikara muss mitnichten groß und kräftig sein. Hat er nicht besiegt den großen, bösen Narem, als er gewesen noch fast ein Kind?«

Er schnaubt und nimmt sich ungefragt einen der beiden mit Met gefüllten Becher, um ihn gleich in einem Zug zu leeren. »Ich bin kein Anhänger dieser Erzählung. Das Original gefällt mir besser. Und laut dem Original müsste Ikara kräftiger sein.«

Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Soweit ich habe lesen dürfen die Geschichte über die Sage meine, die notiert hat Melik Adeer persönlich – ´s ist doch jene, die Ihr meint? – ist Euer Ikara gewesen Barde und Dichter.« Einen leicht spöttischen Unterton kann ich mir nicht verkneifen. »Niemand wohl, der verfügen wird über übermäßig Muskelkraft.« Verblüfftes Schweigen ist Arne Dübergs Antwort auf dieses Argument, gegen welches er wohl keine weiteren Einwände findet.

»Des weiteren«, verteidige ich mich, »täuscht mein äußeres – sicher bin ich, dass ich es aufnehmen kann mit der Kraft Eurer.« Ich mache einen weiteren Schritt auf ihn zu und begegne seinem autoritären Blick herausfordernd von oben herab. Dass ich ihn, trotz seiner Größe, noch immer um etwa einen halben Kopf überrage, unterstützt mein sicheres Auftreten ungemein. »Ikara bin ich, ich bin´s höchst selbst.«

Er schluckt und macht einen Schritt zurück, während er krampfhaft meinem Blick auszuweichen versucht. »Nun«, erwidert er sichtlich aus dem Konzept gebracht, »wenn Ihr Ikara seid, so wünschen seine Majestät, Euch zu sehen.«

»So viel habe ich vernehmen können. Dürfte ich nun auch erfahren seiner Sehnsucht Grund?« Sicher, des Königs Wille ist Befehl. Kein Grund jedoch dafür, dass ich mich ohne weiteres von ihm hin und her scheuchen lasse, als sei ich eine lästige Fliege.

»Seine gnädigste Majestät hörte von Eurer… Umtriebigkeit.« Das Schnalzen seiner Zunge verrät mir seine Missgunst über diesen Umstand. »Es scheint, als habe er weitere Pläne mit Euch. Genaueres werde ich Euch nicht sagen.« Ein Schatten huscht über Arnes Gesicht und auf einmal schenkt er mir einen beinahe feindseligen Blick. Was immer der König mit mir vorzuhaben scheint, scheint nicht gerade zu seinem Vorteil zu gereichen.

»Nun, so will ich unterwerfen mich dem Königsruf.« Mit einem entschuldigenden Blick in Nicos Richtung, der den Wortwechsel schlicht stumm von der Türe aus beobachtet hat, folge ich dem Schwertmeister schließlich aus der Türe. »Wenn Ihr werdet entschuldigen«, spreche ich mit Blick gen Himmel, welcher unaufhörlich die Erde beweint und droht, in kürzester Zeit meine Kleidung zu durchweichen, sollte ich einen Schritt vor die Türe wagen, »werde ich nehmen einen bequemeren und schnelleren Weg.«

Mit diesen Worten greife ich mein Stundenglas und will mich damit bereits auf den Weg begeben, immerhin möchte ich nicht völlig aufgeweicht den Palast erreichen, als ein vorwurfsvolles Quieken hinter mir ertönt und Leopold mich, kaum, dass ich mich umwende, mit funkelnden Augen und mit hängenden Ohren auf den Hinterbeinen aufgerichtet ansieht, ehe er sich beeilt, durch den Regen in meine trockene und warme Manteltasche zu krabbeln. Unter dem angewiderten Blick Arnes lache ich und tätschele, wie ich es mir schon zur Gewohnheit gemacht habe, sanft die Tasche, ehe ich endlich mittels des Stundenglases den Palast erreiche.


***


»Ist Schwertmeister Düberg nicht bei euch?«, begrüßt mich die erstaunte Stimme des Königs und ich verneige mich förmlich, als er den Raum betritt, um an mir vorbei zu seinem Thron zu schreiten.

»Ich war so frei zu nehmen eine Abkürzung«, erörtere ich, was dem König ein belustigtes Schnauben entlockt.

»Ihr seid noch immer außergewöhnlich in Eurem Betragen.«

Ich zucke unbekümmert die Schultern, nachdem ich mich auf des Königs Wink hin wieder aufgerichtet habe. »Gesehen und erlebt habe ich außergewöhnliches. Wohl hat es auch mich geformt zu jemandem, der sich nennen kann höchst außergewöhnlich.«

Ein missbilligender Blick huscht über das eben noch so belustigte Gesicht. Täusche ich mich oder sieht er für einen Moment lang gar ängstlich aus? »Ihr bleibt bei Eurer Geschichte?«

»Nach wie vor.«

Er seufzt und wirkt auf einmal müde und alt. »So muss ich meine Zukunft wohl fürchten. Ob mein Vorhaben weise ist, weiß ich nicht. Auch weiß ich nicht, ob es weise ist, Euch zu vertrauen. Was ich weiß, ist, dass ich die beste Ausbildung für meine Söhne wünsche und Ihr seid, wie ich mir habe sagen lassen, am Schwert außer jeglicher Konkurrenz.«

›Deshalb habe ich auf mich gezogen des Schwertmeisters Missgunst‹, denke ich stumm bei mir und kann mein Schmunzeln darüber nicht gänzlich verbergen. »Es stimmt wohl, dass ich bin einer der Besten meiner Kunst«, pflichte ich schließlich ernst bei.

»Und bescheiden seid ihr auch.« Mir entgeht mitnichten der sarkastische Unterton.

»Gefragt habt Ihr. Meine Pflicht ist es zu geben ehrliche Antwort.«

Nun lacht der König wieder. »Ihr sprecht wahres«, gesteht er schließlich ein und schüttelt den Kopf, ehe er mich mit einem dieser kritischen Blicke bedenkt, an welche ich mich seit meiner Ankunft vor einigen Monden so sehr habe gewöhnen müssen. »Nun gut«, schließt er endlich. »Meine Entscheidung steht fest. Ich möchte Euch als Lehrer in der Kampfkunst für Adrian und Felicien.«

Ein wenig erstaunt und geehrt bin ich schon über diesen Wunsch, doch bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich ihm auch folge leisten möchte. Immerhin habe ich gerade erst begonnen, Nico auszubilden und zwischen meiner Arbeit bei Meister Pytt und Berend weiß ich nicht genau, ob ich meiner Verantwortung auch gerecht werden kann.

Als hätte der König meine Gedanken gelesen, erläutert er: »Aus dem Dienst Pytts werdet Ihr natürlich dafür entlassen. Er hat mich unterrichtet, dass Ihr Euch den Verhältnissen entsprechend gut entwickelt habt.« Schmunzelnd ergänzt er: »Er hat mich außerdem wissen lassen, dass Ihr »nicht so übel« seid, wie zu Beginn befürchtet. Meine Söhne haben außerdem einen überaus positiven Eindruck von Euch gewonnen und als Lehrer macht Ihr Euch wohl ausgesprochen gut.

Solltet Ihr annehmen, wäre es selbstverständlich, dass Euch hier Gemächer zur Verfügung gestellt würden. Ihr würdet zu meinem persönlichen Hofstaat gehören und Eure Bezahlung wäre entsprechend angemessen.«

»Es ehrt mich Euer Vertrauen. Aber nein.«

»Nein?« Völlig verblüfft erhebt sich der König von seinem Thron, als habe er nicht mit einer anderen Antwort als meiner Einwilligung gerechnet.

»Nein. Meine Erste Pflicht liegt bei Nico. Das Schicksal hat schwer ihn getroffen, genau wie das Unrecht. Selbst wenn Ihr entließet mich aus des Stadthalters Pflicht, so würde ich nutzen die Zeit, um ihn zu geleiten auf seinen eigenen Weg.«

Der König schürzt missgünstig die Lippen. »Wohl ist Euch nicht entgangen, dass ich es nicht gewohnt bin, dass man meine Bitten ohne weiteres ausschlägt?«

»Des Königs Wille soll Befehl dem Untertanen sein«, erläutere ich nickend und verziehe meine Lippen zu einem schmalen Lächeln. »Wohl ist Euch nicht entgangen, dass Autorität nicht um der Autoritäten Willen verdienen wird meinen Respekt.« Als er mich unterbrechen will, hebe ich die Hand und fahre unbekümmert fort: »Blinder Gehorsam sei vorbehalten eurer Dienerschaft, dem Bürgertum und allen, die Ihr zu nennen pflegt Untertan. Doch ich bin Ikara. Ich bin vieles. Lediglich Untertan bin ich nicht.«

»Wollt Ihr Euch etwa über mich erheben?« Entrüstung macht sich in dem König breit und er macht bedrohlich einen Schritt auf mich zu. Von der anfänglichen Belustigung über meine Beharrlichkeit ist längst nichts mehr zu sehen. Doch von dem Zorn, der förmlich aus seinem Gesicht springt, um mich niederzudrücken, lasse ich mich längst nicht einschüchtern. Ich habe weitaus größere Bedrohungen gesehen, als ein König, der sich nichts sagen lassen will.

»Nein«, ist meine einfache Antwort.

»Warum…«

»Ich bitte Euch. Wenn ihr annehmen würdet, dass ich könnte im Stande sein, zu krümmen Euch ein Haar – ich wäre nicht mehr am Leben. Oder doch und damit schon wieder, womit die Götter wohl hätten bewiesen, dass ich bin der, der ich bin, dass ich bin Ikara, der ich behaupte zu sein. Anders wäre die Auferstehung meiner wohl nicht zu erklären, wäre es der Wunsch gewesen von Eurer Majestät, dass ich werde gerichtet. Des Weiteren ist Aufsässigkeit mein Ziel nicht, auch nicht zu erheben mich über Eure Krone. Eine Bitte habt Ihr geäußert, Ihr habt meine Gründe, warum ich nicht annehmen kann. Es ist mehr nicht und nicht weniger.«

Schweigen erfüllt den Thronsaal, bei welchem ich unwillkürlich an meine letzte Unterhaltung mit dem König denken muss. Ich erinnere mich daran, dass er auch damals schon sehr empfindlich reagiert hat, nachdem ich äußerte, dass ich nicht der Autorität Gehorsam schenke, sondern dem Recht allein. Langsam beschleicht mich das Gefühl, dass der König fürchtet, ich könnte in irgendeiner Weise etwas gegen ihn unternehmen wollen. Was bei allen Urgöttern hat in ihm diese Angst ausgelöst? Bisweilen habe ich doch lediglich die mir gewidmeten Opfergaben vernichtet. Welch sonstiges Verbrechen habe ich mir zu schulden kommen lassen außer jenen, von denen er nicht glauben möchte, dass ich tatsächlich derjenige bin, der sie verbrochen hat?

»Verzeiht mein Misstrauen«, bricht der König nach einer gefühlten Ewigkeit endlich das Schweigen und lässt sich seufzend zurück auf seinen Thron sinken. Kopfschüttelnd seufzt er, ehe er scheinbar abwesend auf einen Punkt weit hinter mir starrt. »All dies verheißt nichts Gutes«, verkündet er schließlich düster und erwacht aus seiner Trance. Als sein Blick den meinen trifft, blitzt etwas beinahe flehentliches darin auf. »Ich möchte nur, dass sie sicher sind«, bittet er dann auch noch inständig, dass es schwer bleibt, meinem ursprünglichen Entschluss standzuhalten.

»Nun gut«, lenke ich schlussendlich doch ein. »Jedoch kann ich nicht aufgeben meinen ursprünglichen Plan. Nico hat mein Wort.«

Hoffnung schleicht sich in des Königs eben noch so müde wirkendes Gesicht. »So bringt ihn mit, unterrichtet ihn mit meinen Söhnen.«

»Es ist der Nico, dessen Vater als Schmied die Ächtung fand«, gebe ich zu bedenken, um sicher zu gehen, dass der König weiß, wovon er spricht.

»Es ist mir gleich – Hauptsache, Ihr unterrichtet meine Söhne.«

Beinahe ist es ein wenig absurd. Bei dem Misstrauen, welches der König mir gegenüber verspürt, bei der Furcht, die ich ihm einzuflößen scheine, beharrt er doch so darauf, dass ausgerechnet ich die beiden jüngeren Königssöhne ausbilden muss. Die Quelle seiner Furcht beginnt mich mehr und mehr zu interessieren.

Gerade will ich das Angebot annehmen, als der König noch einmal spricht: »Ihr müsstet mir dabei nur einen Gefallen tun.« Zwar bin ich der Ansicht, dass ich ihm mit der Unterweisung der Prinzen genügend Gefallen tue, doch ich nicke zum Zeichen, dass ich ihn zu hören bereit bin. »Schweigt über Eure Vergangenheit und über unsere Geschichte. Wir befinden uns an dem Abgrund eines Krieges mit Ethenar. Solltet Ihr Eure Herkunft beweisen können, haben wir einen Bürgerkrieg – das letzte, das wir zur Zeit gebrauchen können.«

Schweigen ist vorerst meine Antwort, während ich meine nächsten Worte bedenke. »So sei es«, gebe ich endlich mein Einverständnis und ich höre den König förmlich aufatmen. »Schweigen kann ich über Erlebtes, schweigen darüber kann ich gern. ´S ist das Meiste ohnehin nichts, das ich zu teilen gewillt bin. Doch verleugnen werde ich meinen Namen nicht, gleichermaßen nicht mich selbst. Ikara bin ich und niemand sonst.«

Einen kurzen Moment lang scheint der König noch Bedenkzeit zu benötigen, dann jedoch willigt auch er ein. »So sei es.« Und zum Schluss fügt er noch an: »Habt Dank.«



Ethenar


»Hauptmann!« Forsch mit der flachen Hand auf der Brust salutierend nimmt der alte Kriegsveteran vor seinem Kommandeur Haltung an. Weißes Haar lugt unter seinem Helm keck hervor und eine breite Narbe ziert die Wange des Mannes, was dem Krieger ein verwegenes Aussehen gibt. Mit rasselnder Stimme verkündet er: »Bitte, Bericht erstatten zu dürfen.«

»Bitte.« Die Stimme des Hauptmanns ist Befehlsgewohnt, der stoische Blick, die aufrechte Haltung und die vergoldeten Platten auf der üblichen ethenarschen ledernen Rüstung verleihen ihm ein kühles, selbstsicheres und gewohnt autoritäres Auftreten. Nichts anderes erwartet man von Hauptmann Belius Rawen, »Der Rabe« genannt, welcher niemand Geringeres ist als die zweite lenkende Hand Ethenars selbst. »Was habt Ihr für mich, Arwin?«

»Unruhen, mein Herr. Die Krieger an den Grenzposten werden der ewigen Scharmützel müde. Sie sehnen sich nach einem Ende des Streits.« Während seiner Berichterstattung starrt Arwin starr geradeaus, wie es sich für einen Soldaten vor seinem Kommandanten gehört, doch nun riskiert er einen Blick aus dem Augenwinkel auf die Reaktion seines Kriegsherren.

Dieser steht scheinbar ungerührt noch in derselben Haltung wie zuvor unter dem Pavillon, den Blick kühl und abschätzig auf den Soldaten vor ihm gerichtet. Doch die nach außen wirkende stoische Ruhe kann Arwin nicht im Geringsten täuschen. Das kleinste Zucken im Kiefer seines Kriegsherren, welches dessen Mahlen mit den Zähnen verrät, verrät Arwin auch die Anspannung, mit welcher seine Botschaft den Kommandanten erfüllt.

Unruhig beendet er seinen Salut, um die Arme gleich darauf demütig auf dem Rücken zu verschränken. »Ihr wisst, Hauptmann«, beginnt er eine Spur zögerlicher, unsicherer, als geplant, »mein Alter und meine Erfahrung flößen den Meisten Respekt ein. Bislang habe ich niemals meine Befehle angezweifelt, habe mich stets in Eurem Sinne vor meinen Kameraden geäußert.«

Der kalte, berechnende Blick des Kommandeurs bröckelt, als er seine Stirn zu einem warnenden, skeptischen Funkeln zusammenzieht und die stechend grünen Augen an dem großgewachsenen, schmalen Krieger rauf und runter wandern. »Worauf wollt Ihr hinaus?«

»Die ikareischen Lande provozieren seit gewiss drei Dutzendmonden den Streit an den Grenzen. Es ist kein Geheimnis, dass sie es sind, die hinter den barbarischen Überfällen an den Grenzdörfern stecken. Sie dringen in unser Land ein, hinter unsere Grenzen und nehmen sich, was sie wollen und uns ist es untersagt, Rache zu üben.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« Die Stimme Rawens wird, wenn auch kaum hörbar, eine winzige Spur kälter.

Arwin schluckt hörbar, dann jedoch fährt er entschlossen fort. »Auch ich bin es leid, dabei zuzusehen, wie Männer, Frauen und Kinder gleichermaßen abgeschlachtet werden und Bauern und Händler nicht mehr ruhig schlafen können, weil sie um ihre Sicherheit fürchten müssen. Ich verstehe nicht, warum wir die Verteidigung nicht aufrüsten. Ich bin es leid zu sehen, dass jeder Überfall uns aufs Neue überrascht, dass wir stets zu spät kommen und weder Gefangene machen, noch das Unheil vermeiden können. Stattdessen begraben wir jedes Mal die Toten, suchen Überlebende und bauen Notunterkünfte für die Hinterbliebenen in meist völlig niedergebrannten Dörfern. Der Liv Brynn, der lange Zeit Pilgerstädte für Fischer und Seemänner war und der seit einigen Dutzend Dutzendmonden Heimat für unsere Küstenvölker bietet, wird nur noch spöttisch Fischergrab genannt. Und wir sehen untätig dabei zu.«

»Mit anderen Worten wünscht Ihr Euch Krieg?« Die raue Stimme des Hauptmanns, die nie viele Emotionen zu beinhalten scheint, nimmt einen, wenn möglich, noch kälteren und schneidenderen Ton an.

»Wir sind in den letzten hundert Dutzendmonden zu einer Großmacht herangewachsen. Wir sind Zuflucht für Flüchtlinge aus ikareischen Kolonien, uns zur Seite stehen ehemalige Freiheitskämpfer aus ehemaligen Kolonien, wir haben weitreichende Verbündete in wichtige Handelsmetropolen, wir haben Feinde und Verbannte Ikaras bei uns aufgenommen, wir verfügen über ein außerordentliches Netzwerk aus Spähern. Unsere Truppen sind denen der ikareischen Lande um ein tausendfaches überlegen und unsere Allianzen können gewiss innerhalb der ersten Monate eine Division von mindestens weiteren je zwanzigtausend Mann aufstellen und uns zur Hilfe eilen, sollte dies benötigt sein. Doch wird es nicht…«

»Schweigt.« Die Stimme des Kommandanten ist ruhig. Nicht laut, nicht drohend. Und doch zuckt Arwin unter der Ruhe seines Kriegsherren zusammen, ist sein Blick doch mehr als unmissverständlich und somit Zurechtweisung genug. »Ihr mögt es vielleicht nicht verstehen. Aber ein Krieg mit den ikareischen Landen zum derzeitigen Zeitpunkt ist unter allen Umständen zu vermeiden. Es wäre Selbstmord.«

Ohne die Mine zu verziehen oder Arwin noch eines Blickes zu würdigen, dreht Rawen sich um, um sich mit beiden Händen auf den Tisch hinter sich zu stützen und auf die darauf liegende Karte zu starren. Sein Blick fällt auf die Halbinsel Breck Maar nahe des westlichen Küstenstreifens. Beinahe unbewusst lässt er seinen starren Finger an der linken Hand darum kreisen.

Breck Maar – die Meeresbrücke – ist schon immer ein sagenumwobener Ort gewesen. Nur zu gut kennt Belius Rawen die Sagen und Geschichten, welche sich um diese geheimnisvollen Landmassen ranken. Viele dieser Mythen, welche von der rachsüchtigen Seele des Hüters bis hin zum verborgenen Tor zum Jenseits reichen, sind das Produkt mündlich überlieferter, über mehrere hundert Dutzendmonde hinweg weitergesponnener und übertriebener, immer weiter aufgebauschter Gruselgeschichten, die sich Seemänner auf langen Irrfahrten und Krieger auf ihren weiten Eroberungsfeldzügen erzählten, um die Moral aufrechtzuerhalten. Doch eines ist, wie Belius Rawen weiß, sicher. Nämlich, dass Narem in seinen letzten Tagebucheinträgen davor warnt, dieses Territorium unbedacht zu betreten. Wenig später verstarb der Gründer Ikaras unter mysteriösen Umständen.

Sein Finger bleibt auf der Halbinsel haften. Er selbst sollte am Besten wissen, dass auf diesem Gefilde nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Immerhin hat er selbst dort einst sein Ende gefunden und seitdem nicht gewagt, noch einen Fuß auf dieses verfluchte Stück Land zu setzen. Nicht umsonst hält er die Verteidigung an der Grenze zu diesem Gebiet stärker als anderswo. In den letzten zehn Dutzendmonden wollen Fischer und Seemänner nahe dieser Halbinsel merkwürdige Kreaturen gesichtet haben. Und er ist sich sicher, dass die Überfälle auf die Fischerdörfer lediglich ablenken sollen von Dingen, die dort vor sich gehen, welche lieber unbemerkt bleiben.

Angestrengt nachdenkend wischt sich der Hauptmann den Schweiß von der Stirn. Die Sonne brennt hoch vom Himmel und die Hitze staut sich unter dem Schatten spendenden Pavillon, als sei dieser ein Ofen. Kein Lüftchen geht an diesem heißen Tag, an welchem Belius Rawen gekommen ist, um an dem Wachposten der nördlichen Grenzen nach dem rechten zu sehen.

Arwins Bericht nach ist die Lage angespannter als er und der König es befürchtet hatten. Wenn die Krieger an Einigkeit verlieren und sie sich nach einem Krieg sehnen, um den Erzfeind in seine Schranken zu weisen, wenn nicht, um ihm den Garaus zu machen, wird die Situation für ihn prekär. 

Er hatte gehofft, vor wenigen Dutzendmonden, dass die Erklärung der Überfälle durch den ikareischen Erzfeind plausibel genug wäre. Denn dass dieser nicht wirklich dahinter steckt, ist ihm durchaus bewusst.

Es ist auch der Grund, warum er die Küstendörfer behandelt wie Opfervieh. Sie sind die Kollateralschäden, die das Land hinnehmen muss, wenn es nicht von weitaus gefährlicheren Feinden niedergetrampelt werden möchte. Und dass diese auf Breck Maar hausen, unweit von den Grenzposten Ethenars entfernt, ist gewiss. Denn keiner seiner Späher ist je von diesem Fleck zurückgekehrt. Und er, Der Rabe, erzittert, allein wenn ein einziger Gedanke an die finsteren Gefilde, die dort Lauern, seinen sonst so berechnenden Geist beschleicht.

Nein, er würde nicht zulassen, dass irgendjemand Gefahr läuft, in einen Konflikt mit was auch immer dort lauert zu geraten – und er würde auch nicht den Fehler begehen, sein Land in einem sinnlosen Krieg gegen einen unschuldigen Feind zu schwächen, nur um daraufhin von einem ihm unbekannten Feind überrannt zu werden.

»Es wird keinen Krieg geben«, ermahnt er schließlich, nicht ohne Arwin mit einem scharfen Blick zu bedenken. »Und erst recht werden wir ihn nicht beginnen. Das können und dürfen wir uns nicht erlauben.« Seine Strategie ändernd, setzt er hinterher: »Nicht, wenn jemand in ihren Reihen emporsteigt, der sich Ikara nennt und sich für den Gründer persönlich hält. Das ist eine Bedrohung, die wir nicht oder noch nicht einschätzen können.«

»Aber Hauptmann…«

»Genug!« Die grünen Augen funkeln gefährlich, während Der Rabe seinen Untergebenen bedrohlich mustert. »Befehl des Königs ist, einen Krieg um jeden Preis zu vermeiden. Und das werden wir tun.«

»Und die Fischerdörfer?«

Eine kalte Maske heftet sich auf das gebräunte, faltige Gesicht, verbirgt ganz und gar die Sorge und die Scham darunter. »Müssen lernen, sich selbst zu verteidigen. Wir haben Städte an der Küste, die schützenswerter sind.«

»Aber…«

»Noch ein Wort und ich mache meinem Spitznamen alle Ehre.«

Arwin verstummt, wütend, bebend vor Zorn. Doch schluckt er seinen Verdruss demütig herunter. Niemand legt sich mit dem Raben an. Und niemand, der eine Weile unter ihm gedient hat, wird jemals in Zweifel ziehen, dass er seine Drohungen ernst meint. Der Hauptmann ist ein geduldiger Mann, sehr besorgt um sein Volk und zuweilen gar sehr nachsichtig. Der Rabe aber macht keine leeren Versprechungen. Der Rabe ist gnadenlos.


Gedanken eines Zeitzeugen über das Ende Ikaras im vierten Mond nach Gründung der Stadt; aus den geheimen Annalen Ikaras


Jung Narem kam allein zurück. Zu sehen war nichts von blut‘ger Tat, doch sehen konnte ich sein blutend Herz. »Er ist frei von seinem Wahn«, war alles, was er zu mir sprach. Einig waren wir, dass niemand wird erfahren je die Wahrheit.

Hätt länger er gelebt, hätt länger er verbreitet seinen Zorn, so hätt gespalten er, was er geschaffen. Hätte verwirkt alles Vertrauen, hätte zerstreut die Menschen in strukturlose Welt, allein gelassen und verloren. Ohne Hoffnung auf Frieden, ohne Glauben an die Götter.

Aufgebrochen hat er alles Alte, zerstreut sind Stammesväter und ihr‘ Familien. Unmöglich ist´s, zurückzufinden zu alter Stammesheimat, wo zerstört liegt manches Land, wo unter Trümmern mancher Stamm entschlief. Auch ist unmöglich es zu trennen, was Ikara zu einem Stamm gemacht. Zusammen‘wachsen sind Blutsfeinde und Feindesbrüder, sind eins, sind Waffenbrüder – sind Brüder. 

Doch fiel Ikara zum Opfer der göttlich Flamme, es hat ereilt ihn Hüters Schicksal. Nun ist entschlafen unser Held. Am Ende war unsterblich er nicht, war nicht ein Gott, wie alle sangen. War menschlich Hülle für sündenvolle Seele. Im Moment des Sieges dachte ich, es stünde dort nicht mein Bruder, sondern übermenschlich Gott. Bin ich schuld? Habe ich nicht geliebt zu genüge, habe ich nicht gestützt dich, dass du gingst verloren? Ikara, mein Bruder. Verzeih. 

Jetzt hinterlässt er neue Welt und Ungewisses und schutzlos bleiben wir, ganz ohne Hüter, vor verweilend Dunkelbrut. Angst und Hoffnung gestalten Hand in Hand die Zukunft nun, und Narem wird sie führen. Wird uns führen. 




Von Göttern und Waisen


Dies ist das Werk

Von Chronisten, die da singen

Von einem Helden,

Dem selbst die Götter

Ihre Opfer bringen,

Vor dem Götter sich verneigen.


Es ist das Werk von Zeugen,

Die schufen Götterwillen,

Seit an Seit mit Gott und Gründer,

Vom Helden, der besiegte

Einst den göttlich Sünder.


Es setzen Menschen Stein auf Stein,

Als lobend Götter künden:

»Dies soll neue Heimat sein.«

Worauf ein jeder singt:

»Oh meine Heimat süß,

Horch, wie mein Herze springt,

Wenn ich nur denk,

Dass hier dereinst soll Frieden sein.


Oh süße Heimat mein!

Du hab offen Tür und Tor,

Denn so ist göttlich Wille.

Und wachse Du, 

Steig wie die Sonne Du empor.

Oh süße Heimat mein,

Oh meine Heimat süß -

Hier soll und wird ein jeder 

Dir willkommen sein.«


Es wird begründen neues Volk

Königsgeschlecht und stolzes Land,

Und Götterwille wird stets führen

Des gerechten Königs Hand,

Wird beistehen und wird leiten

Und halten uns auf rechtem Wege,

Wird ewig uns begleiten,

Drum leset aufmerksam,

Welch Zeugnis ich ablege.


~


Es liegt das weite Auenthal

Von Hüters Berge fern, so fern.

Dort erhellt ein einzig Sonnenstrahl

Den Jüngling, den die Götter seh‘n so gern.

Als er das Licht der Welt erblickt‘,

Da hatten sie schon längst gewusst,

Dass von Schicksalsflamme er geschickt,

Bewegt‘ doch schon beim ersten Atemzug

Gottverständnis, Weisheit, Liebe

Die ach so kleine Brust.


Und in der kleinen Brust wohnt inne

Größtes Herz so rein,

Dass selbst der Hüter wird da singen,

»Nicht reiner als das Seine könnt‘ das Meine sein.«


Denn es ist göttlich Hüter,

Den man derzeit lobt

Als weise, stark und gut.

Er schützet, wenn der Sturme tobt,

Und wenn erhebt sich

Heimlich dunkle Götterbrut.


Es hütet er das göttlich Leben,

Die Flamme ward ihm anvertraut.

In ihr erwachsen Wissensblüt´ und Weisheitsreben,

Selig ist, wer ihr vertraut.


In ihr verbrannt wird bitt‘res Streben,

Neid, Hass und ähnlich Bitterkraut.


Es ernten von der Lebenswurzel

Götter nur die Kenntnisfrucht.

Und ihrer Güte Feuer 

Ersticket ganz die Bittersucht.

Und ihre Lebensknospe brennt,

Erquicket Gott, der sie erkennt.


Doch verboten Frucht ist Feuerflamme

Für Menschenvolk und Erdenbrut,

Entzünden kann in ihnen sie

Nur Flammenzorn und Feuerwut.


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