Noe gikk galt

Du kan forsøke å laste inn siden på nytt. Om feilen vedvarer kan du ta kontakt med oss på post@boldbooks.no.

Feilkode 418

Die, die den Fischen winkt - Erzählungen vom Leben im Meer

Die, die den Fischen winkt - Erzählungen vom Leben im Meer · Sachbücher

Als ihr Traum vom Fliegen ins Wasser fällt, wendet sich Nickis Leben. Das Buch lädt zum Träumen und Reisen, zum Nachdenken und Handeln ein.

Hva vil du med boka?

Die Geografin verwebt Informationen über Land und Leute, historische und politische Ereignisse mit eigenen Erlebnissen und lokalen Kuriositäten zu authentischen und humorvollen Geschichten, um einerseits den Blick nach innen zu lenken und andererseits Interesse an der Welt und all ihren Bewohnern zu wecken. Die persönlichen Erfahrungen sollen Menschen inspirieren, ihren Träumen zu folgen und ihre Leidenschaften zu entdecken. Egal, wo man lebt und was einem ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, das Allerwichtigste ist es, tatsächlich dafür loszugehen. Mit ihrem Arbeitshintergrund zu umwelt- und entwicklungspolitischen Themen spart sie negative Aspekte und Auswirkungen menschlichen Handels nicht aus, sondern lässt sie in die Erzählungen einfließen, ohne dass sie diese thematisch dominieren. Einschübe stellen positive Handlungsoptionen und Organisationen vor, um selbst aktiv werden zu können und heben persönliche Erkenntnisse hervor. Der Fokus der Autorin liegt auf der eigenen Entwicklung und dem Körperempfinden sowie der Ruhe und Entspannung und den einmaligen Naturerlebnissen unter Wasser. Dadurch wird das Image des testosterongesteuerten Abenteuersports Tauchen hinterfragt und die Unterwasserwelt – gerade auch bisher nicht tauchenden – Menschen näher gebracht. Wenn Gender nicht eindeutig ist, wird als Ausgleich für viele Jahre Männlichkeit die weibliche Form gewählt, mit der alle Menschen gleichermaßen angesprochen werden.

Om forfatteren

undefined undefined

Nicola Jaeger, 1980 in Unna geboren, ist Diplom-Geografin und arbeitete für verschiedene Nicht-Regierungsorganisation, bis sie 2011 dem Ruf ihres Herzens folgte und auf den Philippinen tauchen lernte....

In den warmen Weiten des Ozeans treibend beobachte ich gerne, wie andere Menschen mit der grenzenlosen Freiheit des Meeres umgehen. Viele begnügen sich damit, es sich am Strand so bequem wie möglich zu machen, um maximal hin und wieder auf das Meer zu blicken oder sich davor zu fotografieren. Wenn es ihnen spiegelglatt zu Füßen liegt und in der Sonne funkelt, nehmen es eine Reihe Menschen genauer in Augenschein, kühlen sich kurz ab oder räkeln sich gar ein Weilchen in den auslaufenden Wellen am Ufer. Manche waten Schritt für Schritt in tieferes Wasser, bis sie einen Punkt erreichen, an dem ihnen schwer fällt, ihren festen Stand am Grund gegen die Kraft der anrollenden Wellen und den Sog des abfließenden Wassers zu behaupten. Die Meisten geben hier auf. Nach einem letzten wehmütigen Blick retten sie sich auf bekanntes, vermeintlich sicheres Terrain an Land.

Als bekennende Meeresanbeterin möchte ich ihnen zuzurufen: Komm zu uns, einfach schwimmen! Denn, wenn sie ihre Füße vom Grund lösen, sich dem Element und der Energie hingeben würden, statt im Altbekannten Halt zu suchen, würde sich ihnen eine neue Welt eröffnen. Nur wenn wir loslassen, wenn wir uns bewegen und uns vertrauen, können wir Zug um Zug unseren Horizont erweitern.

Dabei gilt es, die Kraft des Meeres zu nutzen, aber keinesfalls zu unterschätzen. Einfach nur sorglos drauf los zu paddeln, kann schnell nach hinten losgehen. Je nach Brandung ist es ratsam, unter der ein oder anderen Welle hindurch zu tauchen, die Gezeiten und Strömungen im Blick zu behalten, wirklich wahrzunehmen, was um einen herum geschieht. Es lohnt sich, denn die besten Aussichten eröffnen sich vom Meer aus und unter der Wasseroberfläche wartet noch so einiges mehr.

Inhalt

1. Wenn Träume ins Wasser fallen

2. Das Meer ruft

3. Mehr als ich gesucht habe

4. In andere Welten eintauchen

5. Mitten im Leben

6. Verloren auf See

7. Im Bann der blauen Perlen

8. Unter Schutz stellen

9. Miteinander, ob gleichgesinnt oder andersartig

10. Die Magie des Oktopus und die Faszination Manta

11. Muck diving: Schätze in Schlamm und Müll

12. Alles Yoga, oder was?


1. Wenn Träume ins Wasser fallen

Seit meiner Kindheit habe ich immer wieder vom Fliegen geträumt. Wie genau dies funktionierte, variierte von Traum zu Traum. Manchmal musste ich mit den Armen flattern wie ein Vogel. Manchmal sprang ich und kam so bis unter die Decke, auf ein Dach oder noch höher hinaus in den Himmel. Dort konnte ich in der Luft hängen, solange ich wollte. Keanu Revees macht das als Neo in den Matrix-Filmen ganz gut vor. Genau wie er zunächst von den Agenten gejagt wird, war auch ich in solchen Träumen meist auf der Flucht. Auf der Flucht vor Menschen, die mir das Fliegen nicht gönnten. Glücklicherweise konnte ich der johlenden Meute jedes Mal rechtzeitig entschweben.

Doch in den Träumen, die mich vollkommen faszinierten, von denen ich nicht genug kriegte, konnte ich mich einfach so, mit purer Willenskraft und minimalen Körpereinsatz, in die Luft schwingen und in alle Richtungen bewegen. Manchmal musste ich dann erst die Welt retten und flog dafür wie Wonder Woman auf Aufputschmitteln. Nicht unbedingt entspannend, doch äußerst berauschend. Ganz selten konnte ich fliegen, ohne dass ich verfolgt wurde oder jemanden verfolgen musste. So muss sich pure Glückseligkeit anfühlen, dachte ich und suchte nach dem, was mir diesen Rausch im wahren Leben verschaffen konnte.

Nachdem ich einen Bungeesprung gewagt hatte, fielen erste Optionen. Der freie Fall ist so kurz, die ganze Umsetzung und Bewegung viel zu restriktiv. Auch wenn Fallschirmspringen in dieser Hinsicht sicher mehr Spielraum eröffnet, geht es doch definitiv nur in eine Richtung. Bei Paragliding und Gleitschirmfliegen stieg mein Interesse. Wenn man die Windsysteme kennenlernt und zu nutzen weiß, kann man sich ganz sicher frei wie ein Vogel fühlen. Nichtsdestotrotz schwankte ich. Das Gefühl meiner Träume war irgendwie unmittelbarer, direkter, körperlicher.

Das erste Mal im Flieger gen Süden konnte mir dieses Gefühl auch nicht vermitteln, doch wenigstens strahlte die Sonne in Ägypten ohne Unterlass. Als in dem Hotelbunker in Hurghada Schnorcheln mit Delfinen auf dem Programm stand, hüpfte ich direkt an Bord. Da jedoch alle Anbieter dieser Bootsausflüge gleichzeitig mit Sirenen und Vollgas auf die eine Gruppe Delfine zusteuerten, konnten wir diesen nur zuwinken und gute Flucht wünschen, was nicht exakt der Tierbegegnung entsprach, die ich mir erträumt hatte.

Der Form- und Farbenrausch am Korallenriff, wo wir ersatzweise abgeladen wurden, brannte sich jedoch ebenso erbarmungslos in mein Herz wie die Sonne in meinen Rücken. Ganz besonders angetan hatten es mir die Papageifische. Diese Unterfamilie der Lippfische fällt zu Beginn vielen Taucherinnen und Schnorchlerinnen ins Auge. Relativ groß und in schillernden Farben ziehen sie meist einzeln, manchmal in kleinen Gruppen über das Riff. Mit ihren schnabelartigen Zähnen weiden sie Algen vom Untergrund, wobei einige Arten dabei einen Teil des Kalkskeletts der Korallen abwetzen. Einerseits sorgen Papageifische auf diese Weise dafür, dass Korallen nicht von Algen überwuchert werden. Andererseits erodieren ihre kratzenden und knirschenden Kiefer bestimmte Korallen und geben damit anderen Arten Raum zum Wachsen. Wenn die Papageifische anschließend weiterziehen, pupsen sie die zermahlenen Korallen aus und tragen damit zu den weißen Sandstränden in den Tropen und Subtropen bei.

Allzu gerne wollte ich den Fischen und der übrigen rätselhaften Unterwasserwelt näher kommen. Leider bekam ich regelrechte Beklemmungen, sobald ich den Atem anhielt, um zu ihnen hinab zu tauchen. Irgendetwas setzte aus, oder vielleicht auch ein, jedenfalls hatte ich sogleich das Gefühl, dass mein Tod unmittelbar bevorstand. Diese Beschreibung geht nicht auf meinen Hang zur Dramatik zurück, vielleicht ein klitzekleines bisschen, aber der Drang zurück an die Wasseroberfläche, zur frischen Luft war wirklich übermächtig.

Als ich meine Panik für einen Moment niederkämpfte und Richtung Meeresgrund schwamm, schmerzten meine Ohren und zwangen mich wieder aufzutauchen. Den Blick gebannt in die Tiefe gerichtet, trieb ich so an der Oberfläche, bis ich zurück auf das Schiff musste. Auch wenn der akute Schmerz nicht das Einzige war, was mich zurückgehalten hatte, wäre ein wenig Anleitung, wie man einen Druckausgleich macht und wozu dieser gut ist, sicher ausgesprochen hilfreich gewesen.

Daher jetzt hier für alle, denen dies ebenfalls nicht beigebracht worden ist. Alle anderen überspringen bitte einfach diesen und die drei nächsten Absätze. Da Luft in den Lufträumen des Körpers durch den steigenden Wasserdruck in der Tiefe zusammengedrückt wird, ist die Empfehlung beim Gerätetauchen, mindestens jeden Meter einen Druckausgleich durchzuführen.

Oft kennen wir das Phänomen vom Fliegen. Landet ein Flugzeug, nimmt der Druck ebenfalls zu, wohingegen er nach dem Start abnimmt. Im Flieger hilft es an der Stelle, einfach zu gähnen, zu schlucken oder den Kiefer hin- und herzubewegen. Dadurch gelangt Luft aus der Lunge und dem Mund-Rachenraum in die Nase, die Nebenhöhlen und über die eustachische Röhre bis hin zum Mittelohr. Kaugummi kauen reicht für gewöhnlich vollkommen aus. Diese Bewegungen funktionieren unter Wasser genauso, nur erfordern sie etwas Übung.

Alternativ bietet sich das Valsalva-Manöver an, was aufregender klingt, als es durchzuführen ist. Einfach die Nase zuhalten und ganz sanft dagegen pusten, so als wolle man langsam ausatmen, damit sich die Luft langsam bis zu den Ohren und in allen Nebenhöhlen ausbreiten kann. Auch wenn ohne Gerät getaucht wird, kann auf diese Art der Druck ausgeglichen werden, am besten bereits bevor die Taucherin den Druck als unangenehm wahrnimmt. Üben lässt sich das ganz einfach an Land, nur bei Erkältungen und Entzündungen bitte nicht ausprobieren.

Um den Druck im Luftraum der Maske auszugleichen, reicht es, ein wenig Luft durch die Nase in die Maske auszuatmen, was mit Schwimmmasken, die nur über den Augen sitzen, leider nicht funktioniert. Noch einfacher läuft es mit der Lunge, dem letzten verbleibenden Luftraum beim Gerätetauchen. Jeder Atemregler passt den Druck der Atemluft aus der Pressluftflasche automatisch an den Umgebungsdruck der jeweiligen Tiefe an. Einfach nur ein- und ausatmen und alles ist gut.

Zumindest in der Theorie, rein praktisch war ich zu dem Zeitpunkt noch immer an der Wasseroberfläche gefangen und ließ mich von dem Gedanken treiben, dass die wirklich große Freiheit unter Wasser liegen könnte. Für ein paar Jahre träumte ich munter weiter, machte Abitur, half in einem sozialen Projekt in Chile, studierte Geographie in Bochum, jobbte bei der Deutschen Bahn und sparte fleißig für meine nächste lange Reise. Nach dem Vordiplom war es soweit.

Ich konnte meinen damaligen Freund überzeugen, nach Peru und Ecuador zu reisen. Als Geographin muss man schließlich die Welt erkunden und so zogen wir, mit Humboldt im Kopf ohne festen Plan, wie lange wo bleiben, los. Da wir recht sparsam mit unserem Geld umgingen, kamen wir nach einigen Monaten zu dem Schluss, dass wir uns einen Abstecher auf die Galapagosinseln leisten konnten. Ich war außer mir vor Freude.

1959 erklärte die ecuadorianische Regierung die Inseln zum Nationalpark, 1978 wurden sie in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen und 2001 um das Meeresschutzgebiet erweitert. Wir entschieden uns für einen achttägigen Trip auf einem kleinen Boot mit nur vier Kabinen und maximal acht Gästen, wobei wir das große Glück hatten, nie voll besetzt zu sein. Teilweise blieb sogar ein Teil des Gäste zurück, wenn wir zu unseren Ausflügen aufbrachen. Aber das ist eine andere Geschichte. Die Landgänge waren zauberhaft, jede Insel versprühte ihre eigene Magie, bot andere Landschaften und Tierbegegnungen.

An der lateinamerikanischen Küste schiebt sich die Nazca-Platte seit 150 Millionen Jahren unter die lateinamerikanische Kontinentalplatte, was dort nicht nur für Erdbeben und Vulkanausbrüche sorgt, sondern die Anden immer weiter wachsen lässt – im Millimeterbereich pro Jahr. Die seismischen Aktivitäten entlang dieser tektonischen Plattengrenze sind Teil des pazifischen Feuerrings. 

Vulkane haben ebenfalls die dreizehn Inseln größer als zehn Quadratkilometer sowie mehr als hundert Klein- und Kleinstinseln knapp tausend Kilometer westlich von Ecuador auf Höhe des Äquators aus dem Meer gehoben. Denn hier wandert die Nazca-Platte in östlicher beziehungsweise südöstlicher Richtung über einen sogenannten Hotspot. An solchen „Heißen Flecken“ wird die Erdkruste von unten geschmolzen, wodurch immer wieder heiße Magma noch oben dringt.

Der Hotspot unter den Galapagosinseln ist nicht ein einzelner Punkt, sondern ein ganzes Gebiet mit einer Reihe von Vulkanen, die im gleichen Zeitraum aktiv sind.  Im Gegensatz zu pyroklastische Eruptionen, bei denen die Lava explosionsartig freigesetzt wird und dabei Gestein sprengt, fließt die dünnflüssige, rotglühende Magma aus den derzeit aktiven Vulkanen auf Isabella und Fernandina gleichmäßig und schnell ab. Dadurch entstehen flache, weit ausgedehnte Kegel, sogenannte Schildvulkane. Im Laufe der Jahrhunderte sind fünf solcher Vulkane zur größten Insel des Archipels, Isabella, zusammengewachsen.

An den Vulkanhängen geologisch älterer Inseln wie Santa Cruz wächst üppiges Grün, während sich auf San Salvador (Santiago) schwarze Lavaflüsse bis ins Meer schieben. Auf der kleinen Nachbarinsel Bartolomé verbindet eine schmaler Grünstreifen mit zwei geschwungenen Sandbuchten die karge Fels- und Graslandschaft an den beiden Enden der Insel. Wieder andere Inseln, wie Seymour Norte, scheinen reine Vogelbrutfelsen zu sein – nur in XXL. Hier tummeln sich neben den berühmten Blaufußtölpeln vor allem Prachtfregattvögel, während der Galapagos-Albatross nur auf der weiter südwestlich gelegenen Insel Española brütet.

Was Darwin mit den Finken nachgewiesen hat, also dass sich die voneinander abgeschieden lebenden Vögel auf den einzelnen Inseln nach und nach zu unterschiedlichen Arten entwickelten, die sich optimal an ihren Lebensraum angepasst haben, zeigt sich auch bei anderen Tieren. Von den riesigen Landschildkröten bis zu den Leguanen gibt es auf jeder Insel Variationen zu bestaunen.

Der Name Galapagos geht auf spanisches Wort für Pferdesattel zurück, da die Riesenschildkröten die ersten Besucher an solche erinnerten. Die Zuchtprogramme für diese namensgebenden Landschildkröten sind mir von meinem Inselaufenthalt besonders im Gedächtnis geblieben. Dadurch dass Walfänger und Piraten die Schildkröten als Frischfleischquelle mit auf ihre Boote nahmen, dezimierten sie bereits früh die Population. Ohne Futter überlebten die Schildkröten so lange, bis sie selbst gegessen wurden, und anschließend ließen sich für ihre Panzer gute Preise erzielen. Erst als Ecuador die Inselgruppe 1832 in Besitz nahm, siedelten sich dauerhaft Menschen an. Im Schlepptau brachten sie Haus- und Nutztiere sowie Schädlinge mit, die allesamt die einheimische Flora und Fauna unter Druck setzten.

Heute koordiniert die Charles Darwin Research Station in Puerto Aroya auf der Hauptinsel Santa Cruz die Natur- und Artenschutzbemühungen des Nationalparks, forscht und informiert, beispielsweise uns Touristen, über ihre Arbeit und den Lebensraum Galapagos. Wider besseren Wissens wurde versucht, die wohl berühmteste Landschildkröte der Welt zu verkuppeln. Jedenfalls dachte ich immer, dass sich eine Art dadurch auszeichnet, dass sie nur untereinander fruchtbare Nachkommen hervorbringt, aber eben nicht mit anderen Arten. Nun gut, diese Schildkröte, Lonesome Georg, wurde 1971 auf der Insel Pinta entdeckt und galt bis zu seinem Tod 2012 als letztes Individuum seiner Unterart – das Wörtchen „unter“ machte wohl den entscheidenden Unterschied und den Wissenschaftlerinnen Hoffnung. Jedenfalls gab es mehrere Versuche, ihn mit aus räumlicher Nähe seiner Heimatinsel stammenden Unterarten oder genetisch nahen Verwandten von anderen Inseln zusammenzubringen.

Da alle Bemühungen fruchtlos blieben, blieb Georg bis zu seinem Tod 2012 alleine. Mittlerweile wird über Rückzüchtungen nachgedacht. Vielleicht tauchen eines Tages noch unverhofft Landschildkröten der Galapagosinseln in Zoos oder Privatbesitz auf, die sich für die fortlaufenden Paarungsprogramme der Station eignen. Immerhin können diese Tiere locker hundert Jahre alt werden. Andere Aufzucht- und Wiederauswilderungsprogramme laufen im Übrigen erfolgreich.

Ganz in der Nähe der Charles Darwin Station liegt der Hafen von Puerto Aroya. Noch nie zuvor hatte ich auf einem Schiff geschlafen und war vom ersten Moment an hin und weg. Die schaukelnden Bewegungen genauso wie die endlose Weite des Ozeans wirkten einfach nur beruhigend. Jeden Tag warteten neue Standorte, Ausblicke und Landgänge. Mit das Beste war jedoch, dass wir jeden Tag einmal schnorcheln gingen. Ohne Neoprenanzug kühlte ich zwar schnell aus, blieb aber trotzdem jedes Mal so lange wie möglich im Wasser, um danach bibbernd und über beide Ohren strahlend in der Sonne zu liegen – ganz wie ein Leguan.

Sie waren meine Lieblinge der Tierwelt. Ganz besonders angetan war ich von den Leguanen, die im Meer tauchen gehen, um dort nahrhafte Algen abzugrasen. Kleine schwarze Drachen mit rötlichen Flecken, die Grünfutter fressen und das überschüssige Salz durch ihre Nasenlöcher auspusten. Das Salz bildet Krusten und wilde Muster auf ihren Gesichtern. Zwischendurch müssen die Meeresechsen (Amblyrhynchus cristatus) sich immer wieder in der Sonne aufwärmen. Dann fressen sie auch die weniger gehaltvollen Algen, die in der Brandungszone auf den Felsen wachsen.

Leider konnten wir all das nur von der Küste aus beobachten. Im Wasser selbst hat sich eine Begegnung mit einem Humboldt-Pinguin in mein Gedächtnis eingebrannt. Das Entzücken darüber, wie dieser pfeilschnell auf mich zuschoss, schlug in Sekundenbruchteilen in Sorge um. Als ich mir bereits ausmalte, wie er mit seinem spitzen Schnabel einfach in mir stecken bleiben würde, drehte er elegant ab und schlug weitere Kapriolen.

Am lustigsten war es jedoch mit den Seelöwen. An Land beeindruckten sie durch ihre Gelassenheit. Fotografierenden, jauchzenden Touristen zum Trotz lagen sie wie hingegossen am Strand, schienen einfach in sich zu ruhen, Seite an Seite mit Leguanen. Im Wasser boten sie jedoch ein ganz anderes Bild. Anmutig, schnell, beweglich, absolut frei sausten sie mühelos in jede Richtung. Genau so stellte ich mir das Fliegen vor!

Es wäre interessant zu wissen, was sich die Seelöwen vorstellen, wenn sie sehen, wie wir behäbig an der Wasseroberfläche herum paddeln. Am neugierigsten waren die Jungtiere. Sie schwammen immer wieder direkt auf mich zu, um dann im letzten Moment unter mir abzutauchen. Vollkommen fasziniert und selbstvergessen folgte ich ihrer Bewegung mit dem Kopf und bekam so eine gehörige Portion Salzwasser durch den Schnorchel. Und das immer wieder.

Ob ich wollte oder nicht, mein Blick wurde vollkommen gebannt in die Tiefe gezogen, gefolgt von Husten und Prusten an der Wasseroberfläche, schließlich bin ich nicht so geübt wie ein Leguan. Der jeweilige Seelöwe betrachtete das Ganze scheinbar amüsiert von der Seite. Ich weiß nicht, ob sie dies zu ihrer eigenen Unterhaltung machten oder ob sie mir vielleicht beibringen wollten, unterzutauchen. In jedem Fall haben sie mich nicht nur nachhaltig beeindruckt, sondern auch restlos davon überzeugt, dass ich tauchen lernen musste, um dem Gefühl meiner Träume auf den Grund zu gehen.

Zurück in Deutschland zogen wir nach Berlin, was dazu führte, dass das Studium von nun an ein wenig schleppender verlief und zudem kein gut bezahlter Nebenjob zu finden war. Berlin halt. Obwohl Freundinnen mir Geld für Maske und Schnorchel schenkten, rückte die Erfüllung meines Traums für mehrere Jahre in weite Ferne.

Bis ich mir ein Praktikum bei der NGO mit dem wundervollen Namen WEED e.V. an Land zog, was im Übrigen für World Economy, Ecology and Development steht. Bei Vorstellungsrunden sorgte das Kürzel dennoch für allgemeine Heiterkeit. In meiner persönlichen Entwicklung hat mich diese Stelle in vielfacher Hinsicht vorangebracht, gleichzeitig eröffneten sich berufliche Perspektiven. Aus dem Praktikum wurde ein Honorarvertrag, dann hatte ich auf einmal eine halbe Stelle – und endlich Geld.

Das Erste, was ich damit machte, war, einen Tauchkurs für mich und meinen damaligen Partner zu buchen. Da er mir immer wieder von der absoluten Ruhe bei seinem Schnuppertauchgang in einem Bergsee vorgeschwärmt hatte, fragte ich ihn vorher nicht einmal.

Das hieß, Theorie zu Hause mit Buch und Video vorbereiten und dann ein Wochenende im Baerwaldbad in Kreuzberg verbringen, wo es neben den Theoriestunden und der -prüfung endlich ins Wasser ging. An sich kann ich niemandem empfehlen, in einem Schwimmbad tauchen zu gehen. Man will ja gar nicht sehen, was hier alles im Wasser schwimmt! Doch Pflaster und Schamhaare waren mir egal. Denn mit einem Atemregler im Mund und der Maske über dem Gesicht konnte ich endlich die Freiheit im Wasser genießen, die ich so lange gesucht hatte.

Die Übungen waren ein leichtes, da ich nicht zu viel nachdachte, nicht zweifelte oder Angst bekam. Ich war angekommen, wollte in meinem Gefühl baden, meine Freiheit auskosten. Zum Glück lag der Boden des Schwimmbeckens auf der einen Seite immerhin auf etwa vier Metern, so dass ich mich nach den ganzen Übungen wirklich im Tauchen ausprobieren konnte.

Mein Partner beschwerte sich zunächst, dass sein Atemregler schwergängig sei, woraufhin ich vollkommen lösungsorientiert unsere Atemregler an der Ausrüstung umbaute und problemlos mit seinem tauchte. Danach beklagte er sich über Probleme beim Druckausgleich, Erkältung oder so. Der Tauchlehrer versicherte, er könne die fehlenden Elemente an der Ostsee nachholen, wo wir im Sommer die Freiwassertauchgänge machen wollten.

Doch dazu kam es nie, dafür zur Trennung. Erst nach dem Diplom und meiner ersten Festanstellung war es endlich so weit, dass ich die Suche nach dem Gefühl meiner Träume wieder aufnahm. Es zog mich ans Meer. Endlich wusste ich, was ich wollte. Blieb nur noch die Frage, wohin mit mir?

Wenn ich mich nicht gut fühle, wenn ich wichtige Entscheidungen zu treffen habe, wenn ich zu mir kommen möchte, dann fahre ich ans Meer. Im Binnenland sollten wenigstens Flüsse oder Seen in der Nähe sein. Ganz ohne Wasserzugang fühle ich mich merkwürdig eingeengt, irgendwie abgeschnitten, vertrocknet. Ich kann mir vorstellen, dass es anderen Menschen genau umgekehrt geht, wenn sie auf einer kleinen Insel irgendwo im weiten Ozean sitzen. Ganz wie es beliebt.

Um diese Wahl zu treffen, hörte mich jedoch einfach im erweiterten Bekanntenkreis um, ob jemand einen tropischen Ort empfehlen könne, an dem ich endlich meinen Tauchschein machen könnte. Gerade wenn die Auswahl endlos ist und eine fundierte Entscheidung auf Grundlage aller Komponenten zu treffen, zur reinen Sisyphusarbeit werden würde, gehe ich liebend gerne Empfehlungen nach.

Wir müssen täglich tausende Entscheidungen treffen. Viele sind banal oder laufen unbewusst ab, so dass wir sie noch nicht einmal wahrnehmen. Trotzdem kosten sie uns Energie, weshalb es manchmal so angenehm ist, gar nicht zu viel Auswahlmöglichkeiten zu haben. Denn problematisch sind meist nicht die einmal getroffenen Entscheidungen, sondern dass wir durch eine Entscheidung für etwas, viele andere Optionen ausschließen. Anstatt uns einfach an unserer Wahl zu erfreuen und, falls nötig, unsere Entscheidung neuen Präferenzen und Möglichkeiten anpassen, fokussieren wir uns auf die hypothetischen Verluste. Verrückt.

Für die innere Welt: Unterwegs. Alleine. Glücklich. Warum habe ich überhaupt gezögert, mich alleine auf den Weg zu machen?

Zum Glück ging ich gar nicht davon aus, dass es den einen besten oder perfekten Ort gäbe, um tauchen zu lernen, sondern wollte einfach einen zu mir passenden und guten finden. Erst einmal beginnen und dann sehen wohin die Reise geht. Ein Weltenbummler verwies mich an seinen tauchenden Weltenbummlerfreund und der hatte sein Tauchbrevet, wie der Tauchschein offiziell heißt, auf den Philippinen gemacht. „Wie eine Badewanne” war sein Kommentar zu den Bedingungen bei Alona Beach auf Panglao im Herzen der Visayas.

Auch wenn sein Kurs schon lange zurücklag, war das Musik in meinen Ohren. Zumal ich den Aufenthalt mit einer kleinen Recherche zu (erneuerbaren) Energien verbinden wollte, was auf den Philippinen problemlos auf Englisch möglich war. Darüber hinaus arbeitete ein netter NGO-Kollege beim philippinenbüro e.V. und konnte mir Kontakte vermitteln. So gesehen waren die Philippinen zu der Zeit vielleicht doch perfekt für mich. Eine der gut 7.500 Inseln würde mir sicher gefallen und ich wollte ja nicht auf die Philippinen ziehen, sondern das Land bereisen und die Unterwasserwelt kennenlernen.

Für die äußere Welt: Nicht nur für Alleinreisende bieten sich zivilgesellschaftliche Netzwerke an, sowohl um bereits im Vorfeld etwas über das Land zu erfahren, als auch um vor Ort Kontakte zu knüpfen.Wer nach Manila gehen sollte, besucht bitte das kulturelle und politische Zentrum People’s Global Exchange (PGX) in Quezon City, wo im Trimona Dining auch für super leckeres, lokales und nachhaltiges Essen gesorgt ist und alle möglichen Kurse angeboten werden. Den Kontakt vermittelte mir das philippinenbüro in Köln. Das philippinenbüro ist ein unabhängiges, soziopolitisches Informationszentrum und hat sich zur Aufgabe gemacht, Interessierten aktuelle gesellschafts- und entwicklungspolitische Hintergründe und Zusammenhänge zu den Philippinen aufzuzeigen. Neben der Informations- und Bildungsarbeit zu aktuellen Entwicklungen in den Philippinen vermittelt das Büro Kontakte im Land und fungiert als Dokumentationszentrum. Dafür steht der Verein in engem Austausch mit verschiedenen europäischen und philippinischen Nichtregierungsorganisationen, Netzwerken und Hilfswerken, die in den Philippinen oder zu Themen der Globalisierung tätig sind: https://www.asienhaus.de/philippinenbuero/.

 

Am Ende wurde es wesentlich mehr Tauchen als Recherchieren und das garniert mit einer Begegnung und Erfahrungen, die mein Leben komplett verändern sollten. Dinge passieren einfach, wenn man seinen Träumen hinterherjagt.

 

 

2. Das Meer ruft

 

Im Sommer 2011 gönnte ich mir also eine Auszeit von fast sieben Wochen. In weiser Voraussicht legte ich den Tauchkurs zu Beginn meines Aufenthalts auf den Philippinen, so dass ich auf allen Inseln, die ich im Verlauf meiner Reise zu besuchen gedachte, würde abtauchen können. Mittlerweile hatte ich mich eingehender über die das Land informiert.

Das Inselreich der Philippinen liegt über 1.000 Kilometer östlich von Vietnam im Pazifik. Luzon, die größte Insel, mit der Hauptstadt Manila bildet die nördliche Spitze des sogenannten Korallendreiecks. Die westliche Seite folgt den philippinischen Inseln und der Ostküste Borneos nach Süden bis zur indonesischen Insel Bali. Von dort läuft die südliche Begrenzung entlang der indonesischen Inseln Richtung Osten, bis sie sich über den Norden Papua Neuguineas bis zu den Salomonen etwas unförmig ausdehnt. Die dritte Seite des Dreiecks verbindet den südöstlichen Punkt wieder mit den Philippinen im Norden. Innerhalb dieses deformierten Dreiecks tummelt sich die höchste Artenvielfalt aller Meere, sowohl was die Anzahl der Korallenarten als auch die Vielfalt der Fische und weiterer Riffbewohner betrifft.

Der Bekannte eines Freundes hatte mir nicht nur empfohlen, mein Tauchbrevet in Alona Beach zu machen, sondern mir ein Tauchzentrum unter deutscher Leitung, Genesis, vorgeschlagen. Trotz des biblischen Namens nahm ich seine Empfehlung an. Nachdem ich jahrelang für Nichtregierungsorganisationen in europäischen Kooperationsprojekten und mit internationalen Partnern gearbeitet hatte, wäre es an sich kein Problem gewesen, den Kurs auf Englisch zu machen. Doch als ich erkannte, dass Tauchkurse weltweit in diversen Sprachen angeboten werden, insbesondere auch auf Deutsch, griff ich zu. Schließlich wollte ich auf jeden Fall alles richtig verstehen.

So blieb nur noch die Frage, welcher Tauchorganisation ich folgen wollte: Dieses Tauchzentrum bot für Tauchanfänger sowohl Kurse von PADI als auch SDI an. Der Unterschied sei, so erklärte man mir, dass ich bei PADI das Buch kaufen müsse. Darum entschied ich mich natürlich für PADI, denn erstens mag ich Bücher und zweitens könnte ich so mein Wissen immer wieder auffrischen. Anscheinend ist dies nicht die gängige Reaktion der angehenden Tauchschüler.

Alona Beach liegt auf der kleinen Insel Panglao, im Herzen der Visayas, die zentrale Inselgruppe zwischen Luzon im Norden und Mindanao im Süden. Der Name Panglao geht auf die Spanier zurück, die das Wort „mapanglao“, was im lokalen Dialekt „einsamer Ort” bedeutete, schlicht verkürzten. Angeblich kamen die Spanier, die unter der Führung des Portugiesen Ferdinand Magellan aufgebrochen waren, um eine Westroute zu den Gewürzinseln zu finden und dabei die Erde zu umsegeln, hierher, um eins ihrer drei verbliebenen Schiffe, die Concepción, zu versenken. Nachdem sie die Schlacht um Mactan, eine Insel im Norden von Panglao, verloren hatten, waren sie durch den – zuvor zum Christentum bekehrten – Fürsten von Cebu in einen Hinterhalt gelockt worden, wodurch die Besatzung nicht mehr für alle Schiffe reichte. In diesem ersten Gefecht zwischen Europäern und Philippinern im Jahr 1521 starb Magellan. Die von ihm und seiner Mannschaft, ursprünglich auf fünf Booten, entdeckte Passage durch die Inseln an der Südspitze Amerikas heißt heute Magellan-Straße. Letztlich kehrte nur eins der Schiffe, die Victoria, nach Spanien zurück und brachte den endgültigen Beweis, dass die Erde die Gestalt einer Kugel hat. 

Weil sich der Stammeshäuptling von Mactan, Lapu-Lapu, der Herrschaft der spanischen Krone nicht beugen wollte und die Kolonisierung zumindest hinausgezögert hat, wurde er zum ersten Volkshelden der späteren Philippinen. Mir begegnete der Name zunächst auf den Speisekarten am Strand von Alona Beach. Der Leopard-Forellenbarsch (Plectropomus leopardus) landet im ganzen Land als Lapu-Lapu sowohl auf den Tellern der Touristen als auch der Einheimischen, wodurch die Art an den Rand der Ausrottung gebracht worden ist. Ob der klangvolle und geschichtsträchtige Name seinen Teil dazu beigetragen hat, dass genau dieser Fisch auch unter Einheimischen so beliebt ist, kann ich nicht sagen. Die Stadt Lapu-Lapu City, auf der Insel Cebu, sieht jedenfalls den Häuptling Lapu-Lapu in seiner Ehre verletzt und brachte 2019 einen Gesetzentwurf auf den Weg, wodurch der Fisch stattdessen in „Pugapo“ umbenannt werden soll. 

Der Legende nach wurde Lapu-Lapu von seinem Vater nach eben jenem Forellenbarsch benannt, damals als Pula-Pula bekannt. Da seiner Mutter der Name nicht gefiel, änderte sie ihn Lapu-Lapu. Doch die Herkunft seines Namens ist nicht abschließend geklärt. In der Deklaration zur Unabhängigkeit 1898 wird der Held von Mactan Kalipulaku genannt. Der Historiker Luis Camara Dery kommt zu dem Schluss, dass es sich beim Namen Lapu-Lapu um den philippinischen Brauch handelt, bei dem eine Person nach auffälligen Körpermerkmalen benannt wird, in diesem Fall das schuppige Aussehen durch eine Hauterkrankung. Wenn dem so ist, müsste dann nicht eher der hübsche Forellenbarsch Grund zur Klage haben?

Nachdem ich gebucht hatte, erzählte ich wochenlang jedem zu Hause hocherfreut, dass ich in Aloha Beach tauchen lernen würde. Meinen Fehler bemerkte ich erst kurz vor der Abreise auf die Philippinen. Schade, denn ich hatte bereits begonnen, alle freudig mit Aloha zu begrüßen, was mir dann doch irgendwie unpassend erschien. Trotzdem kam ich überglücklich und hochmotiviert in Alona Beach an. Nachdem ich das Gepäck verstaut hatte, lief ich schnurstracks zum Tauchzentrum, um meine Lehrerin kennenzulernen.

Kurz darauf sitze ich unter Palmen am Strand, lasse mir langsam den Sand durch die Zehen rieseln, nippe an meinem Getränk und schaue verzückt aufs Meer, während Bine, meine deutsche Tauchlehrerin, ein paar Jahre älter als ich, ihre dunklen Haare zu einem kleinen Zopf zusammenbindet, um mir die einzelnen Kurselemente und möglichen Abläufe anschaulich zu vermitteln. Ich lehne mich zurück. Alles ist gut. Drei Tage klingen super, ich habe weder Eile noch Bedenken oder Einschränkungen, so dass unser Gespräch schnell vom Tauchen zum Reisen treibt und wir uns schließlich über unsere bisherigen Leben austauschen. 

Für die äußere Welt: Das Wichtigste ist unserer Ansicht nach nicht, für welche Tauchorganisation ihr euch entscheidet, sondern dass ihr euch mit der Tauchlehrerin wohl fühlt. Denn Leidenschaft und Vertrauen wirken ansteckend und mit Freude geht alles leichter. Yoeri war zunächst Tauchlehrer bei NAUI, dann parallel SSI und schließlich PADI. Er ist damit dem Trends verschiedener Länder beziehungsweise den Wünschen der Tauchschulen vor Ort gefolgt. In Deutschland besteht die Möglichkeit, für seinen Tauchschein dem Verband Deutscher Sporttaucherin (VDST) beizutreten und Tauchen im Verein zu lernen. Nicki ist Tauchlehrerin bei PADI (Professional Association of Diving Instructors) und Informationen zu dieser Tauchausbildung findet ihr u.a. auf https://www.padi.com/de 

Bine hatte irgendwann genug von ihrer Stelle als Sozialarbeiterin, wollte einfach sehen, was das Leben noch zu bieten hat und das nicht unbedingt in Deutschland. Dass sie nebenher in Frankfurt Partys organisiert hat und selbst elektronische Musik auflegt, lässt den letzten Rest des Eises dahinschmelzen. Ich schwärme von Berliner DJs und Tanzen zum Ausgleich vom ausufernden Arbeitsleben. Mich spüren und gleichzeitig der Musik hingeben, Gefühle in Bewegung umsetzen – oder doch eher Gefühle mit der Bewegung erzeugen? Egal in welche Richtung die Energie fließt, sie ist jedenfalls Balsam für die Seele. Als ich noch in Erinnerungen an meinen Abschied im Berghain schwelge, lädt sie mich ein, den Arbeitstag mit ihr und ihren Kollegen ausklingen zu lassen. 

Eigentlich wollte ich unbedingt noch ins Wasser, doch das hat sich im Laufe unseres Gesprächs immer weiter zurückgezogen, erst tauchten Seegraswiesen aus der Versenkung auf, nach und nach auch vereinzelte Korallenblöcke. Es wäre weder für mich noch die Lebewesen auf dem flachen Riffdach eine Freude, wenn ich jetzt noch ins Wasser waten würde. 

Also zur Abwechslung mit dem Strom schwimmen und so in die örtliche Gepflogenheit mit dem klangvollen Namen Rum-coke-o’clock eingeführt werden. Zum Ende des Tages gegen 17 Uhr kauft hier eine Mitarbeiterin eine Flasche Rum und eine andere eine Cola, wobei eineinhalb Liter Cola mehr kosten als ein Liter Rum, und dann kreisen zwei Gläser in einer gemütlichen Runde hinter dem Tauchzentrum. 

Gäste werden natürlich immer wieder gerne eingeladen, denn schließlich erweitert sich so der Kreis derjenigen, die die Cola kaufen können. Dieses Ritual zum Abschluss des Tages ist nur einer der Gründe, warum das Tauchzentrum unter den freiberuflich tätigen Tauchlehrerinnen am Strand sehr beliebt ist und sei es nur für die Geselligkeit. 

So auch an meinem ersten Abend, als ein Niederländer die Runde erweitert. Gerade noch mit dem Safariboot eines anderen Anbieters unterwegs lässt er jetzt auf einen Stuhl mir gegenüber sinken, um auf Bines Nachfrage bildreich und wortgewandt von seiner Tour zu berichten. Solange sich der Erzählende dabei selbst nicht zu wichtig nimmt, liebe ich Geschichten des Lebens, die plastisch geschildert, gewürzt mit einer Prise Ironie ein Ereignis humorvoll untermalen oder den Kern einer Situation herauskitzeln. Offensichtlich kann der Niederländer nicht nur über sich selbst lachen, sondern scheint überhaupt sehr in sich zu ruhen. 

Irgendwie kommt er mir vage bekannt vor. In jedem Fall liegen wir vom ersten Moment an auf einer Wellenlänge. Wie sich herausstellt, arbeitet er in den letzten Jahren kaum noch als Tauchlehrer sondern überwiegend als Videograf, was nicht nur meine Neugier weckt, sondern mich auch beruhigt. Denn Lehrerinnen sind mir immer etwas suspekt.

Doch zurück zu jenem folgenschweren Abend. Der hochgewachsene, braungebrannte und äußerst unterhaltsame Niederländer lädt mich in eine Bar ein. Ich lehne dankend ab. 

Denn am nächsten Tag werde ich endlich richtig abtauchen! Und dafür will ich topfit sein. Ich bin unglaublich stolz, nach all den Jahren endlich wieder ganz alleine in die Welt hinausgezogen zu sein. Jetzt ist es an der Zeit, meine Träume verwirklichen, ohne dabei jemanden beruhigen oder aber motivieren und mitschleppen zu müssen. So oder so würde es bedeuten, Kompromisse eingehen zu müssen und Abstriche bei meinen Wünschen und Vorstellungen zu machen. Und genau das wird nun mein Fokus sein: Herausfinden, was genau ich eigentlich machen will.

Wie soll ich mir dabei Zeit für eine heiße tropische Affäre nehmen? Diese Reise ist für mich und mich ganz allein. Männer gibt es ja schließlich wie Sand am Meer in Berlin und zwischen all den anderen Nationalitäten sicher auch irgendwo einen Niederländer. Ganz abgesehen davon klingt Urlaubsflirt mit Tauchlehrer in etwa so klischeehaft wie One-Night-Stand mit Skilehrer. All das sage ich mir, als ich nach einem thailändischen Curry in einem der Restaurants am Strand zu „Halbschlaf im Frosch-Pyjama” von Tom Robbins zurückkehre. 

Total frisch und fröhlich lief ich am nächsten Tag von meinem kleinen Bungalow barfuß durch den Sand zum Tauchzentrum nebenan. Bine gab eine kurze Einführung in die Theorie untermalt von einer Flipchart. Anschließend baute ich meine Ausrüstung unter ihrer Anleitung zusammen und dann ging es endlich ins Wasser. Ich kann mich nicht mehr im Detail daran erinnern, was ich auf dem ersten Tauchgang am Hausriff von Alona Beach gesehen habe. Ein paar bunte Fische mit Sicherheit, ebenso Korallen, vielleicht auch eine Schnecke. 

Doch im Grunde war für mich gar nicht entscheidend, was zu sehen war, ich war einfach überwältigt von dem Gefühl: Endlich schwerelos, einfach schweben, frei im Raum, okay im Wasser, angekommen im Land meiner Träume. Ich fühlte mich schlichtweg vollkommen erfüllt, wie beseelt von dem Gefühl des Tauchens. Ein Gefühl, das berauscht, befreit und beruhigt. Es hat mich seitdem nie mehr losgelassen und macht mich immer wieder aufs Neue unfassbar glücklich.

Für die innere Welt: Ich liebe dieses Gefühl! Die eigenen Pläne in die Tat umzusetzen, hat genau wie das Tauchen Suchtpotenzial.

Doch noch einmal zu meinen ersten Flossenschlägen: Fasziniert von der Bewegungsfreiheit rollte ich vorwärts, rückwärts und zur Seite. Kein Wasser lief in die Nase, nichts zwang mich nach oben oder zog mich nach unten. Ich hatte das Gefühl, dass ich genau da war, wo ich sein wollte und dank der Flossen kam ich ganz mühelos voran. Statt meine Beine, wie zuvor empfohlen, langsam aus der Hüfte zu bewegen, imitierte ich den Froschbeinschlag meiner Tauchlehrerin, dem Brustschwimmen nicht ganz unähnlich, und genoss das ganz und gar neue Körpergefühl, was mich zwar an das Fliegen in meinen Träumen erinnerte, aber doch anders war. 

Ein paar prüfende Blicke zurück und dann kümmerte sich Bine im Wesentlichen um die andere deutsche Frau, die sie mehr oder weniger den gesamten Tauchgang hindurch festhalten musste. Diese war auch der Grund, warum wir viel zu schnell an die Oberfläche zurückkehren mussten, nur 35 Minuten sagt mein Logbuch. Doch ab dem zweiten Tag würde ich mit Bine alleine unterwegs sein. Traumhafte Aussichten.

Am Nachmittag wartete ein Video auf mich, anhand dessen ich die Wiederholungsfragen im Buch bearbeiten sollte. Die ein- und überleitenden Auftritte eines tollpatschigen Tauchers waren wie der ganze Aufbau zu bemüht, als dass es hätte unterhaltsam sein können, und überhaupt zog sich das Programm zäh wie geschmolzener Käse. Noch dazu stand der Fernseher im Hinterzimmer eines Restaurants. Duftschwaden aus der Küche waberten zu mir herüber, darunter tatsächlich Fondue. Es herrschte ein munteres Kommen und Gehen, was zusammen mit dem Klappern und Schnattern bessere Unterhaltung als das Video versprach. „Konzentrier dich!“

Der Niederländer hatte mich bereits vor dem PADI-Video gewarnt. Zum Glück gab es in dieser Version die Frau mit den irre langen, rosa lackierten Fingernägeln und dazu farblich abgestimmter Tauchausrüstung nicht mehr, bei deren Anblick es ihn noch immer schüttelte. „Der Niederländer hätte bestimmt alles viel anschaulicher erklärt,” dachte ich mir. 

Mittlerweile hatte ich mich über ihn erkundigt. Er hieß Yoeri, was die deutsche Fraktion im Tauchzentrum hartnäckig Jöri statt Juri aussprach. „Klingt russisch hat aber keine derartige Verbindung außer vielleicht, dass bei der Zeugung Wodka im Spiel war,” erklärt Yoeri selbst immer wieder. Er lebe eher zurückgezogen und interessiere sich nicht übermäßig für Touristinnen, ob sie nun in Bikinis am Strand entlang flanierten oder in engem Neopren im Wasser schwebten, so Bine. Meist gehe er einfach nach Hause und schaue Filme. Und mit einer Philippinerin habe sie ihn überhaupt noch nie gesehen, fügte sie auf weitere Nachfragen hinzu. Soso.

Ich löste mich aus meiner Gedankenwelt. Es half ja alles nichts, die Fragen mussten jetzt beantwortet werden. So stoppte ich das Video jedes Mal, wenn einer der Aspekte der Wiederholungsfragen behandelt wurde und kopierte gewissenhaft die Antwort in mein Buch. Dabei machte ich mir weder Sorgen, dass mir etwas passieren könnte, noch erwartete ich, dass mir irgendetwas schwerfallen würde. Die Theorie war einfach nur eine Aufgabe, die erledigt werden musste, bevor ich mich wieder dem Tauchen hingeben konnte.

Nur halbwegs frisch, doch überaus fröhlich und hochmotiviert lief ich am zweiten Tag vom Parkplatz für Motorräder mit einem kurzen, aber befreienden Boxenstopp in meinem kleinen Bungalow barfuß durch den Sand zum Tauchzentrum. Es gab ausführliche Erläuterungen zu einer gefühlt unendlichen Anzahl von Übungen, die wir im Wasser machen würden. Am Ende konnte ich mich nicht mehr erinnern, was am Anfang gesagt worden war. Aber erstens hatte ich diese Übungen alle schon einmal im Schwimmbad gemacht und zweitens machte Bine sie mir unter Wasser jedes Mal vor. „Je schneller wir diesen Teil hinter uns gebracht haben, umso mehr Zeit bleibt uns zum Tauchen,” dachte ich. 

In der Tat konnten wir direkt eine Runde am Hausriff anschließen, wobei ich zwar weiterhin vollkommen in meinem Element aufging, doch gleichzeitig begann, die Unterwasserlandschaft, über die ich nun zum zweiten Mal schwebte, detaillierter wahrzunehmen. Bunte Fische waren schön und gut, doch was mir jetzt überdeutlich ins Auge fiel, waren zerbrochene und farblose Korallenstücke. Es zogen sich regelrechte Spuren der Zerstörung über das Riffdach. 

Bine gestand anschließend, dass dies der am meisten beschädigte Abschnitt des Hausriffs von Alona sei, aber ging nicht weiter auf die Ursachen ein. Stattdessen orakelte sie, dass sie sich total gut vorstellen könnte, dass ich einmal Tauchlehrerin werden würde. Woraufhin ich nicht nur zu bedenken gab, dass ich dafür ja erst einmal diesen und ein paar weitere Kurse abschließen müsse, sondern mit Nachdruck verkündete, dass ich niemals Lehrerin werden wollte. Das hatte ich schließlich entschieden, lange bevor ich wusste, was ich studieren wollte.

Die weiteren Tauchgänge des Kurses fanden an besser erhaltenen Riffabschnitten statt. Es lief alles wie von selbst. Wir hatten Freude am gemeinsamen Tauchen, hin und wieder mussten bestimmte Übungen nochmals während des Tauchgangs wiederholt werden, schließlich soll das alles am Ende des Kurses wirklich sitzen. Vor allem begann ich, immer mehr Unterwasserlebewesen bewusst wahrzunehmen.

In meinem Logbuch steht beim zweiten Tauchgang nur das Wort „Nudibranch“. Von Pracht- oder Nacktschnecken im Meer hatte ich vorher noch nie etwas gehört, aber sie sollten sich zu einem meiner Lieblingsunterwasserwesen entwickeln. Diese kleinen Weichtiere kommen in allen erdenklichen Farben, Formen und Musterungen vor, was alle Fressfeinde wissen lässt: „Achtung, giftig!“. Meistens beziehen diese Giftstoffe und Farben direkt aus ihrer Nahrung, beispielsweise Seescheiden oder Schwämme. Die Kleinsten unter ihnen sind nur wenige Millimeter, die Größten können über fünfzig Zentimeter werden, die Mehrheit bewegt sich zwischen zwei und fünf Zentimetern. Noch immer werden neue Arten entdeckt und vor allem bestehende näher bestimmt, neue Unterarten gegründet oder Arten ganz anders eingruppiert. Es ist erstaunlich viel in Bewegung bei den Schnecken, wobei sich die Forschung vor allem auf ihre toxischen Eigenschaften und chemischen Botenstoffe fokussiert, von denen man sich beispielsweise neue Medikamente verspricht.

Beim dritten Tauchgang gab es sowohl meinen ersten Drachenkopf als auch ersten Anglerfisch. Beide gehören zu den gut getarnten Lauerjägern, wobei ich gestehen muss, dass mich der Riesenbarrakuda nachhaltiger beeindruckt hat. Barrakudas wurden, ebenso wie Nacktschnecken, zu treuen Begleitern der folgenden Tauchgänge. Nach den Tauchkursen – ich ließ mich sofort zu einem Fortgeschrittenenkurs hinreißen – zeigten sich Geisterpfeifenfische im Seegras, Geisterfetzenfische neben Federsternen, Schaukelfische unter Hartkorallen, Garnelen in Riffspalten, Pygmäenseepferdchen auf Fächerkorallen, noch mehr Anglerfische und Drachenköpfe auf Schwämmen, ein Steinfisch im Sand und natürlich Muränen, Schildkröten und Schulen von Rifffischen, aber auch ein riesiger Schwarm Großaugenmakrelen, um nur ein paar Vertreter zu nennen, die die umliegenden Riffe bevölkerten.

Ich fühlte mich wie neugeboren. Nur einmal zog es mich ganz plötzlich nach oben. Die Luft in der Tarierweste hätte sich ausgedehnt, erklärte Bine. Dabei hätte ich schwören können, dass das Ding leer war. Denn, so wie ich sie verstanden hatte, lief die ganze Tarierung doch ohnehin allein über die Lungen, wenn man mit der passenden Menge Blei tauchte. Yoeri stellte später klar, dass die Tarierweste nicht umsonst so hieß und ich sie ruhig auch während des Tauchgangs nutzen könne, die Feinjustierung liefe in der Tat über die Lunge. 

Wie dem auch sei, dieser Zwischenfall brachte mich darauf, dass ich das Gefühl des Tauchens nicht nur genießen, sondern mein Gespür verfeinern sowie meine Reaktionen schulen wollte. Wie genau sich Bewegungen, Haltungen und natürlich die Atmung im Wechselspiel mit den Bedingungen unter Wasser auf mich und meinen Körper auswirken, bietet endlosen Spielraum und Entwicklungspotenzial. Man lernt nie aus! Wie wunderbar.

Am Ende der Kurse trug ich begeistert Plätze, Zeiten und Tiefen in mein Logbuch ein. Doch bei den Lebewesen blieb Bine recht allgemein. Yoeri kenne sich da besser aus, meinte sie. Na dann.

Meld deg på vårt nyhetsbrev!

BoldBooks Logo
ALLi Partner Member
Ikon
Ikon
Ikon
Ikon
© BoldBooks 2024