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Feilkode 418

Mein Name ist Viva Maria Kraus

Mein Name ist Viva Maria Kraus · Romane

Dschungeltrips sind nichts für All inclusive- Urlauber. Das muss auch Viva am eigenen Leib erfahren.

Hva vil du med boka?

Mir macht es einfach Spaß und es macht den Kopf frei. Ich genieße es, wenn das Schreiben fast von allein geschieht und sich die Geschichte im Laufe der Zeit verändert und ein Eigenleben bekommt. Es ist eine Geschichte, die Spaß beim Lesen bringen soll, mit Humor und einem Schmunzeln auf den Lippen.

Om forfatteren

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Ich bin Annika Köster, glücklich verheiratet und Mutter einer sechsjährigen Tochter. Ich schreibe schon seit einigen Jahren, habe aber nie den Versuch unternommen etwas zu veröffentlichen. Bisher habe...

1.     

 

 

 

 

Mein Name ist Viva Maria Kraus. Danke, ich weiß, das klingt richtig bescheuert. Aber was soll ich machen. Meine Eltern befanden sich damals in der Mission „Frieden für die Welt und Haschisch für den Rest“.

Trotz dieser kurzzeitigen Hippiephase meiner geliebten Eltern bin ich ziemlich altbürgerlich und konservativ erzogen worden.

So richtig im verschlafenen Vorort, großem Bruder, Häuschen und einem Teddybär- Hamster namens Max. Allerdings kam der unter sehr mysteriösen Umständen ums Leben , kurz nachdem er das Fernsehkabel anknabberte. Zufall ? Man weiß es nicht.

 

Ich hatte eine gute Kindheit, wurde nie geschlagen und kann mir dementsprechend bis heute nicht erklären, warum ich das getan habe.

Damit ihr alles versteht, fang ich am besten dort an, wo ich glaube dass alles begann…

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.     

sechs Wochen früher…

 

„Mama, wir fliegen in den Dschungel?“ Ruhe. Am anderen Ende herrscht völlige Stille.

„Hallo? Mama? Bist Du noch dran?“ Anscheinend braucht meine Mutter etwas länger, um diese Information verarbeiten zu können. Kein Wunder, sonst bin ich bei meinen Urlaubszielen doch eher berechenbar, aber mein Telefonat mit ihr scheint sie irgendwie völlig aus dem Konzept zu bringen.

„Wo wollt ihr hin? Ins Dschungelcamp? Wie seid Ihr denn darauf gekommen? Muß man dafür nicht berühmt oder wenigstens bekannt sein? Die machen doch immer so ekelige Sachen- Spinnen essen, in Schlangen baden und was weiß ich. Wie seid ihr denn darauf gekommen?“

 Ich glaube, sie hat da was missverstanden.

 „Was? Nee, nicht in das Dschungelcamp, in den Dschungel, wie Tarzan und Jane.“

Ich kann mir meine Ma am anderen Ende der Leitung richtig vorstellen. Mit ihren kurzen rotbraunen Haaren, den wenigen Sommersprossen um die etwas zu lange Nase und mit den feingliedrigen Fingern nebenbei in einem Werbeprospekt blätternd. Sie liegt im großen Wohnzimmer auf der Couch, ihre Lieblingsdecke halb über sich gelegt und das schnurlose Telefon zwischen Schulter und Kopf eingeklemmt. Mein Vater sagt immer, irgendwann wird sie ein Gespräch beenden – wahrscheinlich mit einer ihrer Schwestern- und merken, dass das Telefon inzwischen mit dem Kopf verwachsen ist. Ich glaube aber, das würde eher seinem Wunschdenken entsprechen. Ich muss schmunzeln bei der Vorstellung und beschließe innerlich bald mal wieder zu ihnen zu fahren.  

„Kind, habt Ihr Euch das auch gut überlegt? Ist das nicht gefährlich?“ Meine Ma´s Stimme klingt etwas zweifelnd und sie tut das, was sie immer tut, wenn sie Zeit zum Sammeln braucht- sie reicht das Telefon an meinen Pa weiter. „Jürgen, komm mal bitte. Deine Tochter will in den Dschungel fahren. Kannst Du Dir das vorstellen?“ Ich höre, wie meine Mutter das Telefon an meinen Papa abgibt. Im Hintergrund höre ich sie immer noch murmeln. „… der Dschungel, …Dschungel, giftige Tiere, Malaria und weiß der Gott was noch alles…“

„Hallo Viva mein Schatz! Wie geht es Euch?“ Mein Pa scheint das Ganze etwas lockerer zu sehen.

„Danke Papa, gut und Dir? Mama scheint die Nachricht ziemlich geschockt zu haben.“

„Keine Angst mein Kind, sie beruhigt sich auch wieder. Erzähl mal. Wie seid Ihr denn auf die Idee gekommen. Ich kann mir kaum vorstellen, daß es bei lastminute.de gestanden hat.“

Ich wusste, mein Pa lässt sich doch nicht von einem Dschungeltripp seiner Tochter aus der Ruhe bringen. Mein Pa ist ungefähr 1,75m groß, hat dunkle Haare und strahlendblaue Augen, wie der Rest der Familie. Er ist ziemlich entspannt in seiner Art, was ihn zum Ruhepol für meine leicht hektische Ma macht, sie aber auch gleichzeitig damit völlig auf die Palme bringen kann. Mein Papa ist am liebsten wann immer es geht draußen. Einfach irgendetwas sammeln, beobachten oder einfach nur genießen. Meine Eltern wohnen direkt in einer Seenplatte mit Naturschutzwäldern ringsum. Da ist es nicht schwer sich zu beschäftigen, wenn man naturverbunden ist. Als Kind bin ich immer viel mit ihnen mit dem Boot draußen gewesen, oder ich war mit meinem eigenen Paddelboot unterwegs. Manchmal sind wir auch nach Sonnenuntergang ins Schilf gegangen und haben mit Taschenlampen Flusskrebse gefangen. Da konnte man sich ganz schön die Füße aufschneiden, wenn man nicht aufgepasst hat und mitten auf ein Schilfrohr getreten ist. Für mich gab es immer irgendetwas zu unternehmen. Im Sommer meist schwimmen oder am Strand liegen und im Winter konnten wir auf den zugefrorenen Seen Schlittschuh laufen oder  Eishockey spielen. Kurz überkommen mich die Erinnerungen, aber das Hupen auf der sechsspurigen Straße unter meinem Fenster holen mich ganz schnell in die Realität zurück. Wenn ich jetzt Natur sehen und spüren will, bi ich mal eben gut 40 Minuten mit dem Auto unterwegs um aus Hamburg rauszukommen- ohne Feierabendverkehr, versteht sich.

„Viva, bist du jetzt auch sprachlos?“ höre ich meinen Vater.

„Was?, Ähm, nein. Was hattest du gefragt?“

„Wie ihr darauf gekommen seid? Lastminute.de war es sicher nicht, oder?“ Ich kann meinen Papa förmlich durchs Telefon schmunzeln hören.

„Nils träumt ja schon lange davon. Bisher konnte er mir das aber nicht wirklich schmackhaft machen. Ewig wandern, keine Duschen, in Zelten schlafen, kein Ziel vor Augen- das ist alles nichts, was mich auch nur im Entferntesten reizt. Bis jetzt konnte ich jedes Jahr gewinnen, also ging es immer in den Süden mit  heißer Sonne, weißem Strand und blauem Meer. Dieses Mal durfte er entscheiden und naja, es ist halt der brasilianische Dschungel geworden. Ich bin schon happy, daß ich auf keinen Berg klettern muß.“

Irgendwie klingt das selbst in meinen Ohren immer noch unvorstellbar. Ich, zwischen Lianen, exotischen Pflanzen und an den Bäumen hängenden Schlangen und Echsen. Mein Papa stellt viele Fragen und ich glaube, er würde selber gern mitkommen. Allerdings fällt mir bei unserem Gespräch auf, daß ich noch keinerlei Infos habe. Ich weiß, dass wir nach Santarém, Brasilien fliegen, der Trip drei Wochen dauert und ich vorher ziemlich viele Impfungen über mich ergehen lassen muß. Nachdem ich aufgelegt habe und mein Papa jetzt die ehrenvolle Aufgabe hat, meine Mutter zu beruhigen, sitze ich noch lange am Küchentisch und grübele. War das wirklich eine gute Idee Nils den Trip planen zu lassen?

Na toll, die Gedanken kommen jetzt ein bisschen spät. Nix da! Das wird ungewohnt, aber aufregend. Naja, es ist halt kein Strandurlaub. Normalerweise bin ich eine Sonnenanbeterin, die gern den ganzen Tag am Pool liegt und anderen  Touristen bei tollen Peinlichkeiten wie Aquagymnastik und Tanzspielen zusieht. Das ganze Jahr freue ich mich auf diese vierzehn Tage, in denen man so tun darf als würde einen die Welt nichts angehen.  Vierzehn sonnenbrandgefährdende, nach Cocktail schmeckende, entspannende Tage, in denen ich niemanden den Popo küssen muß, keinen Abwasch habe   (außer den Sand an meinem immer brauner werdenden Körper) und mich nach Strich und  Faden verwöhnen lassen kann.

Aber nicht mit Nils. Leider hat Nils ganze andere Vorstellungen von Urlaub.

Stinkende Wanderstiefel, im Schlafsack auf flohverseuchten Matratzen übernachten, kalte Ravioli aus der Dose und das schlimmste überhaupt-   Kein Ziel! Nach dem Motto . Der Weg ist das Ziel. Nein, ist er nicht! Sonst würde man sich einfach irgendwann an den Straßenrand setzen und aufgeben, weil man ja doch nie ankommt. Für mich als Denker, Planer und Stratege ist das die absolute Apokalypse. 

Ich will wissen, wann fahre ich los, wo und wann komme ich an, was erwartet mich vor Ort, kann ich mich verständigen, oder muß ich noch Vokabeln lernen. Für mich ist es normal vorbereitet zu sein. Das gehört zu mir, wie die unzähligen Sommersprossen in meinem Gesicht. Dass Nils und ich trotzdem harmonieren ist immer wieder unglaublich. Unterschiedlicher könnte es nicht sein.

 Er braucht keinen Besitz, nur ein Flugticket in der Tasche, daß ihn irgendwo hinführt, was er noch nicht kennt. Egal, ob Oslo, Rom, Miami oder Dresden. Er kann alles entdecken und sich an allem erfreuen. Er kommt mit jedem in Kontakt, egal welche Sprache und Mentalität. Keine Unterkunft gefunden, macht nix. Irgendjemanden ansprechen. Das klappt schon- und es klappt tatsächlich. Immer und immer und immer wieder. 

Nils will mir etwas von seinem Abenteuergeist abgeben. Daher dieser Kompromiss. Würde er alleine fahren, hätte er sich nur einen Hinflug gebucht, und danach überlegt, wie es weitergeht. Jetzt ist die Tour von einem Reiseveranstalter organisiert. So kann ich vorher wenigstens einige Informationen sammeln und gezielt einsetzen.

 

 

 

3.     

4 Wochen vorher…

 

Natürlich habe ich mir für diesen Trip komplett neue Klamotten kaufen müssen. Welches  Großstadtmädchen hat schon Trekkingschuhe und Cargo Hosen im Schrank.

Der „liebenswürdige“ Verkäufer im Sportfachgeschäft hat mich schon beim Betreten des Ladens ziemlich amüsiert angeschaut als ich auf meinen 13 Zentimeter Absätzen und meiner neuen Luis Vuitton Tasche (Limited Edition- das muß erwähnt werden) das Geschäft betrat und nach Dschungelausrüstung fragte. „Hallo, ich mache einen Trip in den südamerikanischen Dschungel und brauche dafür Klamotten, Schuhe und was man sonst noch so alles braucht.“

Der Verkäufer bekam ein Dollarzeichen in den Augen und ich merkte, dass ich das falsch angestellt habe. Bei der Auswahl meiner neuen, wunderschönen Urlaubsbekleidung hatte ich die Qual der Wahl mich zwischen Hellbeige, Mittelbeige und Dunkelbeige entscheiden zu müssen.

Vollendens für doof hielt der pickelige Verkäufer mich dann wohl, als ich ihn fragte, ob es das Ganze auch in anderen Farben gäbe. Die Frage müsste doch eigentlich erlaubt sein.  Falls ich während des Trips verloren gehe, findet mich in dem Outfit keine Sau wieder. Ich stell mir schon vor, wie mein Körper in 3000 Jahren gefunden wird und ich als Hohe Gottheit verehrt werde. Schade nur, daß ich davon dann nichts mehr mitkriege.

Nichts desto trotz ging ich mit drei Taschen beigen Inhalts und einer Kreditkartenbelastung von knappen 450 Euro da raus. Von diesem Geld hätte ich glatt eine Woche Türkei, fünf Sterne mit Ultra All Inclusive buchen können.

So viel Geld für Klamotten ausgeben, die ich danach nie wieder anziehen werde und selbst in der Pampa nicht anziehen will, ist ziemlich frustrierend und verschwenderisch.

Als kleine Motivationsspritze gehe ich in das nächste Einkaufscenter und kaufe mir die Uhr mit der ich schon so lange liebäugle. Vielleicht schafft es das leuchtende Pink von meinem  graue-Maus-Outfit oder eher beige-Maus-Outfit abzulenken. Denke aber eher nicht. Ich komme mir trotz Shopping neuer Klamotten  irgendwie bestraft vor. Vielleicht lass ich mir das mal von einem Psychologen erklären und wenn wir schon dabei sind, kann er mir auch gleich begreiflich machen warum ich bei Brownies an Sex denke. OK, anderes Thema.

 

Weiter ging es dann beim Arzt. Ich mußte mir so oft irgendwelche Chemie in den Oberarm spritzen lassen, das ich arge Befürchtung hatte beim Scanning am Flughafen direkt vom Zoll verhaftet zu werden und eine Anklage wegen  Drogenschmuggels zu bekommen. Mein Arzt erklärte mir, dass ich Glück habe. Einige der Impfung wurden bei mir letztes Jahr schon gemacht für meinen Urlaub in Ägypten, sonst wären es noch mehr Spritzen- na hab ich ein Glück…

 

 

 

 

4.     

1 Woche vorher…

 

Auf nach Südamerika! Koffer schnappen und los. Leider können wir trotz regem Kontakt mit Tui fly kein Übergepäck mehr mitnehmen. Wie soll ich denn drei Wochen im Dschungel verbringen mit dem bisschen Gepäck? Am Strand wäre das ja kein Problem. Morgens Bikini und Flip Flops an, abends kurzes Kleid und Flip Flops an. Da braucht der Mensch nicht viel. Aber im Busch? Laut dem netten Arzt vom Amt für Tropenkrankheiten soll ich tags und nachts mehrere lockere Lagen an langer Kleidung übereinander anziehen, damit mich keine Mücken erwischen. Ich soll wadenhohe Stiefel anziehen, damit nix beißen kann, einen Trekkinghut mit Netz- ich muss dabei eher an Imker denken und nicht ans Wandern- und literweise Anti- Mücken- Zeug auf die restliche Haut schmieren (welche restliche Haut?).                                                    Eine Bescheinigung für die Airline über die absolute Notwendigkeit des Mehrgepäcks wollte der Arzt mir denn aber doch nicht ausstellen. Nils waren die Besuche bei den Ärzten mit mir ein bisschen peinlich. Muß er durch. Trotz etlichen Telefonaten, die mich ein Vermögen kosten werden (1,19€/min) und mehreren Buchungsbestätigungen, dass es doch geht, zieht TUI fly kurz vorher die Bestätigung für´s Mehrgepäck zurück- kein Kontingent mehr frei. Verdammt! Jetzt müssen beim Kofferpacken halt Prioritäten gesetzt werden. 40kg Gepäck für uns beide zusammen ist erlaubt plus 8kg Handgepäck pro Person. Ein großer Koffer ist gepackt: 2 Schlafsäcke, 4x Wanderstiefel, 2 Hängematten für die Nacht, eine Mini- Axt, zwei Taschenmesser und Kompass,  zwei Überlebendspackage, 4 Liter! Moskitospray, Verbandsmaterial, Kosmetik  und diverser Kleinkram – 26 kg oh, oh …                                  Der zweite Koffer: zwei Paar Hosen pro Person, zwei Trekking- Jacken, mehrere Trekkinghemden, etwas Unterwäsche, ein paar Shirts und je 1x Flip Flops pro Person. Duschzeug passt nicht mehr und muß vor Ort gekauft werden. Der Koffer ist randvoll und der Rest liegt noch draußen.  OK, wir haben ja noch Handgepäck. Die größten Rucksäcke, die wir haben müssen, als Handgepäck durchgehen. Also Zelt, Handtücher, Bücher, Sonnenbrillen, Übersetzer und Reiseunterlagen- mehr passt beim besten Willen nicht. Alles zusammen 62kg statt der erlaubten 56kg- ob das mal gut geht?? Wie ich allerdings bei der Zollkontrolle das Zelt im Handgepäck erklären soll, weiß ich noch nicht. Das kann dann Nils übernehmen.                           

                           

5.     

Es geht los!

1.°° Uhr nachts aufstehen in Eppendorf- damit kommen mein Kopf und mein Körper gar nicht klar.                 

 3°° Uhr nachts, Schneeregen und mit minus 8° C, schweinekalt. Wir freuen uns auf den Urlaub, jetzt nur noch schnell am Check-in vorbei. Die Dame sagt nichts zu unserem Übergepäck und ich versuche mit meinen 11 kg auf dem Rücken total locker dazu stehen. Irgendwie fällt das meinem Freund doch erheblich leichter.

Unausgeschlafen und ohne heißen Kaffee stellen wir fest, daß unsere Maschine 3 Stunden Verspätung aufgrund technischer Mängel hat. Nils sitzt neben mir und versucht eisern mein Nörgeln, Fluchen und Motzen zu ignorieren. Klappt nicht- ich bin  viel zu gut darin. Nach Ewigkeiten- ich war schon kurz davor aufzuhören- verspricht Nils mir, dass ich das nächste Mal wieder entscheiden darf, falls mir der Urlaub nicht gefällt. Der nächste fünf Sterne Ultra All Inclusive Urlaub mit Shopping Flatrate ist also sicher.

Aber jetzt muss ich erst einmal diesen hier überstehen, ohne Trennung, Malaria und von wilden Tieren- wie z.B. Spinnen- angegriffen zu werden.

Nils zu Liebe versuchte ich mich etwas zusammenzureißen. Schließlich hat er sich mit der Planung soviel Mühe gegeben. 

“Hier Schatz , Kaffee extra stark und ein Croissant mit Schokolade. “ Nils reißt mich aus meinen Gedanken. Er steht vor mir und lächelte mich nachsichtig an.

“ Danke” entschuldigend sehe ich ihn an und hoffe wieder mal, dass er nur die Hälfte meines Gemurmels verstanden hat. Nils sitzt tapfer neben mir. Die Haare wieder einmal rappelkurz geschoren, die blauen Augen leuchten schon von der Vorfreude und die langen Beine wippen leicht aufgeregt hin und her. Heimlich beäuge ich ihn von der Seite. Das mach ich ab und zu. Jedes Mal stelle ich fest, wie sehr ich ihn liebe und die Zeit mit ihm genieße. Er hat so viele Eigenschaften, die ich gerne hätte. Wenn wir irgendwo im Ausland sind, komme ich mir neben ihm manchmal ganz schön uncool vor. Ich kann strategisch denken, ich kann Arbeitsabläufe analysieren und ich kann organisieren. Aber Nils kann Menschen für sich gewinnen. Innerhalb weniger Minuten stehen fremde Leute um ihn herum und hören ihm zu. Das hat manchmal bisschen was vom Sekten- Anführer. Ich glaube, wenn er es drauf anlegen würde, könnte er eine neue Sekte gründen. „Gemeinde der ewigen Reisenden“ oder so was. Aber wo wäre der Sitz? Heute in Barcelona, nächste Woche in Kaliningrad und nächsten Monat in Flensburg?   Nils hat Hummeln im Hintern. Immer und überall. Am liebsten wäre er Food-Hunter. Die ganze Zeit durch die Welt reisen, kleine Dörfer am Himalaya kennenlernen und Schafsaugen, vergammelte Eier oder andere eklige Sachen essen. Ich weiß, daß er gerade noch viel ungeduldiger ist als ich, und trotzdem schafft er es immer sich nichts anmerken zu lassen.

 

Zweiundzwanzig Stunden später und völlig gerädert landen wir in Santarém, Südamerika. In der kleinen Vorhalle warten wir auf unseren Fahrer. Er soll uns eigentlich zum Hauptbahnhof bringen. Nach zwanzig Minuten rumstehen kommt Nils drauf, daß Vavi Krouse und Nilo Köter eigentlich Viva Kraus und Nils Köster heißen könnten. Am Auto hilft uns ein netter, junger Mann mit dem Gepäck einladen und ich registriere zu spät, daß der nix mit uns zu tun hat- Trinkgeld will er trotzdem. Völlig perplex bekommt er auch Tip- grrrrr…  Ich ärgere mich tierisch, habe aber keine Lust mir die Laune verhageln zu lassen.

Kurz hinter dem weitläufigen Gelände des Flughafens bekommen wir das erste Mal einen Eindruck von diesem Land. Die vorherrschende Armut ist überall. In den Rinnsteinen sammelt sich bergeweise Müll. Zwischen den Unmengen an kaputten PET- Flaschen, verrottenden Verpackungen und Folienresten spielen Kinder mit verschmierte Mündern und vor Schmutz starrenden Klamotten. Sie stehen einfach nur rum oder fischen Gegenstände aus dem Müll. An den Straßenkreuzungen stehen Männer in Uniform und Gewehren. Bei all den Waffen um mich herum habe ich mehr den Eindruck, ich hätte mich bei der Bundeswehr eingeschrieben und nicht drei Wochen Urlaub vor mir.          

Unser Fahrer bringt uns zur Central- Statión, denn von dort aus haben wir noch eine 9-stündige Fahrt bis zum Hotel direkt im Amazonasgebiet vor uns. Unser Hotel hat den treffenden Namen “EL MOSQUITO” was übersetzt die Stechmücke heißt. Wie die nur auf diesen Namen gekommen sind …? Das finden wir wohl früher als uns lieb ist raus. Morgen früh geht es dann los mit der Dschungeltour.

Jetzt bin ich aufgeregt und neugierig… Der Fahrer rast mit uns durch die Vororte von Santarém, als würde es kein Morgen geben. Gegenverkehr von vorn wurde einfach weggehupt. Erstaunlicherweise überfahren wir weder einer der zahlreichen Fußgänger, noch eines der streunenden Tiere. Um uns herum wird es immer lauter, bunter und voller. Unserer Augen versuchen die vielen Eindrücken aufzusaugen, aber unser Gehirn ist noch nicht in der Lage das Neue verarbeiten. Links überholte uns ein Motorrad mit eins, zwei… fünf Personen und einer Ziege am Lenker.  Rechts von uns ist ein Wochenmarkt mit so vielen Menschen in bunten Trachten und dazwischen stehen junge Männer in D&G gekleidet und Smartphone am Ohr. Wir sehen Häuser oder vielmehr Hütten komplett aus Wellblech oder Lehm gebaut. Durch unseren ganz eigenen Sebastian Vettel am Steuer erreichen wir den Hauptbahnhof in Rekordzeit. Bis zur Abfahrt des Buses haben wir noch Zeit. Wir gehen zum Lebensmittelmarkt gleich neben dem Busbahnhof. In unseren Nasen kitzeln verschiedene Aromen. Es werden Gewürze und Backwaren angeboten. Einige Stände bieten frischgeschlachtete Meerschweinchen an. Die sollen hier eine Delikatesse sein.

Nachdem ich gerade beschlossen habe, hier aufgrund der mangelnden (komplett fehlenden!) Hygiene nichts zu essen und mich stattdessen heute mit abgepackten Kräckern und Schokolade zu begnügen, kommt Nils  von einer kleinen Garküche zu mir. In den Händen hält er zwei kleine Wegwerf-Plastikschalen aus denen Dampf aufsteigt. Ich überlege mir gerade eine Ausrede, warum ich das nicht essen kann, da steigt mir der würzige Duft in die Nase. Es riecht unglaublich! Nach Tomaten, Chili, Gewürzen, die ich nicht kenne und- nach Kaninchen.  Die heiße Tomatensuppe mit getrockneten Meerschweinchen-Fleisch und Yucca ist einfach großartig. Damit habe ich nicht gerechnet und auch Nils isst ohne ein einziges Wort zu sagen seine Suppe in Windeseile auf. Als er fertig ist, fährt er sich mit der Zunge einmal komplett um den Mund und reibt sich wohlig mit der flachen Hand den Bauch.

„So! Das war schon mal richtig gut für den Anfang. Ich habe dahinten einen kleinen Backstand mit Süßigkeiten und Kuchen gesehen. Komm wir holen uns noch ein bisschen zum Naschen für die lange Busfahrt.“

Mit meiner Schale in der Hand und vollem Mund nicke ich ihm nur zu und versuche beim Laufen bloß nichts zu verschütten. Als wir beim Bäcker ankommen, habe auch ich meine Schale leer und versuche gerade mit den Fingern die letzten Reste der Tomatensoße aus dem unteren Rand zu wischen. Immer noch den Geschmack im Mund suche ich nach einem Mülleimer. Mein Blick wandert über den Rand des Wochenmarktes und ich sehe einen jungen Mann, der seine leere Cola Dose einfach beim Gehen fallen lässt. Das kann ich irgendwie nicht. Ich bin für Umweltschutz und WWF. Ich bewundere die Arbeit der Sea Shepherd Conservation Society, der PETA und anderen Organisationen und jetzt soll ich hier meinen Müll einfach so auf den Boden werfen. Das Müllvermeidung und Sauberkeit hier nicht an oberster Stelle stehen, ist mir schon aufgefallen, aber da muss ich mich nicht einreihen.  Ein junger Mann am Nachbarstand mit Küchenutensilien aus rosa und babyblauen Plastik scheint mein Dilemma zu erkennen. Er kommt freundlich zu mir und spricht mich an. Ich verstehe nicht ein Wort, lächle daher nur freundlich zurück und schaue ihn weiter an. Mit den Augen deutet er auf die leere Schale in meiner Hand und streckt langsam seine Hand aus. Da endlich macht es bei mir Klick und ich gebe ihm meinen Müll. Er geht mit der Schale und meinem Löffel in den Händen zwischen den beiden Ständen durch und kommt nach wenigen Sekunden ohne die Sachen wieder.  Nils, der rechts neben mir steht, bricht in lautes Gelächter aus. Ich verstehe nur Bahnhof und Nils ist nicht in der Lage mir die Komik zu erklären. Wir fallen hier zwischen den Einheimischen mit der schönen olivfarbenen Haut eh schon auf, aber jetzt schauen uns wirklich alle an. Einige blicken nach kurzer Zeit wieder weg, einige Blicke sind länger und argwöhnischer. Nach einer gefühlten Ewigkeit beruhigt mein Freund soweit, dass er versucht mit mir zu sprechen.

„Deine Schale… . gluckst er und stemmt die Hände auf die Knie.

„Was ist mit meiner Schale?“ Langsam werde ich doch etwas unwirsch und es nervt mich, dass ich nicht weiß worüber Nils sich so schlapp lacht. Er zieht mich am Oberarm zu sich rüber. Ich stehe jetzt direkt vor dem Stand mit den Backwaren. Ich schaue mir alles gut an, kann aber nichts Komisches entdecken. Da zeigt Nils mit der rechten Hand hinter den Stand. Ich fasse es nicht. Hinter den Verkaufsbuden läuft ein richtiger Graben, aber statt mit Wasser ist dieser bis zum Anschlag mit Müll aller Art gefüllt. Und oben drauf liegen nun auch noch meine Schale, der Plastik-Löffel und mein als Serviette genutztes aus Deutschland importiertes Tempo. Ungläubig starre ich auf den glänzenden Fluss aus bunten Getränkedosen, zerrissenen Plastiktüten und alten Verpackungen. Von links ruft mir mein persönlicher Müllabnehmer etwas zu. Als ich zu ihm schaue, lächelt er mich freundlich an und zeigt mit der offenen Hand zum Müll. Halb lachend, halb stöhnend nehme ich Nils Einkäufe entgegen und binde sie an meinen Koffer. Dabei fällt mein Blick auf die Uhr.

„Nils, wir müssen los. In einer Minute fährt der Bus ab“ panisch laufe ich mit meinem großen Koffer los. Der Koffer zuckelt von Schlagloch zu Schlagloch und ich kriege ihn andauernd  in den Hacken. Nils ist unterdessen entspannt und meint nur, dass sie sowieso nicht pünktlich fahren. Weit gefehlt. Ein Glück, dass wir vorher schon ausgekundschaftet haben, wo wir hin müssen.

Gut gesättigt und ziemlich knapp erreichen wir den Bus gerade noch rechtzeitig. Der Fahrer schmeißt unsere Koffer in die Luke und verschließt diese mit einem Kabelbinder. Auf Spanisch gibt uns der Fahrer zu verstehen, dass die Klappe kaputt ist und er bei der letzten Fahrt das ganze Gepäck verloren hat. Er erzählt das ohne schlechtes Gewissen oder Ärger. Einfach so, als ob er sagt „Heute scheint die Sonne“. Zwei Minuten  später sitzen wir in einer- vorsichtig ausgedrückt- „Klapperkiste“ mit mindestens 22 Lackschichten, zerschlissenen, schmutzstierenden Sitzen und einem Busfahrer, dessen Augen so rot sind, als würde er schon seit 24 Stunden durchfahren.

Später erfahren wir, es ist auch so.

Genüsslich lassen wir uns in den Sitz fallen und strecken die Beine soweit es geht aus. Mein Kopf sinkt gegen die schmutzige Scheibe und die Kühle tut mir gut. Wir ruckeln vor uns hin und die Geräusche der andern Gäste, das Brummen des Motors und das Klappern des Buses verschmelzen zu einem Hintergrundgeräusch. Langsam drifte ich immer weiter ab und kurz bevor ich ganz weg nicke, raschelt und ruckt es neben mir.

„Nils, hör auf. Ich will schlafen.“ Es knackt und knuspert und der Geruch von Frittierfett steigt mir in die Nase.

„Entschuldige Schatz. Ich wollte dich nicht wecken.“ Und schon beißt er wieder von seinen Essen ab. Auf einem langen, dünnen Holzstab sind kleine im Teig frittierte Stückchen gespießt. Niels reißt mit den Zähnen regelrecht an dem Ding rum.

„Mann, ist das lecker.“ In Nils Mund knistert und knackt es. Es klingt ein bisschen nach knackigem Popcorn.

„Willst du auch mal. Es ist richtig gut. Es nennt sich frito barata oder so ähnlich.“

Dankend lehne ich immer noch gut gesättigt ab. Auf die Frage, was das denn sei, kann Nils mir keine Antwort geben und zuckt nur mit den staubigen Schultern. Ist ihm wahrscheinlich auch egal, solange es schmeckt. Irgendwoher kommt mir das bekannt vor. Eine kleine Stimme in mir sagt, dass ich das nicht essen möchte. Wie weise, wie weise.  Mein kleines, schlaues Büchlein hat es dann schwarz auf weiß- frittierte Kakerlaken!

Ich sage es Nils- seine trockene Reaktion: „Hab ich mir schon gedacht.“

 

 

 

Tag 1

 

Viva, nun komm endlich!” ruft Nils schon ziemlich genervt.

“Ich komm ja schon. Umso mehr du mich hetzt, umso länger dauert das. Du willst doch auch dass ich gut aussehe.”

“ Schatz, wir fahren in den Dschungel. Wer sollte dich da schon sehen. Den Affen wird’s egal sein und ich finde dich immer zu anbeißen.” Nils Mundwinkel ziehen sich zu einem teils genervten, teils amüsierten Lächeln nach oben. Mit gekreuzten Armen steht er in der Zimmertür und hält mir demonstrativ meinen vollbepackten Wanderrucksack hin. Nils stehen die Outdoor- Klamotten wirklich gut. Mit seinem Drei-Tage-Bart, dem Messer an die Seite geschnallt und dem army- grünen Hut wollen mir gerade noch ein paar Gründe einfallen, warum wir beiden zu spät zum Rest kommen sollten. Ich werfe Nils einen auffordernden Blick. Es dauert einen Moment bis er begreift. Er lässt meinen Rucksack gen Boden sinken, kommt langsam zu mir und bringt seinen Mund ganz dicht an mein linkes Ohr. Ich kann seinen warmen Atem auf der Haut spüren und mich überkommt ein Kribbeln im Bauch. Zärtlich streicht er mit der Zunge von meinem Schlüsselbein aufwärts bis hinter mein Ohr. Er beißt leicht in mein Ohrläppchen und flüstert mir dann mit leiser, rauer Stimme zu.

„Wenn du dich jetzt ganz artig beeilst, werde ich das Outfit zu Hause so oft anziehen wie du willst. Oder ich ziehe nichts als das Messer und den Hut an. Ganz wie du willst. Aber jetzt müssen wir los.“

Er beißt mir ein letztes Mal ins Ohr, dieses Mal ein bisschen stärker und geht dann zurück zur Tür. Ich schlage die Augen auf und brauche einen Moment um wieder in die Gänge zu kommen.

„So oft ich will? Und den Bart lässt du auch stehen?“ versuche ich noch zu verhandeln.

„So oft du willst und das mit dem Bart, schauen wir mal.“ Nils lächelt mich an und zeigt dann auf die Uhr. Schnell mache ich mich jetzt fertig, Haare zusammen, Stiefel an, Uhr um und los.

“Ich bin fertig.” verkünde ich stolz und lege das Parfum weg.

“Dann lass uns endlich los bevor der Dschungel schließt”

Ha ! Ha ! Denk ich- wie witzig…

Eilig werfe ich mir meinen Trekkingrucksack über und ziehe den Koffer hinter mir her. Habe ich alles? Meine Sachen im Rucksack müssen für die nächsten sechs Tage reichen. Unsere Koffer sehen wir erst im Dorf der Ureinwohner wieder. Ich fühle mich wie Albert Schweitzer, sehe aber vermutlich mehr nach biologisch abbaubar aus in meinen farbneutralen Sachen.

Draußen wartet Nils und unterhält sich mit unserem Führer.

“ Ist die  Gruppe vollständig? Sind alle da? Mein Name ist Manolinos Raoul Santiago de Perez. Für alle kurz Manolo. Vor uns steht ein mexikanisch anmutender Mann um die dreißig. Seine schwarz-glänzenden Haare sind halb lang und nach hinten gekämmt. Unter langen Wimpern stechen smaragd- grüne Augen hervor und es ist schwierig ihm lange in die Augen zu schauen. Seine braune Haut passt gut zu der khaki-farbenden Kleidung und trägt am rechten Bein einen braunen Ledergurt mit einer Machete in der Scheide. Ich werde Euer Dschungel-Führer für die nächsten drei Wochen sein. Wir werden in den nächsten Stunden die erste Etappe durch den Wald schaffen. Für heute ist die Route noch nicht zu weit damit sich Eure Füße an den ungewohnten Fußmarsch gewöhnen können. Ich hoffe jeder von euch hat sein Handbuch vorher durchgelesen und die Tipps beherzigt, wie z.B. die Schuhe vorher einzulaufen und kein Parfum aufzulegen.”

Na ganz klasse denke ich- das kann nur mir passieren. Nils Blick von der Seite sagte das gleiche. Na wenigstens sind wir uns da einig.

“Ähhmm… Manolo ? Was passiert denn, wenn man Parfum benutzt?

“ Sehr unterschiedlich. Die Duftstoffe können die Tiere entweder anlocken oder aber auch sehr aggressiv machen. Was aber in beiden Fällen nicht unbedingt zu unserem Vorteil wäre. Habt Ihr noch weitere Fragen?”

“ Ja eine. Kann ich noch mal kurz verschwinden?”

“ Okay . Beeil Dich.”

Ich schmeiße  meinen  Rucksack auf den Boden. Mit gesenkten, hochroten Kopf und einer dezenten Parfum Note hinter mir herziehend verschwinde ich Richtung Hotel.

Die Dame an der Lobby grinst nur breit als hätte sie diese Situation schon öfter gehabt- und wahrscheinlich hatte sie diese Situation auch schon öfter.  Im Hotel WC angekommen, lass ich heißes Wasser ins Becken laufen. Eilig ziehe ich mich um und wasche mir den Hals.

Bei 45° Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 90 %  begreife ich, warum die anderen Teilnehmerinnen keine Schminke auflegen. Ich sehe nach 5 Minuten hetzen schlimmer um den Augen aus als nach einer durchfeierten Nacht. Also kommt das auch noch weg.

Völlig ungeschminkt und schnell gewaschen bleibt nicht mehr viel von meiner Albert Schweizer Euphorie übrig.

Unten angekommen merke ich genervte Blicke von allen Seiten und fragte mich, ob es für Peinlichkeiten und die Kunst in Fettnäpfe zu treten eigentlich ein eigenes Gen gibt…

“ Na Prinzessin, fertig?” Nils  steht neben mir und hält mir den Rucksack hin.

“ Ist ja schon gut. Wenn du das gewusst hast, warum hast du denn nichts gesagt?”

“ Habe ich doch und außerdem habe ich dich gestern gefragt, ob du das Handbuch gelesen hast. Du hast ja gesagt.“

“ Aber das war so langweilig, da habe ich es weggelegt und ne Zeitschrift gelesen.”

Nils rollte nur mit den Augen und zieht mich mit.

Nach ungefähr zwei Stunden (gefühlten sechs) legen wir eine Pause an einer kleinen Hütte ein. Vielmehr ist es ein Bambusgestell mit Schilf als Seiten und riesigen Blättern als Dach.  Manolo brachte jedem eine Machete und legte sie vor uns hin. Jetzt begann die Sache doch noch Spaß zu machen.  Leider waren wohl nicht alle Teilnehmer nicht so begeistert wie ich.

“ Non, non Je ne prends aucune arme!!!Die Französin schimpft irgendetwas in ihrer Landessprache, was mich vermuten lässt, dass sie keine Messer mag. Manolo versucht behutsam auf sie einzureden und tätschelt ihr dabei die zierliche Hand. Das scheint sie etwas zu beruhigen und ich hege den leisen Verdacht, dass die beiden  noch eher die drei Wochen rum sind in der Kiste landen. Warum auch nicht. Jeder hat andere Vorstellungen von Urlaub.

Als die Französin in die Runde schaut, muss sie feststellen dass alle Augen auf sie und Manolo gerichtet sind. Schnell zieht sie Ihren Arm weg und tut so als ob sie etwas in ihrem Rucksack sucht.

Jeder von uns hat jetzt eine Machete mit einer ca. 60cm langen und 10cm breiten Klinge in der Hand. Ich male mir schon gedanklich aus wie wir uns gegen wilde Tiere verteidigen (alles, nur keine Spinnen!),  Baumhäuser bauen und uns Streifen ins Gesicht malen. Ich sehe wie wir entführt werden und ich uns rette in einem sexy Outfit, fit wie eine Gazelle und gertenschlank. Ha ! Von wegen Albert Schweitzer- ich bin Crocodile Dundee! Nur gutaussehend. Tja, zurück in der Wirklichkeit bin ich beige und ungeschminkt. Soviel dazu.

“Alle mal bitte herhören.” Manolo steht in der Mitte und hat eines der riesigen Messer in der Hand.

“Ich möchte euch jetzt ein paar wichtige Dinge zu den Macheten erklären. Wenn ihr sie beim Gehen in der Hand habt, zeigt die Spitze immer zum Boden und ihr haltet sie links oder rechts neben dem Körper. Wenn ihr euch z.B. eine Schneise in das Unterholz schlagen wollt, bitte unbedingt darauf achten, dass niemand zu nahe bei euch steht. Wir können uns keine Unfälle erlauben.  Das nächste Krankenhaus ist von hier schon 100km entfernt und wir sind noch nicht mal richtig im Dschungel.” Manolo schaut alle noch mal eingehend an.

“Haben das alle verstanden?”

Vereinzelndes Ja- Gemurmel ist zu vernehmen und Manolo schließt mit einem Kopfnicken seinen Vortrag ab.

“Okay, dann erzähl ich euch jetzt, wie der restliche Tag geplant ist. Heute werden wir tief in den Urwald vordringen. Am Lagerplatz angekommen werden wir zuerst unsere Zelte aufbauen, damit wir trocken durch die Nacht kommen. Danach werde ich euch in mehrere Gruppen einteilen. Eine Gruppe wird trockenes Holz sammeln, eine zweite Gruppe wird mit mir Kräuter, Wurzeln und Insekten sammeln. Schließlich müssen wir nach diesem langen Marsch auch etwas essen.

Na wunderbar, dachte ich. Der Gedanke mich von Krabbeltieren ernähren zu müssen, kam mir natürlich vorher gar nicht. Beim Blick in die Runde stellte ich aber zu meiner Beruhigung fest, dass anderen der Gedanke auch neu ist.

“Sag mal, Nils? Hatten wir nicht mit Vollpension gebucht?”

“Kriegen wir doch.” Nils grinste mich von Ohr zu Ohr an und schien sich sehr über meine neue Erkenntnis zu freuen.

“Aha. Wenigstens halte ich so meine Diät.”

“So! Und jetzt Señores y Senoritas müssen wir uns aber beeilen. Sonst schaffen wir unsere Strecke heute nicht mehr.

Langsam setzt sich unsere Truppe wieder in Gang. Manolo geht als Erster, danach kommen die Französin, ein schwules Paar aus Köln, zwei Sportfraeks aus Hamburg, dann Nils und ich.

Wir gehen an riesigen gewundenen Bäumen vorbei, von denen sich grüne Lianen bis zum Boden schlängeln. Zwischen den  Hölzern stehen gigantische Farne. Überall wachsen Blumen in den schillerndsten Farben. Sie leuchten grellpink, Lila, gelb, feuerrot und so strahlend, dass man gar nicht weiß, wo man den Blick zuerst hinwenden  soll. Es ist unglaublich. Zwischen den Pflanzen kann man auch kleinere Tiere, wie Geckos und Affen sehen. Dagegen sieht unser schönes Land selbst im Sommer grau und farblos aus.

Die nächsten drei Stunden bin ich fast nur damit beschäftigt   Flora und Fauna zu bestaunen. Kurz vor Ende unseres Marsches kommt Manolo zu mir. Wir unterhalten uns eine Weile über seine Herkunft und die Geschichte Brasiliens.

Manolo kommt aus einem kleinen Dorf mitten im Amazonasgebiet. Er hat zwei Brüder und eine kleine Schwester. Wie alle in seinem Dorf wohnen sie in Hütten auf Stelzen wegen der regelmäßigen Überschwemmungen. Manolos Vater ist Schlangenjäger und seine Mutter unterrichtet die Kinder des Dorfes. In seinem Heimatort ist Manolos Familie fast schon reich. Bei unserem Gespräch muss ich feststellen, dass die Französin allen Grund hat sich unseren Anführer zu angeln, immerhin sieht er richtig gut aus in diesen grauen Tank Top, den muskulösen Oberarmen und dem Pierce Brosnan- Lächeln. Keine schlechte Wahl.

“Hey. Ich bin auch noch da!” Nils stößt mich von der Seite an und schaut etwas irritiert drein.

“Was denn?” versuche ich zu kontern.

“Du würdest es doch auch nicht toll finden wenn ich mir die Französin zu lange anschaue.” beleidigt schaut Nils mich an.

“Ja, aber wenn du dir das Mädchen anschaust, denkst du bei französisch nicht an Vokabeln….”

Mit hochgezogenen Augen blicke ich meine bessere Hälfte und fange an zu grinsen.

Nils gibt mir als Antwort einen dicken Kuss auf den Mund und nimmt meinen Rucksack ab.

Wir sind auf einer Lichtung neben einer Stromschnelle. Ziemlich laut und irgendwie sieht das Wasser braun aus. Ich glaube nicht, dass wir darin baden gehen sollten.

Unser Zelt haben wir- also eher Nils-  in kürzester Zeit aufgebaut und ich bin echt beeindruckt von meinem Freund.

“Viva, Nils, da ihr schon fertig seid, könnt ihr bitte schon ein Loch ausheben. Aber bitte ca. 30m vom Lager entfernt.” Manolo steht vor uns und zeigt auf die Macheten.

Zweifelnd sehe ich ihn an.

“Wozu?” Warum soll ich mitten im Urwald ein Loch graben?

“Na, weil sie kein Dixi hier hin stellen können.” kommt es prompt von einem der Teilnehmer.

“Hi, ich bin übrigens Mark und das ist Dennis.” dabei zeigt er auf den Mann hinter sich, der hilflos die Heringe in der Hand hält.

“ Och nööö… Käfer essen und dann noch nicht mal eine Toilette haben, in die ich mich übergeben kann? Das ist echt fies.”

“Darf ich meine charmante und überaus zurückhaltende Freundin vorstellen? Viva-Maria Kraus, auch Prima Donna genannt.” Nils machte eine elegante Verbeugung und zeigte mit einer ausholenden Armbewegung auf mich.

“Mach dir nichts draus. Ich hab auch keinen Bock auf diesen Marathon.” Der große blonde Kerl namens Dennis kommt auf uns zu und drückte jedem die Hand.

Keine Toiletten in Sicht, ein Abendessen aus Käfern und Maden aber wir bewahren die Höflichkeiten der Etikette- wenn das nicht schräg ist.

Wir unterhalten uns eine ganze Weile über das Leben außerhalb des Dschungels und warum man so eine anstrengende Reise bucht.  Nachdem wir es uns schon so gemütlich wie möglich gemacht haben, kommt Manolo an und fragt uns, ob wir Hunger haben.

Wie aus einem Mund schmetterten wir ihm ein kräftiges “Ja” entgegen.

“Ok. Dann mal los. Ich habe gedacht, ich schone euch heute noch etwas und habe Proviant mitgebracht. Anou würdest Du mir bitte den Rucksack geben?”

Anou geht zum Rand des Lagers und greift gerade nach der Tasche, als ihr ein lauter Schrei entweicht.

“ Da… da… da… da schauen Augen aus dem Gebüsch!”

“Meine Güte.” denk ich…. “Die will aber früh gerettet werden. Und dann noch so plump. Die hätte doch wenigstens warten können, bis sie mit Manolo allein ist.”

“Anou, Anou! Beruhige Dich.”

 Beschützend nimmt Manolo die angeblich verstörte Französin in die Arme.

Kaum zu glauben- wir fliegen zum Mond, bauen Wolkenkratzer, aber da werden Männer seit 50.000 Jahren nicht schlauer.

Anou drängt sich an seine Brust und spielt so tragisch, dass man schon wieder grinsen muß.

Das denken wohl auch Mark und Dennis.

Dennis stößt mich an und flüstert mir leise ins Ohr.

“Ohhh. Die Ärmste… na Gott sei Dank ist der große Retter da, um sie festzuhalten. Ich vermute mal, dass die beiden heute Nacht nur einen Schlafsack brauchen.”

“Dennis, hör auf zu lästern. Vielleicht ist da ja wirklich was.”

“ Na klar… “ Dennis versucht sich ein schmutziges Grinsen zu verkneifen- was ihm aber deutlich misslingt.

Ich muss sagen, mir wird Denis immer sympathischer. Wenigstens einer der das Ganze hier auch nicht richtig ernst nehmen kann.

“Viva… ! Viva, hör auf zu träumen.”

“Ähhmm, Tschuldigung. Bitte was? Ich war in Gedanken.”

Manolo guckt mich nachsichtig an- zu nachsichtig für meinen Geschmack. Was denn jetzt schon wieder. Habe ich schon wieder ein Fettnäpfchen mitgenommen?

“Ich habe gefragt, ob du mit Frank und Mark Holz sammeln gehen kannst? Anou ist immer noch zu ängstlich um sich vom Lager wegzutrauen.”

“Aber natürlich- Anou soll sich ruhig etwas entspannen- schließlich hat sie morgen einen weiten Marsch durch den Dschungel vor sich- Upps- wir ja auch…”

“Danke, dass ist lieb von dir.” kommt es aufrichtig von Manolo und ich komme mir mit meinem Sarkasmus ziemlich schäbig vor. Gedanklich versuche ich mich mit der Idee anzufreunden, dass Anou vielleicht ja doch ganz nett ist. Kann doch sein- vielleicht gibt es auf diesem Planeten Französinnen, welchen man nicht den Mund zukleben will. Der Gedanke ist unreif. Das weiß ich. Aber jedes Mal wenn irgendwo eine Französin den Mund aufmacht und etwas sagt, sogar wenn es etwas Ekeliges ist, wie z.B. Ich habe mich seit drei Wochen nicht geduscht, stehen die Männer in Reih und Glied (Ihr wisst schon wie ich das meine) und fabrizieren alles Erdenkliche um als strahlender Ritter da zu stehen. Meine Güte, da kann man doch keine Sympathien entwickeln. Meine Gedanken schweifen ab, ich konzentriere mich darauf Anou nett, nett, nett und nett zu finden. Man muß die Wörter nur lange genug wiederholen.

Ich dackele zu Frank und Mark die mit den Macheten in der Hand schon auf mich warten.

“Na dann wollen wir mal.” Kommt es von Frank, der zielstrebig die Lianen beiseite schiebt, und vorwärts schreitet.

Zwanzig Minuten und Millionen von angreifenden Spinnen später gelangen wir das dritte Mal am Lager an. Die Arme voller Brennholz, die Haare voller Grünzeug und die Beine voller Kratzer beschließen Mark und ich das wir jetzt genug Holz geholt haben. Uns gegenseitig bedauernd werfen wir die Zweige und Äste auf den Haufen und begutachten erst einmal unsere schwersten Verletzungen. Was ist wenn da eine giftige Pflanze bei war? Oder ein Gewächs mit halluzinogenen Inhaltsstoffen ? Hat sich da schon mal einer Gedanken zu gemacht? Ich sehe schon die Schlagzeile in der Bild: „Verwirrte Frau schwingt sich im pinken Bikini von Baum zu Baum und sucht  Tarzan.“ Das hätte doch mal was.

Ich habe extra eine kratzfeste lange Unterhose an.” Holt Frank mich mit besserwisserischer Stimme zurück in die Gegenwart.

Wo gibt es so etwas und wie kommt auf den Gedanken sich so etwas zu kaufen? Denke ich mir “ Danke für die Info. Gibt es noch etwas was du uns mitteilen möchtest? Die Farbe deiner Boxershorts, oder so ? Mark schaut ihn genervt an und ich habe das Gefühl, daß das mit dem Verteilen der Macheten eine richtig tolle Idee war… Warum trifft man denn selbst im Dschungel Streber? Wie geht das denn? Oder habe nur immer ich das Glück 12.000 Kilometer von zu Hause entfernt auf diese Leute zu treffen, die man daheim schon nicht leiden kann.

Mitleidhaschend gehe ich zurück zu Nils und setze dabei eine leidende Miene auf“ Guck mal Schatz, alles zerkratzt. Mit großen Augen und Schnute  zeige ich auf meine Beine.“Aber anstatt das gewünschte Mitleid, bekomme ich nur ein: „ Ohhh Viva, hättest Dich ja wenigstens anstrengen können. Das ist aber kein schönes Muster geworden. Ab zurück in den Wald. Das versuchen wir gleich nochmal an den Armen.“ Nils zieht mich mit einem strahlenden Lächeln zu sich auf den Baumstamm.

„Setz Dich hin, ich mach Dir etwas Creme drauf und dann hört das Jucken auch auf. Wir werden in drei Tagen übrigens auf ein Dorf mit Ureinwohner treffen, hat Manolo mir vorhin beim Vorbereiten des Abendessens erzählt.  Klingt total spannend. Die leben noch in Lehmhäusern und machen sich ihre Kleidung aus Baumfasern selbst. “

Das machte mich jetzt aber ziemlich neugierig. Gedanklich sehe ich schon große, starke Krieger  mit muskulösen Armen, breiter Brust und leicht bekleidet… Mich in Ihrer Mitte anbetend als Ihre Königin. Behängt mit Schmuck und fremd anmutenden Hennasymbolen auf der Haut.

Hätte ich da schon gewußt, was auf uns zukommt, wäre ich bestimmt nicht so entspannt gewesen.

 

Nachdem Nils meine Wunden versorgt hat gesellen wir uns zu den anderen. Am Feuer sitzend ist der Abend noch ziemlich lustig. Laura mit ihren kurzen blonden Haaren sitzt neben mir und erzählt von ihren letzten Urlaubstrips mit Frank und daß sie sich auf so einem Trip kennengelernt haben. „ Im zweiten Lager des Himalayas war es. Es waren vierzig Grad Minus und der Sturm der vergangenen Nacht hatte mein Zelt zerstört. Also hieß es für mich, entweder ich finde jemanden, der sich vier lange Wochen sein Zelt mit mir teilt oder ich muß mit dem nächstem Trupp umkehren. Also ging ich von Zelttür zu Zelttür und hoffte, daß jemand ja sagt. Als ich dann am letzten Zelt ankam und meine Hoffnung eigentlich schon im Schnee lag, machte mir Frank auf. Ich erklärte ihm mein Dilemma und er willigte ein mein WG- Partner zu werden. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden und waren auch als Team am Berg ziemlich gut. Als die vier Wochen dann rum waren haben wir beschlossen es auch im Alltag als Team zu versuchen und das ist jetzt schon sechs Jahre her und diese Tour hier ist unserer Hochzeitsreise. Laura lächelt ihren Mann an und beide sehen unglaublich glücklich dabei aus. Alle geben ein leises „ …wie schön“ oder „…wie romantisch“ von sich und für kurze Zeit hört man nur die Geräusche des Dschungels und das Knistern des Holzes im Feuer.

„ So, Schluß für heute, morgen wird es deutlich anstrengender und ihr werdet euren Schlaf brauchen. Alle stehen langsam auf und ziehen sich zu ihrer ersten Nacht in dieser fremden Welt in ihre Zelte zurück. Ich lege mich in meinen Schlafsack und schlafe vor Anstrengung sofort ein.

 

Nils steckt den Kopf durch den Insektenschutz des Zeltes und lächelt mich an.

Mit ihm kommt der würzig, kräftige Duft von frisch gebrühtem Kaffee

“Guten Morgen, Schatz. Aufstehen. Wir müssen uns beeilen. Die anderen sind schon beim Einpacken. “

“Nur noch fünf Minuten.“ Versuche ich in meinem Schlafsack zu verhandeln. “Das ist doch noch total früh, außerdem ist doch Urlaub.”

“ Nun komm schon. Lass uns nicht schon wieder letzter sein.”

Ich gebe nach und stehe auf.  Draußen herrscht schon reges Treiben und die anderen sind schon dabei die Zelte abzubauen. Schnell mache ich mich fertig - Zähneputzen, Haare kämmen. Schminken fällt jawohl aus… 

“Eines muß man dir lassen. So schnell warst du morgens noch nie. “Nils grinst mich an und drückt mir einen Kuß auf die Stirn.

Da hat er Recht.

Gutgelaunt und neugierig auf den Tag packe ich meine Sachen zusammen.  Das Frühstück geht schnell, da alle aufgeregt sind und keine zwanzig Minuten später steigen wir schon wieder über Stock und Stein. Links und rechts von uns begleiten uns Geräusche und ich glaube auch andere Tiere. Mir tun nach ca. 2 Stunden die Füße weh, aber ich weigere mich das zu zeigen und beiße mir auf die Zähne.

Den Tag verbringen wir mit wandern und hören zwischendurch immer wieder Manolos kurzen Vorträgen über einzelne Tiere oder besondere Pflanzen zu.

 

 

Seeleebuudadega! Eejj! Seeleebuudadega! Eejj! Seeleebuuda-dega! Eejj! „ Manolo, was heißt das und Was ist das?“ fragt Laura Manolo mit hochgezogenen Augenbrauen und Skepsis in der Stimme. „Ehrlich gesagt bin ich mir nicht ganz sicher. Vom Dorf sind wir noch zu weit weg und sonst gibt es hier keine Ureinwohner mehr“ Wir quetschen uns durch das letzte Stück Dickicht und vor uns erstreckt sich ein großer runder Platz in der Größe eines Fußballfeldes. Überall stehen runde Hütten mit Blättern als Dach und Holzstämmen als Wänden. Das Dorf sieht sehr ordentlich und strukturiert aus. Uns kommen ein paar Hunde und gleich dahinter ein paar lachende Kinder in Röcken aus Baumblättern entgegen. Die Kinder scheinen keinerlei Berührungsängste zu haben. Sie schauen sich unsere Kleidung genau an und führen uns an den Händen tiefer in das Dorf. Ich glaube, ich bin noch nie so schnell, so herzlich und so offen bei Fremden aufgenommen worden. Beim Blick in die Runde, erkenne ich bei den anderen den gleichen Gesichtsausdruck, den auch ich haben muß. Selbst Manolo scheint überrascht zu sein und läuft irritiert schweigend mit den zahlreichen, lachenden und schwatzenden Kindern mit.

Vom König des Dorfes werden wir mit großem Trara empfangen und wir stehen alle etwas eingeschüchtert von so viel Aufmerksamkeit da. Frank starrt mit offenen Mund die halbnackten Frauen an, was Laura gar nicht lustig findet, Mark fingert an seinem Machetengriff rum und Nils raunt mir leise ins Ohr.“ Siehst ´de, die sind auch nicht geschminkt“ Da hat er recht. Das liegt aber einzig und allein daran, daß kein Platz mehr auf der Haut ist. Die Frauen sind vom Scheitel bis zur Sohle tätowiert. Der ganze Körper ist überzogen mit kreis- und rautenförmigen Verzierungen. Unterbrochen wir das Muster nur durch die kurzen Röcke aus Fasern und den vielen Ketten aus Knochen und bunten Perlen. Die dicken Haare der Frauen sind mit einem roten Lehm beschmiert. Auf dem Kopf tragen sie Gestecke mit Palmenblättern, getrockneten Früchten und bei einer Frau kann ich eine ausgedörrte Echse über dem linken Ohr erkennen.  Die Männer haben da eine „dezentere“ Form der Tattoos gewählt. Zwar haben auch sie den kompletten Körper mit schwarzen Mustern geschmückt, aber sehr einheitlich und einfach gehalten. Sie wirken mit den langen Streifen auf der Haut ein wenig wie Zebras. Bei den jungen, drahtigen Männern sind die Streifen noch gleichmäßig schmal und sehen sehr akkurat und attraktiv aus. Bei den älteren Männern sieht man an den Bäuchen, daß sich das Muster dort nicht mehr so einheitlich auf dem Körper verteilt. So wie wir sie anstarren und dieses fremde, ungewohnte Erscheinungsbild auf uns wirken lassen, werden auch wir angestarrt. Wir, als fremdes Objekt mit beiger Uniform und Strohhüten und Basecaps. So bunt und abwechslungsreich die Einwohner dieses Dorfes gestaltet sind, so farblos und komisch müssen wir in ihren Augen aussehen. „Alla seta galla ahm“ dröhnt eine kräftige, aber nicht unfreundliche Stimme zu uns. Sie kommt von einem Mann mit Buddha ähnlichen Ausmaßen. Die schwarzen Streifen sind nicht mal mehr annähernd gleichmäßig auf der Haut verteilt. Um den dicken Hals, Armen und Knöcheln hat er Ketten aus Holzperlen und hellen Zähnen baumeln. Bei jeder Bewegung gibt er ein Rasseln und Klappern von sich. Anschleichen kann der sich schon mal nicht. Unter seinem gewaltigen Bauch versucht ein kurzes Röckchen aus Pflanzenfasern seinen privaten Bereich zu verstecken. So wirklich gelingen tut das nicht. „Leise höre ich Laura zu Manolo tuscheln. „Was heißt das?“ Manolo versucht ihr so leise und unauffällig wie möglich zu antworten: „Das heißt Fremde oder Ungläubige seid willkommen in unserem Dorf.“

Neben mir steht ein kleines Mädchen mit tiefschwarzen, glänzenden Augen von vielleicht fünf Jahren. In ihren kurzgeschnittenen Haaren sitzt eine kleine strahlend gelbe Blüte. Zu ihrer dunklen Haut, den schwarzen Haaren ist die Blume ein schöner Kontrast und sie sieht damit sehr hübsch aus. Sie sieht mich mit Ihren großen Augen an und ich würde ein Vermögen geben um ihre Gedanken lesen zu können. Ich bin mit meiner hellen Haut, den unzähligen Sommersprossen am ganzen Körper und den feuerroten Haaren ein Gegensatz, der größer nicht sein könnte. Trotzdem verliert sie vor mir schneller die Scheu als ich vor ihr. Mit schüchternem, zahnlückigem Lächeln nimmt sie meine Hand und tippt vorsichtig meine pinke Swatch an. Da diese sich auch nach dem zweiten Mal antippen nicht wehrt und nicht beißt, wird meine Hand jetzt in alle Richtungen gedreht um sie genauer in Augenschein  nehmen zu können.

Der Buddha spricht noch eine ganze Weile zu uns und dem Dorf. Er hebt die Arme in den Himmel, zeigt in den Wald und spricht dann in Richtung Dorfbewohner. Zwei Einheimische kommen auf ihn zu. Eine junge Frau mit leuchtenden Augen und atemberaubender Figur. An ihren Armen und Beinen klimpern mindestens genauso viele Ketten wie beim Häuptling. Zwischen ihren Brüsten liegt eine einzige Kette und betont ihren wohlgeformten Busen für meinen Geschmack etwas zu gut. „Ihre Augen sind weiter oben.“ Meine linke Augenbraue wandert Richtung Norden. Nils findet ihren Busen anscheinend auch wohlgeformt. „Wer sagt denn, daß ich ihr in die Augen schauen will?“ kommt es prompt zurück.

Man sieht förmlich, wie Nils sich auf die Zunge beißt. Ich muß lachen. „Nils, denken ist lautlos, sprechen ist das, was man hört.“ Nils Gesicht bedeckt ein halbverstecktes Grinsen. Direkt neben der jungen Frau kommt Adonis zu stehen. Wow! Der Typ ist der Hammer! Die Beine sind muskulös, lang und mit einfachen, aber ausdrucksstarken Mustern tätowiert. Die breite Brust wölbt sich über einem flachen Bauch aus Muskeln und Sehnen. Die Bizeps, Trizeps und wie die ganzen Zeps heißen sind gewölbt und geben Anreiz zu verschiedenen nicht jugendfreien Fantasien. Mein Blick wandert langsam an seinem Hals Richtung Gesicht. Das Gesicht ist schön geschnitten mit Kanten an den richtigen Stellen und glatter Haut. Der Häuptling ist dabei ihn in den Arm zu nehmen und etwas über ihn zu erzählen. „Manolo, was erzählt der Häuptling? Übersetz doch endlich.“ Laura schaut Manolo mit großen erwartungsvollen Augen an. „Sssccchhh! Später. Lasst ihn erst ausreden, sonst bekomm ich nicht alles mit.“ Laura rollt mit den Augen, dreht sich aber wieder Richtung Buddha und hört weiter zu. Nach einer gefühlten Ewigkeit beendet der Häuptling seinen Vortrag und strahlt in die Runde, als erwarte er Applaus. Marc scheint das gleiche zu denken. „Ähm. Sollen wir jetzt klatschen?“  Die anderen Einwohner nehmen uns die Entscheidung ab. Sie johlen, schlagen mit Stöckern aneinander und trommeln auf ihren Bäuchen rum. Wir machen, wenn auch etwas verhaltener, mit.  Der einzige, der etwas irritiert schaut, ist Manolo. Innerhalb weniger Sekunden ist dann alles vorbei. Die Dorfgemeinschaft löst sich auf und wir stehen mit offenen Mündern und ziemlich bedröbbelt mitten auf dem Platz. Umgeben von Hütten aus Palmen und Lehm, kleinen spielenden Kindern und Geräuschen wie aus einer anderen Welt schauen wir uns an. Von jetzt auf sofort nimmt uns keiner mehr wahr. Nach diesem Spektakel fühlt sich das eigenartig leer an. „Manolo, Du hast uns ganz schön überrascht. Uns die ganze Zeit glauben zu lassen, daß wir erst in drei Tagen ankommen würden. Ist die Show jetzt vorbei oder kommt später noch mehr. Au, war das klasse!“

Laura klatscht in die Hände und strahlt alle an.

Manolo legt ein unsicheres Lächeln auf. „Tjahhh, ich… ähm  ich wollte euch überraschen.“ „Nun sag schon, was hat er erzählt? Laura scheint vor Neugier zu platzen. „ Gebt mir noch einen Moment, um das alles im Kopf zu übersetzen.“ Dennis schaut skeptisch. „ Manolo, stimmt etwas nicht?“ „Doch, doch, alles okay. Nur brauche ich bei dieser Sprache etwas länger. Ich will so viel wie möglich wiedergeben können. Also, er heißt uns herzlich willkommen in seinem Dorf. Er sagt sein Reich ist so groß wie der Dschungel, seine Untertanen sind die mutigsten weit und breit und selbst die Tiere hören auf ihn.“  „Gesundes Ego, würde ich sagen.“ Nils verschränkt die Arme vor der Brust und setzt ein schiefes Grinsen auf.  „Und dafür hat er jetzt zehn Minuten geredet? Da muß doch noch mehr gewesen sein?“ „Ja, er hat seine Tochter Ana und seinen Sohn Tamas vorgestellt. Ana wird die zukünftige Königin des Dorfes. In diesem Teil des Dschungel wir die Thronfolge an den oder die Erst-Geborenen weitergegeben. Der Häuptling hat in den letzten Wochen sämtliche Götter angebetet, hat mit Schamanen die Knochen gelegt und Kundschafter ausgeschickt, um den neuen Gemahl der Königin zu finden.“

„Das klingt doch gar nicht schlecht. Aber gehört das alles mit zur Show?“ Nils begutachtet Manolo mit zusammen gekniffenen Augen.

„Genau da ist das Problem.“ Manolo fährt sich mit der linken Hand durch die Haare und lässt die Finger im Nacken ruhen.

Er macht die Augen einen langen Moment zu und atmet einmal tief durch. Seine Schultern sacken etwas runter, als würde eine Anspannung abfallen.

„Zuerst müsst ihr mir versprechen, daß ihr ruhig bleibt und euch nichts anmerken lasst. Das gilt für alle.“

Manolo wirft einen strengen Blick zu Anou. Die verschränkt allerdings nur die Arme vor der Brust und dreht den Kopf zur Seite.

Manolos Blick verharrt noch einen Moment auf ihr, dann beginnt er zu sprechen.

„Also der Häuptling glaubt, daß seine Gebete erhört worden sind. Er denkt, uns schicken die Götter um sein Volk zu retten und in die neue Generation zu führen.

„Das heißt ...?“ Dennis steht mit verschränkten Armen und gepressten Lippen neben mir.

„Er will einen der Männer an seine Tochter verheiraten.“ Manolo kaut auf seiner Unterlippe und schaut beschämt zu Boden.

Da wir so viele sind, glaubt er, die Götter meinen es besonders gut mit ihm und seiner Familie. Daher hat er beschlossen, dass auch sein Sohn gleich mit verheiratet werden soll. Er ist zwar etwas betrübt, warum die Götter ihm ausgerechnet weiße Kartoffeln schicken; das kommt nicht von mir.“ Manolo hält abwehrend die Hände hoch, als der Rest anfängt zu protestieren; aber er sagt, wenn der Himmel trocken bleibt, muß man jeden Tropfen Wasser behüten.“

„Was heißt das“ Mark starrt unseren Führer mit großen Augen an.

Manolo hebt die Schultern.

„ Ich glaube, bei euch gibt es ein ähnliches Sprichwort. Lieber den Spatz in der Hand, als das Huhn auf dem Dach“

„Fast, Manolo. Aber ich denke, wir wissen alle, was du meinst.“

Dennis dreht sich um und kickt einen kleinen Stein ins Gebüsch.

Die Stimmung ist betrübt und fassungslos.  Das hier ist keine Show, das hat nichts mit einem organisierten Ausflug zu tun. Am Ende gibt es keinen Applaus.

Viva sieht in Gedanken, wie sich die kompletten Dorfbewohner in einer langen Reihe aufstellen und für ihr Publikum verbeugen. Der Gedanke ist absurd, aber das was hier passiert auch.

„Was machen wir jetzt?“

Anou stellt die Frage zuerst, obwohl alle daran gedacht haben.

„Abwarten und überlegen.“ Kommt es von Nils.

 

 

 

Inzwischen sind drei Tage vergangen und jeder geht anders mit der Situation um. Frank und Laura streiten sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Nils ist viel allein unterwegs. Er schlendert im Dorf rum oder liegt in der Hängematte und beobachtet das treiben.

Mark und Dennis nehmen viel am Dorfleben teil und scheinen sich sogar wohl zu fühlen. Ich bin in den letzten Tagen viel mit ihnen zusammen gewesen. Sie finden das ganze genauso wie ich noch relativ unwirklich und daher steht unsere Neugier immer noch im Vordergrund.

Der Buddha war in der ganzen Zeit nur einmal bei uns im Haus. Manolo hat übersetzt, dass in einer Woche die Verlobung bekannt gegeben werden soll. Ich halte das trotzdem für einen Scherz.

Anou hat nach dem Besuch des Häuptlings angefangen zu weinen und Manolo hat sie einmal mehr getröstet. Sein Aufmuntern war wohl von Erfolg gekrönt, denn jetzt laufen die beiden den ganzen Tag Händchenhaltend durch die Gegend und sind auch sonst nicht mehr zu trennen. Auch Anou dürfte wenigstens dieser Teil der Reise gefallen.

Wir unterhalten uns in unserer Gruppe viel über andere Themen, kommen aber irgendwann unweigerlich wieder an dem Punkt an, ob sie es ernst meinen und falls ja, wer denn verheiratet wird.

Nach einem besonders blöden Streit zwischen Laura und Frank, hat sich Laura trotzig dazu bereit erklärt den Häuptlingssohn zu heiraten. Daraufhin hat Frank erklärt, dass er dann ja auch Ana heiraten könne.

Manolo ist aufgestanden und hat freudig und aufrichtig in die Runde gerufen, dass er sich freue und damit das Problem gelöst sei.

Frank und Laura sind darauf hin auf Manolo los und haben ihn beschimpft, dass es Schuld sei, dass sie überhaupt in der Lage seien und wenn schon jemand hier heiraten müsste, dann schließlich er.

Das hat dann auch die verschreckte Anou verstanden und ist dazwischen gegangen. Jetzt hat auch Anou angefangen zu schimpfen und hat einen riesigen Wortschwall an französischen Flüchen und Schimpfwörtern an Laura gerichtet. Das hat dann wiederum den Beschützer in Frank wachgerufen und er hat seine Frau verteidigt. Laura war so überrascht, dass sie mitten im Trubel Frank geküsst hat und mit ihm in ein stilles Plätzchen geflüchtet ist.

Morgen trifft sich die Dorfgemeinschaft wieder, um die Entscheidung des Häuptlings zu hören. Wir sitzen in unserer kleinen Hütte, um uns herum die friedlichen Geräusche der Nacht und in der Mitte ein kleines Feuer. Dennis und Mark unterhalten sich leise, aber gut gelaunt über eine Falle, die sie heute mit einigen Einheimischen des Dorfes gebaut haben. Frank und Laura bleiben bis in den frühen Morgen verschwunden. Manolo stiert teilnahmslos ins Feuer, während Anou einzelne Palmenblätter in dünne Streifen reißt, sie dann flechtet und wegwirft. In einer Bar würde sie bestimmt gerade das Etikett von einer Bierflasche abpulen. Nils und ich sitzen dicht beieinander und reden wenig. Wir schauen den anderen immer wieder verstohlen von der Seite an, dann wieder ins Feuer oder in die Dunkelheit.

Alle sind nervös, wen es trifft.

 

Das kleine hübsche Mädchen, heute mit einer blauen Blume im Haar, bringt uns in die Frauenhütte. Laura, Anou und ich folgen ihr irritiert und etwas ängstlich. Die Männer unterdessen werden mit viel Gebrüll und Stockgetrommel in die Männerhütte am anderen Ende des Dorfes gebracht. Als ich stehenbleibe und ihnen nachschaue, schnappt sich das kleine Mädchen meine Hand mit der Swatch und zieht mich aufgeregt weiter. Alle im Dorf strahlen und lächeln uns an. In der Hütte warten schon mehrere Frauen des Dorfes mit warmen Wasser, verschiedenen Essenzen und gemahlener Kohle. Wir werden ganz vorsichtig aus unseren Trekking- Sachen geschält, wobei die Reißverschlüsse und Druckknöpfe für Begeisterung sorgen. Nur in unserer Unterwäsche stehen wir da. Unsere Bekleidung liegt etwas von uns entfernt bei unseren klobigen Schuhen und irgendwie fühlt es sich nicht mehr ganz so fremd an ohne die Sachen. Eine junge Frau mit einem Kind auf dem Rücken taucht ein großes Stück Moos in das Wasser und wäscht mich damit, wie mit einem Schwamm. Es ist merkwürdig beruhigend trotz der absurden Situation. Nachdem Laura und ich sauber und trocken sind, setzen wir uns auf einen Baumstamm und warten darauf, dass Anou fertig wird. Sie schimpft und verschränkt die Arme. Eine Dorfalte tottert zurück und zeigt ihr den erhobenen Zeigefinger. Das Zeichen ist also international.

„Es gibt einige Gesten, dafür braucht man keine Sprachkenntnisse.“ Kommt es neben mir von Laura und ich muss grinsen.

Hinter uns treten zwei junge Frauen und fangen an unsere Haare mit einer großen Holzgabel zu kämmen. Bei meinen krausen roten Haaren sind sie schnell fertig, aber Lauras lange, seidig-glatte Haare sind etwas besonders und die Frau genießt es richtig ihre Finger durch die Haare zu ziehen. Unsere Haare werden mit dünnen Streifen von Blättern und kleinen Blüten zu vielen kleinen Zöpfen geflochten. Um unseren Hals kommen verschiedene Ketten aus Holz, Knochen und Blumen. Die Frauen überreichen uns mit Stolz und Freude diese Ketten und wir versuchen es zu würdigen. Über unsere Unterwäsche legen die Frauen Blätter von verschiedenen Pflanzen und knoten alles geschickt ineinander, so dass man nichts mehr von der Sportunterwäsche erkennt. Zum Schluss werden wir mit einer Masse aus Kohl und Wasser verziert. Auf unseren Körper kommen verschiedene Muster, Verzierungen und Ornamente. Laura bekommt eine große Spirale auf den Bauch gemalt, Anou etwas, was wie ein großes Herz aussieht auf ihr Dekolleté und ich bekomme auf die Außenseiten der Waden riesige, wundervoll gemalte Flügel. Nach einigen Minuten sind unsere Körper mit dünnen und dicken Linien, Punkten und Spiralen geschmückt. Die Männer kommen zu uns und ich sehe mir Nils an. „Wow, Du siehst ja großartig aus.“ Platz es aus mir heraus. Geschmückt mit großen Blättern und Bemalungen am ganzen Körper. Sie sehen genauso aus, wie die Stammesmänner, nur größer und mit hellerer Haut. Ich gehe auf Nils zu und bestaune seine Arme und seinen Körper. Langsam fahre ich mit den Fingerspitzen die einzelnen Linien auf seiner Haut lang. Durch die schwarze Bemalung wirken seine sonst eher wenig ausgereiften Muskeln plötzlich richtig sehnig und sehr männlich. Auch er bestaunt mich von allen Seiten und schaut dann beschämt weg.

„Was hast du? Was ist los? Gefalle ich dir nicht?“ Nils vermeidet es, mich anzuschauen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Derweil in Klink

 

„Jürgen, das Kind braucht mich!“ Annette steht mit dem Spüllappen in der Hand in der Küche und tropft den Boden voll. Zu ihren Füßen bildet sich bereits eine kleine Pfütze, doch sie bemerkt es nicht einmal.

„Bitte was?“ Jürgen steht mit gerunzelten Augenbrauen da und versucht im Gesicht seiner Frau zu erkunden, ob diese vielleicht einen Scherz macht. Aber nein, das kann nicht sein. Seine Frau hatte noch nie sonderlich viel Humor.

„Welches unserer Kinder und wann hat das Telefon geklingelt. Ich habe gar nichts gehört.“

Jürgen wirft instinktiv einen Blick zu der Hauptstation des schnurlosen Telefons.

„Ach sei nicht albern, das Telefon hat nicht geläutet, außerdem meine ich Viva. Viva braucht mich. Ich spüre es.“ Annette legt mit unruhigen Fingern das Spültuch in das Becken und dreht sich wieder zu ihrem Mann.

„Warte mal. Ich soll nicht albern sein, aber du erzählst mir, daß du eine telepathische Botschaft von unserer Tochter bekommst. Mensch Annette, Viva hat nicht mal ein Handy dabei, dann wird die Kommunikation ohne erst Recht schwierig.“

„Ich sage doch gar nicht, daß ich eine Botschaft empfange, aber ich spüre, daß sie mich braucht. Eine Mutter spürt so etwas.“ Sie steht da, beißt sich gedankenverloren auf die Unterlippe und starrt aus dem Fenster, das direkt über der Spüle angebracht ist.

„Ob ich heute noch einen Flug nach Brasilien bekomme? Sag mal Jürgen, hat Viva uns die Adresse des Hotels gegeben? Haben wir die Reiseroute? Weißt du noch den Veranstalter? Jürgen, nun sag doch was!“ Annette schaut ihren Mann mit halb flehenden, halb vorwurfsvollen Blick an.

„Was soll ich denn deiner Meinung nach sagen, Liebling. Das ich denke, daß Dir die Dämpfe des Spülmittels nicht bekommen? Dass wir ungefähr das letzte sind, was Viva jetzt braucht. Mensch, sie ist das erste Mal mit Nils allein im Urlaub. Die beiden haben einen einmaligen Trip geplant und da willst du jetzt reinplatzen, weil du ein komisches Gefühl im Bauch hast??? Jürgen schaut seine Frau mit fassungslosem Blick an. Er nimmt ihre linke Hand und streicht sanft über ihre weiche Haut mit den Sommersprossen. Langsam zieht er sie zu der großen Couch. Mit beruhigen Worten versucht er ihre Bedenken zu zerstreuen und seine eigenen gleich mit. Im Nachhinein ist er sich gar nicht mehr sicher, ob die Worte wirklich ihr galten, oder vielleicht  doch mehr sich selber. Mit ein bisschen Widerwillen bekommt er Annette schließlich doch noch auf die Couch. Er deckt sie mit ihrer grauen Lieblingsdecke zu und legt ihr ein Kissen unter den Kopf. Leise protestiert Annette dagegen. Aber es klinkt halbherzig und scheint nicht einmal sie zu überzeugen.

„Ich mach dir jetzt erst einmal einen heißen Tee und danach rufe ich Dr. Reck an und mache einen Termin für morgen früh aus. Nein. Keine Widerrede. Liebling, du musst doch selber einsehen, dass es nicht gesund klingt, Botschaften seiner 12.000 km entfernten Tochter zu bekommen.“ Jürgen  sitzt am Fußende der Couch. Mit leichtem Druck lässt er die Daumen über die Fußsohlen gleiten. In geübten Handgriffen wickelt er die graue Decke um ihre Füße. Sonst mag sie dieses vertrauten Rituale- heute nicht. Sie hält ihm zu Liebe still und lässt es über sich ergehen, aber wirklich beruhigen kann es sie heute nicht. Jürgen schaut seine Frau noch einen Moment voller Sorge an, dann steht er auf und geht mit langen Schritten in die Küche. Dieser Raum hat sich in den letzten Minuten irgendwie verändert.

 

Im Wohnzimmer liegt Annette in der Zeit Fingernägel kauend auf der Couch und versucht ihre Gedanken zu ordnen. Sie kann sich kaum noch dran erinnern, wann sie das letzte Mal Nägel gekaut hat. Als Kind war das eine lästige, aber vertraute Gewohnheit. Ihre Eltern haben damals versucht ihr das Kauen mit ekelhaften Tinkturen auf der Haut abzugewöhnen. Immer wenn sie gegrübelt hat, sind die einzelnen Finger im Mund gelandet und wurden bis aufs Blut malträtiert. In der Pubertät hörte es damit auf. Abgekaute Nägel passen einfach nicht zu pinken Lippenstift und Nena- Look. Annette schaut auf ihre gepflegten neun Nägel. Einer ist schon ab.

Hat Jürgen Recht? Dreht sie jetzt durch? Was ist, wenn Viva wirklich ihre Hilfe braucht? Das kann man doch nicht einfach ignorieren. Aus der Küche dringt leise das Klappern von Geschirr. Der Wasserkocher gibt merkwürdige Geräusche von sich und sollte schon längst ausgetauscht werden. Aber jetzt gibt es wichtigere Dinge, als ein ordinärer Wasserkocher. Mit leisen Sohlen schleicht sich Annette in den Hauseingang. Über ihr, in knapp 2,40m Deckenhöhe, ist in einem weißen Metallrahmen die Klappleiter aus Holz eingebaut. Aus der alten blauen Milchkanne, die als Schirmständer dient, nimmt sie den Stab zum Öffnen der Luke. Mit einem Quietschen kommt ihr die Treppe entgegen.

„Was machst Du da?“ Jürgen steht mit einer Tasse voll dampfenden Tee in der Tür zum Wohnzimmer.

„Ich hole jetzt den Koffer von oben, buche danach einen Flug oder vielleicht auch zwei, falls du mitkommen möchtest um deine Tochter zu retten, und packe anschließend meine Sachen für die Reise.“ Mit entschlossenem Blick, erhobenen Kopf und die Leiter fest in den Händen schaut sie ihren Mann an und wartet auf Widerworte.

Ein langer Seufzer, der sehr nach Resignation klingt, dringt aus seinem Mund.

„ OK. Ich komme mit, aber nur wenn du dich morgen früh noch kurz von Dr. Reck untersuchen lässt. Vor morgen Nachmittag werden wir eh keinen Flieger kriegen.

Annette denkt kurz drüber nach und nickt Ihrem Mann dann kurz und knapp zu. Der geht mit seinem heißen Tee zurück in die Küche und stellt fest, dass Tee in so einem Moment eigentlich völlig dämlich ist.  Lieber hätte er jetzt einen schönen Whisky, den könnte er viel besser brauchen.

Trotzdem macht er sich Gedanken. Hat seine Frau sich irgendwo den Kopf gestoßen? Hat seine Frau sich in letzter Zeit öfter komisch verhalten? Gab es mehr dieser Anzeichen, einer Persönlichkeitsveränderung? Sie hat in letzter Zeit öfter über Kopfschmerzen geklagt. Oh Gott, nicht das seine Frau, seine geliebte Frau eine schlimme Krankheit hat.

Mit hängenden Schultern steht Jürgen in der Küche und starrt in Gedanken aus dem Küchenfenster.

Vom Dachboden über ihm kommen gedämpfte Geräusche.

Was macht sie da? Die Koffer stehen doch gleich am Eingang der Luke. Vielleicht sollte ich den Doktor doch jetzt schon anrufen. Oder am besten gleich ins Krankenhaus fahren. Und wenn ich ihr erzähle, daß wir uns besser jetzt schon die Impfung abholen. Wir wären dann bereit, falls der Flieger morgen schon geht. Oh Gott, was erzähl ich eigentlich in der Firma. Ich muss doch irgendetwas sagen, warum ich so kurzfristig Urlaub brauche. Annette genauso. Ausgepowert? Nein, wir waren vor nicht einmal sechs Wochen auf Mallorca. Meine Mutter ist krank? Ihre Mutter vielleicht?

Weiter kommt er mit seinen Überlegungen nicht.

Krrrcccchhhh. Krrrrrrcccccccchhhhhhhhhhhhh. Ein kratzendes Geräusch aus dem Flur dringt an sein Ohr.

Was zur Hölle macht sie da eigentlich. So schwer ist doch der kleine Koffer gar nicht.

„Schatz, kann ich dir helfen.“ Vorsichtig wie im Schützengraben lässt er langsam den Kopf um die Ecke gleiten. Mit einem breiten, künstlichen Lächeln im Gesicht blickt er seine Frau an, die auf der zweiten Stufe der klappbaren Bodentreppe steht. Der Koffer schon ein Stück aus der Luke ragend.

„Langsam, schön langsam.“ Mit großer Konzentration beschwört sie den Koffer, sich doch bitte genau so zu verhalten, wie sie es gern hätte. Der Koffer denkt gar nicht dran. Mit dem Adressanhänger, der immer noch die Adresse des letzten Mallorca- Hotels in sich trägt, bleibt das klobige Ding an einer Kante hängen. Das ist Anette jetzt allerdings doch zu langsam. Sie zieht und ruckt mit langen Armen an dem Griff des Schalenkoffers.

Mit einem Ruck gibt der Adressanhänger seinen Gefangenen frei und das Gepäck kommt Anette mit Wucht entgegen.

Jürgen sieht seine  Frau, wie in Zeitlupe fallen und trotzdem ist er nicht in der Lage es zu verhindern.

Erst rutscht der linke Fuß aus dem Pantoffel. Mit dem Gewicht des Koffers gelingt es ihr nicht, mit der glatten Socke Halt auf den Fliesen zu bekommen. Der rechte Fuß hängt mit dem blauen Hausschuh in der Luft. Mit beiden Armen versucht sie den Koffer abzufangen Er nimmt inzwischen fast ihr ganzes Blickfeld ein. Alle Finger immer noch um den Griff des Koffers geschlungen, haut ihr Kopf gegen die grüne Eingangstür.

Vielleicht hätte ich doch vorher die anderen Taschen und Koffer rausnehmen sollen, ist das letzte, was ihr durch den Sinn kommt, bevor alle Lichter ausgehen.

Das Geräusch, was Annettes Kopf dabei macht, wird Jürgen nie wieder vergessen. Das weiß er sofort.

Mit einem Satz steht er bei seiner Frau. Mit zwei Handgriffen ist der Koffer ins Wohnzimmer geworfen und das schnurlose Telefon in seiner Hand. Mit eiligen Fingern versucht er 112 zu wählen, aber die Tasten sind auf einmal zu klein und er hat das Gefühl, dass seine Finger nur nutzlose Stöcker sind- steif, ungelenk und zu nichts zu gebrauchen. Nach zahlreichen Versuchen gelingt es endlich. Kaum klingelt es, fragt er sich ob es die richtige Nummer war? Oder doch 110? Nie konnte er sich das merken. Irgendjemand wird ihm schon helfen. Irgendjemand muss ihm helfen.

Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt telefoniert er mit einer jungen Frau am anderen Ende. Im ruhigen, sachlichen Ton stellt sie ihm Fragen. Jürgen fühlt sich, als ob sie ihn ärgern wollte. So viel Ruhe und Gelassenheit ist doch jetzt falsch- schließlich geht es um  Annette, seine  Annette.

Was sagt die Frau am Telefon? Ich soll den Kopf zwar stützen, aber die Position nicht verändern.

Mit zittrigen Fingern fährt er in den Spalt zwischen Tür, Fliesen und Kopf. Die linke Hand ist in ihren kurzen rot-braunen Haaren verschwunden. Warmes Blut tropft zwischen seinen Fingern auf den italienischen Steinfußboden. Mit der anderen Hand sucht er ihren Puls an der Halsbeuge. Die Notruftante fragt, wie schnell er ist und einen Moment voller Panik spürt er ihn gar nicht.

In der Ferne hört er endlich das Martinshorn. Er sagt der Frau, daß er Annettes Kopf wieder hinlegen müsste, damit er ihnen die Terrassentür öffnen könne. Er legt ihr einen seiner Turnschuhe unter den Kopf und läuft nach hinten zum Garten. In wenigen Schritten umrundet er das Haus. Mit hastigen Blicken sucht er die Ringstraße ab. Kommen sie von links oder rechts. Warum sind sie noch nicht da? Warum liegt seine Frau jetzt auf dem Boden im Flur. Warum hat er den Koffer nicht vom Dachboden geholt? Was ist, wenn sie schwer verletzt ist? Bis zum Eintreffen der Sanitäter schwirren so viele Fragen durch Jürgens Kopf- aber kein klarer Gedanke.

 

„Wer hat denn das Licht brennen lassen?“ Annette fühlt sich unglaublich leicht. Alles um sie herum ist so hell und pastellfarbend. Sie steht inmitten von Blumen und Schmetterlingen. In der Nähe hört sie das Rauschen eines Baches, leicht und plätschernd. Es wirkt alles wie in einem Gemälde, so unwirklich, so perfekt. Unter einem Rosenbusch kommt ein kleines Mäuschen mit grünen Pumphosen und gelben Hut hervor. Es lächelt vertrauensvoll und zwinkert ihr zu. Neben ihm läuft ein Hase mit roten künstlichen Nägeln und einer großen Kette mit Eulenanhänger um den Hals. Die Maus trippelt auf Annette zu. Sie quiekt vergnügt vor sich hin. „Komisch“ denkt Annette, sonst habe ich immer Angst vor Nagetieren. Sie lässt die Maus zu ihrer Hand laufen und freudig klettert die Maus auf ihre Schulter, setzt sich hin und grinst sie an.

Der Mund der Maus öffnet sich. Die großen Vorderzähne wackeln dabei lustig. „Wie geht´s uns denn heute. Mein Name ist Dr. Katrin-Kristin Kettler- Karmann“

Annette freut sich über diese freundliche Maus. Wie gut erzogen sie doch ist, aber was für eine fürchterlicher Name. Die Maus tut ihr leid. „Danke, sehr gut. Kennen wir uns irgendwo her?“ Sie lächelt die Maus an.  Wird ihr Kopf gerade größer? Nein, das kann nicht sein.

Irritiert schaut sich Annette um. Wo sind denn die Blumen hin? Warum wird denn alles so weiß? Der nächste Blick auf die Maus zeigt, dass sie Recht hat. Vom kleinen Körper mit den grünen Hosen ist jetzt nichts mehr zu sehen. Der Kopf mit den riesigen Zähnen hat jetzt fast die Größe erreicht, wie ihr eigener. Die Maus lächelt unbeeindruckt weiter.

„Super, dann kann ich Ihnen ja jetzt die Spritze geben.“

„Nein, ich lass mir doch nicht von einem Nagetier eine Nadel in den Arm jagen.“ Die Maus schnappt hörbar nach Luft und funkelt sie an. Annette versucht sie mit ihren Händen wegzuschieben. Der Kopf bewegt sich kein Stück. Er lächelt weiter und sie bekommt allmählich Angst vor diesen riesigen Zähnen. Sie blickt zur anderen Seite. Dort steht der Hase mit den künstlichen Fingernägeln und streicht ihr über den Arm. Mit aller Kraft versucht sie sich diesen Tieren zu entziehen und reißt sich los. Die Maus und der Hase reden hektisch miteinander und versuchen ihr die Spritze zu geben.

„Liebling, wach auch. Bitte. Ich bin´s. Jürgen.“ In ihr Blickfeld kommt ein brauner Bär mit besorgtem Gesichtsausdruck und offenen Armen.

Sie kennt den Bär, weiß nur nicht woher. Wie nannte er sich gerade? Jürgen… Jürgen… Annettes Kopf versucht die losen Fäden zur Realität zu verbinden. Jürgen!. Der Jürgen, der sie vor über 30 Jahren auf einer Party angequatscht hat. Der Jürgen, der am nächsten Tag eingezogen ist und nie wieder ausgezogen ist. Der Jürgen, der mit Ihr zwei Kinder groß gezogen hat. Ihr Jürgen!

Annette öffnet die Augen einen winzig, kleinen Spalt. Das war zu viel. Grelles Leuchtstoffröhrenlicht blendet sie. In ihrem Kopf explodiert ein Kopfschmerz der Klasse 12 von 10 Punkten. Doch schnell wieder Augen zu. Die Stimmen werden klarer. Hinter ihr stehen piepende Geräte. Jedes Piepen aus dem Lautsprecher dringt in ihr Ohr und wird dort verstärkt und mit Echo weitergeleitet. Keine Nervenzelle in ihrem Kopf wird verschont.

„Liebling, mach bitte die Augen auf.“ Jürgen streicht mit dem Daumen über ihre Stirn.

„Dann mach das Licht aus.“ Annette versucht ihre Gedanken zu ordnen. Aber so viele scheinen es gar nicht zu sein. „Was macht die Maus hier? Was mache ich hier und warum tut mein Kopf so weh?“

Wenig Gedanken, aber nicht ganz unwesentlich.

„Was ist passiert? Wo bin ich hier?“

Annette versucht sich leicht aufzurichten, aber der explodierende Schmerz in ihrem Kopf macht dem Versuch ein Ende. Mit lautem Stöhnen lässt sie sich langsam zurück in ihr Kopfkissen gleiten. Ihr Gesicht verzieht sich vor Schmerz und Anstrengung und lässt ihren sonst schönen Mund zu einer Grimasse werden.

Jürgen leidet mit ihr. Auch sein Gesicht nimmt einen gequälten und mitleidigen Gesichtsausdruck an. Er kann die Schmerzen seiner Frau fast physisch spüren.

Jürgens Gehirn arbeitet. Wenn er ihr jetzt sagt, was passiert ist, könnte sie sich wieder an Viva erinnern und so wie er seine Frau kennt, möchte sie trotz der Verletzungen los. Ratter, ratter, ratter, was soll ich ihr nur sagen. „Ähmm, Liebling, du bist auf den Steinen ausgerutscht und hast dir den Kopf angeschlagen.“

Immerhin die halbe Wahrheit, denkt sich Jürgen und versucht seine Lüge hinter einem kleinen Lächeln zu verbergen.

Die Ärztin schaut mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihm hinüber. Jürgen meidet ihren Blick und hofft, dass auch Annette ihn nicht gemerkt hat. Doch Annette kehrt schnell zu ihrer alten Form zurück und ihre Augenbrauen ziehen sich gefährlich zusammen.

„Was ist hier los? Ich will sofort die Wahrheit wissen? Annette setzt sich trotz der Schmerzen auf und sieht herausfordernd in die Runde.

Jürgen rollt mit den Augen und stellt sich dann dem Unvermeidbaren. Er weiß, dass er keine Chance hat. Dazu ist er ein viel zu miserabler Lügner. Annette merkt immer wenn er lügt, daher versucht er es auch meistens gar nicht erst.

„Du wolltest zu Viva. In den Dschungel. Am besten gleich.“

Annettes Augen weiten sich. „Viva steckt in Schwierigkeiten. Ich erinnere mich.“ Sie sitzt nun kerzengerade im Bett. Die Geräte hinter ihr werden hektischer im Piepen und auch die Ärztin wird unruhiger. Ihre Lippen pressen sich aufeinander und mit leicht gerümpfter Nase, dem strengen Dutt und den leichten Segelohren sieht sie tatsächlich ein bisschen aus, wie eine Maus. Jürgen muss unwillkürlich lächeln.

„Können Sie mir bitte sagen was hier los ist. Was soll das alles. Wer ist Viva?“ Die Mäuse-Ärztin steht am Fußende des Bettes und zieht die Augenbrauen hoch.

„Meine Tochter, sie braucht mich. Ich wollte einen  Koffer vom Dachboden holen. Der Koffer blieb irgendwo hängen und als er sich löste, konnte ich ihn nicht mehr halten und bin die Treppe runter gestürzt.“ Annettes Gehirn arbeitet auf Hochtouren, Schmerz und Krankenhaus sind vergessen.

„Jürgen hast Du den Koffer gepackt?“ Sie greift nach seinem Unterarm und hält ihn energisch fest. „Wir müssen sofort los.“

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