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Feilkode 418

Wir sind Lilly

Wir sind Lilly · Krimi und Spannung

Lilly Handsome entwickelt aufgrund schweren Missbrauchs in ihrer Kindheit ein zweites Ich, das alles, was Lilly an Leid angetan wird, rächt.

Hva vil du med boka?

Ich habe mich schon immer für Forensik und Kriminalpsychologie interessiert. Auch beschäftigte ich mich intensiv mit Missbrauch und den daraus resultierenden, oft schrecklichen Folgen für die Opfer. Darüber hinaus wird dieses Thema immer noch tabuisiert und totgeschwiegen. Das Buch soll dieses Thema aufgreifen und die häufigste Form der Folgen beschreiben, die Spaltung der Persönlichkeit in oft auch mehreren "Ichs". Im Falle meiner Protagonistin entwickelt durch diese Spaltung "Ruth", eine äußerst psychopathische, kriminelle Serienmörderin, die jeden grausam umbringt, von dem sie meint, er/sie habe Lilly geschadet. Der Auftakt beginnt mit Josh, Lillys Ehemann.

Om forfatteren

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Ich habe mir irgendwann in der Vergangenheit die Frage gestellt, warum ich schreibe. Ich kann sie mir nicht beantworten. Vielleicht weil das gesprochene Wort schnell vergessen ist, das geschriebene...

Wir sind Lilly

Weinend saß die junge Blondine auf dem Klodeckel. Das Make-up war komplett verlaufen und  sie sah wegen der verschmierten Mascara wie ein trauriger Clown aus. Josh hämmerte gegen die Badezimmertür und schrie fortwährend, sie solle die verdammte Tür aufmachen oder er würde sie eintreten. Sie hörte die Sirenen einer Polizeistreife draußen heulen, aber die kam ganz bestimmt nicht ihretwegen. Die kam nur noch, wenn zufällig Beamte Dienst hatten, die sie und Josh noch nicht kannten. „Mach die fucking Tür auf, Schlampe!“ Mein Gott, sein Gebrüll musste doch in der gesamten Straße zu hören sein. Aber das juckte hier sowieso keinen mehr. Anfangs, als sie hier neu eingezogen waren, riefen Nachbarn Hilfe und klopften sogar an die Türe. Damit war schon lange Schluss. Einmal sagte die Nachbarin von gegenüber, Miss Milkmaker, bei einem Treffen im Supermarkt zu ihr, dass sie selber schuld sei. Andere Frauen wären schon lange gegangen. „Aber Sie … Sie brauchen das wohl“, sagte die ältere Dame gehässig und wandte sich wieder ihren Einkäufen zu. Alle Augen im näheren Umfeld starrten die junge Frau an. Diese hatte sich noch in ihrem Leben so geschämt. 

Krachend flog die Klotür auf und Josh starrte sie mit blutunterlaufenen Augen an. „Warum machst du die Tür nicht auf, hä?“ Mit drei Schritten war er bei ihr und zog sie an den langen blonden Haaren von der Kloschüssel herunter. Sie prallte mit den Knien auf den harten, weiß gefliesten Boden und stieß einen spitzen Schrei aus. Der wurde wiederum mit einem Faustschlag gegen ihren Mund quittiert. Blut rann ihr das Kinn hinunter in den Mund, der metallene Geschmack war ihr längst vertraut. Er will doch jetzt nicht, dachte sie panisch. Und ob er wollte. Er wollte sie an den Haaren die Treppe hinunter in die Küche zerren, wo das Corpus Delicti auf dem Tisch stand. Ein Braten, leider nur verkohlt. Sie hatte völlig vergessen, ihn  aus dem Ofen zu nehmen, da sie mit ihrer Mutter telefonierte. Diese war leicht dement und so war ein Telefongespräch mit ihr immer eine langwierige Angelegenheit. Als Jochen dann nachhause kam, hatte sie gerade aufgelegt und quasi beide hatten im selben Moment den Geruch nach angebranntem Fleisch erschnüffelt. Ihr sank das Herz in die Kniekehlen und dabei hoffte sie inbrünstig, dass er nicht getrunken hatte. Er hatte. Deshalb lag sie jetzt im Badezimmer, das Gesicht blutverschmiert, ihr linkes Auge knallrot zu geschwollen und grade dabei, an den Haaren die Treppe heruntergezerrt zu werden. Sie machte sich möglichst leicht, indem sie auf ihren Knien mit rutschte. Sich zu wehren war ziemlich bescheuert, denn dann wäre es noch schmerzhafter gewesen. So glitt sie neben ihrem Mann, den Kopf durch seinen harten Griff in ihr langes Haar unnatürlich verrenkt, auf Knien die alte abgenutzte Holztreppe hinunter. Als sie die letzte Stufe genommen hatte, ließ er sie los und zerrte Lilly an den Oberarmen hoch. Dann schubste er sie, gerade so wenig, dass sie nur vorwärts taumelte, aber nicht hinfiel. So ging es durch das hübsch eingerichtete Esszimmer, an dem geschmackvoll dekorierten Tisch vorbei in die Küche. Sein Ziel war der Braten, der schwarzbraun immer noch auf dem Ofenblech kauerte. Er packte sie ins Genick und drückte sie so weit hinunter, dass ihre Nasenspitze beinahe das Fleisch berührte und sagte zischend: „Ich arbeite nicht den lieben, langen Tag, um dann abends nichts zu essen zu bekommen. Hast du eine Ahnung, welchen Kohldampf ich habe?“ Dabei schüttelte er ihren Kopf hin und her, um ihn zum Schluss in den Braten zu drücken. Der verkohlte Rücken kratzte an ihrer Wange und ein scharfer Geruch kroch in ihre Nase. „Ich gehe auswärts essen und du solltest duschen, du siehst aus wie ein geschlachtetes Huhn!“ Abrupt ließ er sie los und sie hielt sich krampfhaft an der Tischkante fest, um nicht zu fallen. Mit geschlossenen Augen hörte sie das Klimpern der Autoschlüssel und danach die Haustür ins Schloss fallen. Aufschluchzend angelte sie sich zum nächsten Stuhl und setzte sich wackelig. Ich halte das nicht mehr aus, das heute war der Höhepunkt, ich muss gehen, dachte sie. Lilly fühlte sich fiebrig und ihr ganzer Körper schmerzte. „Nein, das musst du nicht …“, flüsterte eine innere Stimme, „der Drecksack wird sich zum Teufel scheren müssen …“.  Über diese Stimme erschrak sie nicht mehr, sie meldete sich in letzter Zeit sehr oft – im Gegensatz zu früher - und der einfach halber hatte die junge Frau ihr den Namen Ruth gegeben. „Und wie sollen wir das anstellen? Du weißt, dass er uns in der Hand hat …“, flüsterte Lilly durch ihre geschundenen Lippen. „Na, Schuld bist du doch selber, was musst du auch Schecks fälschen? Ja, ja … ich weiß, Mutter und ihr Pflegeheim, das so teuer ist. Nun, jetzt bist du ganz schön gelackmeiert, was?“ Sie hatte es so oft in Gedanken durchgespielt: so nach dem Film „Der Feind in meinem Bett“ mit Julia Roberts in der Hauptrolle. Einfach den eigenen Tod vortäuschen und untertauchen, nur wusste sie nicht wie sie das anstellen sollte. Sie arbeitete ganz unspektakulär als Krankenschwester in einem großen Krankenhaus, hatte keine Hobbys (in denen sie „umkommen“, konnte wie die Protagonistin in dem Film). Sie dekorierte gerne das Haus, ja, aber um da tödlich zu verunglücken, brauchte man eine Leiche. Josh hatte ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er sofort die Polizei einschalten und von ihren Betrügereien erzählen wolle, falls sie sich dazu entschließe abzuhauen. Stöhnend erhob sie sich von dem gelben Küchenstuhl aus Plastik. Sie ging zum Kühlschrank, um sich einen Beutel Eis zu nehmen und auf das bereits dick geschwollene Auge zu legen. Was ein Glück hatte sie Urlaub, sonst wäre wieder eine Krankmeldung fällig gewesen und sie fragte sich, wie lange die Klinikleitung noch die Füße diesbezüglich unter dem Tisch halten würde, jedenfalls nicht mehr lange. Lilly schleppte sich zum Sofa mit den hübschen lila Kissen aus Satin und legte sich vorsichtig hin. Mit dem Eisbeutel auf dem Auge lag sie regungslos auf ihrem Rücken. Alles schmerzte. Ihre Kopfhaut pochte und sie hatte ein Gefühl als stünde sie kurz vor einer schweren Grippe. „Irgendwann hat er dich umgebracht. Langsam solltest du dir überlegen, was besser ist: Unter der Erde verrotten oder ein paar Jahre Knast.“ Ruth kam immer so unangenehm auf den Punkt. „Das können wir Mama nicht antun und das weißt du genau. Sie hat ja nur noch uns“, nuschelte Lilly. "Sicher, aber würde Mama es überhaupt bemerken, wenn wir im Gefängnis sitzen würden? Ich meine, telefonieren können wir auch von dort.“ "Du hast aber die Besuche zu ihren Geburtstagen und zu Weihnachten und zu Thanksgiving vergessen.“ "Ach, richtig, stimmt auch wieder.“ „Und wie Doktor Heissler meinte, hat sie diese leichte Form von Demenz und es kann Jahre dauern, bis Mama völlig dement ist, Ruth. Und sollten wir abhauen, können wir sie auch nicht mehr anrufen, geschweige denn besuchen. Die Polizei hätte uns schneller geschnappt, als wir gucken können.“ „Ich suche nach einer anderen Lösung, Lilly, du solltest jetzt etwas schlafen. Aber werfe vorher den Rinderbraten weg. Wenn er den erneut sieht und das Teil liegt immer noch da, fängt das Drama von vorne an.“ „Und wieder hast du völlig recht, Ruth, meine Süße …“

Ein lautes Poltern ließ sie aus dem Schlaf hochschrecken. Ihr Blick streifte  den Radiowecker. Es war kurz vor zwei Uhr morgens und ein Schrecken durchfuhr sie heiß. Jochen war zurück und das Poltern bedeutete, dass er schwer getankt hatte. Gleichzeitig beruhigte sie sich, denn das hieß auch, dass er nicht mehr die Koordination dazu hatte, sie durch das Haus zu prügeln. Mühsam schälte sie sich aus den Decken und stand auf. Sie wollte sicherheitshalber nachsehen, wieso es so gerumpelt hatte. Vielleicht war es ja auch ein Einbrecher, man wusste ja nie heutzutage. Leise schlich sie zur Schlafzimmertür und erkannte durch deren kleinem Milchglasfenster, dass Licht brannte. Ein Einbrecher machte wohl kaum eine Lampe an und so wollte sie zurück in das Bett krabbeln, als Ruth wisperte: „Halt, nicht so schnell, sieh’ doch mal nach“. „Was soll ich denn nachsehen? Ich will dem am besten heute nicht mehr unter die Augen treten.“ „Trotzdem, guck nach, vielleicht ist er ja verletzt und braucht Hilfe.“ Irgendwie klang Ruth jetzt verschlagen. „Und wenn schon! Meinst du, ich verarzte diesen Bastard noch? Als Dankeschön sozusagen? Vergiss’ es!“, antwortete die junge Frau in Gedanken. „Geh schon!“, befahl Ruth. Widerwillig öffnete Lilly die Tür und ging auf Zehenspitzen den Korridor zur Treppe hin. Am hölzernen, geschnitzten Geländer, welches das obere Stockwerk sicherte, hielt sie sich fest. Dann hörte sie ein Stöhnen und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Er hatte tatsächlich etwas. Am oberen Ende der Treppe angekommen, riskierte sie einen Blick nach unten und tatsächlich: Dort saß Josh auf dem Boden und hielt sich den Kopf. Sie sah eine rote Flüssigkeit, die einen immer größer werdenden dunklen Fleck auf sein hellgrünes Hemd malte. „Siehst du!“, rief Ruth triumphierend. „Und? Was soll ich denn jetzt machen? Ich helfe ihm nicht!“ Lilly klang hasserfüllt. „Aber wer spricht den von Helfen, Liebes?“, ihre Freundin, die sie seit ihrer Kindheit begleitete, klang spöttisch. „Mach dem ganzen Desaster ein Ende …“ „Wie meinst du das?“ “Der Eisenleuchter, der im Bad steht! Hol ihn!“ In Lilly kroch blankes Entsetzen hoch, als sie verstand, was Ruth eigentlich von ihr wollte. „Bist du bescheuert, ich soll ihn umbringen?“ "Nein, wer sagt das denn? Du sollst eben nur das vollenden, was er von alleine nicht geschafft hat“, Ruth kicherte. „Schau, für uns ist es  wirklich das Beste. Nie mehr Schläge, nie mehr Erniedrigung und unsere kleinen Mauscheleien mit seiner Bank sind dann sicher bei ihm aufgehoben. Die kann er dann  nicht mehr ausplaudern. Sei doch nicht so doof, Mädel, so eine Gelegenheit bekommst du nicht mehr so schnell. Und du könntest Mama nach Hause holen, anstatt sie im Heim vergammeln zu lassen, denn seine Zustimmung brauchst du dann nicht mehr.“ Je länger sie sprach, desto mehr überzeugte sie Lilly. Es war wirklich eine einmalige Chance sich von allem zu befreien. Und es war ja eigentlich auch gar nicht schwer. Eins, zwei Schläge und dann etwas putzen und die Polizei ganz aufgelöst rufen. „Aber nein! Du wirst nicht putzen! Mach jetzt genau, was ich dir sage. Du brauchst nur meinen Anweisungen zu folgen und jetzt geh endlich und hole den verdammten Leuchter!“ Wie immer konnte sie sich nicht der inneren Stimme widersetzen und ging zittrig in das Badezimmer. Dort stand der Leuchter. Eine schmiedeeiserne Handarbeit. Drei Schlangen ineinander geschlungen und die Köpfe dienten als Kerzenhalter. Eines ihrer Lieblingsstücke. Sie nahm ihn auf und stöhnte kurz, denn ihre rechte Hand hatte auch etwas von der Schläge Joshs abbekommen. Bestimmt das Handgelenk gestaucht, dachte sie. „Dann haust du eben mit links zu und jetzt beeil dich! Wenn er wieder aufsteht, ist diese einmalige Chance vorbei!“, dränge Ruth. Sie wechselte den Kerzenhalter in die linke Hand und ging zur obersten Stufe der Treppe. In der Tat, Josh hatte sein Bewusstsein verloren und lag unten am ersten Treppenabsatz. Ihr schlotterten die Knie, ein Schluchzen drückte ihre Kehle zu und sie sagte sich, dass sie dazu doch absolut nicht imstande war. „Muss ich immer alles selbst machen, blöde Kuh?“ Ruth wurde sauer auf ihre Gedanken, dann plötzlich ging ein Ruck ging durch Lilly. Schlagartig wurden ihre Gesichtszüge hart und ein kaltes Funkeln glitzerten in den sonst so warmen rehbraunen Augen. So, als habe die junge Frau keinerlei Schmerzen, nahm sie entschlossen eine Stufe nach der anderen und kam schließlich bei Josh an. Ohne jedes Erbarmen blickte sie zu ihm hinunter. An seinem Hinterkopf klaffte eine breite Wunde, die immer noch blutete. Das scharfkantige, attraktive Gesicht mit dem sexy Grübchen im Kinn war bleich, die hellgrauen Augen mit einem schwarzen Kranz aus dichten Wimpern umrandet, geschlossen. Das dunkle Haar fiel im wirr in die Stirn. „Na also“, flüsterte Ruth zufrieden, „die Wunde ist eine optimale Vorlage und ein perfekter Zielpunkt.” Sie hob den Arm und schlug mit aller Kraft zu. Das Blut spritze gegen die Tapete mit den hübschen Mohnblumen, in Lillys Gesicht und eine grau rosa Masse trat aus der Wunde, die sich jetzt doppelt so groß in Joshs Kopf gegraben hatte. Schlagartig bekam Lilly wieder die Oberhand und übergab sich auf der dunkelgrünen Stoffhose ihres Mannes. Die verstörte junge Frau blieb einige Zeit auf ihren Knien so neben ihrer einstigen großen Liebe liegen und atmete keuchend. Dann endlich erhob sie sich langsam. Sie zitterte so sehr, dass ihr ganzer Kopf mit wackelte. „Ruth und jetzt?“. Aber die gab keine Antwort. „Ruth?“ Nichts. Dann schrie sie laut auf: “Ruth!“ Lilly war fassungslos. Dieses Mal hatte sich ihre Freundin im ungünstigsten Moment zurückgezogen. Was sollte sie jetzt tun? Fieberhaft dachte sie nach und entschloss sich … nichts zu tun. Sie dachte an den Whisky in der Hausbar und ging hin, um sich gleich die Flasche an den Hals zu setzen. Drei große Schlucke trank sie und die anfängliche Übelkeit wich. Gleich nochmal, dachte sie und setzte die Flasche erneut an. Dann begab sie sich zum Korridor, den Whisky nahm sie bequemer Weise gleich mit, dorthin wo ihr Traummann im Blut, Erbrochenem und Hirnmasse lag. Sie ließ sich neben ihn plumpsen und prostete ihm zu. „Zum Wohl, altes Arschloch …“ und nahm erneut einen kräftigen Schluck aus der Flasche. Einige Zeit blieb sie so sitzen oder waren es Stunden? Dann torkelte sie zur Haustür, öffnete diese und ließ sie einen Spaltbreit offen. Sie ging sich das Telefon holen und setzte sich wieder neben ihren toten Mann. Anschließend wählte sie den Notruf und lallte in den Hörer: „Ruth und ich haben den Bastard erledigt. Mit dem Kommen können Sie sich, wie immer Zeit lassen, aber eigentlich wäre es uns lieber, Sie kommen gar nicht, so wie immer.“

 

Lilly wachte mit starken Rückenschmerzen auf, in ihren Schläfen pochte es stechend und im ersten Moment dachte sie, sie wäre irgendwie auf dem Fußboden eingeschlafen. Der Untergrund, auf dem sie lag, fühlt sie sich hart an. Deshalb hab` ich auch so Kreuzweh ... dachte sie benommen. Ihr rechtes Auge konnte sie nicht öffnen, es war wie zu getackert und langsam blinzelte sie sich mit ihrem linken Auge in die Realität und diese erschreckte sie zutiefst. Das Erste, das sie wahrnahm, war eine graue Betonwand. Mittig darin eingelassen, ein Hängeklo aus Chrome. Ihr Herz begann zu pochen und erst jetzt bemerkte sie den brennenden Durst, der ihre Zunge am Gaumen kleben ließ. Stöhnend stütze sie sich auf ihre Unterarme und richtete sich halb auf. Ach, kein Fußboden, eine Gefängnispritsche ..., fast kindlich kam ihr diese Erkenntnis in den Sinn. Und so langsam registrierte sie auch ihre Umgebung. Ein Waschbecken, ebenfalls aus Chrom und ein rechteckiges Ding aus Blech hing darüber, das wohl als Spiegel dienen sollte. Und in der Frontansicht: Gitterstäbe. Sie war im Knast. Und schlagartig kamen ihr die gestrigen Ereignisse in das Bewusstsein. Die Prügel, der verkohlte Rinderbraten, Ruths genialer Einfall, ihrem Ehemann das Hirn aus dem Kopf zu schlagen und die Flasche Whisky. Sie erinnerte sich noch daran, wie sie stockbesoffen auf die Polizei wartete, aber dann riss der Faden. Seltsamerweise war sie kurz erleichtert, dass sie sich in Polizeigewahrsam befand, so hatte sie zumindest vor Josh ... Ach stimmt, der war ja tot. Langsam setzte sich Lilly nun vollends auf und ließ ihre Beine von der Pritsche baumeln, ihre Hände lagen wie zum Beten gefaltet in ihrem Schoß. Fast beiläufig stellte sie fest, dass sie immer noch den Bademantel vom Vorabend trug und dass dieser blutbesudelt war. Wieso hatte sie den noch an? Also, in diesen Krimiserien, die sie sich ansah, verhielt es sich immer so, dass man Kleidungsstücke zwecks Spuren sicherte. Ist ja auch ein kleines Provinznest mit Provinz Sheriff, dachte sie beinahe verächtlich. Dann wunderte sie sich, warum sie noch keine Menschenseele gesehen hatte oder warum sich niemand um die neu Inhaftierte scherte. Ein Fenster besaß ihre nicht Zelle nicht, sodass sie hätte hinausschauen können, wie hoch die Sonne stand. Sondern sie wurde durch eine ekelhafte grelle Neonröhre erhellt, deren Licht kalt die schlimme Lage, in der sie befand, beleuchtete. Lillys rechte Gesichtshälfte schmerzte sehr und so stand sie auf, zog eines dieser grauen Papiertücher aus einen ebenfalls in Chrom gehaltenen Spender, befeuchtete es und legte es auf ihr verletztes Augen. Sie vermied es in diesen Pseudospiegel aus Blech zu sehen und taumelte zurück zu ihrer Pritsche und nicht nur das Gesicht tat ihr weh, auch die Stelle der Kopfhaut, an der Josh sie an den Haaren die Treppe hinunterzog. Gestern. Einen klaren Gedanken konnte sie immer noch nicht fassen, nur, dass sie sich sicher war, bald wieder zu Hause sein zu können, denn es war ja Notwehr was mit Josh passierte. Also wartete die junge Frau geduldig bis sich dieser Sheriff endlich blicken ließ, brummelte sie in Gedanken vor sich. Eine gefühlte Ewigkeit später hörte sie dann endlich, wie sich ein recht großer Eisenschlüssel in eine recht schwere Eisentür drehte und erleichtert sprang sie auf, was sie im selben Moment bereute, denn ein stechender Schmerz durchzog ihre rechte Gesichtshälfte. Trotzdem lief sie an die Gitterstäbe, umklammerte zwei davon, hielt sich daran fest und rief laut “Hallo?!” Und wider Erwarten erhielt sie eine Antwort: ”Ich bin ja auch schon auf´m Weg”, die Stimme gehörte dem Sheriff. Erleichtert ließ sie die Gitter los und  Lilly trat einen Schritt zurück. Der Sheriff, Mr. Billberry - man nannte ihn im gesamten County nur “Bill”, obwohl er eigentlich “Harold” hieß -, trat vor Lillys Zelle, sah sie an, um sofort wieder peinlich berührt auf den Boden zu schauen. “Am besten wäre es, wenn Sie ihren Morgenmantel schließen, Ma`am ...”, sagte er verschämt. Erst da bemerkte sie, dass der Gürtel auf dem Gefängnisbett lag und ihr Morgenrock weit auseinander klaffte. “Entschuldigung, natürlich ...”, murmelte sie verschämt. Sie nahm den Gürtel und zurrte ihn um die schmale Taille, dabei wandte sie Bill den Rücken zu. Als sie sich ihm wieder zu drehte, bemerkte sie das Kleiderbündel, das er unter seinem linken Arm klemmte und das Aluminiumtablett, welches er mit der linken Hand balancierte. “Ich bringe Ihnen frische Klamotten und ein Frühstück.” Und während er diese Erklärung abgab, stellte er zuerst das Tablett auf den Boden und anschließend legte er das Kleiderbündel dazu. Danach bat er Lilly förmlich, sich umzudrehen und beide Hände durch die Gitter zu schieben. Irritiert kam die hübsche Frau dieser Aufforderung nach, obwohl sie den Sinn nicht erfasste. Dann spürte sie kaltes Metall an beiden Handgelenken und hörte zweimal ein Klickgeräusch. Fast amüsiert dachte sie daran, dass Bill wohl Angst habe, sie könne flüchten. “Sorry, Lilly, aber das ist Vorschrift”. “Ja ja, kein Problem”, erwiderte sie fast heiter. Der Sheriff schloss, nachdem er die junge Frau angekettet hatte, die knarrende Zellentür auf, legte den Kleiderstapel auf das Bett und das Tablett mit dem Kaffee und einem einzigen belegten Brötchen auf den Boden, direkt in der Nähe des Kopfendes. Dann räusperte er sich.” Ich warte jetzt etwas weiter im Zellentrakt, bis Sie sich umgekleidet haben und dann nehme ich den Mantel an mich, wegen der Spurensicherung ...”. Sagte es, schloss die knarrende Tür, nahm ihr die Handschellen ab  und verzog sich ein paar Meter weiter in den Flur. Hastig zog sich Lilly an und was sie irritierte, war, dass Hose wie Jacke in Orange gehalten waren. Knastklamotten, heilige Scheiße, man wollte sie behalten! Durch das plötzliche Entsetzen zitterten ihre Finger so sehr, dass sie kaum die Knöpfe der viel zu weiten Jacke schließen konnte. Hinzu kam ja noch, dass sie durch ihr zugeschwollenes Auge eh nur die Knopfleiste halb sah. Als sie angezogen war, rief sie Bill herbei. Der kam auch umgehend schlurfend wieder an das Gitter. Dieses Mal bemerkte sie, dass er Gummihandschuhe trug. Leise bat der Sheriff um den Morgenrock, der stellenweise blutig verkrustetet, war,  um ihn anschließend in einen Plastikbeutel mit Reißverschluss zu stecken, den sorgfältig zu zog. “Bitte, Mr. Billberry, wann kann ich hier raus? Wann spricht denn endlich jemand mir?!” Verzweifelt klammerte sich die junge Frau wiederholte an das Gitter. Ohne sie anzusehen und bereits am Gehen, antwortete der Sheriff: “ Ma´am ... an Ihre  Entlassung ist noch lange nicht zu denken und verhört werden Sie, wenn die Bundespolizei da ist und gewöhnlich sind die nicht die schnellsten ...”

Gelangweilt kauerte Lilly auf ihrer Pritsche. Sie musste dringend einmal pinkeln, aber das blickende Ding oben links in der Ecke hielt sie davon ab, sich auf die Chrom-Schüssel zu setzen. Die haben Schiss, dass ich mir was antue, die Volltrottel, dachte sie leicht aggressiv und dann entdecke sie neben diesem widerlich harten Kissen aus Rosshaar doch tatsächlich den Gürtel des Morgenmantels. Kichernd nahm sie ihn hoch, stellte sich unmittelbar vor die Überwachungskamera und wedelte damit hin und her, so als würde sie eine Fahne schwenken. Dann nahm sie wieder Platz und wartete. Aber nichts passierte. Keiner kam, um zu sehen, ob sie bereits am Gürtel baumelte. Na, dann wollen wir doch mal sehen, ob ihr jetzt rennt … Ihre Pritsche war nicht im Boden verankert. So schob sie das Eisengestell knapp unter die Kamera, klappte die dünne Matratze zusammen und knüllte Bettdecke und Kopfkissen so zurecht, dass sie als Erhöhung dienten. Bevor sie darauf stieg, zog sie ein paar Papiertaschentücher aus dem Spender, zerknüllte sie und steckte sie sich zwischen ihre Zähne. Den Frotteegürtel legte Lilly sich leicht über die Schulter. Dann kletterte sie den auf Berg aus dem Bettzeug hoch und erfreut stellte sie fest, dass sie an die Kamera dran kam. Sie nahm das Papiertuchknäuel aus dem Mund, den Gürtel von der Schulter und umwickelt die Linse fest damit. Hysterisch lachend kroch sie danach wieder runter, schob das Bett an den alten Platz zurück und machte alles wieder ordentlich. Matratze grade hinlegen, Kopfkissen an den rechten Platz und sogar die Bettdecke faltete sie ordentlich. Dann wartete sie. Lilly wartete lange. Es kam niemand. Und sie konnte den Drang zum Pinkeln nicht mehr unterdrücken, also ging sie endlich auf die Toilette. Und während sie so auf der kalten Schüssel saß, wurde der jungen Frau bewusst, dass sich kein Schwein um sie scherte, ja, nicht mal die Kamera war besetzt. Langsam kroch die Angst in ihr hoch, Panik war es noch nicht, aber fast. Bis vor Kurzem war sie felsenfest davon überzeugt, dass man sie wegen Notwehr laufen ließ. Dabei war es auch bekannt, dass Josh davon überzeugt war, dass man seine Ehefrau prügeln durfte. „Na ja, du hast ihm aber erst eines mit dem Leuchter übergebraten, da war er schon außer Gefecht ...“ Ruth! „Endlich! Lässt mich hier seit Stunden alleine sitzen, im eigenen Saft schmoren und dann erweist du mir  irgendwann die Ehre zu erscheinen!“ Lilly war heilfroh, dass sie endlich wieder Kontakt zu Ruth hatte. Diese ging nicht auf Lillys Vorwürfe ein und sprach in diesem lasziven Ton, der ihr zu eigen war: „Wie kommst du eigentlich auf die Idee, man ließe dich wegen Notwehr frei? Ich meine, der Bastard lag blutend und jammernd auf dem Boden, da ist es kaum nötig, noch seinen Schädel einzuschlagen. Gefahr ging ja von dem nicht mehr aus.“ Die junge Frau starrte entsetzt auf die kahle Betonwand ihrer Zelle und ließ sich kraftlos auf die Pritsche nieder. Soweit hatte sie nicht gedacht. Auch hatte der Whisky so einiges in ihrer Erinnerung verrückt. Deshalb auch die orangefarbene Knastkluft, dachte sie entsetzt. Und die Bundespolizei …

„Tja, Blondchen, wir sitzen in der Scheiße, aber knietief...“ 

Und all das sagte Ruth in einem Ton, als würde sie nebenan sitzen und sich die Nägel feilen. "Ja aber Ruth, wie kommen wir aus diesem Schlamassel wieder raus? "Ihre imaginäre Freundin räusperte sich. "Mach dir darüber mal keine Sorgen, dafür hast du ja mich.“ Das beruhigte die junge Frau nur wenig, da sie aus der Vergangenheit wusste, dass ihre zweite Hälfte immer krasse Einfälle hatte, die sie oft in Schwierigkeiten brachten. Ihre Überlegungen wurden unterbrochen, als wiederholt dieser schwere Eisenschlüssel am Ende des Ganges in der Metalltür knarrte und dann vernahm sie Geräusche mehrerer Personen, die mit harten Schritten auf ihre Zelle zu gingen. Langsam stand sie auf und stellte sich vor das Gitter.  Ihr Herz begann zu klopfen und ihre Beine wurden ganz weich. Trotzdem versuchte die Gefangene irgendwie die Fassung zu behalten. Dann endlich standen diese Personen vor ihr. Natürlich Billberry, der Sheriff, aber in Begleitung zweier dunkel gekleideten Herren, die irgendwie nach FBI aussahen. Der Typ, der rechts neben Bill stand, trug einen dunklen  Anzug mit einer schlecht gebundenen grauen Krawatte. Aus dem Kragen ragte ein dürrer Hals und auf diesem Hals saß ein raubvogelähnlicher  Kopf mit schütterem Haar. Irgendwie erinnerte er sie an einen Geier. Den zweiten Herren, den Bill im Schlepptau hatte, trug ebenfalls einen dunklen Anzug, aber ohne Krawatte und die ersten zwei Hemdknöpfe standen offen. Er war braun gebrannt, hatte wirre dunkel Locken und mit Sicherheit mexikanische Vorfahren. Bill fummelte nervös an einem großen Schlüsselring herum, an dem sich mindestens 30 Schlüssel befanden und es dauerte eine Weile, bis er den passenden gefunden hatte. Komisch, als er diese Zellentür das erste Mal aufschloss, dauerte es nicht so lange. Offensichtlich war Billy sehr nervös und die junge Frau konnte sich keinen Reim darauf machen. Dann bat er sie, ihm den Rücken zuzudrehen und wiederum fesselte er ihr die Hände auf dem Rücken mit Handschellen. Und um die Sache noch etwas ernster zu gestalten, legte er ihr dieses Mal auch Fußfesseln an. Lilly war wie betäubt und hatte das Gefühl, als sei ihr Kopf in Watte gepackt. Die beiden anwesenden Herren sprachen kein Wort. Und so führte er sie, flankiert von den beiden Wichtigtuern links und rechts durch den langen Zellentrakt bis zu einer Tür, die übrigens die einzige im Zellentrakt war. Dadurch gelang man in einen weiteren Flur, in dem sich auch der Vernehmungsraum befand. Dieser lag nur ein Stückchen weiter in diesem Gang. Der Raum war kahl, besaß kein Fenster und in der Mitte befand sich eine lange Holzbank und als Sitzmöglichkeit zwei kleinere Holzbänke links und rechts davor. Der Sheriff schob die verwirrte junge Frau sachte zu einer Bank, denn durch die ungewohnten Fußfesseln strauchelte sie ein paar mal. Diese setzte sich auch brav hin und wurde dann mit  ihren Handschellen an eine extra dafür vorgesehene Metallvorrichtung angeschlossen, mit einem extra Schlüssel. 

Sie hätte so gerne eine geraucht. 

Die beiden Herren nahmen ihr gegenüber Platz und sagten immer noch keinen Ton. Bill fragte fast unterwürfig, ob man ihn noch brauche, der Geierkopf verneinte und nickte kurz in Richtung Tür. Was wohl heißen sollte, dass der Sheriff entlassen war. Die Verdächtige wurden von beiden Herren taxiert. Sie hatte das Gefühl, als ob dieses Gestarre nie enden würde. Bis sich der Typ mit  dem mexikanischen Einschlag räusperte. "Rauchen Sie?" „Oh ja, bitte, gerne!“ Lilly hätte nie geglaubt, dass die Frage, ob sie eine Zigarette haben möchte, sie so glücklich machen würde. Der Mexikaner nahm eine Lucky Strikes aus der Packung, die er aus der Hemdtasche zog, zündete sie an und reichte sie an Lilly weiter, die höchst umständlich beinahe ihre Stirn  auf die Tischplatte drücken musste, um an der Zigarette  ziehen zu können. Aber das war ihr komplett egal und tief inhalierte sie den ersten Zug. Man ließ ihr noch zwei, drei Züge Zeit und dann sprach der Geierkopf: “Ich bin Chandler und das ist mein Kollege Flores. Sie wissen, warum wir hier sind?”. „Nun ja, ich kann es mir denken, aber es war doch reine Notwehr!“  „Wie definieren Sie denn Notwehr?“ Chandler hatte seine kahlen Augenbrauen hochgezogen. „Sehen Sie nicht, in welchem Zustand mein Gesicht ist?“ Lilly war sichtlich entrüstet. „Sie hatten mächtig gebechert, Madam. Als die Polizei eintraf, saßen Sie mit einer Flasche Whisky zwischen den Knien und sinnlos lallend vor der Leiche. Man kann auch einen Sturz Ihrerseits annehmen …“ Lilly sah die beiden Beamten an, als seien diese von einem anderen Stern.

"Jetzt hören Sie mir einmal gut zu. Josh und ich leben seit sieben Jahren in dieser Siedlung. In diesen sieben Jahren wurde ich behandelt wegen eines Schlüsselbeinbruchs, Bruch des Unterkiefers, zwei Rippenbrüche und diverse anderen Verletzungen. Diesen ganzen Einlieferungen in eine Klinik gingen Notrufe von häuslicher Gewalt voran. Sie glauben doch jetzt wohl nicht im Ernst, dass ich mich dieses eine Mal betrunken und deshalb ein zu geschwollenes Auge habe, eine aufgeplatzte Lippe und mir am Hinterkopf ein ganzes Büschel Haare fehlen!" Der Mexikaner räusperte sich und der Geierkopf schaute auf den Boden. "Ja, nun aber jetzt ist er tot und wir fanden seine Hirnmasse wie viele bunte Jellybellys um ihn herum. Und leider lag daneben auch ein Leuchter, auf dem man ebenso Hirnmasse fand. Vorher stürzte er die Treppe hinunter, das ist unbestritten. Aber wir fragen uns, wie diese tödliche Verletzung mit dem Leuchter zustande kam. Lilly, uns ist klar, dass Sie die Gelegenheit nutzten und einfach zuschlugen. Das ist aber keine Notwehr, sondern das ist Mord." Der Puls der jungen Frau jagte. “Ich denke, ich brauche einen Anwalt", sagte sie dann heiser. "Ja", sagte der attraktive Mexikaner", ich an Ihrer Stelle würde auch nichts mehr ohne Anwalt sagen …  Sie werden in das Frauengefängnis nach Sankt Augustin verlegt. Da  ich davon ausgehe, dass Sie sich keinen Anwalt leisten können, wird Ihnen ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt. Sie sind Krankenschwester, nicht wahr? Kaution wird Ihnen auch keiner stellen können?" Ohne eine Antwort abzuwarten, erhoben sich die beiden Ermittler und ließen Lilly einsam und alleine in diesem kalten fensterlosen Raum sitzen. Das war’s, dachte sie ernüchtert. "Nicht ganz!" ruckartig richtete Lilly sich auf. Zutiefst erleichtert stellte sie fest, dass Ruth bei ihr war. “Ja super, du bist ja doch noch da", sagte sie beleidigt", weißt du was, Ruth, was mir unheimlich auf die Nerven geht? Auf die Nerven geht mir unheimlich, dass du kommst und gehst, wann du willst! Und ich habe das Gefühl, dass gerade in Situationen in denen ich dich am meisten bräuchte, du dir einen Spaß daraus machst und mich schmoren lässt! Ab und zu mal einen Gedankeninput von dir wäre sehr hilfreich. Aber nein, gnädige Frau erscheint nur, wenn es ihr passt. Vielleicht sollte ich beginnen, dich einfach zu ignorieren!" Lilly vernahm ein fast amüsiert es kichern. "Jetzt hör mir mal gut zu, Lilly! Ich habe dir deinen unerträglichen Ehegatten vom Hals geschafft und du hast dich bis jetzt noch nicht bedankt. Und darüber hinaus geht mir deine wehleidige Art langsam ebenso auf den Zeiger. Du musst raffinierter werden, mutiger werden, du musst mehr Frau werden! Es macht mich nahezu aggressiv zu sehen, wie du in jeder Situation das kleine Mädchen spielst, das du nicht bist. Im Bett bist du ja auch eine Furie!". Lilly richtete sich ruckartig auf: "Jetzt sag bloß, du spannst, wenn ich mit Männern schlafe! ", rief die junge Frau schockiert laut aus, um sich im selben Moment erschrocken im Raum um zu sehen.  Dabei entdeckte oben die Kamera in einer Ecke des Verhörraumes und schwor sich ganz unauffällig nur in Gedanken mit Ruth zu sprechen. "Na, also hör mal, ich möchte auch mal ab und dann meinen Spaß haben", die Stimme ihrer Freundin klang provokant. Lilly senkte den Kopf so, dass es aussah, als würde sie auf ihre Oberschenkel starren. "Komm, jetzt lass uns nicht streiten, oben in der rechten Ecke knapp über dem Fenster ist eine Kamera. Um Himmels willen Ruth, was sollen wir nur tun? "" Na machen, dass wir hier wegkommen", erklärte Ruth, als sei es das normalste auf der Welt. “Ruth, auch wenn du keinen physischen Körper hast, müsste dir eigentlich klar sein, dass man hier nicht so einfach weglaufen oder verschwinden kann. Wir brauchen einen fundierten Plan, wie wir hier rauskommen aus dieser misslichen Lage. Wie du vielleicht feststellen konntest sind wir eingeschlossen. Wir befinden uns in einem Keller im Polizeigebäude und in einem Zellentrakt. Und du kannst getrost davon ausgehen, dass im oberen Stockwerk und drumherum genug Polizisten herumlaufen. Schon allein davon abgesehen, dass diese fucking Tür hier fest verschlossen ist! "Lillys Stimme klang zum Ende hin immer schriller. "Hey, komm mal runter", antwortete Ruth beschwichtigend", eben hast du mir noch gesagt, dass eine Kamera oben in der Ecke hängt und jetzt schreist du deine Oberschenkel an. Wie sieht das wohl aus, hm? Mir ist allerdings klar, dass wir uns nicht in Luft auflösen können und müssen eben auf die Gelegenheit warten oder … sie schaffen. Quatsch du erst einmal mit deinem Anwalt und ich analysiere, was er für ein Typ  ist", abrupt hörte sie auf zu sprechen, denn man vernahm ein klirrendes Geräusch an der Stahltür. Dann ein ekelhaft hallender Ton, so wie Stahltüren in einem kahlen Raum eben klingen, wenn sie aufgeschlossen werden. Quietschend, was noch ekliger klang, wurde sie geöffnet und ein junger, verpickelter Office stand im Raum. Räuspernd trat er zu der jungen Frau, die immer noch in Hand und Fußfesseln an diesem Tisch gekettet war. “Es geht los, Madam, Sie werden jetzt in das Frauengefängnis verlegt…”. Umständlich befreite er die Ketten aus den Metallösen, die unter der Tischplatte angebracht waren und half Lilly sogar, sich aufzurichten. Jetzt könnte ich dem die Kette vor die Stirn hauen…, dachte sie mutig und nahm aber im selben Augenblick wahr, dass noch ein dicklicher Officer wartend an der Tür stand. Nun wurde ihr die Hoffnungslosigkeit der Lage in ihrer ganzen Tragweite bewusst. Selbst nach seinem Tod brachte ihr Mann sie in Schwierigkeiten. Lilly dachte nicht diese Spur daran, dass sie durch den Mord selbst dafür gesorgt hatte nun metertief in der Tinte zu sitzen. Für sie war es auch kein Mord, sondern ein notwendiges Übel gewesen. Er musste sterben damit sie leben konnte! 

Die junge Frau gab ein trauriges Bild ab, so wie sie mit den schweren Ketten, links und rechts von einem Wachmann in die Zange genommen, über den hellblauen Laminatboden es Flures schlurfte. Keine Tür unterbrach die weiß gestrichenen Wände und nur am Ende des Ganges war eine ebenso dicke Stahltür, die mit dem Verhörraum hinter lag. Schwer trug sie an den Ketten und plötzlich kam ihr der Gedanke, wie sich da wohl ein Todeskandidat bei seinem letzten Gang hin zur Giftspritze fühlen müsse. Gleich darauf erfolgte die Erkenntnis, dass sie es vielleicht bald erfahren könne … Auf Mord war in Texas die Todesstrafe ausgerufen. Lillys Beine begannen an zu zittern, ihr wurde sehr übel und die junge Frau hatte das dringende Bedürfnis, sich zu übergeben. Bloß nicht kotzen, dachte sie angestrengt und versuchte tief und gleichmäßig zu atmen. Ein feiner Schweißfilm bildete sich auf ihre Stirn und dem dicken Wachmann fiel auf, dass etwas mit ihr nicht stimmte. „Ist Ihnen übel?“ Kaum hatte er diese Frage beendet, schoss es ihr schon aus dem Magen, durch die Speiseröhre auf den blank geputzten, nach Zitrus duftenden Boden. Ihre Begleiter sprangen angeekelt zu Seite und die junge Frau errötete heftig. „Sorry, tut mir leid“, nuschelte sie und wischte sich mit der Hand über den Mund. Was musste dieser Fettsack auch vom Kotzen reden, vernahm sie die Stimme ihrer besten Freundin. Keiner sprach mehr ein Wort, sondern man zog sie an den Ketten weiter in Richtung Tür. Endlich dort angekommen, wurde sie im genau den selbem Schema geöffnet und aufgezogen wie das erste Stahlmonster vorhin. Und dann stand Lilly in einem Hof. Dieses Monster, das einem den Entzug der Freiheit deutlich vor Augen hielt, führte auch perverser Weise in die Freiheit. Blinzelnd hob sie den Kopf, sah den blauen Himmel und ein paar Wolken. Tief zog sie die kalte, frische Luft in die Lungen und spürte, dass sie fröstelte. Es war ein kalter Novembertag. Ihre beiden Begleiter zogen an Lillys Ketten und führten sie wie eine Milchkuh zu einem grau gestrichenen Kleinbus, dessen Fenster klein und vergittert waren. Dort angekommen, wurde von Innen eine Schiebetür an der Seite kraftvoll aufgestoßen und sie blickte in zwei eisgraue Augen, die zu einem Wärter mit ebenso eisgrauen Haaren gehörten. Das hagere Gesicht eher gelangweilt als motiviert, nickte der Mann den beiden Begleitpersonen Lillys zu und bedeutete ihr mit einer knappen Kopfbewegung in den Innenraum des Transporters einzusteigen. Sie zog die gefesselten Hände an den Körper, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor und ihre in Fußfesseln gefangenen Beine gaben ihr dabei nur wenig Spielraum einen Fuß hochzuziehen, um in das Innere zu steigen. Der Wärter mit der schweren Akne half ihr respektlos, indem er  ihren Hinterkopf umfasste und so ihr Kinn  auf ihre Brust drückte, damit sie sich nicht am Autodach stieß. Gleichzeitig schob er sie grob in den Wagen. Der Hagere nickte zu einem mittleren Sitz und Lilly nahm unsicher Platz. Außer ihr und der Hagere war niemand im Bus, stellte sie nebenbei erleichtert fest. Mehr Menschen hätten sie jetzt auch nicht ertragen. Ihr Fahrer, wie sie mittlerweile festgestellt hatte, stieg aus und schob die Tür mit einem fast aggressiven Schwung zu. Er hatte eben sowenig Lust auf diesen Trip wie sie. Dann wechselte der Mann noch ein paar Worte mit seinen Kollegen, schwang er sich auf den Fahrersitz und startete den Wagen. Die schusssichere Glasscheibe, die den Innenraum des Transporters zur Fahrerkabine trennte, war nicht geschlossen. Er startete den Motor und fuhr langsam an geparkten Polizeiwagen vorbei, zog einen Halbkreis um eine alte Eiche. Eine Holzbank darunter  lud zum Ausruhen ein. Dort saß eine brünette, schlanke Frau mittleren Alters, nippte an einem Starbuckskaffee und las irgendein Magazin. Lilly wurde so wehmütig, dass es in ihrer Brust schmerzte. Wie gerne hätte sie jetzt getauscht...

Der Wagen bog in die May Street ein und blieb auf gerader Strecke. Man fuhr über die Brücke des Lake Creek und die Gefangene sog jedes Detail in sich auf. Bäume, spielende Kinder. Damen, die Einkaufstüten schleppten, hier und da Hundehalter, die ihre vierbeinigen Freunde spazieren führten. Lilly weinte lautlos. Die Tränen rannen die Wangen hinunter, sammelten sich am Kinn und tropften dann auf das orangefarbene Oberteil, das sie trug. Diese Farbe kennzeichnete sie als Strafgefangene des Staates Texas. Ihr Leben war vorbei. Aus. Ob mit oder ohne Todesstrafe. Wenn sie den Knast lebend verlassen sollte, dann vielleicht nur noch als alte gebrechliche Frau. Ihr von den Tränen verschwommener Blick fiel auf eine Leuchtreklame. Eine reich belegte Pizza blinkte rhythmisch auf und man las in abwechselnden Farben „Gino`s Italien Pizza“. Lillys Herz krampfte sich zusammen. Das Lokal in dem sie Josh kennenlernte. Gestochen scharf sah sie ihn vor sich, wie er verlegen an seinem Backenbart zupfte. Sie wollte damals zur Toilette, um nach dem Essen ihr Make-up zu erneuern, da sie anschließend mit Ruth ins Kino wollte. Ruth war der Meinung, man müsse vor einem Film erst etwas essen. Dann sei man satt und fräße nicht soviel Eiscreme und Popcorn und all die Kalorienbomben. Jedenfalls stand auch Josh von seinem Tisch auf, als Lilly genau auf seiner Höhe war und stellte der hübschen jungen Frau unabsichtlich ein Bein. Lilly stolperte und haute sich ein Knie blutig. So nahm das Unglück seinen Lauf. Denn seit diesem Zeitpunkt war ihr Leben nur noch ein einziges Unglück. Lilly riss sich fast mit Gewalt vom Anblick der scheußlich bunten Werbetafel los.  

Der Eisgraue, wie Lilly ihn nannte, bog in die Heesters Road ein, um dann auf die Interstate 35 nach Austin zu kommen. Lilly hatte sich etwas beruhigt und fühlte sich ihrem Schicksal ergeben, ändern konnte sie im Moment eh nichts und um das Maß der psychischen Quälerei vollzumachen, kam das „Specially Children Hospitel“ in ihr Blickfeld. Dort hatte sie fast 15 Jahre gearbeitet. Ein simpler Schlag mit einer Bronzeleuchte hatte eben mal auch ihr vorheriges Leben gleich mit erschlagen. Dass Josh tot war, hatte die Gefangene immer noch nicht richtig realisiert. Mehr noch, sie machte ihren Mann dafür verantwortlich, dass sie jetzt da war wo sie war. Hass auf ihn kroch in ihr hoch und verursachte erneute Übelkeit. 

Der Gefangenentransporter ließ die Stadt in der Lilly ihr halbes Leben verbrachte, nun endgültig hinter sich und fuhr auf den TX-1 Loop Richtung Austin.

Lilly schloss ergeben ihre sanften braunen Augen. So saß sie da. Kerzengrade, nur ihren zierlichen Kopf zurückgelehnt an das grüne Nackenpolster. 

„Der Vollidiot hat dich nicht festgemacht!“ Abrupt öffnete Lilly ihre Augen. „Wie?“ „Der Vollidiot hat dich nicht festgemacht, du bist nicht eingeharkt, Süße.“ „Eingeharkt?“, fragte sie in Gedanken. „Denkst du, du hast die Ketten nur als Accessoire? Schau mal unter den Sitz, da siehst du doch diesen Stahlhaken, mit dem Ding wird man eigentlich festgemacht. Damit keiner der Delinquenten blöde Einfälle kriegt, verstehst du? Und um seine Dämlichkeit ganz zum Ausdruck zu bringen, hat dieser Depp die Trennscheibe nicht geschlossen. Was ein Vollidiot“, Ruth schnaubte verächtlich und Lilly riskierte einen kurzen verstohlenen Blick unter ihren Sitz. Tatsächlich. Dort befand sich ein schwerer Stahlhaken mit einer Schließvorrichtung. „Ja und“, dachte Lilly, „reg` dich lieber drüber auf, dass wir vorerst lange Zeit, sehr viel Zeit haben uns zu unterhalten und übrigens, bin ich kein Delinquent, jedenfalls  noch nicht ...“ Erschöpft sank die junge Frau wieder in ihre ursprüngliche Position. „Nein, ich denke, wir beide werden noch spannende Zeiten erleben“, sagte Ruth in dem Ton, der ihrer Freundin immer ein Bild suggerierte, wie Ruth gelangweilt während dem sie sich die Nägel feilte, etwas erzählte. „Na, wenn du meinst ...“ „Frag ihn, wie lange er noch braucht“. „Braucht zu was?“. „Himmel, wie lange die Fahrt geht!“. „Warum?“ „Kannst du nicht einmal ohne dumm nachzufragen, einfach tun, was ich dir sage? Du tust jetzt einfach, was ich dir sage, ohne dumm nachzufragen!“. Lilly räusperte sich zweimal und dann fragte sie mit dünner Stimme in den Bus hinein „Entschuldigen Sie, Sir, wie lange fahren wir noch?“ „Lauter!“ Sie räusperte sich erneut und versuchte, ihre Stimme zu heben. „Sir, wie lange fahren wir noch?“ Keine Antwort. Ihr Fahrer starrte stur grade aus. „Sir?“ „Es ist verboten mit Ihrer Begleitung zu reden“, harsch sprach er gegen die Windschutzscheibe. Er wandte nicht einmal den Kopf. Lilly war peinlich berührt, weil sie ihn unerlaubt angesprochen hatte „Jetzt kriegt die noch nen roten Kopf! Ohne mich wärst du aufgeschmissen, weißt du das eigentlich?“ „Ruth, lass es sein, wir sitzen diesmal wirklich in der Patsche.” “Wetten nicht?‘, fragte Ruth hinterhältig und Lilly kannte diesen Ton. „Nein, das lässt du jetzt!  Wage es nicht ….“ Lilly fühlte Panik ihren Solarplexus kitzeln, aber nur kurz, denn schon machte sich die altbekannte Hitze in ihrem Kopf breit.

In nur wenigen Sekunden veränderten sich Lillys Gesichtszüge. Ihre großen braunen Augen leuchteten und diese schönen geschwungenen Lippen wirkten voller. Sie saß auch nicht mehr kerzengerade im Polster, sondern hatte eine fast elegante Haltung eingenommen, sofern das die Ketten zuließen. „Sir“, säuselte sie jetzt, „ich frage ja nur, weil ich mal ganz dringend muss ...“ „Das ist doch jetzt nicht Ihr Ernst! Fünfunddreißig Minuten müssen Sie noch einhalten!“ Genervt wandte der Fahrer seinen Kopf in ihre Richtung. „Officer, Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich nicht sofort pinkeln gehen kann. Die Einweisung in einen Knast dauert mitunter fast eine Stunde ...“ Ruth hatte einfach mal so geraten. „Und was meinen Sie soll ich jetzt tun? Meine Jackentasche aufhalten?“ schnaubte der Eisgraue genervt. „Gibt es denn hier keine Ausfahrt zu einer Raststätte? Außerdem werde ich lange Zeit hinter dicken Mauern verschwinden und möchte noch einmal im Grünen sein, dort pinkeln und ...“, sie ließ einen tiefen sinnlichen Seufzer hören“, anderes.“ „Anderes? Was anderes?“, Peter, der unglücklich verheiratete Beamte mit einer noch unglücklicheren frigiden Frau, fühlte ein Kribbeln im Unterleib. „Ja, anderes“, Ruth zog das Wort so erotisch wie sie konnte in die Länge.“ Wie ich schon sagte, ich werde lange hinter dicken Mauern versauern, anderes mit Frauen ist absolut nicht mein Ding. Warum die Gelegenheit nicht nutzen?“

Peter dachte daran, wie lange Michelle ihn schon wieder zappeln ließ. Waren es vier oder fünf Monate? Er riskierte einen Blick in den Rückspiegel und was er sah, ließ zwischen seinem Schritt eine Beule durch die blaue Stoffhose wachsen. Volles Haar, volle Lippen und ein voller Busen. Er räusperte sich kurz und dann sagte dann ziemlich heiser: „Aber nur für zwei Minuten zum Pinkeln“.

Wie herbeigehext erschien rechts ein Bahnübergang mit einer Ausfahrt. Ruth las auf dem großen geschwungenen Holzschild „Dr. Mc Neil Estate“. 

Der Fahrer nahm sein Funkgerät und setzte einen Funkspruch ab, dass er sich geringfügig verspäten würde, man habe ihn im Polizeidepartement zu sehr aufgehalten, setzte den Blinker rechts und nahm die Auffahrt. Etwas weiter auf der Straße erblickte man  hübsche Gebäude, landwirtschaftliche Maschinen, Viehställe. Es dämmerte bereits und einzelne Lichter schienen durch Bäume und Sträucher. An geparkten Autos vorbeifahrend, suchte Peter einen geeigneten Platz zum Pinkeln und Anderes. Seine Hände zitterten und er war fast unzurechnungsfähig, so sehr erregte ihn die Aussicht. Im immer schwächer werdenden Tageslicht erblickte Ruth einen kleinen Hügel und rief „Schau, Darling, dahinter kannst du parken!“ Peter erschauerte, als er das “Darling” vernahm und beeilte sich, um über den Hügel zu kommen. Dahinter trennte eine große Brombeerhecke ein Grundstück mit Bauernhaus und einer Wiese. Er parkte den Bus ganz nahe an der Hecke, ließ den Motor ausgehen und beeilte sich, um in den hinteren Raum des Transporters zu kommen. Langsam öffnete er die Schiebetür, dieses Mal bemühte er sich allerdings, äußerst leise zu sein und schlüpfte durch den Spalt zu Lilly, die ihn bereits verführerisch ansah. Jetzt verlor er vollends die Beherrschung und stürzte sich auf die junge Frau. Ruth ertrug die heißen, widerlich nassen Küsse und ließ es zu, dass er sie überall befummelte. Dabei nestelte er an seinem Hosenstall herum, um ihn zu öffnen. Ruth presste die Fußgelenke zusammen und nuschelte „Die Ketten, Darling, die Ketten an den Beinen … So wird das nichts ...“ Peter brummelte ein „Verdammt“ und beugte sich über ihren Schoß, um den Haken zu lösen. Im selben Moment als er realisierte, dass die Gefangene über ihm nicht gesichert war, spürte er einen schmerzhaften Ruck um seinen Hals und kaltes Metall drückte seinen Kehlkopf nach hinten. Im Reflex griff er um die Kette, um sie zu lockern, fühlte aber, wie sich eine Hand an seinem Halfter, in der die Knarre steckte, zu schaffen machte. Die Kette um seinen Hals lockerte sich etwas, er versuchte sie hochzuschieben und tatsächlich glitt sie nach oben und teilte nun seinen Mund. Er sah aus wie ein Gaul mit Zaumzeug. Äußerst schmerzhaft bohrte sich die Glieder in seine Mundwinkel links und rechts. Er ignorierte den Schmerz und griff nach Lillys Kopf. Er packte ein Büschel Haare und zog heftig daran. Sie schrie auf und bohrte ihm den Ellenbogen ihrer freien Hand  hart in das Genick. Das ließ ihn Sternchen sehen und er spürte, wie der Druckknopf seines Waffenhalfters sich löse und die Pistole nach obenhin herausglitt. Fassungslos begriff er, dass es aus war. Das war sein Tod. Und grade als er das zu Ende dachte, zerschnitt ein Schuss die Stille. 

Ruth löste die Kette aus dem Mund des armen Kerls und stieß seinen Körper angewidert auf den Boden. Dabei beschwerte sie sich bei Lilly, warum sie immer mit Hirnmasse zu tun habe, wenn sie einen erledigte. Umständlich rutschte sie vom Sitz und durchsuchte die Taschen von Bill. Nach ein paar Sekunden bereits wurde sie fündig und nahm einen kleinen Schlüssel, der am Gürtel gesichert war, aus der Seitentasche seiner dunkelblauen Uniformhose. Mit flatternden Fingern befreite sie sich von den Ketten, öffnete die Tür und sprang aus dem Bus. Sie rannte um ihn herum, öffnete die Fahrerseite und sprang hinein. Dieser geile Drecksack hatte den Schlüssel komfortablerweise stecken lassen. Ruth kicherte hysterisch und startete.

Sie fuhr den Weg zurück auf die Straße, die diese Ortschaft teilte und nahm den Weg geradeaus. Nach etwa 10 Minuten stoppte sie und senkte den Kopf. Das Gesicht wurde wieder kindlich und Lilly schrie empört: “ Sag mal, hast du sie noch alle? Das ist ein zweiter Mord, der auf deine Kappe geht und für den ich jetzt mit Sicherheit die Giftspritze kassiere!“ Weinerlich fuhr sie fort: „Was sollen wir denn jetzt machen? Im Auto hinten eine Leiche, orange Klamotten und wir haben weder Geld noch wissen wir, wohin!“ „Och, kannst du nicht einmal cool bleiben, Heulsuse? Ich sag dir schon wie es weiter geht“. „Ja und wage nicht, wieder mal zu verschwinden, wenn du nicht weiter weißt, sonst werde ich dich in Zukunft ignorieren!“ Lillys Hände zitterten so stark, dass sie völlig unkoordiniert die Autoschlüssel umgreifen wollte, um zu starten. Nach einigen Herumnesteln hörte man endlich den Motor aufheulen und sie fuhr weiter grade aus. Mittlerweile war es stockdunkel, doch sie wagte es nicht, mit Scheinwerfer zu fahren. Zu allem Übel begann es zu schneien und dicke Flocken malten runde weiße Kreise auf die Windschutzscheibe. „Wir müssen diesen toten Mann loswerden, Ruth!“ „Ja, ich weiß. Zuerst müssen wir wissen, wo wir eigentlich hinfahren ...“ Lilly sah sich ratlos um. Der Schnee fiel jetzt sehr dicht und es war kaum etwas zuerkennen. Sie musste sich in einem Waldgebiet befinden, denn durch das dichte Schneegestöber erkannte sie nichts anderes als hohe Kiefertannen. Keine Beleuchtung irgendwelcher Häuser war zu erkennen. Im Schritttempo lenkte sie den Wagen in eine Rechtskurve und stoppte dann. „Ruth, was tun wir jetzt?“ „Du fährst jetzt einfach mal weiter und wir suchen einen Feldweg oder sowas in die Richtung“. Lilly tat wie ihr geheißen und so kroch der Transporter langsam vor sich hin. „Der Schnee ist einfach ein Glücksfall“, rief Ruth plötzlich. „Findest du, ja?“ „Ja! In diesem Milchbrei gestaltet sich die Suche nach dieser Kiste hier schwierig, per Hubschrauber sowieso.“ „Klar, aber das ergibt überhaupt keinen Sinn, wenn wir nur im Schneckentempo weiter kommen.“ Genervt fuhr sich Lilly durch das Haar. “Und überhaupt ist es ziemlich blödsinnig, weiter in einem Gefangenentransporter zu flüchten, das ist nämlich ein Silbertablett, auf dem wir serviert werden!“ „Kannst du mal bitte mit dem Gejammer aufhören, du Bambi? Mir fällt schon was ein. Anstatt dass du dich freust und mir dankbar bist!“ „Woah, jetzt fang bloß nicht an zu schmollen und verzieh dich wieder wie immer, wenn dir was nicht passt, ich brauche dich jetzt hier mehr denn je!“ Lilly Stimmfarbe wechselte und klang jetzt besorgt statt ängstlich. Wäre ja nicht das erste Mal gewesen, dass Ruth sich beleidigt zurückzog und tagelang nichts von sich hören ließ. „Meinst du, mir wäre der Ernst der Lage nicht bewusst?“, antwortete Ruth schnippisch, „schließlich habe ich meinen Hintern ebenso auf dem elektrischen Stuhl wie du!“ „Giftspritze“. „Bitte?“. „Giftspritze, wir sterben durch die Giftspritze.“ Lilly hatte Mühe, eine aufsteigende Panik zu verhindern, als sie daran dachte, was ihr blühte. Ruth spürte Lillys Emotion und sagte beruhigend „Liebes, schau mal, eigentlich kann es uns dann ja auch egal sein, auf der Flucht erschossen zu werden, sterben werden wir sowieso. Aber immerhin haben wir dann etwas unternommen, als im Todestrakt zu warten. Und das tut man jahrelang, wie man weiß ...“ „Ich hätte wenigstens noch die Chance auf ein Gnadengesuch gehabt“, antwortete Lilly weinerlich. „Ja klar und deine Falten hättest du dann irgendwann im Knastspiegel zählen können. Das Leben wäre vorbei gewesen, Frau und jetzt halte endlich mal deine verheulte Klappe, ich muss nachdenken!“ Lillys Blick fiel auf die Uhr im Armaturenbrett. Sie zeigte 21.18 Uhr an. Mittlerweile sollte die Suche nach dem Gefangenentransport auf Hochtouren laufen und sie tuckerte im Schneckentempo vor sich hin. In einem Reflex sah sie in den Seitenspiegel und ihre Augen blieben an etwas hängen, das durch die Schneeflocken und dunklem Baumstämmen glitzerte. Sie stoppte. „Ruth, siehst du das?“ „Ja, steig mal aus, ich glaube, das ist ein See oder Teich oder so“. Lilly krabbelte aus dem Auto und rutschte als Erstes einmal aus. Sie trug Sportschuhe, diese Billigdinger für Sträflinge. Langsam rappelte sie sich hoch, klopfte sich den Schnee von ihrer Sträflingskluft und fluchte: „Herrgott, ist das kalt!“. Mehr schlurfend als gehend, wandte sie sich in die Richtung, aus der sie dieses Glitzern vermutete. Sie überquerte die Straße und rutschte zwischen den Bäumen und dem holprigen Waldboden hin und her. Ihrem Gefühl nach dauerte es ewig, bis sie sie diesen Flecken, der im Mondlicht schimmerte, endlich erreichte. Und in der Tat, es war ein kleiner See. Nicht groß, vielleicht zwei Fußballfelder weit, aber sie dachte sofort daran, dass dieser wunderschöne See ein herrliches Grab sei. „Und wenn der dann noch zufriert, ist es perfekt“, zwitscherte Ruth fröhlich. „Im Grunde schon, aber wie soll ich das bitte anstellen? Mit dem Wagen komme ich da nicht hin und du kannst dir abschminken, dass ich diesen Kerl bis hier hin schleife. Außerdem ist es Quatsch. Die wissen oder ahnen, dass der Typ bereits tot ist und dass ich auf der Flucht bin, warum soll ich mir da noch die Mühe machen?“ “Ach? Ach was? Wer hat denn angehalten und wollte sich den See anschauen?” Lillys Zähne klapperten vor Kälte und sie wollte eigentlich nur in das warme Auto zurück. “Weiß ich auch nicht mehr so genau. Mensch, Ruth, ich bin total durch den Wind!” Sie sah über den See und bemerkte plötzlich etwas Dunkles, ein großes Rechteck, es lag ein Stückchen weiter nach rechts und davor einen Steg.  “Komm“, rief Ruh“, das sehen wir uns mal an!“ „Sicher, du musst ja nicht laufen ...“ murrte Lilly, machte sich aber in die Richtung auf. Sie keuchte, fror und fluchte bis sie diesen Kasten erreichte, der sich als kleine Hütte entpuppte. Ein schmaler Kiesweg führte hinauf zur Tür, die Lilly verschlossen vorfand. Natürlich. Sie ging um die Hütte herum, die seltsamerweise kein Fenster besaß und vermutete nur einen Geräteschuppen oder lauter Angelzeugs darin. „Wir sollten trotzdem einmal nachsehen, was drin ist, Lilly, vielleicht ja eine warme Jacke?“ „Ruth, du musst mich nicht pushen, damit ich das Ding öffne, okay? Ich will es ja selbst wissen“. Sie machte sich an dem alten schweren Eisenriegel mit Vorhängeschloss zu schaffen. Er hatte bereits mächtig Rost angesetzt, war aber immer noch sehr stabil. Lilly umfasste ihn mit beiden Händen und rüttelte heftig. Ohne Erfolg. Ratlos ließ sie von der Tür ab, denn darüber hinaus spürte sie ihre Finger vor Kälte nicht mehr. Dann entdeckte sie eine Regentonne, die etwas abseits neben dem Häuschen stand. „Ruth, wenn ich die jetzt umkippe, meinst du ich komme dann auf das Dach? Vielleicht ist es ja marode und ich finde eine Stelle?“ „Hm ... Versuch`s ...“, war die Antwort ihrer Gefährtin. Mit der Kraft der Verzweiflung umklammerte die junge durchgefrorene Frau mit beiden Händen das Fass und stieß es um. Mit einem Schwall ergoss sich schmutzigbraunes Wasser über den kleinen Steg, der zum See führte. Grade als sie es mit der Öffnung nach unten stemmen wollte, sah sie diesen kleinen verrosteten Schlüssel unweit des Fasses liegen. „Juhu“, jauchzte Ruth“, „was sind wir nur für Glückstussis!“ „Der wurde wohl als Versteck unter die Tonne geschoben“, erklärte Lilly und nahm ihn an sich. Vor Kälte schlotternd versuchte sie den Schlüssel in das Schloss am Riegel zu führen und erst nach ein paar Versuchen gelang es ihr auch. Schwer war es allerdings zu öffnen, aber schließlich schnappte der kleine Bügel in dem Vorhängeschloss hoch und sie stieß die roh gezimmerte Holztür auf.


Chandler saß stocksteif am Schreibtisch, mit geradem, durchgedrücktem Rücken. Nervös drehte er den blauen Kugelschreiber mit einem Emblem der Texas Ranger Division in seinen spinnenartigen Fingern. Flores lümmelte ihm gegenüber auf der anderen Schreibtischseite. Seine Beine ruhten auf der Schreibtischkante, dabei hielt er lässig eine Zigarette im rechten Mundwinkel. Ohne sie zu bewegen, zog er daran und blies den Rauch achtlos in Chandlers Richtung. „Kannst du das nicht mal lassen? Deinetwegen werde ich früher sterben!“ Der gutaussehende Ermittler reagierte nicht auf diese Beschwerde, sondern verschränkte die muskulösen Arme am Hinterkopf, starrte an die Bürodecke und fragte mehr sich selbst als seinen Kollegen: “Wie hat sie das nur geschafft? Dieses zierliche Püppchen ... Wie hat sie das nur geschafft?“ Den letzten Satz zog er nachdenklich in die Länge. Sein Gegenüber warf den Stift auf die grüne Schreibunterlage. „Die hatte `nen Komplizen, eindeutig klar! Wie hat sie das nur geschafft?“, äffte er nach, „sie konnte das gar nicht alleine schaffen, Flores!“ Gereizt bellte er seine Überzeugung in den Raum und schnitt sofort den Einwand Partners mit einem „ ... auch wenn die Spurenlage etwas anders sagt ...“ ab. Dieser verzichtete auf einen Einwand, sah zur Uhr, um sich dann zu erheben. „Komm, es ist 11:30 Uhr, wir müssen in die Gerichtsmedizin ...“ 

Chandler steuerte die schwarze Dienstlimousine fast schon wie im Schlaf. Auf dem Weg dorthin hielt er wie immer, wenn sie in die Pathologie mussten, an „Rudis Bar-BQ”, das auf der Strecke lag. Flores war der Meinung, dass Leichen und Burger irgendwie stimmig waren und so wurde das ab irgendwann zum Ritual. Erst die Leichenschau und danach wurden die  Burger direkt auf dem Parkplatz noch im Auto verspeist. Keiner hat behauptet, dass Texas Ranger ohne Macken sind. Der schwere Wagen bog auf das Gelände der Austin Pathology Associates ein und Chandler steuerte ihn links auf den Parkplatz. Man überquerte eine Straße und stand vor einem V-förmigen Gebäude mit rundem, Spiegelfenster verglasten Mittelbau. „Hast Du das Pfefferminzöl?“, fragte Chandler beinahe erschrocken. Sein Kollege griff sich suchend in die Hosentasche und nickte bejahend. Chandler seufzte erleichtert. Sie gingen durch eine Halle, ganz in Marmor und Spiegelglas gehalten, um dann rechts neben der Infotheke aus glänzend poliertem Kirschbaumholz zu den Fahrstühlen zu gelangen. Nicht ohne jedoch die junge Rothaarige zu grüßen, die dort ihren Dienst tat. Man kannte sich lange vom Sehen her und Flores fragte mehr sich, warum er die noch nicht auf einen Kaffee eingeladen hatte. An den Aufzügen nahmen sie direkt den ersten, der sich öffnete. Flores drückte den Knopf zum Kellergeschoss und Chandler zog ein Taschentuch aus seiner Anzugjacke. Er schnippte mit den Fingern und deutete mit einer Kopfbewegung in Richtung Flores und dem Pfefferminzöl. Sofort kam sein Kollege dem Wunsch nach. Umständlich kramte er in seiner Hosentasche und zog endlich ein Fläschchen hervor. Chandler nahm es dankbar und tränkte sein Taschentuch mit dem Öl. „Dass du immer so maßlos übertreiben musst, so schlimm ist es nun auch wieder nicht”, meinte Flores grinsend. Der Aufzug stoppte und beide stiegen gleichzeitig aus. „Der Geruch hängt mir wieder tagelang in der Nase trotzdem, den Burger kriegst du trotzdem nicht von mir“, erwiderte Chandler ebenfalls grinsend.

Die beiden Beamten standen einem langen L-förmigen Korridor gegenüber. Der Boden inklusive der Wände war grau gekachelt. Links und rechts befanden sich dunkelblaue Türen, jeweils drei an einer Seite. Chandler und Floris gingen geradeaus und ihre Schritte hallten durch diesen kalten, steril anmutenden Gang. Am Ende angekommen, bogen sie rechts ab und standen vor einer großen Schiebetür aus schwerem  Aluminium. Auf der Höhe des Schließmechanismus befand sich eine Sprechanlage. Chandler bestätigte den grünen Knopf und man hörte ein Freizeichen wie bei einem Telefon. Es tutete eine ganze Weile, bis es eine blecherne Stimme aus der Sprechanlage mit einem  gehetztes “Ja, bitte?” unterbrach.

“Mike Flores und Darwin Chandler, Texas Ranger”, antwortete Chandler knapp, dann summte es und die Tür ließ sich seitwärts aufschieben. Darwin Chandler presste sein Taschentuch vor die Nase. Wieder ging es durch einen langen Flur, hellblau getüncht und auf der rechten Seite standen ordentlich Aluminiumbahren in Zweierreihe aufgestellt. Der Gang war recht breit und auf der linken Seite war ein großes Sichtfenster eingelassen. Flores ging darauf zu und klopfte an die Scheibe. Im Obduktionsraum blickte ein kleiner, drahtiger Mann von seiner Arbeit auf. Er erkannte Flores, grinste und machte eine Handbewegung, mit der ihn hereinbat. Darwin Chandler seufzte ergeben und beide gingen durch eine offene Tür in den Saal, in dem drei Tische standen, zwei davon waren belegt. Der kleine Mann arbeitete unbeirrt weiter und fragte, als die beiden Polizisten neben ihm standen: ”Na, alles okay? Ihr kommt wegen des Beamtenmordes, nicht wahr?” Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er zu dem mittleren Obduktionstisch und zog das Laken von der Leiche. Hörbar zog Darwin die Luft ein und presste sein Taschentuch noch fester gegen Mund und Nase. Vor ihm lag Ruth's Opfer mit nur einem halben Kopf. “Heilige Jungfrau”, entfuhr es Mike Flores,“ was hat sie mit ihm gemacht?” Ungläubig dachte er erneut an das zarte Persönchen im Verhörraum auf dem Police-Department.  “Von hinten den Kopf”, antwortete der Gerichtsmediziner, Dr. Schäfer. “Ja,“ erklärte Mike,” das kann ich mir denken. Ich war nur überrascht. Was hat der da im unteren Gesichtsbereich?” Mike Flores deutete interessiert auf einen halbmondförmigen geriffelten Spur, die sich bis hin zu beiden Wangenknochen zog. Dr. Schäfer nickte. “Darüber habe ich mir auch den Kopf zerbrochen, bis ich daran dachte, wie die Gefangenen während des Transportes gesichert werden.” Während er sprach, nahm er die Brille, die schmucklos ohne Fassung war, von den Augen und putze sie an seinem grünen Kittel. Kurzerhand nahm er Peters toten Körper, um seine These zu veranschaulichen. “Hier hast du die Füße, die mit einer Kette gesichert sind”, dann zeigte er auf die Handgelenke, “und hier die oberen Extremitäten”. Seine Hand glitt in die Bauchgegend und zeichnete eine Rundung  um den Bauchnabel,” hier noch eine um die Hüfte und“,  schwungvoll malte er abschließend einen waagerechten Strich über die Leiche,” noch eine zusätzliche …”. Interessiert hörten die beiden Beamten zu, selbst Chandler kam näher. “Ich möchte behaupten, dass die Gefangene die mittlere, waagerechte Kette nahm, um ihn damit zu würgen. Selbstverständlich befindet sich die Sicherung dann im senkrechten Verlauf. Und wenn die Flüchtige gesessen hat, was sie vermutlich tat, so hatte sie noch genug Spielraum, um das auch hinzukriegen.” “Wie hat sie das bloß angestellt?”, hörte man Darwin durch sein Taschentuch nuscheln. “Das herauszufinden ist euer Job”, antwortete der Mediziner vergnügt. Er fuhr fort: “Der Tod allerdings wurde durch einen ziemlich weit unten angesetzten Schuss im Hinterkopf verursacht. Er ging steil nach oben durch das Hirn und nahm beim Austritt die Stirn mit. Ich denke, ihr habt da einen interessanten Fall”. “Arbeitsaufwendig wäre treffender”, knurrte Chandler,  “Wir unterhalten uns jetzt am besten mit der Spurensicherung und sehen uns den Gefangenentransporter mal an.” Ach, noch etwas,“ warf Dr. Schäfer ein,“ er ist wohl in sexueller Erregung  gestorben. Der Gute ging mit einer postmortalen Erektion ins Jenseits. Aber überzeugt haben mich die Spermaspuren in seiner linken Leiste. Er muss sehr erregt gewesen sein. Welch ein Tod …”. Der Pathologe grinste breit. Flores und Chandler fanden das allerdings nicht witzig, nickten fast synchron mit dem Kopf zum Abschied, als der Arzt ihnen noch zurief: “Mein Bericht wie immer per Kurier an die beiden Herren Kriminalisten!”. Dann widmete er sich wieder seiner Arbeit.

Man verspeiste seine Burger im Auto. Beide Staatsdiener kauten nachdenklich und starrten durch die Windschutzscheibe. “Sie hat ihn heiß gemacht, ich weiß nicht, wie sie es angestellt hat, … aber sie hat ihn aufgegeilt und das nicht zu knapp.” Chandler, neben Flores auf dem Beifahrersitz, nickte zustimmend und mit vollem Mund antwortete er: “Das liegt doch wohl auf der Hand und auf der Hand liegt auch, dass sie ihn dazu gebracht hat, hinten in den Transporter zu ihr zu krabbeln. Weißt du was ich denke? “, er schluckte seinen Bissen Burger hastig herunter und drehte sich zu Flores,” ich denke, dass er sich über sie beugte, aus welchem Grund auch immer. Und die hat es irgendwie geschafft, ihn mit der Längssicherung zu erwischen. Was ein Vollidiot.” Flores schüttelte langsam seinen hübschen Lockenkopf. “Hast du dir das Mädel mal betrachtet? Woher nahm sie die Kraft?” “Nun, immerhin hatte sie auch den nötigen Schwung, ihrem Mann das Gehirn aus dem Kopf zu schlagen …” Flores zerknüllte sein Burgerpapier, warf es in den Mülleimer, der neben dem Auto stand und startete den Motor. “Sehen wir uns mal den Transporter an”.


Es roch feucht und muffig. Lilly konnte nichts erkennen, doch mit der Zeit gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit und zumindest nahm sie Umrisse wahr. Der Raum stand voller Fässer, die bis zur Decke gestapelt waren. Das überraschte sie, weil sie eher Angelutensilien oder so etwas vermutet hätte. Enttäuscht ließ sie ihre zarten Schultern sinken und mutlos meinte sie: “Irgendwie  habe ich gehofft, dass man hier hätte ein Feuerchen machen können oder so …” “Ja klar, Rauchzeichen an die Bullen”, entgegnete Ruth unwirsch. Dann fiel Lillys Blick auf eine Kerze, welche auf einem der Fässer vor ihr stand und zu ihrer Freude auch Zündhölzer. Selbstredend, dass der Schwefel an den Hölzchen feucht war, aber nach ein paar Versuchen, eines anzuzünden, hatte sie Glück. Sie hielt es an die Kerze, der Docht beschwerte sich mit einem leisen Knistern, um dann endlich Feuer zu fangen. Im Umkreis des Lichtes konnte Lilly nun etwas deutlicher sehen und außer Fässer … sah sie nichts. Als sie sich zur rechten Seite wandte, erschrak sie zutiefst, um dann beruhigt festzustellen, dass dort keine Person stand, sondern einfach nur eine Jacke hing. “Ruth, eine Jacke! Dem Himmel sei Dank!”. Sie nahm sie von dem Nagel, den irgendjemand als Kleiderhaken gebraucht hatte und sah sie sich an. Es war eine abgewetzte Jeansjacke mit Teddyfell als Innenfutter. Auch besaß sie eine Kapuze. Lilly schlüpfte hinein und in diesem Moment war ihr der üble Geruch, der von diesem Kleidungsstück ausging, egal. “Du stinkst wie ein besoffener Braunbär,” beschwerte sich Ruth,” schau mal den Taschen nach!”. In der Tat bemerkte jetzt auch die junge Frau, dass alles hier nach Alkohol roch. Sie griff in die Seitentasche und fand ein altes Päckchen Tabak, ein verrostetes Schweizer Taschenmesser und einen Autoschlüssel. Nachdenklich wog Lilly die Schlüssel in der Hand." Wäre es nicht ein unglaublicher Glücksfall, wenn das dazugehörende Fahrzeug hier irgendwo abgestellt wäre?" "Ernsthaft?", Ruth kicherte, "Natürlich. Findest du das nicht etwas unrealistisch? Eine Knastbraut findet auf der Flucht einen Autoschlüssel, weil sie gerade ein Auto braucht.” Ruth lachte jetzt, "Du kannst einen aber auch herunterziehen", murrte Lilly. "Wir gehen jetzt zurück zum Transporter", befahl ihre innere Stimme, aber die junge Frau schüttelte den Kopf. "Nein, Ruth nein, das wäre ein Fehler. Die suchen uns doch bereits. Wir müssen uns durch den Wald schlagen. "Du hast aber die Waffe liegen lassen!". Vorwurfsvoll wurde sie daran erinnert. "Ruth wurde energisch. "Wir müssen zum Wagen zurück, sonst bist du mir bis zum frühen Morgen erfroren”! Lilly seufzte ergeben. “Jaaa”.

Die junge Frau bahnte sich zitternd vor Kälte den ganzen Weg zurück auf die Landstraße. Ihr Haar legte sich in dicken, nassen Strähnen um den schmalen Kopf. Es schneite nun richtig dicke Flocken. Durch die Glätte rutsche sie mehr als dass sie ging. Endlich war das letzte Stück durch das Gestrüpp an der Straße geschafft, als Stimmengewirr sie erstarren ließ. Vor Schreck hielt Lilly ihren Atem an und reflexartig drückte sie sich hinter einen Baum rechts von ihr. “Sie haben den Transporter gefunden, Ruth!” Ihre Stimme war nur ein Krächzen. Doch Ruth antwortete nicht. Eine Weile stand die junge Frau stocksteif an den Baum gepresst, ratlos, was jetzt zu tun sei. Durch die eisige Kälte spürte sie ihre Hände und Füße nicht mehr, sie war unglaublich erschöpft und den Tränen nahe. Ihre Freundin blieb still. Plötzlich erinnerte sie sich an die erleuchteten Fenster, als sie noch als Häftling im Bus fuhr. Vielleicht fand sie eine Scheune, in der sie unterkriechen konnte, bis es Ruth wieder einfiel, sich bei ihr zu melden. Lilly hasste die Unzuverlässigkeit ihrer zweiten Seite. Jedoch gab sowieso nur zwei Resultate: Entweder sie erreichte die Siedlung oder sie erfror auf dem Weg dorthin. Ungefähr die Richtung abschätzend, machte sie sich keuchend auf den Weg. Eine Schneedecke verhinderte den Blick auf den Untergrund, auf dem sie ging und so stolperte sie eigentlich nur vorwärts. Lilly hatte jegliches Zeitgefühl verloren, sie bewegte einfach nur noch ein Bein nach dem anderen. Die Flüchtige war bereits so weit, dass sie daran dachte, sich einfach fallen zu lassen und alle Sorgen wären gelöst. Es schneite immer noch Wattebällchen und nun war auch das Gesicht wie eingefroren. Gerade als sie sich hinfallen lassen wollte, stieß sie mit den Knien an einen harten Gegenstand. Dadurch wacher geworden, schaute Lilly hinunter und erblickte zu ihrer Verblüffung eine Schubkarre. Eine Schubkarre mitten im Wald. Mit zugekniffenen Augen spähte sie ihre Umgebung ab. Da! In nicht allzu weiter Entfernung schien ein gelbliches Licht durch den fallenden Schnee. Ein kleiner überraschter Laut verließ ihre Lippen und mit dem letzten Rest ihrer Energie raffte sie sich auf. Ihr war es völlig egal, ob man sie nun verhaften würde. Die erschöpfte Frau  wollte nur noch schlafen.


Als Erstes spürte Lilly die kuschelige Wärme, die sie einhüllte. Die Steifheit war aus ihren Gliedern verschwunden und sie fühlte sich komplett entspannt, wollte weiter schlafen. Plötzlich aber schossen ihr die letzten Ereignisse durch den Kopf  und ruckartig öffneten sich die großen braunen Augen. Das Erste, was sie wahrnahm, war, dass alles im fahlen grauen Licht der Dämmerung eingehüllt war. Sie erkannte Umrisse von Möbelstücken. Ein kleiner runder Teetisch, zwei zierliche Stühle und Regale. Bilder an der Wand bildeten viereckige Löcher, so schien es. Herrgott, wo war sie?



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